Reiche Ernte. Volle Scheune. Neue Aussaat
Mit 95 Prozent hatten sie für den Streik gestimmt und dann dreimal die Arbeit niedergelegt: LokführerInnen und Zugpersonal, Weichenwärterinnen und Wagenmeister. Sie wurden verteufelt, wie das ja oft bei Arbeitskämpfen der Fall ist: Der Streik komme zur Unzeit, die Forderungen seien maßlos. So tönte es aus den Medien, der Politik und dem DGB-Vorstand, dem nichts Besseres einfiel, als den Bahnbeschäftigten in den Rücken zu fallen. Gestern kam nun die Einigung. Der Erfolg der GDL könnte auch anderen Gewerkschaften als Vorbild dienen, argumentiert Winfried Wolf.
Der Herbst ist die Jahreszeit, in der die Ernte eingefahren wird. Und diese wird nun reichlich eingebracht – in die Scheunen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Und wie in der Landwirtschaft der Fall, so wurde die Ernte der Bahnbeschäftigten mit harter Arbeit verdient. Beim dritten, fünftägigen Streik, der am 7. September um 2 Uhr endete, wurden 24.000 Streikende gezählt (einschließlich Doppelzählungen). In allen drei Streikwellen gelang es, rund 75 Prozent der Fernzüge, zwei Drittel der Nah- und Regionalzüge und S-Bahnen der Deutschen Bahn AG und einen großen Teil der Güterverkehrszüge von DB Cargo zum Stillstand zu bringen. In einem bahninternen Papier, verfasst auf Basis der zweiten Streikwelle, wird eine „hohe Streikbeteiligung“ eingestanden – wobei es laut DB-AG-Oberen bereits die Beteiligung einer größeren Zahl von „Fahrdienstleitern, Weichenwärtern, Wagenmeistern und Disponenten“ gegeben habe.
Die 2021er Streiks waren, wie 2014/15, verbunden mit Dutzenden Kundgebungen und Solidaritätsaktivitäten; an den letzteren hatten sich auch Hunderte Aktive aus DGB-Gewerkschaften beteiligt.
Das Bahnmanagement und nicht zuletzt „die Politik“ sind sich dann in den letzten Tagen bewusst geworden, dass die angekündigte vierte Streikwelle eine nochmals größere – und wegen des Wahltermins eine kaum überschaubare – Dynamik entfalten würde. Mit ihrem in diesem Punkt elefantösen Gedächtnis erinnerten sich Arbeitgeber und Regierende an den Arbeitskampf 2014/15. Wie war das nochmals vor sieben Jahren … alsein letzter GDL-Streik begann, ohne dass ein Streikende benannt wurde? Und hatte damals, 2014/2015, die Dachorganisation der GDL, der Beamtenbund dbb, nicht gezögert, der GDL vollinhaltliche Unterstützung zu gewähren, während er 2021 uneingeschränkt hinter dem GDL-Arbeitskampf steht?
All das zusammen führte dazu, dass die Verantwortlichen im Berliner Bahn-Tower und auch mehrere Ministerpräsidenten im aktuellen Arbeitskampf gar nicht erst den Beginn einer solchen vierten und dann möglicherweise nicht terminierten Streik-Runde abwarten wollten – und entnervt das Handtuch warfen.
Jetzt wird die Ernte in die geräumige, deutlich aufgestockte GDL-Scheune auf drei Ebenen eingebracht:
Ebene 1 – der materielle Erfolg
Es gibt im Zeitraum 2021 bis 2023 für die GDL-Bahnbeschäftigten materielle Verbesserungen in Höhe von mehr als drei Prozent. Darunter befinden sich addierte Corona-Prämien in Höhe von 800 bis 1000 Euro je Beschäftigten, eine erste ausbezahlt bereits im Dezember 2021 (mit 400 respektive 600 Euro je Bahnbeschäftigten) und eine zweite auszuzahlen im März 2022 (mit 400 Euro je Bahnbeschäftigten). Auch hübsch: Für beide Prämien gilt steuerrechtlich brutto gleich netto. In der Summe sind die Lohnerhöhungen höher als der Verdi-Abschluss im Öffentlichen Dienst, was ja der Referenzpunkt der GDL-Forderungen war.
Ebene 2 – der soziale Erfolg
Der Angriff des Arbeitgebers auf die Alterseinkommen der Bahnbeschäftigten hat einen krass unsozialen Charakter. Die DGB-Bahngewerkschaft EVG hatte diesem zugestimmt und damit insbesondere die älteren Bahnbeschäftigten im Regen stehen lassen. Mit der nun mit dem Bahnkonzern getroffenen neuen Regelung wurde der Angriff auf die Alterseinkommen komplett abgewehrt und für alle vorhandenen Eisenbahner komplett fortgeführt.
Ebene 3
Auf Scheunen-Ebene 3 wird der nochmals erweiterte GDL-Geltungsbereich eingefahren. Der neue GDL-Tarifvertrag wird für alle Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVUs) des Bahnkonzerns, also für den gesamten Bahnbetrieb Gültigkeit haben, und in diesen EVUs dann für alle Berufsgruppen. Weiterhin nicht gültig ist der Vertrag in den Infrastrukturunternehmen DB Netz, Station und Service (Bahnhöfe) und DB Energie.
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Tritt man einen Schritt zurück und betrachtet die Entwicklung seit 2008 unter dem Aspekt „Geltungsbereich“, wird deutlich: Es gelang der GDL nunmehr seit fast eineinhalb Jahrzehnten, den Bereich, für den sie seitens des Bahnkonzerns zähneknirschend als tariffähig anerkannt werden musste, kontinuierlich auszuweiten. Und während die Zugbegleiter, für die die GDL nach dem Arbeitskampf 2008 noch nicht mit abschließen durfte, sieben Jahre warten mussten, bis sie dann 2015 „mit dran“ waren, liegt vor den neuen GDL-Mitgliedern in den Infrastrukturbereichen der nächste Stichtag nur gut zwei Jahre voraus: am 1. November 2023 läuft der neue Tarifvertrag aus. Die Wette gilt, dass die GDL alles daran setzen wird, dass sie dann im gesamten produktiven Bereich des Bahnkonzerns als tariffähig anerkannt werden wird. Das Tarifeinheitsgesetz könnte sich so in fataler Weise gegen die EVG wenden.
Erkennbar gilt: Wer sät, der erntet. Und mit dem neuen Tarifvertrag ist bereits eine Aussaat ausgebracht, die Ende 2023 erblühen könnte. Die Kolleginnen und Kollegen der GDL brachten auch 2021 ihre gute Ernte unter höchst widrigen Witterungsverhältnissen ein: Ein großer Teil der Mainstream- Medien griff die GDL frontal und demagogisch an. Von Erpressung (durch die GDL), Geiselhaft (der Fahrgäste, wenn nicht der gesamten Republik) und einem „reinen Machtstreben“ (des GDL-Bundesvorsitzenden) war da die Rede. Die Unternehmerverbände forderten die Einschränkung des Streikrechts. Der DGB-Vorsitzende fiel der GDL wiederholt in den Rücken. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung stellte gar einen Zusammenhang her zwischen Verkehrswende und Kampf gegen die GDL: Je mehr die Verkehrswende und mit ihr die Bahn ein Erfolg werden würden, desto mehr würden „die Lokführer ihr zusätzliches Erpressungspotential nutzen und abkassieren“.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die Stärkung der Position der Bahnbeschäftigten, die dieser GDL-Arbeitskampf erneut mit sich brachte, ist auch Voraussetzung für eine erfolgreiche Verkehrswende. Nur zufriedene und wertgeschätzte Beschäftigte erbringen gute Leistung. Und damit eine nachhaltige Ernte für Fahrgäste, alle Bahnbeschäftigten und den Klimaschutz.
Text: Winfried Wolf. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der Streikzeitung.
Foto: pw
Exemplare der aktuellen Ausgabe der Streikzeitung mit ausführlichen Beiträgen zu den Attacken des DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann, zu den Arbeitsgerichtsurteilen, zum Tarifeinheitsgesetz, zu Stuttgart 21 und den Solidaritätsaktionen mit den Streikenden können über ein Online-Formular bestellt werden – und zwar hier: https://streikzeitung-pro-gdl.de/bestellungen/
Am 4. 09. habe ich auf eine Meldung der tagesschau.de mit einer Mail an info.bvv@dgb.de wie folgt reagiert:
„Als ehemaliger Ortsvereinsvorsitzender der IG Druck und Papier fordere ich hiermit den DGB-Fuzzi Reiner Hoffmann zum sofortigen Rücktritt auf. Die Äußerung
– Im Kern gehe es GDL-Chef Weselsky darum, seine Gewerkschaft zu erhalten und ihren Einflussbereich zu vergrößern, um auf diese Weise mehr Mitglieder zu gewinnen, so Hoffmann. „Bei Herrn Weselsky und der GDL geht es ums pure Überleben.“
ist richtiggehend faschistoid. Wenn noch nicht mal vom DGB die Erhaltung einer Gewerkschaft verteidigt wird, stelle ich mir die Frage nach dem Sinn meiner Mitgliedschaft.
Peter Stribl“
Das Vokabular den Herren Thomas Warndorf und Bernd Koebke nebenbei besonders zur Kenntnis.
Viele Menschen sind Fans eines Fußballvereins. Ich bin seit etlichen Jahren Fan der Gewerkschaft GDL. Das ist eine kleine, in ihrer Bedeutung stetig wachsende Gewerkschaft, die beharrlich gezeigt hat, dass in diesem Land manch Anderes möglich ist, als das was jeweils peinliche DGB-Funktionäre unter sozial befriedeter Einschlafpolitik verstehen. Gewerkschaften, die für ihre Mitglieder, für die Beschäftigten, für die Menschen kämpfen sind Gewerkschaften, die es braucht. ver.di, meine Gewerkschaft, da fühle ich mich noch wohl. Aber fast zu groß und dadurch Trägheits- und Bürokratiegefahr. Es hängt aber an uns allen mehr zu bewegen und hinzukriegen. Mehr Engagement z.B. in einzelnen Sektionen von ver.di. Es gibt hier tausend Möglichkeiten zu kämpfen und sich mit Ideen einzubringen und damit wirklich viel erreichen zu können.
Der Erfolg der GDL könnte doch ermutigen selbst auch aktiv(er) zu werden!
Und nun noch zu den jungen Klima-AktivistInnen: Schienenverkehr, gute/angemessene Bezahlung, Klima und Gerechtigkeit. Ganz klar Euer Thema, oder etwa nicht?
Stefan Frommherz