Julian Assange wird totgeschwiegen
Der Friedensnobelpreis ist ein wichtiges Zeichen für die Pressefreiheit. Warum aber fehlt der Journalist und Whistleblower Julian Assange? Eine durchaus angemessene Frage, denn die Zahlen sind insgesamt erschreckend: Lediglich zwölf Länder kann die internationale Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (RSF für Reporters sans frontières) auf ihrem „Barometer der Pressefreiheit“ 2021 als „gut“ bezeichnen. 28 JournalistInnen und Medienschaffende wurden ermordet, 459 saßen in Haft.
Zu Recht bezeichnet deshalb Christian Mihr von RSF die Verleihung des Friedensnobelpreises an die philippinische Journalistin Maria Ressa und an den russischen Journalisten Dmitri Muratow als ein Zeichen für den Schutz der Pressefreiheit.
Doch weder RSF noch überregionale Zeitungen sowie ARD und ZDF erwähnen einen der mutigsten Journalisten und Whistleblower der letzten 15 Jahre: Julian Assange. Er wird im wörtlichen Sinne totgeschwiegen. Sein Zustand – seit über zwei Jahren Isolationshaft im Londoner Schwerverbrechergefängnis Belmarsh – ist lebensbedrohlich. Das Londoner Gericht lehnte die von den USA geforderte Ausweisung (noch unter Donald Trump) aus gesundheitlichen Gründen ab, ebenso jedoch auch eine Freilassung auf Kaution mit der Auflage, sich regelmäßig zu melden. Auch unter Präsident Joe Biden gilt Assange als Verbrecher, die USA gingen in Revision. In den USA drohen Assange 175 Jahre Haft. Biden ignoriert Dutzende von internationalen Appellen von Ärzten, von internationalen wie amerikanischen Medien und Journalistenvereinigungen sowie die mehrfachen Vorwürfe von Nils Melzer, dem UNO-Sonderberichterstatter für Folter (Kontext berichtete). Die Geschichte dieser politischen Verfolgung ist ein Skandal für eine demokratische Gesellschaft.
Von „Mut und Tapferkeit“ ist bei Maria Ressa und Dmitri Muratow in vielen Glückwünschen die Rede. Zu Recht. Sechs Kollegen von Muratow bei der russischen Oppositionszeitung „Nowaja Gaseta“ wurden seit 2000 ermordet – eine der bekanntesten: Anna Politkowskaja –, andere in der Haft schwer verletzt. Maria Ressa berichtet furchtlos über die schweren Menschenrechtsverletzungen unter dem Drogenkrieg von Präsident Rodrigo Duerte. Auf die Redaktion des von ihr gegründeten Online-Nachrichtenportals „Rappler“ wurde ein Chemie-Anschlag verübt, Ressa selbst war bereits mehrfach inhaftiert. Der Friedensnobelpreis an die beiden ehrt stellvertretend ebenso bedrohte, inhaftierte und mutige JournalistInnen in der Türkei, auf Haiti, im Iran, in Saudi-Arabien, Simbabwe oder Brasilien. „Ein Stachel für die philippinische Regierung“ bedeute die Auszeichnung an Maria Ressa, meinte Christian Mihr von „Reporter ohne Grenzen“.
So sehr dies für die Entscheidung des schwedischen Nobelkomitees spricht, umso mehr spräche dies dafür, dass der Friedensnobelpreis 2021 gedrittelt worden wäre. Denn Julian Assange ist, bei allem unbestrittenen Respekt für die beiden Preisträger, der bedeutendste und mutigste Whistleblower des zeitgenössischen Journalismus. Aber eben nicht in einem autokratischen Regime in Osteuropa oder in einer Diktatur in einem Land des Südens. Assange gründete 2006 Wikileaks, veröffentlichte das „war diary“, 10.000 Seiten an Brutalität nicht zu überbietender Dokumente über amerikanische Kriegsverbrechen, über die Folter Unschuldiger auf Guantanamo, über politische Erpressung und Korruption der USA. Die USA haben beschlossen, an ihm ein Exempel zu statuieren, sie haben die politische Exekutive in Ecuador, Schweden und Großbritannien erpresst und die Justiz in London ist der Handlanger des amerikanischen Rachefeldzugs – nicht die Kriegsverbrechen der USA sind ein Verbrechen, sondern wer wagt, sie aufzudecken.
CIA wollte Assange entführen, vielleicht ermorden
Assange in diesem Friedensnobelpreis mitauszuzeichnen, wäre ein „Stachel für die amerikanische Regierung“ gewesen. Weltweit wäre Joe Biden an einer Stellungnahme und möglicherweise an einer Einstellung des Auslieferungsverfahrens nicht mehr vorbeigekommen. Dies dürfte dem schwedischen Nobelkomitee bewusst gewesen sein und diesen Affront, darf man vermuten, wagte es nicht.
Die Bekanntgabe des Friedensnobelpreises für demokratischen Journalismus fällt mit einer besonderen investigativen Leistung zusammen, sehr verwandt dem Whistleblowing von Julian Assange: „Yahoo News“ veröffentlichten am 26. September, unter anderem basierend auf Aussagen ehemaliger amerikanischer Top-Beamter, dass Donald Trumps CIA Direktor Mike Pompeo Wikileaks zum Ziel von „offensive counterintelligence“ erklärt hatte und der Plan bestand, Assange zu entführen (und in die USA zu überstellen) oder schon in London umzubringen. Yahoo belegt, dass die Firma UC Global, zuständig für die Sicherheit der ecuadorianischen Botschaft, in die sich Assange geflüchtet hatte, mit dem CIA zusammenarbeitete und die Aufgabe hatte, ihn zu kidnappen und zu ermorden. Der besondere Skandal dabei ist, dass ein australischer Staatsangehöriger entführt und ermordet werden sollte und dies in Canberra bis heute unter den Tisch gekehrt wird.
Nach den veröffentlichten ehemaligen Geheimplänen standen auf der Liste des CIA auch Glenn Greenwald, Begründer des linken „Intercept Magazins“ und ehemaliger Kolumnist des „Guardian“, sowie die Dokumentarfilmerin Laura Poitras. Die Verfasser dieser Investigationen sind bekannt – Zach Dorfman, Sean D. Naylor und Michael Isikoff. Sie sind jedes denkbaren Journalistenpreises würdig. Doch sie werden so wenig einen bekommen wie Julian Assange. Der gesamte CIA Plot verursachte in den britischen Medien keinen Aufschrei. Die einst progressive BBC berichtete in einer kleinen Meldung; „Channel 4“, ansonsten führend, wenn es um die Verteidigung der Pressefreiheit geht, kein Wort; nicht anders in der Mehrheit deutscher Tageszeitungen gleich welcher Couleur und in ARD sowie ZDF. Julian Assange wurde erfolgreich „als Paria dämonisiert“, wie es die britische Zeitung „The Independent“ am 1. Oktober formulierte. Die amerikanischen Vorwürfe, Wikileaks habe das Leben von US-Agenten gefährdet, lassen sich laut „The Independent“ übrigens nicht belegen. In einem Gerichtsverfahren 2013, so die Zeitung, hätten 120 US-Geheimdienstoffiziere nicht einen einzigen Mitarbeiter nennen können, der deshalb im Irak oder in Afghanistan getötet worden sei.
Dies alles beeindruckt die konservative britische Innenministerin Priti Patel nicht. Sie arbeitet an einer Verschärfung des „Official Secrets Act“, nach dem Journalisten, Whistleblower und „leaker“ schneller der Spionage angeklagt und bis zu 14 Jahren inhaftiert werden können.
Text: Wolfram Frommlet (Der Beitrag erschien zuerst auf www.kontextwochenzeitung.de)
Bild: Joachim E. Röttgers
Welch eine Gnade!:
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/assange-berufung-101.html
Julian Assange DARF in Berufung gehen…
Die Mainstream-Medien von den Aachener Nachrichten bis zur Zweibrücker Rundschau haben sich überschlagen beim täglichen Bulletin über Blutdruck und Stuhlgang Nawalnys (dreieinhalb Jahre Straflager).
So gut wie nichts bekamen sie dagegen mit von konstruierten Beweisen gegen Assange wegen Vergewaltigung. Eine Haftstrafe von fünfzig Wochen wegen Flucht in die Botschaft Ecuadors – ein Paradebeispiel für Verhältnismäßigkeit. Über 1.000 Tage im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh – irgendwie muß sich der „Rechtsstaat“ doch gegen derartige Subjekte wehren…
Daß die Aufdeckung von Kriegsverbrechen unter Freunden sowieso nicht geht, versteht sich von selbst. Wenn dafür im Extremfall die Todesstrafe droht, ist diesen Schmierfinken ein Achselzucken wert.
Von A bis Z, von ARD bis ZDF – die Propaganda-Jungs und -Mädels haben noch nicht mal das Ausspucken verdient.
Ein Beispiel der umfassenden und unvoreingenommenen Berichterstattung:
https://www.tagesschau.de/ausland/pressefreiheit-reporter-ohne-grenzen-101.html
Julian Assange werden gnädigerweise ganze drei Zeilen gewidmet:
„Als einen besonders besorgniserregenden Fall nannte Reporter ohne Grenzen den von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Ihm drohen bei einer Auslieferung in die USA bei einer Verurteilung bis zu 175 Jahre Haft.“
Der ganze Artikel umfaßt ca. 3800 Zeichen. Für eine chinesische Bloggerin, die zu vier Jahren Haft verurteilt wurde, wird ein Link eingebaut, der auf einen Bericht mit mehr als 4700 Zeichen verweist.
Nebenbei:
„Auf alle Anklagepunkte der US-Anklageschrift steht eine Maximalstrafe von 175 Jahren Haft, schlimmstenfalls sogar die Todesstrafe.
[1][2]“ (Wikipedia)
Da kommt doch grenzenlose Hochachtung auf. Für die Transatlantik/CIA-embeddeden Investigativ-Journalisten der Tagesschau wie Gensing, Stöber, Mascolo & Co.
Am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, erfolgte in London das Auslieferungsurteil gegen Julian Assange. Daniel Ryser kommentiert dies in der Republik: «Der «Tag der Menschenrechte» ist nun der Tag, an dem England und die USA klargemacht haben, dass bestraft wird, wer ihre Kriegsverbrechen aufdeckt, dass Pressefreiheit und Menschenrechte nur noch gelten, wenn sie die USA nicht bedrohen.» «Das Urteil gegen Assange ist ein Angriff auf den Journalismus» (1)
Es lohnt sich, der Aufforderung von J. Fehr von DiEM25 vom 11.8.
nachzukommen: «Einfach mal lesen, falls ihr über den Fall Julian Assange nicht informiert seid. Thilo Jung fragt Nils Melzer (UN-Sonderberichterstatter) im Interview, ob es juristisch noch eine Möglichkeit gibt, dass Assange freikommt. Die Antwort macht einen sprachlos…» (2) Und zwei Tage vor der Bundestagswahl fordert er: «Einmal in der Woche daran erinnern, dass Julian Assange mitten in Europa im Gefängnis sitzt. In Isolationshaft! Sein «Verbrechen»: Journalismus.» «Ja, da haben große Teile des Journalismus kläglich versagt und sie tun dies weiterhin» bestätigte der Journalist Peter Welchering das Versäumnis vieler deutscher Medien, regelmässig an diesen Skandal zu erinnern und über ihn zu berichten. (3), (4) It’s high time und kann nur besser werden. Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di reagierte „mit Fassungslosigkeit“ auf die Entscheidung in London, die Ablehnung des US-Auslieferungsantrags für Julian Assange zu kippen. Auch die Ampelparteien stehen in der Pflicht und ihre Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. (5), (6)
(1) https://www.republik.ch/2021/12/10/das-urteil-gegen-julian-assange-ist-ein-angriff-auf-den-journalismus
(2) https://twitter.com/JohannesFehr/status/1425377533911048193
(3) https://chaos.social/@Welchering/106985353491137713
(4) https://www.welchering.de
(5) https://www.heise.de/tp/features/Assange-Urteil-in-London-Bewaehrungsprobe-fuer-Ampelkoalition-6291979.html
(6) https://twitter.com/FabioDeMasi/status/1469623862782480387
(7) https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/261301/menschenrechte
Es tut mir leid, daß ich keine andere Quelle nennen kann für diesen Bericht. Auf Bild.de oder tagesschau.de war leider nichts zu finden zu der Veranstaltung. Die umfassende und unvoreingenommene Berichterstattung der ö/r Medien hat enge Grenzen, hohe Mauern, ist embeddet in die Presseabteilungen der CIA, NSA usw. usf. Von den privaten Qualitäts-Medien wollen wir doch wohl nicht im Ernst reden…
Hier der Link:
https://de.rt.com/international/126096-snowden-ueber-asssange-was-wir-hier-beobachten-ist-ein-mord/
Wikipedia zum Thema:
„In einem Interview im Juni 2021 erklärte Sigurður Ingi Þórðarson, ein ehemaliger Zuträger des FBI und ein wichtiger Zeuge gegen Assange in dem Verfahren in den USA, in wichtigen Punkten, auf die sich die Anklage gegen Assange stützt, gelogen und einen Meineid geleistet zu haben, um Immunität zu erhalten.[243]
Auf alle Anklagepunkte der US-Anklageschrift steht eine Maximalstrafe von 175 Jahren Haft, schlimmstenfalls sogar die Todesstrafe.[1][2]“
Eine Sammlung der ARD zum Thema:
https://www.tagesschau.de/thema/wikileaks/
Es ist zweifellos hilfreich, die dazu eruierenden und (auch versteckt) kommentierenden Journalisten nach ihrer Zugehörigkeit zur Atlantikbrücke abzuklopfen.
Oder bei privat verfassten Medien das Reaktionsstatut, dem sie sich unterwerfen (müssen), unter die Lupe zu nehmen. Springer, Burda, Bertelsmann oder auch die Augsburger Allgemeine, Eignerin des Südkurier, haben unter Garantie nicht umfassende, unvoreingenommene Berichterstattung in ihren Anstellungsverträgen verankert. Es sei denn, als Farce.
Dazu Paul Sethe, gewiss kein Linker: „Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“