„Keine Profite mit unserer Miete!“ – Vom Kampf für eine andere Stadt
Das erfolgreiche Votum der BerlinerInnen für die Vergesellschaftung von Wohnraum ist noch frisch in Erinnerung. Wie hat es die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ geschafft, soviele BürgerInnen von ihrem Konzept einer neuen Ausrichtung der städtischen Wohnungspolitik zu überzeugen und zu aktivieren? Bleibt dies ein singuläres Ereignis der Bundeshauptstadt oder lassen sich Anknüpfungspunkte auch für hiesige Initiativen finden? Fragen, die vergangenen Freitag auch im Contrast erörtert wurden.
Von Berlin nach Konstanz: Vom Wissensdurst einer Infokneipe
Die Probleme der MieterInnen mit den großen Wohnungsbaukonzernen sind auch in Konstanz hinlänglich bekannt: Besuche der Objekte der Vonovia in der Schwaketenstraße hinterlassen einen bleibenden Eindruck, der sich aber nicht auf die Mängel, den Pfusch und das angerichtete Chaos (wie der Schimmelbildung im Trockenraum…) der sogenannten Modernisierungsmaßnahmen begrenzt. Nein, es ist die Angst der Bewohner vor neuerlichen baulichen Eingriffen und „Verbesserungen“, steht doch stets zu befürchten, der Schaden wäre größer als der Nutzen.
Die BerlinerInnen hatten letzten Monat die Gelegenheit, eine demokratische Richtungsentscheidung bei Fragen der städtischen Wohnungspolitik zu treffen: In einem Volksentscheid stimmten über eine Million BerlinerInnen für eine Vergesellschaftung der Wohnungen großer, profitorientierter Unternehmen auf dem Wohnungssektor. Um den Erfolg dieser Kampagne zu erklären, machte sich Oliver Münchhoff von Berlin aus auf den Weg an den Bodensee, um im Rahmen der Infokneipe im Jugendclub Contrast Licht ins Dunkel, oder: auf das Rettende in der Gefahr aus Perspektive der MieterInnen, zu bringen.
„Wir haben Eigenbedarf!“
Auslöser der Kampagne war letztlich der gesamtgesellschaftliche Widerstand, mit der Miete zugleich die Dividenden der AktionärInnen zu bezahlen. Kurz gefasst stellt sich die Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt recht typisch dar: Das städtische Wohneigentum wurde ab den Neunzigern mehr und mehr privatisiert und fiel in die Hände von Konzernen wie Vonovia und Deutsche Wohnen. Diese kauften massiv Wohnungen auf und versuchten dann, durch Erhöhung der Miete, meist umstrittene Modernisierungsmaßnahmen und eine kreative Auslegung der Nebenkostenbrechung ihre Profitrate zu maximieren. Das zudem betriebene In-Sourcing, also die Übernahme von Aufgaben unter anderem des Facility Managements durch eigene Subunternehmen, führte dazu, dass nur 15 Prozent der Angestellten einen Tarifvertrag haben. Unter dem Kostendruck der Dividendenerwartung leiden demnach neben den MieterInnen auch die Beschäftigten dieser Unternehmen. Anzufügen ist, dass sich die Erfüllung mancher dieser Dienstleistungen auf das Papier der Nebenkostenabrechnung reduziert.
Durch den sich stetig erhöhenden Kostendruck infolge der steigenden Mieten wurden mehr und mehr MieterInnen aus ihren Wohnungen verdrängt, schließlich ganze Quartiere gentrifiziert. Aber auch Kleingewerbe wie Kiezkneipen bis hin zu Jugendclubs und selbst Kitas wurden (und werden) Opfer der spekulativen Preistreiberei. Die Politik stand lange Zeit diesen neoliberalen Machenschaften ohnmächtig (bis willfährig) gegenüber, ohne sich in der Verantwortung zu wähnen, Menschen hätten ein Recht auf Wohnen oder gar die oft jahrzehntelange Vertrautheit ihres angestammten Viertels.
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Aufgrund dieses politischen Desinteresses passierte das Unerhörte: Die Zivilgesellschaft organisierte sich und fand in der Idee der Vergesellschaftung ein motivierendes wie integratives gemeinsames Ziel, das Versprechen einer politischen Veränderung. Vor mittlerweile vier Jahren begann ein Weg, der für alle Beteiligten immer neue Überraschungen bereit hielt. Den Anfang machte eine Volksinitiative, deren Quorum von 20 000 Unterschriften um rund 50 000 überschritten wurde. Auch das anschließende Volksbegehren, begleitet von bürokratischen Beschwernissen und den Komplikationen der pandemischen Situation, konnte das Doppelte der notwendigen Stimmen einreichen (statt der geforderten 175 000 Stimmen kamen 359 638 zusammen). Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Berliner Mietendeckel, der ja bekanntlich qua fehlender formaler Verantwortlichkeit des Senats gekippt wurde, geriet hier zu einem weiteren Motivationsschub. Die Kampagne zum Volksbegehren war sich der breiten Unterstützung bewusst und richtete sich dezidiert positiv aus, einfach als ein „Ja“, für eine Stadt für alle. Letztlich konnte das Begehren eine Million Stimmen für sich verzeichnen und als eindrucksvolle Artikulation des politischen Willens der Berliner Bevölkerung werten.
Was, bzw. wer, bereitete diesen Erfolg? Wie Oliver Münchhoff bei seinem Vortrag im Contrast herausstellte, war es im Besonderen die Selbstorganisation von unten, das Engagement der vielen BewohnerInnen, die in verschiedenen mannigfaltigen Formen und Aktionen die Bewegung über die lange Zeit trugen und letztlich zum Erfolg der Kampagne führten. Transparente an Häusern gehören ebenso dazu wie die Teilnahme an Demos und das Engagement bei den Unterschriftenaktionen. Die Vernetzung der AkteurInnen wurde zu einem Selbstläufer, der BürgerInnen über die ganze Stadt hinweg solidarisch verband und ihnen aufzeigte, dass sie für die selbe Sache in ihrer Stadt kämpften, so eine Einschätzung von Oliver Münchhoff.
Eine „Anstalt öffentlichen Rechts“
Das Ziel der Kampagne war allerdings nicht die Enteignung, wie des öfteren behauptet wurde, sondern die Vergesellschaftung der Wohnungen. Auch wenn die Begriffe durchaus eine semantische Ähnlichkeit aufweisen, trennt sie ein entscheidender Unterschied im Umgang mit dem Wohneigentum: Die Vergesellschaftung ist der verpflichtenden Anbindung an das Geneinwohlinteresse unterworfen, wogegen mit der Verstaatlichung das Eigentum in die willkürliche Verfügungsgewalt des Staates fällt. Eine Vergesellschaftung führt somit notwendig zur Demokratisierung der Wohnungsbestände, was seinen Ausdruck auch in den Forderungen der Kampagne fand.
Kurzum forderte das Plebiszit den Berliner Senat mit Bezug auf den auf seine erstmalige Anwendung harrenden §15 des Grundgesetzes auf, „alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind“. Die Bestände jener privaten profitorientierten Immobiliengesellschaften, die mehr als 3000 Wohnungen in Berlin besitzen, sollen in Gemeineigentum überführt werden. Nicht profitorientierte Akteure wie Genossenschaften sind damit ausgeschlossen. Die Entschädigung der Unternehmen, vom § 15 Grundgesetz obligat vorgesehen, soll deutlich unter dem Marktwert verbleiben, um zu vermeiden, dass die BerlinerInnen für die spekulativen Gewinne der Wohnungsunternehmen in der letzten Dekade aufkommen müssen. Richtwert ist eine faire Miete von 4 Euro pro Quadratmeter Wohnraum. Die Finanzierung durch Anleihen könne zudem zeitlich mittels Raten gestreckt werden, um so Belastungen des städtischen Haushalts zu vermeiden.
Die Verwaltung soll von einer Anstalt des öffentlichen Rechts übernommen werden, deren Satzung sicherstellt, dass die Bestände nicht privatisiert werden dürfen. Im Unterschied zur Enteignung, mit welcher der Staat eine beliebige Verfügung über die Bestände hätte, setzt die Vergesellschaftung den Fokus auf die langfristige Überführung in Gemeineigentum. Zuletzt wird die Verwaltung der Anstalt öffentlichen Rechts auf die Umsetzung basis-demokratischer Prinzipien verpflichtet, die den BewohnerInnen und den Beschäftigten eine relevante Mitsprache neben den VertreterInnen des Senats zusichern.
„Ernstnehmen heißt Umsetzen!“
Ist jetzt also alles gut? Leider nein, meinte auch Referent Münchhoff. Denn Teile des Berliner Senats, allen voran die designierte Bürgermeisterin Franziska Giffey, sträuben sich gegenüber der Volkssouveränität und wähnen bereits in Teilen die Renaissance realsozialistischer Untriebe. Es sind die klassischen politischen Manöver des strategischen Aufschubs, der bürokratischen Verschleppung und Verschiebung in prüfende Kommissionen, die nun herangezogen werden, um wieder nichts unternehmen zu müssen.
Die Zaghaftigkeit der Regierenden sollte die BerlinerInnen letztlich nicht überraschen, begleitet sie diese doch schon längere Zeit und war sie doch das Initial ihrer Bewegung. Die Etablierung einer progressiven Politik, selbst wenn sich diese mit den ehernen Weihen demokratischer Legitimität ausstattet, bedarf anscheinend dauerhaften Drucks von Seiten der Zivilgesellschaft. Nach alldem Erreichten scheint doch eines komplett ausgeschlossen: Aufgeben. Also: Weitermachen!
Text: Tobias Braun
Bilder: „Deutsche Wohnen enteignen“ (DWE)