Zwischen allen Stühlen …

Zwischen allen Stühlen

Zwischen allen Stühlen kann man nicht Platz nehmen. Das wird üblicherweise als ein unangenehmer Ort beschrieben, ein Ort weder hüben noch drüben. Zwischen allen Stühlen steht man entweder, weil man sich nicht entscheiden kann, auf welchen man sich setzen möchte oder aber, weil schon alle besetzt sind und derjenige, der dennoch dabei sein will, nolens volens halt dazwischen hockt oder steht. Auftakt einer neuen Reihe zu Transferprojekten in der Lehre der Universität Konstanz.

Zwischen allen Stühlen jedoch ist auch der Ort derjenigen, die die Stühle arrangieren, die ihren Ort im Raum bestimmen, vielleicht die Sitzordnung. Zwischen allen Stühlen – da befinden sich auch diejenigen, die sich kurz man hinzubegeben, ein Wort mit dem einen oder der anderen wechseln, um dann weiterzugehen. Da befinden sich diejenigen, die mal in ein Gespräch hineinhorchen oder die, die zwei aus ihren jeweiligen Gesprächen herausnehmen, um ihnen etwas mitzuteilen.

Sicher ist: wer zwischen den Stühlen sich befindet, gehört – so oder so – nicht dazu und betrachtet den Raum anders als die Sitzenden. „Zwischen allen Stühlen“ soll deshalb der Titel einer Reihe von Texten sein, die über die Arbeit des Teams Transfer Lehre an der Universität Konstanz berichtet.

Das Team Transfer Lehre sind seit 2017 Sibylle Mühleisen und Albert Kümmel-Schnur. Wir beiden beraten und unterstützen Lehrprojekte, die in Kooperation mit außerhochschulischen Partnern durchgeführt werden. Partner können dabei alle sein: Einzelne wie Gruppen, Vereine wie Institutionen, Gemeinden wie Unternehmen. In der Zusammenarbeit geht es darum neue Lern-Lehrszenarien zu öffnen, von denen, wenn es gut läuft, beide Seiten profitieren: die Hochschule und die externen Partner.

Es geht im Transfer darum, in wechselseitigem Geben und Nehmen neue Räume des gesellschaftlichen Austauschs entstehen zu lassen. Natürlich können dabei Produkte oder Dienstleistungen entstehen, natürlich kann die eine oder der andere Teilnehmende eine Idee für einen zukünftigen beruflichen Weg entwickeln, natürlich können Bürgerinnen und Bürger bei diesen Projekten Einblick erhalten in die Arbeit der Wissenschaft, die vielen nach wie vor als elfenbeinerner Turm erscheint. Aber das sind alles nur Effekte – gewünscht, gewollte, geduldet. Im Zentrum steht die Bewegung des Transferierens selbst, der produktive Austausch, der allen Beteiligten – Lehrenden, Studierenden und externen Partnern – neue Erfahrungen ermöglicht und neue Wachstumsmöglichkeiten vermittelt. Transfer in der Lehre – das ist das gemeinsame Lernen des Übertragens von Ideen, Denkformen, Handlungsweisen, Haltungen, Zieldefinitionen. Und im besten aller Fälle gucken alle Beteiligten nachher etwas anders, etwas klüger auf die Welt und sehen, was sich eben nur in diesem Austausch sehen lässt.

Ein stärkeres gesellschaftliches Engagement der Hochschulen ist eine wissenschaftspolitische Forderung seit der sogenannten Geflüchtetenkrise 2016. Da kam die Frage auf: Und was leistet eigentlich IHR? Gemeint waren die Hochschulen. Neben Forschung und Lehre wurde als dritte hochschulische ‚Mission‘ der Transfer definiert, das Hineinwirken in die Gesellschaft. Dass diese ‚dritte‘ Säule vielerorts als intrinsischer Teil der beiden ersten Aufgaben definiert wurde, ist verständlich – denn, wie sollen Hochschulen in die Gesellschaft wirken, wenn nicht eben über das, was sie halt tun: forschen und lehren -, aber doch eher nur eine Fußnote angesichts der inzwischen nicht mehr wegzudenkenden Bedeutung, die Transfer an den deutschen Hochschulen inzwischen hat. Es gibt keine Hochschule in Deutschland mehr, die sich nicht zur Frage des Transfers in der einen oder anderen Weise äußert – und äußern muss.

Nicht einig ist man sich allerdings darüber, was und wie denn da transferiert werden soll: soll man die Gesellschaft qua Wissenschaftskommunikation teilhaben lassen am eigenen Tun? Soll man mit Wirtschaft und Industrie in Forschungsprojekten gerade der Natur- und Technikwissenschaften zusammenarbeiten? Geht es um Berufspraxis für Studierende?

An der Universität Konstanz betrachtet man all diese Aktivitäten als zusammengehörig und deshalb spielt auch ein anderenorts nicht so zentral unterstützter Bereich eine Rolle: der Transfer in der Lehre. Dieser kann sowohl von innen – von Lehrenden und Studierenden – als auch von außen – durch externe Partner – angeregt werden. Das Team Transfer Lehre hat die Aufgabe, diese Partner an einen Tisch zu bringen und dafür zu sorgen, dass sie selbst herausfinden können, ob und wie sie miteinander arbeiten möchten. Dabei ist jedes Projekt anders – es gibt keine allgemeinen Regeln oder Formen, wie ein transferorientiertes Lehrprojekt abläuft oder ablaufen muss. Vielmehr müssen jedesmal die Bedingungen des Kooperierens ausgehandelt werden. Was möchte man gemeinsam erreichen? Welche Ressourcen sind von beiden Seiten nötig, um erfolgversprechend arbeiten zu können? Was muss man über den je anderen wissen, um nicht plötzlich von Prozessen, Wünschen oder Handlungen des je anderen überrascht zu werden? Wieviel Zeit braucht das gemeinsam Geplante?

Ganz wichtig ist noch die Kommunikation einer aus hochschulischer Sicht unhintergehbaren Rahmen- und Randbedingung: Lehre muss scheitern dürfen. Lernende müssen Fehler machen dürfen. Der Erfolg eines Projektes kann sich in Lern/Lehrszenarien nicht daran bemessen, ob alle zu Projektbeginn definierten Ziele und Prozesse auch tatsächlich erreicht wurden, sondern im WIE dieses Erreichens. Lernen bedeutet: Raum zu haben, die eigenen Fähigkeiten auszutesten und zu erweitern. Wachsen zu können. Und, ja, Gras wächst nun einmal nicht schneller, wenn man daran zieht. Eigentlich eine Binsenweisheit. Wird im institutionalisierten Lehren manchmal vergessen. Lernende sind Individuen mit ihren eigenen Geschwindigkeiten und eigenen Möglichkeiten und Grenzen. Gruppen von Lernenden harmonieren nicht notwendig so gut miteinander, dass die gemeinsame Arbeit einfach, erwart- und planbar ist. Vom Unvorhergesehenen, das uns alle – insbesondere aber dann, wenn wir uns als Sicht-Bemühende (nichts anderes bedeutet das Wort Studierende) – begreifen, jederzeit und an jedem Ort treffen kann, mal ganz abgesehen.

Die Texte dieser Serie wollen Einblick geben in die Räume des gemeinsamen Lernens von akademischen und nicht-akademischen Partnern. Sie wollen zeigen, was möglich ist. Und sie wollen anregen, sich selbst auf die Reise zu begeben. Melden Sie sich, wenn Sie eine Idee haben. Wir sind da. Schreiben Sie an: albert.kuemmel-schnur@uni-konstanz.de. Oder informieren Sie sich über unsere Websites:
www.uni-konstanz.de/transfer-lehre
www.trafo-bw.de

Text: Albert Kümmel-Schnur
Bild: Pixabay