Verbesserungen fürs Pflegepersonal
Seit die Covid19-Pandemie die Länder überzieht, ist das Pflegepersonal in Krankenhäusern und Heimen plötzlich ins Bewusstsein aller gerückt, auch in der benachbarten Schweiz. 2021 wurde öfter mal von Balkonen herab Beifall gezollt für die anstrengende und – auf den Höhepunkten der Krankheitswellen – nicht enden wollende Arbeit. Aber mit Beifall alleine verbessern sich keine Arbeitsbedingungen. In der Schweiz haben deshalb die Pflegenden selbst die Initiative ergriffen.
Genau genommen: die Volksinitiative. Weil der Personalmangel und ungünstige Arbeitsbedingungen auch in der Schweiz nicht erst seit gestern ein Thema sind, dort aber genauso wenig passierte wie in Deutschland, lancierten sie bereits 2017 die „Pflegeinitiative“, über die Ende November – in der immer noch herrschenden Pandemie – abgestimmt wird. Und derzeit sieht es so aus, als ob die Mehrheit der Stimmberechtigten die Initiative unterstützen wird – gegen den Willen von Bundesregierung und Parlamentsmehrheit.
Die Schweiz bildet seit Jahrzehnten selbst zu wenig Pflegepersonal für die eigenen Bedürfnisse aus. Sie ist deshalb genauso lang auch schon darauf angewiesen, dass das fehlende Personal aus dem Ausland kommt – vor allem aus Frankreich, Italien, Deutschland und Österreich. Wobei all diese Länder selbst einen Mangel an Pflegepersonal beklagen und die Lücken mit Schwestern, Pflegern, Hebammen etc. aus anderen Ländern aufzufüllen versuchen.
Beklagt wird überall, dass die Löhne – gemessen an der Verantwortung, der Ausbildung und der Belastung – zu niedrig sind. Allerdings sei das nur ein Teil des Problems – der andere Teil seien zu hohe Arbeitsbelastung, ungünstige Arbeitspläne, zu viele PatientInnen pro Pflegeperson etc. Darin lägen auch die Gründe, warum viele Ausgebildete nach wenigen Jahren wieder aus dem Beruf ausstiegen, so die Personalverbände.
Die „Pflegeinitiative“ fordert deshalb von Bund und Kantonen nicht nur, dass sie dafür sorgen, dass „eine genügende Anzahl diplomierter Pflegefachpersonen“ zur Verfügung stehen, sondern auch, dass der Bund konkrete Vorschriften über die Pflegeleistungen, Arbeitsbedingungen und Weiterbildung erlassen müsse.
Dagegen sträubte sich die Parlamentsmehrheit. Sie will zwar innerhalb von acht Jahren eine Milliarde Franken ausgeben, um mehr Ausbildungsplätze zu schaffen – die anderen Forderungen will sie aber den Sozialpartnern, den Krankenhäusern und ihren Trägern überlassen. Begründet wird die Ablehnung auch damit, dass die Initiative die Pflegenden und deren Arbeitsbedingungen als einzige Berufsgruppe in die Verfassung schreiben würde. Denn jede angenommene Volksinitiative wird Bestandteil der Verfassung.
Nun stehen in der Schweizer Verfassung bereits Dinge, wie eine Bekleidungsvorschrift („Burkaverbot“), ein Bauverbot für Minarette, die Förderung der musikalischen Bildung von Kindern, der Anteil von Zweitwohnungen am Wohnungsbestand und Direktzahlungen als Unterstützung für die Bauern. Und lange Zeit standen auch das Schächtverbot (heute im Tierschutzgesetz geregelt), ein Absinthverbot (aufgehoben) und ein Jesuitenverbot in der Schweizer Verfassung. (Anm.d.Red.: Wegen angeblicher Staatsgefährdung wurde der Jesuitenorden in der Schweiz bereits 1848 verboten und erst 1973 wurde das Verbot wieder aufgehoben). Da es keine Möglichkeit für Gesetzesinitiativen gibt, würden eben die Bestimmungen der „Pflegeinitiative“ neu in der Verfassung landen.
Zum zweiten Mal: Das Covid-Gesetz
Und gleich zum zweiten Mal in diesem Jahr müssen die Schweizer Stimmberechtigten über das Covid-19-Gesetz befinden. Bereits im Juni nahmen sie mit großer Mehrheit dieses Gesetz an. Bevor jene Abstimmung überhaupt stattfand, hatte das Parlament bereits das Gesetz geändert. Kaum war die eine Abstimmung vorbei, sammelten die GegnerInnen des Gesetzes schon Unterschriften für ein erneutes Referendum – das ähnlich schlechte Aussichten hat wie das erste Referendum.
Der weitaus größte Teil der GegnerInnen kommt aus dem rechten Parteienspektrum und jenen GegnerInnen von Corona-Schutzmassnahmen, die sich „Freunde der Verfassung“ und/oder „Freiheitstrychler“ nennen (eine Trychel/Treichel ist eine grosse Kuhglocke – ein Trychler/Treichler ist einer, der sich die Kuhglocke um den Hals hängt und diese läutet). Ein kleinerer Teil der GegnerInnen kommt aus linken Kreisen. Während die erste Gruppe von „Impfzwang“ redet und dem Staat unterstellt, er wolle die Grundrechte schleifen, befürchtet die zweite Gruppe eine Staatsüberwachung durch das Impfzertifikat.
Tatsächlich sollen die Änderungen aber die Härtefallzahlungen ausweiten, mehr Tagesgelder aus der Arbeitslosenversicherung, eine Verlängerung der Kurzarbeitsmöglichkeit, Geld für Kitas und Kulturschaffende ermöglichen. Werden die Gesetzesänderungen Ende November abgelehnt, läuft das „restliche“ Gesetz am 19. März 2022 aus. Die Maskentragpflicht und das Impfzertifikat wären davon nicht berührt, denn sie könnten auf Grund des Epidemiegesetzes beibehalten werden.
Text: Lieselotte Schiesser
Bild: Plakat der Initiative