Schlammschlacht in Singen geht in die entscheidende Runde
Ein Ex-OB, der seinen Nach-Nachfolger per Zeitungsannonce angreift, eine Ex-Landtagsabgeordnete, die den Widerstand gegen die Klinikfusion organisiert, Banker, die über Schuldner plaudern, ein Betriebsrat, dem der Rücktritt nahe gelegt wird und ein Oberbürgermeister Oliver Ehret, der in die Defensive gerät: In Singen geht wenige Tage vor der Entscheidung für eine Krankenhaus-Kreislösung die Schlammschlacht in die entscheidende Runde. Ausgang immer noch offen.
Die Nerven liegen blank: Am 24. April entscheidet der Singener Gemeinderat, ob die HBH-Kliniken (Singen, Radolfzell, Engen, Stühlingen) mit dem Konstanzer Klinikum zu einer Holding fusioniert werden. Die Stadtparlamente von Radolfzell und Konstanz haben dieser „Kreislösung“ längst zugestimmt, denn es ist der Landkreis Konstanz, der mit 52 Prozent der Anteile die Führung in der neu zu gründenden Holding übernehmen soll; Konstanz und Singen würden mit je 24 Prozent beteiligt werden.
Es ist diese Stimmenverteilung, die die Fusionsgegner unter Führung der früheren CDU-Landtagsabgeordneten Veronika Netzhammer auf die Palme bringt. Denn, so ihr Argument, die HBH-Kliniken (Hegau-Bodensee-Hochrhein-Kliniken) und somit Singen müssten ihrer Wirtschaftskraft gemäß einen stärkeren Einfluss in der Holding als die Stadt Konstanz und ihr marodes Klinikum haben. Dabei übersehen die Kritiker, dass die HBH schon Ende 2009 mit damals 21 Millionen Euro Schulden fast in die Insolvenz gegangen wäre.
Und hier kommen die Banker ins Spiel. In einem Leserbrief im „Singener Wochenblatt“ lassen sich die drei Vorstände der Sparkasse Singen-Radolfzell zur Wirtschaftslage der HBH aus. Die sei „in einer schwierigen Situation“, denn würden Gesamtvermögen (115 Millionen Euro) und Gesamtverbindlichkeiten (138 Millionen Euro) einander gegenüber gestellt, betrage das „wirtschaftliche Fehlkapital“ 23 Millionen Euro. Der Kunde, so schreiben die Banker, sei also „überschuldet“. Und leiten daraus den Appell ab, der Klinikfusion zuzustimmen.
Ein Ex-OB sieht rot
Das nun wieder ruft Alt-Oberbürgermeister Friedhelm Möhrle auf den Plan. Der Ex-OB – von 1969 bis 1993 im Amt und bis zum Ende seiner Amtszeit auch SPD-Mitglied – schäumte öffentlich und warf Vorstandschefs Volker Wirth eine „massive Pflichtverletzung gegenüber dem von ihnen geführten Institut“ vor. Sogar das Regierungspräsidium in Freiburg hat Möhrle eingeschaltet.
Aber dann legt Möhrle erst richtig los: Er veröffentlichte unter der Überschrift „Vorsicht! Faules Osterei!“ letzten Samstag eine Zeitungsanzeige, in der es heißt: „Das faule Ei, das man in unser Singener Nest legen will, heißt Fusionsvertrag. Damit will der OB und ein Teil des Gemeinderates womöglich unser Krankenhaus praktisch kostenlos dem Landkreis übereignen“. Und er setzte noch einen oben drauf, als er wenige Tage später in einem offenen Brief den Betriebsratsvorsitzenden der Singener Klinik und ausgewiesenen Befürworter der Fusion, Johannes Kölzer, zum Rücktritt aufforderte.
Möhrle, der sowohl die Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat – ein Großteil der StadträtInnen ist für den kommunalen Zusammenschluss – als auch die Stimmung unter den Krankenhaus-Beschäftigten, die eine Privatisierung befürchten, verkennt, gibt sich somit wie auch Veronika Netzhammer als Freund eines Verkaufs an einen privaten Betreiber zu erkennen. Und übersieht dabei die sozialen Schlimmfolgen solcher Privatisierungen wie kürzlich in Rottweil, aber auch die politischen Diskussionen wie derzeit in Biberach.
Ein OB wehrt sich
Während Johannes Kölzer „den Ball flach halten will“ und sich nicht öffentlich zu den Vorwürfen von Möhrle äußert, schlägt der amtierende Oberbürgermeister Oliver Ehret zurück. In einem Zeitungsinterview wirft er Möhrle vor, mit falschen Zahlen zu operieren – der HBH-Aufsichtsrat tagt erst in der nächsten Woche – und hält seinem Vor-Vorgänger vor, selber in Krankenhaus-Angelegenheiten nicht solide gewirtschaftet zu haben: „Ich habe mir die Mühe gemacht, die Zuschüsse der Stadt Singen in Möhrles letzter Amtszeit von 1985 bis 1993 an das damals noch selbstständige Krankenhaus Singen nachzuprüfen. Es waren jedes Jahr rund zwei Millionen DM, also insgesamt 16 Millionen DM, die die Stadt zugeschossen hat“.
Was Ehret nicht sagt: Wer so wirtschaftet, sollte sich 19 Jahre nach seiner Amtszeit mit vorlauter Kritik eher zurückhalten. Was er wohl sagt: Er fürchtet, die Debatte schade den Krankenhaus-Beschäftigten und er warnt vor Emotionen in der politischen Diskussion. Und er wirbt weiter für die ‚Kreislösung‘ und warnt vor dem Gespenst der Privatisierung.
Autor: hpk
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„Ein Meilenstein zur Klinikfusion“