Der Gemeinderat Singen entscheidet: Ja, aber

Die kreisweite Fusion der Kliniken im Landkreis Konstanz ist durch die gestrigen Beschlüsse des Gemeinderats Singen ein gehöriges Stück näher gerückt – in trockenen Tüchern ist der Zusammenschluss deshalb noch lange nicht. Mehr noch: Es droht eine monatelange Verzögerung wichtiger Entscheidungen. Zwar haben die Stadträte den Fusionsverträgen zugestimmt und einen Bürgerentscheid abgelehnt. Doch die Kritiker wühlen weiter

Ziel der Fusion ist es, die Krankenhäuser im Kreis langfristig überlebensfähig zu machen, die wohnortnahe Versorgung zu sichern und eine Privatisierung zu verhindern. Zwei Jahre lang haben Unternehmensberater, Wirtschaftsprüfer, Verwaltungen und externe Fachleute an einem entsprechenden Konzept gearbeitet. Dem haben die Gemeinderäte von Konstanz und Radolfzell sowie der Kreistag bereits zugestimmt. Einige Gemeinderäte aus Singen kämpfen jedoch seit Monaten massiv gegen die endgültige Zustimmung ihres Gremiums und fordern neuerdings einen Bürgerentscheid. Aber die Mehrheiten im Singener Gemeinderat waren eindeutig.

Plötzlich sind die Konservativen für den Bürgerentscheid

Verkehrte Welt: Die bürgerlichen Parteien, die Bürgerbeteiligungen sonst eher kritisch sehen, votierten gestern im Singener Gemeinderat für einen Bürgerentscheid, die vermeintlich fortschrittlicheren Parteien, wie Grüne, SPD und Freie Wähler, dagegen. Schnell wurde klar: Es ging in Wahrheit nicht um Bürgerbeteiligung, sondern um den Versuch, die Entscheidung der Gemeinderatsmehrheit zu konterkarieren. In der Diskussion wurde das auch deutlich, als Dr. Hubertus Both von den Freien Wählern fragte, warum denn ein solcher Bürgerentscheid nicht schon vor zwei Jahren angestrebt wurde. Regina Brütsch, Fraktionssprecherin der SPD, machte deutlich, dass die Bürger jetzt eine Entscheidung des Stadtparlaments erwarten, ihr Fraktionskollege Walafried Schrott attestierte: „Dazu wurden wir schließlich gewählt“. Und Rainer Behn von Bündnis 90/Die Grünen stellte fest: „Die Bevölkerung hat ein Recht auf unsere Entscheidung“.

Die Verfechter des Antrages auf einen Bürgerentscheid, gleichzeitig Kritiker der Klinikfusion (vornehmlich sind das Veronika Netzhammer von der CDU, Peter Hänssler und mit ihm die FDP, sowie Prof. Dr. Dieter Rühland mit der Fraktion ‚Neue Linie‘) machten dann auch deutlich, dass sie unabhängig von der Gemeinderatsentscheidung ein Bürgerbegehren anstreben. Sie ahnten wohl schon das Abstimmungsergebnis: Mit 29 zu 12 wurde der Antrag auf einen Bürgerentscheid dann auch abgelehnt. Damit war das 2/3-Votum, das für diese Entscheidung nötig gewesen wäre, deutlich verfehlt.

Gemeindeordnung Baden-Württemberg, § 21, Bürgerentscheid, Bürgerbegehren (1) Der Gemeinderat kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen aller Mitglieder beschließen, dass eine Angelegenheit des Wirkungskreises der Gemeinde, für die der Gemeinderat zuständig ist, der Entscheidung der Bürger unterstellt wird (Bürgerentscheid).

(3) Über eine Angelegenheit des Wirkungskreises der Gemeinde, für die der Gemeinderat zuständig ist, kann die Bürgerschaft einen Bürgerentscheid beantragen (Bürgerbegehren). Ein Bürgerbegehren darf nur Angelegenheiten zum Gegenstand haben, über die innerhalb der letzten drei Jahre nicht bereits ein Bürgerentscheid auf Grund eines Bürgerbegehrens durchgeführt worden ist. Das Bürgerbegehren muß schriftlich eingereicht werden; richtet es sich gegen einen Beschluß des Gemeinderats, muß es innerhalb von sechs Wochen nach der Bekanntgabe des Beschlusses eingereicht sein. Das Bürgerbegehren muß die zur Entscheidung zu bringende Frage, eine Begründung und einen nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag für die Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme enthalten. Es muß von mindestens 10 vom Hundert der Bürger unterzeichnet sein, höchstens jedoch in Gemeinden mit nicht mehr als 50 000 Einwohnern von 2 500 Bürgern

Ähnlich verlief die Diskussion, als es um den Tagesordnungspunkt 4 „Beteiligung der HBH-Kliniken GmbH an der gemeinsamen kommunalen Krankenhausträgergesellschaft“ ging. In ermüdender Weitschweifigkeit trugen die Kritiker an der Kreislösung ihre Bedenken vor: Veronika Netzhammer sah bei einem Stimmengewicht von nur 24 Prozent das Mitspracherecht Singens gefährdet, Dieter Rühland und Peter Hänssler verkündeten einmal mehr, dass sie ja gar nicht gegen eine Fusion seien, nur gegen eine Fusion zu solchen Bedingungen. Wobei sie wohlweislich zu erwähnen vergaßen, dass diese Bedingungen kartellrechtlich vorgeschrieben sind.

Die Verzögerung ist beabsichtigt

Doch auch die Replik setzte auf alt bekannte Töne: Man solle die ewige Rivalität mit Konstanz endlich begraben, forderte Rainer Behn von den Grünen und erinnerte allen Ernstes an die Feindschaft zwischen Deutschland und Frankreich, die ja auch nur noch Geschichte sei. Höchstens SPD-Stadtrat Schrott wies auf einen neuen Aspekt hin: Bei der zu erwartenden Kostenentwicklung im Gesundheitswesen käme man um solche Fusionen nicht herum, wenn man Privatisierungen vermeiden wolle. Nach gähnend langer Debatte das dann erwartete Votum in namentlicher Abstimmung: 28 GemeinderätInnen stimmten für die Kreislösung, 13 dagegen.

Dass damit der Streit längst nicht ausgestanden ist, bewies eine Diskussion mehrere Tagesordungspunkte später. Die Stadtverwaltung lehnte eine Unterstützung der Initiative für ein Bürgerbegehren ab. Jetzt müssen die in der Abstimmung unterlegenen StadträtInnen die 2 500 Unterstützerunterschriften selber einsammeln. Sechs Wochen haben sie Zeit; die Überprüfung des Antrages wird weitere Wochen dauern, dann kommt die Sommerpause – mit einer Abstimmung ist dann wohl erst im Spätsommer zu rechnen. Diese Verzögerung ist wohl im Sinne der Gegner der Kreislösung. Und womöglich werden sich jetzt auch die Privatisierungsbefürworter aus der Deckung trauen. In Singen wie in Konstanz

Autor: hpk