Das lange Leben einer Lüge
Heute vor 75 Jahren, am 26. April 1937, bombte Hitlers Legion Condor das baskische Städtchen Gernika in Schutt und Asche. Gernika wurde zum frühen Symbol faschistischer Kriegsführung, aber auch der Macht der Propaganda, die bis in die Gegenwart hinein wirkt. Wahrscheinlich wäre dieser gemeine Überfall längst vergessen, wenn nicht Pablo Picassos Bild (unser Foto zeigt eine Nachbildung in Gernika) seit Jahrzehnten daran erinnerte.
Es war Montag und ein Markttag mit buntem Treiben, als am Nachmittag ein Bomber am Himmel erschien und seine tödliche Fracht entlud. Kurz darauf folgten in mehreren Staffeln Dutzende von deutschen und italienischen Flugzeugen, die Spreng- und Brandbomben abwarfen. Später mähten tief fliegende Jäger mit aufmontierten Maschinengewehren flüchtende ZivilistInnen nieder. Nach drei Stunden lag Gernika, die heilige Stadt der BaskInnen, in Flammen und war größtenteils zerstört. Die Toten wurden offiziell auf 1654 beziffert.
Die Legion Condor stand unter dem Befehl von Stabschef Wolfram von Richthofen, der später den Blitzkrieg gegen Polen prägte. Einen Monat zuvor hatte die Legion die Stadt Durango auf die gleiche Weise attackiert und zerstört. 258 EinwohnerInnen kamen um. Durango war das erste Opfer einer neuen Taktik von Luftschlägen mit Flächenbombardements auf unverteidigte „offene“ Städte, für die im Zweiten Weltkrieg Rotterdam, Coventry und Dresden zu Schreckenssymbolen wurden. Warum hatte es bei Durango keinen Aufschrei gegeben? Weil keine Kriegsreporter anwesend waren, die darüber berichtet hätten. Anders in Gernika. Kurz nach der Zerstörung trafen vier Journalisten ein, unter ihnen George L. Steer, Korrespondent der Times und der New York Times. Steer hörte sich die Schilderungen der Überlebenden an und verfasste einen alarmierenden Bericht.
Als dieser in London erschien, erregte er in der angelsächsischen Welt ungeheures Aufsehen. Man war entsetzt über ein Kriegsverbrechen von bisher unbekanntem Ausmaß. Nicht so die französische Öffentlichkeit: In Frankreich verhinderte das Außenministerium, dass die von ihm abhängige Nachrichtenagentur Havas einen expliziten Bericht über den Vorgang publizierte. Grund: Man wollte keinen Ärger mit Nazideutschland, das offenkundig die Verantwortung für das Verbrechen trug.
Francos Propaganda
Dieser Schweigepolitik kam Francos Propaganda entgegen: Sie leugnete nicht nur die Anwesenheit deutscher Truppen auf spanischem Boden, sondern stritt sogar ab, dass Bomben auf Gernika gefallen seien. Stattdessen wurde behauptet, die Basken hätten die Stadt kurz vor der Flucht vor den anrückenden Francotruppen selber angezündet. Diese dreiste Lüge hatte ein erstaunlich langes Leben.
Noch nach dem Tod Francos im Jahr 1975 wurde sie in einschlägigen Schriften verbreitet. Das Dementi zeigte damals Wirkung. Obwohl von den Opfern real erlebt und genau geschildert, verkam die Untat in der Weltpresse zum surrealen Propagandakrieg. Konservative und rechts orientierte Blätter übernahmen Francos Kriegslüge und schürten das Bild vom anarchistischen Chaos im republikanische Spanien. Auch die Schweizer Presse war Teil dieses Propagandakampfs. Während Linksblätter wie das Zürcher Volksrecht den «internationalen Faschismus» anprangerten, lavierte die Neue Zürcher Zeitung herum und gewährte den Zweifeln an der Darstellung in der britischen Presse viel Raum. Für katholische Redakteure, die durchwegs Franco-Anhänger waren, konnte nicht sein, was nicht sein durfte.
Die in St.Gallen erscheinende Ostschweiz teilte zunächst nur in einem einzigen Satz (!) mit, dass Gernika zerstört worden sei. Später doppelte sie nach, es seien keine Bombentrichter zu sehen – die Botschaft für die LeserInnen war klar. Was diese nicht erfuhren: Bei der Einnahme Gernikas durch die Francotruppen kurz nach dem Angriff wurden als erstes Condor-Soldaten zur Entfernung sämtlicher Bombenspuren abkommandiert.
Francos Lüge führte dank parteiischen Medien zur Desinformation weiter Teile der globalen Öffentlichkeit. Im Parlament in London setzte es erregte Debatten ab. In Bundesbern dagegen blieb es still. Außenminister Giuseppe Motta, ein italophiler Bewunderer Mussolinis, enthielt sich jeglichen Kommentars. Es ist klar, warum: Hinter den Kulissen hielt er mit Billigung bürgerlicher Kreise einen profranquistischen Kurs, der im Gegensatz zur offiziellen schweizerischen Neutralitätsmaxime stand.
Der Streit um die Verantwortlichkeit dominierte fortan die Gernika-Debatte. Als die Bomben nicht mehr geleugnet werden konnten, lasteten franquistische Autoren die Schuld allein den Deutschen an. Dabei waren die massiven Luftangriffe der Vizkaya-Kampagne kaum ohne Francos Einverständnis geplant worden. Oberbefehlshaber General Mola hatte mit Blick auf Bilbao bereits einen „Vernichtungsschlag“ angekündigt, falls sich die BaskInnen nicht ergeben sollten. Deutsche Militärhistoriker stellten Gernika in den 1970er-Jahren als bedauerlichen Unfall und Kollateralschaden dar: Wind, Nebel und Staubwolken hätten gezielte Abwürfe auf das eigentliche Ziel einer Brücke verunmöglicht. Es war auch von einer Verkettung „unglücklicher“ Umstände die Rede.
Hannes Heers Aufklärung
Dieser Verharmlosung trat erst Hannes Heer im Jahr 2009 mit einer ausführlichen Studie entgegen. Heer war der Historiker und Macher der 1995 entstandenen und viel diskutierten Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“. Diese Ausstellung räumte mit dem Mythos der angeblich „sauberen“ Wehrmacht auf, was in Rechtskreisen empörte Reaktionen auslöste. Heer weist aufgrund einer überzeugenden quellenkritischen Interpretation der noch vorhandenen Dokumente nach, dass die Zerstörung das Resultat einer bewussten Strategie von Terrorangriffen zur Brechung der Moral der Zivilbevölkerung war. Hitlers Generäle hatten solche illegalen Methoden schon länger studiert und wandten sie dann auch im Zweiten Weltkrieg in großen Massstab an. Heer kommt zum Schluss, dass der Zweite Weltkrieg in Spanien begonnen habe – keine neue Erkenntnis, aber eine für einmal sehr gut fundierte. Heers unbequeme Studie fand bisher kein großes Echo und blieb in der internationalen Debatte über Gernika noch weitgehend unbeachtet.
Und Franco? Er hatte die Hilfe der Nazis und der italienischen Faschisten verlangt und auch erhalten. An seiner letzten Verantwortung für Gernikas Zerstörung könne kein Zweifel bestehen, schreibt der britische Historiker Paul Preston in seinem soeben erschienenen Buch «The Spanish Holocaust». Preston gilt als weltweit größte Kapazität zum Thema Spanischer Bürgerkrieg. Anderes behaupten immer noch Postfranquisten und Revisionisten wie Jesus Salas Larrazabal oder Pio Moa: Das Bombardement von Gernika sei von den Deutschen allein zu verantworten und habe ohne die Autorisierung Francos stattgefunden. Tatsächlich: Die Wahrheit über Gernika hat sich noch nicht überall durchgesetzt.
Autor: Ralph Hug, Pressebüro St.Gallen
Das ist leider nicht ganz richtig, lieber Oskar: Gernika ist der baskische Name des Städtchens. Der Name „Guernica“ kam erst ins Gespräch, nachdem Picasso sein Bild so nannte (s. auch Foto) und dabei die spanische Schreibweise nutzte, was übrigens im Baskenland gar nicht gut ankam.
Guernica heißt der Ort, nicht Gernika!