Ein Buch als Manifest, gespickt mit Plattitüden
Die Enttäuschung von Cora Stephan über Angela Merkel muss sehr groß sein, so ermüdend oft wiederholt sie in ihrem „schonungslosen Essay“, so die Verlagswerbung: wie total wirklich richtig echt enttäuscht sie sei. Der Publizistin Cora Stephan war die Enttäuschung ein Buch wert. Für unseren Rezensenten Wolfgang Storz eher nicht. Und gerade deshalb schreibt er darüber. Denn es gibt auch Bücher, vor denen gewarnt werden muss.
Der Leser kann jedoch genauso total echt enttäuscht über die Autorin sein. Denn sie hat gar kein Buch über Merkel geschrieben. Selbstverständlich: Stephan arbeitet sich über viele Seiten an ihrer einstigen Hoffnungsträgerin ab. Das geht dann oberflächlich bis dümmlich so: Stillstand statt Aufbruch, Mutti, Machterhalt ist alles, den Mythen der sozialen Wärme erlegen, Versprechen nicht gehalten, „stumpfe Murmel“ statt „funkensprühender Rohdiamant“, „Staatsratsvorsitzende“ statt „Freiheitskämpferin“ und so weiter. Übrigens: Zur Staatsratsvorsitzenden ist Merkel für Stephan geworden, weil sie das Buch von Theo Sarrazin, ohne es zu lesen, sagt Stephan, als „überhaupt nicht hilfreich“ bezeichnet hatte.
Jede Plattitüde wird geschätzt, jede Differenzierung sorgsam gemieden. Meine Lieblings-Plattitüde: die „Burka für das Haus“ – da schlägt sie diesen Islam-Freunden eine aufs Haupt und zugleich diesen Klima-Fanatikern, die mit Wärmedämmung für Häuser das Bild unserer Städte noch schlimmer verändern als „Bombenkrieg und Nachkriegsarchitektur“. Und das alles mit e i n e r Plattitüde. Hocheffizient.
Stephan hat jedoch eigentlich nicht über Merkel, sondern ein Manifest geschrieben, in dem Merkel stellvertretend für die gesamte herrschende politische Kaste mit den Ansprüchen und Forderungen einer „intelligenten Mitte“ konfrontiert wird – und bei dieser `Prüfung` natürlich gnadenlos durch fällt. Wer ist diese Mitte, als deren Sprecherin sich die Autorin unausgesprochen geriert: Das sind im engeren Sinne die „gut ausgebildeten, weltläufigen, unideologischen, ungebundenen Produktiven“, das sind im weiteren Sinne „die deutschen Steuersklaven“, die in diesem Land ausgebeutet und beschimpft werden, von der Politik verlassen sind. Griechenland ist für diese Schichten laut Stephan überall: „Die Produktiven zahlen für jene, die jahrelang auf Pump gelebt haben.“ Innerhalb Deutschlands für die HartzIV-Empfänger, innerhalb der EU für die Südländer.
Im Gegensatz zu großen Teilen der Wirtschafts- und vor allem Finanz-Eliten, die sich vollständig von dem Grundgedanken des demokratischen Wohlfahrtsstaates verabschiedet haben, sind die kulturell geprägten wohlhabenden Mittel- und Oberschichten, deren Repräsentantin Stephan mit diesem Buch in die Hände spielt, noch zu gewinnen für die Gedanken von Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Wohlfahrtsstaat. Aber: Sie wollen einen Sinn erkennen, in dem, was der Staat tut, sie wollen gut begründet bekommen, warum er wie viel für was ausgibt. Sagt Stephan. Da hat sie uneingeschränkt Recht.
Vielleicht ist das aber auch nur eine `faule Ausrede` dieser Schichten, um ihre Haltung staatstragend begründen zu können: von den Zuschauerrängen mit auffallend viel Herablassung über Parteien, Staat und vor allem Wohlfahrtsstaat urteilen und notfalls mit allen Tricks versuchen, vom eigenen Wohlstand nichts abzugeben.
Autor: Wolfgang Storz/WOZ
Angela Merkel – ein Irrtum, Cora Stephan, 224 Seiten. Fr. 24.50, EUR 19,90. Knaus-Verlag. München 2011