Wohin bloß mit all den Kindern?
Morgen steht ein Thema im Mittelpunkt der öffentlichen Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses (HFA): Die Kinderbetreuung in Konstanz. Es fehlt massiv an Plätzen, und die Stadt ist auch durchaus bereit, dem Mangel abzuhelfen, aber sooo schnell geht das denn doch nicht.
Die Konstanzer Stadtverwaltung hat sich selbst ein hehres Ziel gesetzt: „Grundsätzlich ist es wünschenswert, dass Konstanzer Kindern die Bildung und Betreuung vom ersten Lebensjahr bis zum Schuleintritt in einer Einrichtung ermöglicht wird.“ Der Haken daran sind Wörter wie „grundsätzlich“ und „wünschenswert“, hinter denen sich Bürokraten gern verstecken, damit ihre Amtsstuben nicht zu sehr von der schnöden Wirklichkeit besudelt werden. Denn die Wirklichkeit, so suggerieren solche Worte, ist ein bockiger Esel und selbst durch erfahrene Verwaltungsmenschen mit großen Knüppeln nur schwer zu zähmen. Unvermittelt fühlt man sich an Kants Schrift „Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis“ erinnert, die hiermit zur gelegentlichen Lektüre anempfohlen sei.
Es fehlt allerorten an Plätzen
Das Fazit der öffentlichen Kinderversorgung in Konstanz, das die Verwaltung selbst zieht, ist eher betrüblich. Hierzu der entsprechende Abschnitt der Sitzungsvorlage: „Zu Beginn des letzten Kindergartenjahres konnte erneut ca. 400 Kindern kein Platzangebot gemacht werden. Da die Geburtenrate in Konstanz nach wir vor hoch ist und auch der Wohnungsbau voranschreitet, werden die jüngst neu geschaffenen Plätze nicht ausreichend Entspannung bringen. Perspektivisch wird die Stadt gemeinsam mit den freien Trägern 200 neue Kleinkind- und ca. 260 neue Kindergartenplätze schaffen. 170 neue Plätze gehen im Laufe des Jahres 2022 mit den Kitas Grenzbach und Jungerhalde an den Start.“
Es soll also einiges passieren, aber eine flächendeckende Versorgung der kurzhalsigen Ungeheuer ist eben in der Praxis nicht zu erreichen. Das kann dem Nachwuchs allerdings Lebenschancen verbauen, denn gerade Kinder aus sozial schwachen und bildungsfernen Elternhäusern profitieren dem Vernehmen nach besonders von einer frühen, fachkundigen Betreuung, auch später in der Schule. Dass aber gerade Eltern aus diesen Schichten beim Hauen und Stechen um die Betreuungsplätze den/die Kürzere/n ziehen werden, darf in unserer Klassengesellschaft wohl als selbstverständlich vorausgesetzt werden.
Was hat die morgige Sitzung des HFA damit zu tun? Die RätInnen werden dort über Ausgaben für die Erweiterung und Einrichtung weitere Plätze für die Kinderbetreuung entscheiden bzw. vorberaten.
Was ist geplant?
– Für die Kindertagesstätte „Sozialzentrum von Wessenberg“ in der Schwedenschanze soll der Träger, die von Wessenbergsche Vermächtnisstiftung, 28.000 Euro Zuschuss von der Stadt zu ihren momentanen Planungskosten von 35.000 Euro erhalten. Derzeit werden dort 40 Kinder im Alter von einem bis zu drei Jahren ganztägig betreut. Nach der Sanierung des in die Jahre gekommenen Gebäudes sowie einem Neubau sollen dort zusätzlich 40 Plätze für Kinder im Alter von 3 Jahren bis zum Schuleintritt entstehen. Faktisch dürfte das heißen, dass dort 40 Kinder von der Wiege bis zur Schulbank auf das Leben vorbereitet werden können und die Einrichtung nicht mehr mit dem Erreichen des dritten Lebensjahres verlassen müssen. Der Neubau soll 2.648.000 Euro kosten.
– Direkt benachbart ist die „Arche“, die ebenfalls bauen will, weshalb die Verwaltung von Synergieeffekten bei Bauarbeiten und im Betrieb ausgeht, zumal das alles ja auch noch ans Sanierungsgebiet Stadelhofen grenzt. Vom dort tätigen Caritas-Verband wurden Planungskosten von 80.000 Euro verausgabt, zu denen die Stadt 64.000 Euro beisteuern möchte. Es schmerzt sicher so manches linke Herz, dem legalen Arm der katholischen Kirche zuerst öffentliche Gelder und dann auch noch Kinder zu überlassen, aber gegen mehr Betreuungsplätze lässt sich nun mal schlecht votieren. Derzeit werden dort „in 6 Gruppen 60 Kinder betreut (1 Krippengruppe, 1 Kindergartengruppe mit verlängerten Öffnungszeiten, 4 Ganztagsgruppen)“. Das Therapiegebäude soll abgerissen werden und an gleicher Stelle ein Neubau entstehen. Darin sollen 3 Krippengruppen, ein Bewegungsraum für die gesamte Kindertagesstätte sowie ein Mehrzweckraum untergebracht werden.
– Im Gebäude der Stadt Konstanz, Kirchgasse 1, Konstanz-Allmannsdorf, sollen 60 Betreuungsplätzen für Kinder von drei Jahren bis zum Schuleintritt in städtischer Trägerschaft entstehen. Da in diesem Gebäude bereits ein Kindergarten residiert, der aber an die Jungerhalde umzieht, können die verlassenen Räume unschwer für drei zusätzliche Gruppen genutzt werden. „Idealerweise kann mit dem Betrieb einer ersten Gruppe zum Beginn des neuen Kindergartenjahres (01.09.2022) begonnen werden.“ Da die Kita für Flüchtlingskinder in der baufälligen Unterkunft Steinstraße 20 in absehbarer Zeit geschlossen werden soll, bietet die Stadt an, die dort „bestehenden Betreuungsplätze mit den Kindern in die Trägerschaft der Stadt zu nehmen und das gesamte bestehende Team mit der Leitung bei der Stadt Konstanz einzustellen. Kinder, Plätze, Team und Konzeption sollen und können so miteinander erhalten bleiben. Dazu ist die Integration der Gruppe und des Teams in die neue städtische Kita in Allmannsdorf organisatorisch und fachlich sehr naheliegend.“ Es handelt sich hierbei um derzeit 22 Kinder.
– Der Neubau der Kindertagesstätte Jungerhalde leidet unter „marktpreisbedingten“ Mehrkosten von 1,2 Millionen Euro, was einer Preissteigerung von 21% entspricht, und braucht auch 300.000 Euro für die Außenanlagen. „Die Deckung erfolgt durch die Verschiebung des Haushaltsansatzes i.H.v. 1.0 Mio. EUR aus der Ausführung des Erweiterungsbaus der Grundschule Wollmatingen und von der Baumaßnahme ‚Hoheneggstraße‘.“ Das ist geradezu weiße Baumagie.
– Der neue Naturkindergarten im Hockgraben, den – auf Bitten der Stadt – der in diesen Dingen erfahrene Wurzelkinder-Waldkindergarten e.V. einrichtet, soll mit 125.000 Euro bezuschusst werden. Erst hat es mit einer Bundesförderung nicht geklappt, weil das Geld schon weg war, und dann wurde das alles auch noch viel teurer als gedacht, obwohl sich der Standort als sehr geeignet erwies. Wir kennen das ja alle aus unserem alltäglichen Kampf ums Überleben: Wir wissen nur, dass alles teurer wird als gedacht, können aber nicht absehen, um wie viel und aus welchen Gründen. Hier sind die Gründe nachträglich klar benennbar: Es musste überraschend ein Planungsbüro eingeschaltet werden. „Auch die Notwendigkeit des Legens eines Abwasseranschlusses hat sich erst im Laufe der Umsetzung des Projektes gezeigt.“ Und jetzt wird es ganz toll, denn offensichtlich hat dieser Kindergarten auch noch zu einer Art Bürgerkrieg geführt. Zitat: „Erschwerend kam hinzu, dass das Projekt massiven Anfeindungen aus der Nachbarschaft ausgesetzt war und ist. Vertreter der Verwaltung und des Vereins wurden bei einer ersten Bürgerinfo regelrecht niedergeschrien. Bis heute sieht sich der Vereinsvorstand Anfeindungen und Drohungen ausgesetzt. Interessierte Eltern wurden von Nachbarn angepöbelt, weswegen ein Rechtsbeistand eingeschaltet werden musste.“ Man reibt sich verwundert die Augen: Läuft dort tatsächlich eine bürgerkriegsähnliche Lokaltragödie, oder ist das allerhöchste Verwaltungspoesie?
Die öffentliche Sitzung beginnt um 16.00 Uhr im Ratssaal, Kanzleistraße 15, 78462 Konstanz. Die Sitzungsunterlagen finden Sie hier. https://www.konstanz.sitzung-online.de/public/to010?SILFDNR=1002537&refresh=false. Es handelt sich um die Tagesordnungspunkte 4-8.
Text & Symbolbild: O. Pugliese
27.04.2022 | Netzwerk „Startpunkt Leben“ im Finale um den Deutschen Kita-Preis
Danke für den Artikel. Aber er verstimmt mich doch etwas.
Wer bitte soll in den ganzen neuen Einrichtungen arbeiten? Es fehlt an Fachkräften, die Räume sind da. Das eigentliche Problem wird nie erwähnt. Anstatt neue Kitas und Kigas zu eröffnen sollten erst einmal die Fachkräfte gestärkt und unterstützt werden. Schon die bestehenden Einrichtungen arbeiten unterbesetzt.
Und ErzieherInnen, die ihre eigene Einrichtung gründen möchten, um neue Plätze zu schaffen und um sich selbst und ihre Ideen zu verwirklichen, erhalten so gut wie keinen Rückhalt von der Stadt. Dann doch lieber ab ins Nachbarland, wo man als ErzieherIn ein weitaus höheres Gehalt erhält und sich der Aufwand einer Neugründung lohnt. Da spreche ich aus Erfahrung.
Verstehe nicht wieso das Problem des Fachkräftemangels und des unterbezahlten Gehaltes der ErzieherIn nicht endlich am Schopf gepackt wird. Pantisano hatte während seines Wahlkampfes mit seinem Wohngeld für pädagogische Fachkräfte wenigstens schonmal einen guten Ansatz gebracht.