Wirr, vage, gefährlich: Ein Abend über das Querdenken

Studenten stehen auf - gerne auch mit RechtsradikalenDie Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg e.V. lud in Kooperation mit der Initiative „Stolpersteine für Konstanz – Gegen Vergessen und Intoleranz“ und dem Theater Konstanz am letzten Dienstag zu einer Lesung und Diskussion des Buches „Fehlender Mindestabstand. Die Coronakrise und die Netzwerke der Demokratiefeinde“ in die Spiegelhalle ein, zu der sich auch in Person von Matthias Meisner und Dietrich Krauß ein Herausgeber und ein Autor einfanden.

Die leitende Frage des Abends war, wie stark der Einfluss rechtsextremer Akteure in der Bewegung ist und welche spezifische Rolle in ihrer südwestlichen Ausprägung die Anthroposophie einnimmt. Es war erklärtes Ziel der Veranstalter, den Gästen Argumente an die Hand zu geben, um populistische Ideologien zu „entlarven“ und ihnen im Rückgriff auf wissenschaftlich fundierte Gründe „Konter zu geben“.

Auch wenn die sogenannten Hygienedemos und Spaziergänge aus dem Rampenlicht der Öffentlichkeit verschwunden sind und mit der Aufhebung fast aller pandemiepolitischen Maßnahmen das eigentliche Objekt des Protestes zumindest bis zum Herbst verloren gegangen ist, sei die Bedrohung der Demokratie und des Rechtsstaats weiterhin ebenso aktuell wie exorbitant: Neben dem Mord in Idar-Oberstein wurde die rechtsterroristische Gefahr auch an jüngst bekannt gewordenen Umsturz-, Entführungs- und Anschlagsplänen offenbar. Zudem, so die Warnung der Vortragenden, würden sich die Querdenkenden und vor allem ihre Delegitimierung staatlicher Ordnung nicht in Luft auflösen, sondern versuchen, sich in den nächsten Krisen wieder Gehör zu verschaffen. So lohnt es also, sich weiter mit dieser Gruppierung intensiv zu befassen.

Ein Versuch der Sondierung

Zunächst zur Problembeschreibung: In der Bewegung der Querdenker:innen gehe eine Wissenschaftsskepsis in eine Demokratie- und Staatsfeindlichkeit über, eine Neigung zu Verschwörungsmythen und -ideologien paare sich mit antisemitischen Stereotypen. Zugleich seien die Querdenker:innen kein einfach zu fassendes Phänomen: Neben ihrer eigenen Distanz zu medialen und wissenschaftlichen Kontaktaufnahmen kommunizieren sie in klandestinen Chatgruppen und abseitigen Messengerdiensten. Zudem gebe es eine Vielzahl unterschiedlicher lokaler Ausprägungen, vom Stil, ihrer Programmatik und ihrem Personal. Diese Pluralität und Heterogenität der Gruppe/n vor Augen stellt sich die Frage, ob diese Bewegung denn überhaupt eine kollektive Identität oder Ideologie eint oder sie in regional verschiedene, uneinheitliche Sprengel zerfällt. Oder anders: Ist das Querdenken nur ein Label, das der überregionalen medialen Selbstdarstellung dient, ohne selbst eine Form der politischen Organisation zu sein? Und falls nein, gibt es eine politische Struktur, eine feste Hierarchie, verantwortliche Personen usw.? Eine andere offene Frage ist jene, ob es eine oder mehrere Erklärungen für diese Einstellungen und das Abdriften in das hoffnungslos wirre Gebaren von Deduktion und Induktion gibt. Wichtig zu bedenken ist, dass es sich um ein journalistisches Buch handelt, welches aber gleichwohl den Schulterschluss zur wissenschaftlichen Welterklärung sucht, von dem sich die Querdenker:innen abgewandt haben. Vor einem Jahr erschienen, bildet dies Buch zudem eine frühe Phase der Querdenken-Bewegung ab, gleichwohl die Autoren durchaus Brücken in die Gegenwart schlugen.

Rechte Neigungen, der ideologische Kitt und Esoterik

Meisner, Co-Herausgeber und Autor in Personalunion, widmete sich der Frage, ob denn die Querdenkenden selbst eine rechtsextreme Gruppierung seien, ihre Organisation von den Neonazis okkupiert und korrumpiert wurde, oder sie eher als ein Sammelbecken des Protestes zu verstehen sei, das auch der extremen Rechten einen Platz böte. Natürlich ist das Resultat immer dasselbe, die Erklärung und das Verständnis der Genese und Radikalisierung nehmen sich aber durchaus unterschiedlich aus. Am Anfang von Meisners Betrachtungen stand die Beobachtung, dass „auch im Westen“ Personen mit offensichtlich rechtsextremen Einstellungen bei den Veranstaltungen teilnahmen. Ihrer Präsenz begegneten die restlichen Teilnehmer:innen mit tolerierendem Desinteresse oder postfaktischem Leugnen.

Genau hierauf zielt der Titel des Buches, eben der fehlende Mindestabstand der bürgerlichen Mitte nach Rechtsaußen, und liefert auch die Antwort auf obige Frage: Die extremen Rechten waren zunächst nur eine Gruppe unter vielen, die aber im Laufe der Zeit eine immer zentralere Aufgabe in der Organisation, Vernetzung und öffentlichen Wahrnehmung einnahmen. Ohne dass beide Gruppen zusammenfallen würden, bot sich den Rechtsextremen auf den Veranstaltungen der Querdenker:innen also ein duldsames bis hin zu wohlwollendes und fruchtbares Umfeld, das sie immer weiter (aus?)nutzen sollten. Offen blieb der spannende Punkt, wie und warum die Rechtsextremen eine solch zentrale Rolle in der Bewegung übernehmen konnten: Ein Schlüssel könnte sein, dass in einer wahrlich verqueren Logik bei den Demos die Neonazis qua physischer Präsenz und Erfahrung in der Auseinandersetzung mit Ordnungskräften einen Schutz boten. Wenn man die Polizei als Handlanger des Regimes begreift, dann liegt die Schutzfunktion durch gleichgesinnte, mitdemonstrierende und damit mitbetroffene Neonazis auf der Hand. Auch wenn diese spezifische Situation nicht verallgemeinert werden darf, ist doch ihre konkrete Dynamik nicht zu unterschätzen.

Auch wenn dies eine Spekulation bleibt, scheint die rigide Aversion durch und in der öffentlichen Meinung (#covidioten) die äußere Absetzung und innere Radikalisierung der Gruppe befördert zu haben. Diese Wechselwirkung zwischen Medien, Politik und sozialem Protest kann ein journalistischer Blick nicht einfangen, gerade wenn er selbst engagiert auftritt. Gleichwohl fehlt ihm so ein Verständnis der Dynamik und Radikalisierung.

Es ist genau das integrative Potential des Nimbus der Gegenstaatlichkeit, in der sich die Heterogenität der Bewegung überdecken lässt und die ihre Kontur im Spiegel der öffentlichen Ablehnung schärft. Zur Klarheit: Es geht nicht darum, es gutzuheißen, sondern zu verstehen, wie es zur Abschirmung und Polarisierung kommt. Ein sich anschließender und spannender Punkt ist, was das alternative Spektrum mit völkischen Gruppierungen teilt, warum sie sich nicht aneinander stören oder sich an der Frage zerstreiten, wozu und wohin ihr Protest und ihre politische Bewegung denn führen soll. Den verbindenden Kitt bildet nach Meisner allen voran eine antisemitische Grundhaltung, die sich in Stereotypen und spezifischen Narrativen äußere, oder besser darin verborgen liege. Neben diesem sublimen Fundus verwies Meisner auf die gegenstaatliche Ausrichtung, die seiner Meinung nach aber gleichwohl wieder als eine Manifestation des ersten Kitts zu deuten ist.

Mir scheint die Gegenstaatlichkeit viel geeigneter als verbindendes, sinnstiftendes Narrativ, gerade weil sich dieses offensiv gegen die Oppression wenden und sich als Anklage der Freiheitseinschränkungen diskursiv aufgreifen lässt. Neben dieser konkreten Absetzung verführt die menschliche Kränkung der Kontingenz, also die subjektive Erfahrung des Zufalls und der Ohnmacht (zum Beispiel in einer Pandemie), offenkundig zu einem Rückgriff auf einen leider noch immer wirksamen antisemitisch codierten Deutungsrahmen. Letztlich bleibt dies eine offene Frage an die politische Soziologie der Protest- und Bewegungsforschung.

CoronaleugnerNach Krauß lässt sich im Südwesten eine Verbindung zwischen esoterischem und rechtem Gedankengut in der Anthroposophie Steiners ausmachen. Die Waldorfbewegung bis hin zu Demeterbauernhöfen haben lokal eine lange Tradition und sind zugleich tief im alternativen Spektrum der bürgerlichen Mitte verwachsen. Zugleich ist der Anthroposophie eine impfskeptische Haltung eigen, wird doch in der Krankheit selbst und der körperlichen Reaktion eine Verbesserung des Menschen gesehen. Diese Ideologie des „der Natur zu ihrem Recht verhelfen“ biete ebenso wie der esoterische Rassismus Steiners eine Verknüpfung zum rechtsextremen Gedankengut, die zumindest die gegenseitige Tolerierung auf Demonstrationen erklären könnte. Eine andere, weiterführende Frage ist die nach der gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz gegenüber den wirren Lehren Steiners und ihrer professionellen Normalisierung in Form staatlicher Anerkennung von Lehrgängen. Hier möchte man Krauß durchaus Erfolg wünschen, mit seiner Kritik daran durchzudringen.

Populistische Logiken und Wissenschaftlichkeit

Die Distanz zwischen den Bürger:innen und der Politik sowie den Medien und der Wissenschaft lässt sich als die generelle Problematik beschreiben, die als Subtext einer jeden Befassung mit der Querdenken-Bewegung verhandelt wird. Wie und warum sitzen Menschen, zunächst und im Allgemeinen vernunftbegabt, Verschwörungstheorien auf? Das Podium blieb eine Antwort auf diese sicher komplexe Frage schuldig. Ein Aspekt scheint die simple Überzeugungskraft von populistischen Narrativen zu sein, die Entgegensetzung von wir da unten gegen die da oben. Diese populistische Logik beherrscht unseren politischen Raum. Das weiterführende Problem besteht darin, dass diese Logik in der Analyse Meisners notwendig antisemitische Charakterzüge trägt und somit jede Manifestation des Populismus zum Rechtspopulismus wird: In der Folge kann sich der Antikapitalismus ebenso wenig antisemitischer Attribute entledigen wie direktdemokratische Kritiken gegenüber repräsentativen Elitismus und Erfahrungen politischer Ohnmacht und sozialer Anomie. Durch diese Kopplung führt die Analyse somit selbst immer zur Anklage und begibt sich somit einer wichtigen Teilperspektive auf das Phänomen. Dieser Mangel zeigt sich auch daran, dass die sozialen Mechanismen und Reaktionen auf kulturelle, politische und ökonomische Marginalisierungserfahrungen eine Randnotiz blieben. Der französische Historiker und Philosoph Pierre Rosavallon wies darauf hin, dass Verschwörungsmythen sich immer dann Raum schaffen, wenn sich Menschen ihre Welt nicht mehr erklären könnten, zumeist wenn sich politische Ordnungen wenig transparent verhielten usw.. Die Schwurbelei entsteht in dieser Lesart nicht aus bösem Willen und der Bequemlichkeit allzu leichter Antworten – manch´ Verschwörungstheorie ist wahrhaft komplex –, sondern aus einem Gefüge sozialer und politischer, kultureller und ökonomischer Aspekte, zu der neben der Obskurität und Unverfügbarkeit der politischen Organisation auch die fehlende normative Begründung des Ungerechtigkeitsregimes (Piketty) zählen kann. Gerade in Hinblick auf die mediale Produktion der Wirklichkeit und deren Defizite sowie der digitalen Gegenöffentlichkeiten und ihren internen Mechanismen wäre es an der Zeit für einen Neuentwurf des Strukturwandels der Öffentlichkeit.

Um abschließend den Bogen zum Wissenschaftsskeptizismus zu spannen: Die Losung „Hört auf die Wissenschaft“, auch wenn sie gut gemeint ist, hat das Problem, Register zu verwechseln und eine, der Wissenschaft selbst fremde Objektivität in den öffentlichen Diskurs als unwidersprechbare Evidenz einzuführen, um damit nicht argumentativ zu überzeugen, sondern sich selbst zu autorisieren. Weil der wissenschaftlichen Erkenntnis immer ihr hypothetisches Naturell zu eigen sein wird, wird die Hoffnung, die Öffentlichkeit würde nun Gehorsam sein und fest im Glauben an die Wissenschaft, wohl immer vergebens sein: Die Fehlbarkeit wissenschaftlicher Prognosen von Wahlausgängen steht dem und der Einzelnen ebenso offensichtlich vor Augen wie die ernährungswissenschaftliche Wankelmütigkeit in Fragen gesunder Ernährung und die ideologischer Verbrämung der Wirtschaftswissenschaft. Wie schon Hannah Arendt einwand, hat die wissenschaftliche Begründung im öffentlichen Raum wenig Platz, da sie die Debatten, und damit die politische Autonomie der Polis, oder moderner: der demokratischen Grundordnung, zerstört. Polemisch formuliert ist das obige Motto demnach a-demokratisch, weil sie szientistischen Technokratismus predigt und Kritik nur im Raum und auf den elitären Wegen der Wissenschaft zulässt. Die Bürger:innen werden als Laien ausgeschlossen und mit der Wahrheit als Konsensentscheidung der scientific community konfrontiert. Mag sein, dass dies eine bessere Welt würde, aber eine demokratische wäre sie nicht.

Am Ende gibt es mehr Fragen und offene Punkte als Antworten. Das ändert nichts an dem facettenreichen Einblick des Buchs und seiner Autor:innenschaft in den Ursprung und die Verschiedenartigkeit einer Gruppierung, die weiterhin die Öffentlichkeit, die Wissenschaft und nicht zuletzt die Behörden beschäftigen wird.

Text: Tobias Braun
Bilder: H. Reile. Aufgenommen bei einer Quderdenkerdemo in Konstanz