OB-Kandidatinnen und Glühwürmchen für 2,99 Euro
Der OB-Wahlkampf köchelt auf arg magerer Flamme. Lediglich zwei ernst zu nehmende Kandidatinnen sind unterwegs, um auf sich und ihre Ziele aufmerksam zu machen. Von einer Auswahl kann da nicht die Rede sein. Vor allem CDU und SPD haben bisher keine personellen Alternativen anzubieten und geraten zunehmend in Erklärungsnot.
Mit der grünen Kandidatin Sabine Seeliger und Sabine Reiser, letztere mit CDU-Parteibuch, aber angeblich völlig unabhängig, treten zwei Frauen an, die sich zutrauen, das höchste Amt der Stadt Konstanz zu übernehmen. Doch dahinter kommt wenig bis nichts. Der Südkurier sucht verzweifelt nach weiteren Kandidaten, stochert aber hektisch und griesgrämig im Nebel. So ist man in der Lokalredaktion schon froh, wenn Verlegenheitsbewerber über die Marktstätte stolpern, denen man dann notgeboren eine triste Story widmet. Neuerdings bietet der Südkurier seinen online-LeserInnen, die keine Abonnenten sind, „alle Infos zur OB-Wahl“ für den Waschmittelpreis von 2,99 Euro an. Wer bis zum Wochenende zugreift, bekommt einen Staubsauger obendrauf.
Wo um Gottes willen, so Lokalchef Jörg-Peter Rau tagtäglich händeringend, ist der Kandidat, der das Tableau spannender gestaltet? Muss die Stadt damit rechnen, ab Herbst von einer „dunkelgrünen“ Sabine Seeliger gelenkt zu werden, die angeblich so gar nichts „konsensuales“ hat und beabsichtigt, wie hysterisierende Zeitgenossen befürchten, die Konstanzer Fußgängerzone bis an den Flughafen auszuweiten? Und was ist von der Kandidatin Reiser zu halten, die keine Gelegenheit versäumt, ihre Parteizugehörigkeit als vernachlässigbar zu verkaufen, von einer mit ihr befreundeten Journalistin von Termin zu Termin geschleppt wird und angeboten wird wie sauer Bier?
Manche glaubten anfangs, der TV-Moderator Meinhard Schmidt-Degenhardt könnte als ernsthafter Mitbewerber aufgebaut werden. Doch der Journalist erwies sich als kommunalpolitisches Glühwürmchen, das sich rund drei Wochen kräftig aufplusterte und dann wieder verschwand. Bei seinen Auftritten tappte er meist ziemlich tollpatschig in diverse Fettnäpfe, warnte vor „grüner Provinzialität“ und sonderte beliebige Worthülsen ab. Als er dann noch verkündete, er trete nur an, wenn ihn alle bürgerlichen Parteien unterstützen würden, war sein Wahlkampfende besiegelt. Hauptsache, man war mal wieder im Gespräch und konnte beim Frühstück seinen Namen in der Zeitung lesen. Vergessen hat der Freizeitkandidat auch, dass seine Beschwörung einer „grünen Gefahr“ gar nicht greifen konnte, da sich ein Großteil der Konstanzer Grünen kaum mehr von den Bürgerlichen unterscheidet.
Bleiben also aktuell noch vier andere Lichtgestalten aus der Glühwurmabteilung. Eine Einzelhändlerin, die sich über jede Stimme freut, die ihr persönlich überreicht wird, ein getriebener Dauerbewerber aus Weil am Rhein und zwei Konstanzer Rechtsanwälte. Einer davon hat sich bereits bei den Piraten vorgestellt und bürgernahe Transparenz versprochen. Das bringt in diesen Zeiten auch ohne jeden Inhalt schon mal fünf Prozent plus x.
Höchst erstaunlich ist, dass die großen Parteien CDU und SPD bislang gar niemanden im Köcher haben. Auf Nachfragen tönte es aus deren Ecke stereotyp: „Wir wollen unseren Kandidaten nicht verheizen“, denn man habe ja noch Zeit. Jetzt aber wird es eng, denn der Wahltag steht praktisch vor der Türe. Kaum zu glauben, dass die bundesweit gut vernetzten Peter Friedrich (SPD) und Andreas Jung (CDU) bei ihrer Suche nicht fündig werden und nicht mal in der Lage sind, einen durchreisenden Nachwuchs-Karrieristen aus der zweiten Reihe für einen vierwöchigen Wahlkampf nach Konstanz zu locken. Klingt nach Armutszeugnis.
Vor allem die CDU steckt ganz tief in der Bredouille. Nominiert sie doch noch ihr Parteimitglied Sabine Reiser, werden viele fragen, warum diese Unterstützung so spät kommt. Stellt sie einen eigenen Kandidaten auf, spaltet sie ihre Wählerschaft und verspielt ihre eh sehr dürren Chancen, nach 32 Jahren wieder einen Oberbürgermeister zu stellen.
Bliebe noch der anonyme Kandidat. Da schießen die Spekulationen fröhlich ins Kraut. Entweder versteckt sich dahinter ein Spinner mit mehr oder weniger Humor – oder aber einer, der es gar nicht nötig hat, sich im Vorfeld namentlich zu outen und wahlkämpferisch tätig zu werden, weil ihn sowieso jeder kennt. Meint mein fideler Vertrauensmann in Sachen Kommunalpolitik. Allen Ernstes ist er davon überzeugt, dass Herr Anonymus eigentlich nur Horst Frank sein kann. Die Nominierung seiner „Parteifreundin“ Seeliger habe den Noch-OB so auf die Palme getrieben, dass er es am 1.Juli nochmal wissen will, um das für ihn Schlimmste zu verhindern und die Stadt vor dem Untergang zu bewahren. Klingt ziemlich irre, hat aber was.
Geht es nach der Prophezeiung eines amerikanischen Sektenführers, dann geht die Welt am 30. Juni unter. Das habe Apostel Paulus ihm und seinen Anhängern kürzlich mitgeteilt. Mag ja sein, dass auch aus diesem Grund die Kandidatenauswahl in Konstanz so dürftig ist. Das wiederum wird den Fußballfreunden überhaupt nicht gefallen, denn am 1. Juli soll das EM-Finale in Kiew von der bis dahin wieder genesenen Julia Timoschenko angepfiffen werden. Vorläufig aber gilt: Ball flach halten. Denn ausgeschlossen ist es keineswegs, dass in den nächsten Tagen noch zwei Kandidaten auftauchen, um gerade noch rechtzeitig für etwas Betrieb zu sorgen in einem Wahlkampf, der so richtig keiner sein will. Aber was kann man für 2,99 Euro schon verlangen?
Autor: H.Reile
Toller Artikel, der hintergründig alles sagt.
Besonders dieser Satz hat mir besonders gefallen und trifft mit den weiteren Bemerkungen über die SÜDKURIER-OB-Euphorie voll zu:
„Der Südkurier sucht verzweifelt nach weiteren Kandidaten, stochert aber hektisch und griesgrämig im Nebel. usw.“ Ja es ist zum Lächeln und zum Schmunzeln, was da ab geht.
Ist diese Journalistin, die sich so für Frau Reiser (CDU) engagiert, nicht bisher die Haus und Hofberichterin der SPD? Kommt eine Große Konspira – oh Verzeihung, Koalition?