Der 8. Mai in Radolfzell (II)
Mehrere Initiativen beteiligten sich an der Kundgebung anlässlich des Tags der Befreiung in Radolfzell, darunter die VVN-BdA Kreisvereinigung Konstanz und die Konstanzer Seebrücke. In freier Rede sprach Thomas Nuding über seine Erlebnisse als Kapitän diverser Seenotrettungsschiffe und dass seit 2014 weit mehr als 20.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken seien. Er engagiert sich auch in der Flüchtlingshilfe für ukrainische Geflüchtete und begleitete beispielsweise einen Hilfskonvoi in die Ukraine.
Es dürfe aber keine Zweiklassengesellschaft von willkommenen und unwillkommenen Flüchtlingen geben. Die einen erhalten viel Unterstützung, den anderen wird die Integration nicht eben leicht gemacht. Und abgeschoben in unsichere Länder wird weiterhin. Außerdem kritisierte Nuding die ausgeweiteten deutschen Waffenlieferungen, die die Kriege in den betroffenen Regionen der Welt im wahrsten Sinne des Wortes befeuerten. Es gelte nach wie vor, vor allem die Fluchtursachen zu bekämpfen, um nicht jedes Jahr wieder Tausende von Toten auf den Fluchtrouten beklagen zu müssen. Nuding schloss seine Rede mit den Worten: „Mein Europa kann mehr, mein Europa kann Seenotrettung!“.
Nachfolgend dokumentieren wir die Rede der VVN-Vertreterin, die sie auf der Kundgebung „Alle Jahre wieder: Heraus zum 8. Mai“ in Radolfzell hielt.
Hallo zusammen,
ich spreche im Namen der VVN-BdA, Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Kreis Konstanz. Mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist die Angst vor einem „großen Krieg“ in Europa zurück. Täglich fallen Bomben, täglich sterben Menschen. Millionen fliehen vor dem Krieg. Die Gefahr eines Atomkriegs ist so groß wie zuletzt in der Kuba-Krise. Die Kämpfe um die Kontrolle ukrainischer Kernkraftwerke könnten ebenfalls in einer atomaren Katastrophe enden. Dieser Krieg muss sofort beendet werden. Die russischen Truppen müssen sich aus der Ukraine zurückziehen!
Die bestehenden Grenzen müssen anerkannt und die Souveränität der Staaten muss respektiert werden!
In Deutschland ermöglichte dieser Krieg den Beginn einer neuen Etappe massiver Aufrüstung und Militarisierung: „Aus dem Stand“ wurde dem Parlament vom Bundeskanzler in Absprache mit dem Finanzminister ein sogenanntes „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr verkündet und von der großen Mehrheit der Abgeordneten mit Beifall aufgenommen. Das Prinzip: „Keine Waffenlieferungen in Krisen- und Kriegsgebiete“ wurde aufgehoben. Auch die seit Jahren umstrittene Erhöhung des Verteidigungsbudgets auf mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts wurde „durchgewunken“. Zugleich werden die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht oder gleich ein genereller Zwangsdienst in die Debatte geworfen.
Soldatinnen und Soldaten sollen gesellschaftlich aufgewertet werden und die Bundeswehr regelhaft an Schulen auftreten. Zwischenzeitlich sind schon 35 der sogenannten F-35-Tarnkappen-Jets für die „nukleare Teilhabe“ der Bundeswehr bestellt. Dieser neuen Etappe von Aufrüstung und Militarisierung treten wir entschieden entgegen! Die 100 Milliarden Euro, die plötzlich dafür zur Verfügung stehen, fehlen an vielen Stellen: im Gesundheitswesen, in den Schulen und Hochschulen, bei der Klima- und Verkehrswende. Die VVN-BdA gehört zu den Bewegungen unseres Landes, die stets mahnten und in Aktion traten, wenn es um Frieden und gegen Kriegsgefahren ging. Wir handeln entsprechend dem Schwur der Häftlinge von Buchenwald: „Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel“.
Schon 1998 war es eine rot-grüne Bundesregierung, die, als erste Bundesregierung überhaupt, Deutschland nach 1945 in einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führte. Die gleichen haltlosen Argumente der damaligen Regierungsvertreter*innen Deutschlands werden heute durch die russische Administration zur Rechtfertigung des Angriffs auf die Ukraine genutzt. Vollkommen zu Recht verurteilen das Internationale Auschwitzkomitee und Vertreter*innen des Internationalen Lagerkomitees die Verwendung der Worte „Entnazifizierung“ und „Völkermord“ zur Rechtfertigung des Angriffs auf die Ukraine. Ebenso sind in Zusammenhang mit einem russischen Angriff nahe der Gedenkstätte Babyn Jar Analogien zu einem der größten deutschen Massaker zurückzuweisen.
Abrüstung und Stärkung der UNO statt Militarisierung
Die VVN fordert Friedenssicherung durch Abrüstung und Stärkung der internationalen Institutionen.
– Wir treten für die Stärkung der internationalen Institutionen ein, die nach der Niederringung des Naziregimes durch den Sieg der Anti-Hitler-Koalition entstanden sind. Allen voran die UNO, in deren Vollversammlung jedes Land eine Stimme hat. Sie muss eine wichtige Rolle bei der Lösung aktueller und kommender Krisen und Konflikte spielen. Wir begrüßen den dort vereinbarten Vertrag zum Verbot von Atomwaffen und fordern die Bundesregierung auf, diesem beizutreten. Sowie alle weiteren UN-Beschlüsse zur Rüstungsbegrenzung und Abrüstung, wie die Resolutionen zur Begrenzung der Rüstung im Weltraum und fordern von der Bundesregierung, diese zu unterstützen.
– Wir fordern von der Bundesregierung weiter dazu beizutragen, dass bestehende Verträge zur Rüstungsbegrenzung – wie der INF-Vertrag – wiederhergestellt und um weitere ergänzt werden. Mit unseren Freundinnen und Freunden in der FIR – der Fédération Internationale des Résistants, der internationalen Dachorganisation von Verbänden der antifaschistischen Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime – setzen wir uns für ein Europa ein, das für eine Friedenspolitik eintritt, die nicht auf hegemonialer Dominanz in der Außenpolitik, sondern auf nichtmilitärischer Konfliktlösung beruht. Das schließt die Militarisierung der EU aus.
– Wir fordern die Rückkehr zum Prozess der gemeinsamen Sicherheit in Europa (OSZE) statt NATO und andere Militärbündnisse.
– Wir fordern die Auslandseinsätze der Bundeswehr und den Export von Waffen, Waffentechnologie und -fabriken zu beenden. Dies gilt auch für multinationale Produktionen.
– Wir begrüßen die bedingungslose Aufnahme ukrainischer Geflüchteter in der EU und fordern, die rassistische Ausgrenzung anderer Geflüchteter an den Grenzen sofort zu stoppen sowie das Ende europäischer Abschottungspolitik! Frontex muss aufgelöst und durch Seenotrettung ersetzt werden. Die Unterstützung diktatorischer und verbrecherischer Regime zur „Flüchtlings-Abwehr“ muss beendet werden.
– Wir fordern sämtliche Staaten dazu auf, endlich die todbringende Spirale von Rüstung und Gegenrüstung zu durchbrechen und Maßnahmen der Entspannung einzuleiten!
– Wir fordern die russische Regierung dazu auf, ihre Truppen auf russisches Staatsgebiet zurückzuziehen und den Krieg gegen die Ukraine unverzüglich zu beenden!
Die Gewaltspirale durchbrechen
Die Logik der Aufrüstung und Gewalt weist die VVN-BdA zurück. Die VVN-BdA steht für Frieden und Völkerverständigung als Lehre aus dem von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg. Umso furchtbarer ist die aktuelle Entwicklung und Bedrohung der atomaren Selbstvernichtung der Menschheit, auch durch den größten Nachfolgestaat der Sowjetunion. Wir fordern ein Ende der atomaren Aufrüstung und eine Rückkehr zu den gekündigten Abrüstungsprogrammen. Antifaschistinnen und Antifaschisten sind dazu aufgerufen, alle kriegerischen Akte zu verurteilen und für einen stabilen Frieden einzutreten! Es schmerzt, dass keine Regierung aus der Vergangenheit gelernt zu haben scheint und weiter aufgerüstet wird.
Am 10. Juli 2021 ist Esther Bejarano, Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz und VVN-Ehrenpräsidentin, verstorben. Wir betrachten es als ihr Vermächtnis, weiter für ihre und unsere Forderung einzustehen. Wir hoffen, dass die am 5. Mai an den Bundesrat übergebene Petition mit über 175.000 Unterschriften als klares Votum verstanden wird: Der 8. Mai muss Feiertag werden!
Text und Bild: Redaktion
Siehe seemoz-Beiträge Alle Jahre wieder: Heraus zum 8. Mai!
und Der 8. Mai in Radolfzell