Abriss am Königsbau
Am Königsbau an der Friedrichstraße soll ein großer Gebäudekomplex abgerissen werden, in dem sich unter anderem der „Konstanzer Landmarkt“ und das Restaurant „Meera“ befinden. Stattdessen sollen mehr Wohnungen entstehen. Für manche Menschen im Quartier dürfte das ein herber Verlust sein.
Dem „Meera“ geht es an den Kragen, aber nicht nur ihm. Der gesamte Komplex mit dem Restaurant und dem daneben gelegenen Laden und Haus soll abgerissen und durch eine (man darf getrost vermuten: wesentlich profitablere) Wohnbebauung ersetzt werden. Offiziell heißt das: „Abbruch Gebäudeensemble und Neubau einer Wohnbebauung, Konzeptstudie – Friedrichstraße 32“ und wird im Gestaltungsbeirat am morgigen 1.6. ab 11 Uhr in öffentlicher Sitzung verhandelt, wobei es nicht um das Ob, sondern um das Wie geht. Wer die Entwürfe in der Sitzungsvorlage betrachtet, kann sich sicher sein: Sooo viel schöner wird es dort kaum werden.
Ein kleines Stück Leben
Die Geschichte des königlichen Areals ist ehrfurchtgebietend.
Fangen wir klein an: Als ich neulich den Laden betrat (in dem der „Taste of Asia“ früher mal residierte und noch davor mal ein Coop und dann ein Schlecker ansässig waren), erklärte ein Mitarbeiter gerade einer alten Dame, der er durch den Laden half, die Unterschiede zwischen den Salatsorten. Er führte sie dann mit einer für die angebliche „Servicewüste“ Deutschland unerfindlichen Engelsgeduld weiter zum nächsten Regal, um ihr auch dort behilflich zu sein. Das war anrührend, und obwohl es mir eigentlich nur um eine Gurke ging, kaufte ich gleich noch diese extrem leckeren schweizerischen Schokoküsse; bei starkem Menscheln entwickle ich gelegentlich starke Unterzuckerungsgefühle.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es hier im Herzen des Königsbaus zwei Häuser weiter ja auch noch eine liebenswerte Kneipe für Eingeschworene gibt, die „Jägerstube“, ein echtes Stück schon früh geöffneter Heimat für so manche Männer und einige Frauen der direkten Umgebung; außerdem liegt gegenüber ein Kiosk für weiteren alltäglichen Krimskrams und das Lottospiel; „Jägerstube“ und Kiosk sind aber derzeit wohl nicht bedroht.
Das ganze Ensemble dort oben auf dem Weg zur Uni ist also nicht ohne Charme und eine der wenigen verbliebenen Nahversorgungsidyllen mit Schwätzchen-Garantie und damit auch ein wichtiger Anker des psychosozialen Wohlbefindens in einer Nachbarschaft, in der die Uhren noch etwas gemächlicher zu ticken scheinen als weiter unten im Stadtzentrum.
Daran droht jetzt aber der Zahn der Unzeit zu nagen.
Wie der „Königsbau“ zu seinem Namen kam
Zurück zur Geschichte, und hier gibt es jetzt das volle Pfund als Zitat aus der Sitzungsvorlage der Stadtverwaltung:
„Das Anwesen stellt den historischen Kern des Stadtteils Königsbau an der Gemarkungsgrenze von Petershausen und Allmannsdorf dar.
Ein bis in das 18. Jahrhundert zurückreichender Torkel [eine Wein- und Obstpresse, red] an der Straße zum Giesberg (Friedrichstraße) erfuhr 1862 durch den Gastwirt Franz König einen prägenden Umbau zur Gaststätte mit großem Biergarten, der nach dem neuen Eigentümer den Namen ‚Zum Königsbau‘ erhielt. Damals entstand der heute noch in den Proportionen überlieferte spätklassizistische Baukörper mit Hochparterre, Kniestock und breitem Zwerchhaus. Im rechten Winkel zum Gasthaus schloss rückwärtig die Ökonomie an, welche 1908 in einem relativ großen dreigeschossigen Wohnhaus mit Festsaal im Erdgeschoss aufging.
Der ‚Königsbau‘ reihte sich ein in die für das rechtsrheinischen Konstanz des 19. Jahrhunderts typische Mehrzahl landschaftsbezogener Ausflugslokale, situiert in noch weitgehend unbebauter Umgebung mit Panoramablick auf den See und die linksrheinische Altstadt. Durch ihren angebauten Festsaal war die Gaststätte zudem ein beliebtes Veranstaltungslokal. Nicht zuletzt bestand dabei auch eine enge Verknüpfung mit der lokalen Fastnacht. Der rückwärtige Wohnbau nimmt im Erdgeschoss anstelle des Festsaals seit 1968 einen Lebensmittelmarkt auf.
Die einst beliebte, bis heute in veränderter Form noch vorhandene Gaststätte war um 1900 zugleich Ausgang einer städtebaulichen Entwicklung, welche zur umgebenden Wohnbebauung mit ein- bis zwei-, vereinzelt auch dreigeschossigen Einzel- und Doppelhäusern entlang der Friedrichstraße und weiterer bestehender bzw. damals erweiterter Wegeverbindungen führte. Dabei ging der Name der Gaststätte auf das umgebende Stadtgebiet über.
Aufgrund der starken Veränderungen – bezogen auf die Gebäudegruppe wie auf die Freifläche – ist der materielle Überlieferungsgrad eher gering, weshalb der bauliche Bestand weder als Kulturdenkmal noch als erhaltenswert bewertet ist. Dennoch stellt sich bei einer Neubebauung des Areals die Frage nach Reminiszenzen an den historischen Ort.“
Eine solche Sitzungsvorlage zu lesen, macht einfach Spaß.
In der Tat sind die Bauwerke, die dort derzeit stehen, außer dem „Meera“ optisch eher nichtssagend und in nicht unbedingt anbetungswürdigem Zustand. Aber sie haben eine über viele Jahre gewachsene Funktion und halten deshalb zumindest ein paar Menschen zusammen, die ohne diesen Zusammenhalt weniger Nähe und mehr alltägliche Nöte in ihrem Leben erleiden könnten. Ohne einen fußläufig erreichbaren Lebensmittelladen dürfte die Lebensqualität für etliche – vor allem ältere – Menschen dieses Quartiers erheblich sinken.
Text & Bild: O. Pugliese, die Sitzungsvorlage finden Sie hier, die Entwürfe hier. Der öffentliche Teil der Sitzung findet am Mittwoch, 01.06.2022, ab 11:00 Uhr im hedicke’s Terracotta, Luisenstraße 9, 78464 Konstanz, statt. Die Konzeptstudie für den Königsbau soll als erster Tagesordnungspunkt gleich zu Anfang ab 11:00 Uhr bis ca. 12:00 Uhr beraten werden.
Die Unterschriftenlisten „gegen Abriss von Meera Restaurant Konstanz und
konstanzer-landmarkt.de“ im Königsbau haben bisher 3415 Menschen unterzeichnet. Am 23. 11. 2022 findet die nächste (öffentliche) Sitzung statt. Morgen(04.11.22) bringe ich die Listen zum Bürgermeister.
Anm.d.Red.: Mit der öffentlichen Sitzung ist der Gestaltungsbeirat gemeint, der sich am 23.11. mit der Angelegenheit beschäftigt.
Ja, liebe Konstanzer Stadtplaner, ein einigermassen lebenswertes fussläufiges Quartierzentrum hinzukriegen, ist nicht ganz einfach, das wisst Ihr bestimmt besser als unsereins. Ihr versucht es bei der Planung zum Döbele-Quartier und wahrscheinlich auch beim Hafner. Deshalb sollte man nicht ein bestehendes, einigermassen Funktionierendes gedankenlos ruinieren. Und es ist den Gemeinderätinnen und Gemeinderäten möglicherweise anzuraten, solche Entwicklungen nicht, negativ überrascht, aber tatenlos mit «och, wie schade, ist jetzt Geschichte», hinzunehmen.
PS «Mi’m Hafner hätt‘ er’s vergeigt», kurze treffende Analyse eines erfahrenen SPD-Kämpen im Rentenalter zu Pantisanos knapp verfehltem Ziel bei der OB-Wahl, die er im Vorbeigehen einem plakatabhängend auf einer Leiter stehenden Wahlhelfer Luigis zu rief. (Auf rückfragenden Zuruf: ‚er habe ihn im 2. Wahlgang gewählt‘.)
Danke für das Wachrütteln und Bekanntgabe der öffentlichen Sitzung. Ich war anwesend-es wird nochmals eine „verbesserte“ Planung mit Ladenlokale im Erdgeschoss erstellt. Es soll auch eine Rechnung erstellt werden, wie eine Kernsanierung sein könnte. Damit wir Bürger unsere Interessen der Stadt mitteilen können haben wir UNTERSCHRIFTENLISTEN (zur Erhaltung eines Geschäftes und Restaurants) gefertigt. Sie sind im Kiosk, Landmarkt, Jägerstube -sowie bei Meera (momentan ) ausgelegt.
Wohnungsbau ist natürlich eine gute Sache, auch wenn meistens eher teure Eigentumswohnungen entstehen, die den Mietermarkt nicht wirklich entlasten. Einen Nahversorger und ein nicht nur im Nahbereich beliebtes Restaurant dafür zu opfern nimmt dem Quartier aber einiges von der Lebensqualität, die sich ja auch Erwerber der neu entstehenden Wohnungen dort erhoffen dürften.
Mir persönlich ist es um das „Meera“ besonders schade: wirlich ein super Restaurant mit leckerem Essen und sehr freundlicher Bewirtung. Traurig, wenn engagierte Leute sich eine Existenz aufgebaut haben und dann weichen müssen!
Zum Königsbau gäbe es noch einiges zu erzählen (Klugscheißerei?). So stand z.B. jahrzehntelang der Schreibtisch von Max Weber in einem der Reihenhäuschen in der Königsbaustraße, weil dort der Neffe Max Weber-Schäfer wohnte, der ihn neben vielen Büchern geerbt hatte. Er war Physiker und zuständig für das Patentwesen bei Telefunken. Jetzt steht der Schreibtisch im Haus der Geschichte in Stuttgart, und die renommieren damit. Der Soziologe Horst Baier holte sich übrigens viele Anregungen aus der ehemaligen Bibliothek von Weber Max, er profitierte von Webers Anmerkungen in den Büchern.
Ich fahre aus Petershausen-Ost regelmäßig in meinen sehr geschätzten „Landmarkt“, habe persönlich schon viel Werbung dafür gemacht.
Ich bin ganz begeistert davon, dass der ganze Königsbau hier ein sehr gut sortiertes Sortiment auch von regionalen BIO- Lebensmitteln, Demeter Produkten, Blumen, Pflanzen, Zeitschriften und noch viel viel mehr vorfindet. Mit sehr freundlichem Personal! In einem schönen Haus an einem angenehmen Platz, nebenan ein gut besuchten kleines Restaurant mit Terrasse, die immer belebt ist… ein paar Meter weiter eine beliebte Bäckerei.
Eine runde Sache zum Wohlfühlen für ein großes Quartier !
Wie kann man diesen Ort retten?
Dank an Seemoz, dass dies erst mal in die Öffentlichkeit gelangt!
Danke für den Artikel, schade dass in KN nur die Gutbetuchten immer die Gewinner sind…..
Ach, schade, ja. Danke für den Artikel – das wäre sonst an mir vorbei gegangen. Ich kenne das auch noch mit Schlecker drin.