Stolpersteine Nummer 104 bis Nummer 121
18 Stolpersteine werden am morgigen Freitag, 18. Mai, an zehn Standorten in Konstanz verlegt, an 18 Opfer des nationalsozialistischen Terrors aus unserer Stadt erinnert. Ab 9.30 Uhr wird wieder ein Zug aus Angehörigen, Freunden und Mitgliedern der Initiative „Stolpersteine für Konstanz – Gegen Vergessen und Intoleranz“ durch die Stadt ziehen und die Stolpersteine 104 bis 121 verlegen. Termine der Verlegung und die Schicksale der Geehrten in Stichworten.
09:30, Jakob STOLL (pol.), Fürstenbergstr. 14
Jacob Stoll war bei den Gemeinderatswahlen am 16. November 1930 für die KPD in den Gemeinderat von Wollmatingen gewählt worden. Am 3. März 1933 wurde Stoll wegen illegaler Betätigung für die verbotene KPD verhaftet und in „Schutzhaft“ genommen. Insgesamt war er sieben Jahre, sieben Monate und 23 Tage inhaftiert; im April 1944 gelang ihm die Flucht. Jakob Stoll starb am 23. März 1960 in Konstanz und wurde auf dem Wollmatinger Friedhof beigesetzt.
10:00, Alois ZOLLNER (pol.), Max Stromeyer-Str. 106
Am 18.10.1939 wurde Zollner aufgrund einer Denunziation von Nachbarn festgenommen, als er in seiner Wohnung zusammen mit Ferdinand Obergfell und Anna Hermann den Schweizer Sender Beromünster hörte. Bei der Wohnungsdurchsuchung wurde auch eine größere Anzahl marxistischer Bücher und illegaler Broschüren gefunden. Am 31.3.1940 wurde Zollner wegen Abhörens ausländischer Sender vor Gericht gestellt und zu 18 Monaten Zuchthaus verurteilt. Insgesamt saß er zwei Jahre im Gefängnis. Er starb am 7.8. 1964 in Konstanz.
10:30, Karl HARTMANN (pol.), Dacherstr. 4
Der KPD-Funktionär wurde am 28. Februar 1940 verhaftet und am 13. Juni 1940 vom Oberlandesgericht Stuttgart wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach Verbüßung der Haftstrafe im Zuchthaus Ludwigsburg wurde Hartmann „staatspolitischen Maßnahmen“ zugeführt, d.h. er wurde ohne weiteres Gerichtsverfahren im April 1942 in das KZ Dachau überstellt. Später wurde er der SS-Truppe Dirlewanger zugeteilt, einem „Kanonenfutter“-Verband, aus dem kaum jemand überlebte. Am 7. September 1950 wurde Hartmann durch das Amtsgericht Konstanz für tot erklärt.
10:50, Anna KARRER (pol.), Tägermoosstr. 10
Nach einer Mietstreitigkeit wurde Anna Karrer von ihrer Untermieterin wegen Abhörens von „Feindsendern“ bei der Gestapo angezeigt. Anna Karrer hatte, wie viele Konstanzer, den verbotenen Schweizer Sender Radio Beromünster gehört. Darufhin wurde sie am 25. Mai 1944 vom Sondergericht Freiburg zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Sie ist am 7.11.1962 in Konstanz gestorben.
11:10, Max HAYMANN (Jude), Sofie HAYMANN (Jüdin), Friedel HAYMANN (Jüdin), Gerda HAYMANN (Jüdin), Annelies HAYMANN (Jüdin), Brauneggerstr. 51
Die jüdische Familie Haymann betrieb eine Rohproduktenhandlung, aus der aber später zwei eigenständige Unternehmen hervorgingen. Der schwer kranke Familienvater starb am 4. April 1934 und ist auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt; seinen Töchtern Friedel, Gerda und Annelies gelang die Flucht nach Palästina bzw. England. Seine Frau Sofie wurde 1937 gezwungen, das Unternehmen aufzulösen. Sie wurde gemeinsam mit 111 weiteren jüdischen Mitbürgern aus Konstanz am 22. Oktober 1940 in das südfranzösische Gurs deportiert. Nach knapp zwei Jahren Aufenthalt unter menschenunwürdigen Bedingungen in südfranzösischen Lagern wurde Sofie Haymann am 28. August 1942 über Drancy nach Auschwitz deportiert. Dort wurde sie noch am Ankunftstag, dem 31.August 1942, vergast.
11:50, Max BRAITSCH (pol.), Wessenbergstr. 2
Am 11.11.1939 wurde das KPD-Mitglied Braitsch Schutzhaft genommen und am 18.3.1940 ins Zuchthaus Ludwigsburg verlegt. Am 8. April 1940 wurde ihm vor dem Oberlandesgericht Stuttgart der Prozess gemacht. Die Anklage warf ihm vor, ausländische Sender abgehört zu haben und als Kassierer für die verbotene KPD tätig gewesen zu sein. Max Braitsch wurde zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt; zur Verbüßung seiner Strafe wurde er über das Polizeigefängnis Hamm ins Straflager II Aschendorfermoor im Emsland überstellt. Am 20.3.1944 wurde er begnadigt. Zurück in Konstanz, arbeitete er im Gaswerk als Ofenwärter. Max Braitsch starb am 9.8.1966 in Konstanz.
12:10, Max MANN (Jude), Julie MANN, geb. Frank (Jüdin), Bahnhofstr. 5
Max Mann war Inhaber einer kleinen Privatbank (gegründet 1892) in Konstanz, die sich in der Bahnhofstraße 5 befand, 1926 aber bankrott ging.Wie viele Konstanzer Juden verkaufte das Ehepaar Mann 1939 angesichts der judenfeindlichen Politik der NS-Machthaber ihr Haus in der Bahnhofstraße. Käuferin war eine Frau Maria Kuhn aus Spaltenstein bei Friedrichshafen, die dem Ehepaar Mann ein Wohnrecht einräumte, das es bis zu ihrer Deportation nach Gurs wahrnahm. Das Ehepaar Mann wurde am Morgen des 22. Oktober 1940 verhaftet und nach Gurs deportiert. Auf Betreiben des Erzbischofs von Lyon wurden sie später in privaten Heimen untergebracht. Max Mann starb am 12.4.1950 im Altenheim „Maison St. Jacques“ in Aix les Bains (Departement Savoyen).
12:30, Sally HALPERN (Jude), Elise HALPERN, geb. Seckels (Jüdin), Werner HALPERN (Jude), Melanie Betha HALPERN (Jüdin), Rosgartenstr. 12
Die Familie Halpern kam aus Weißrussland nach Konstanz, wo Sally (Shalom) Halpern 1924 bei der jüdischen Gemeinde als Hilfskantor und Schächter (Schochet) Anstellung fand. Im Frühjahr 1938 gelang es der Familie, Sohn Werner mit einem Kindertransport in die USA zu schicken, wo er ein angesehener Arzt und Autor wurde; er starb 1997 in Rochester, N.Y. Vorher noch war es ihm gelungen, seine 1939 in die Schweiz entkommene Schwester Melanie in die USA zu holen. Zwar war auch den Eltern Sally und Elise Halpern die Flucht nach Belgien und später Frankreich geglückt, doch sie wurden 1943 aufgegriffen. Es ist davon auszugehen, dass das Ehepaar Sally und Elise Halpern, wie auch Sallys Bruder Leo noch am Ankunftstag, dem 22. September 1943 in Auschwitz ermordet wurden.
13:15, Karl HUBER (Euthanasie), Kanzleistr. 4
Der Gelegenheitsarbeiter Karl Huber war Epileptiker. 1939 war er zum ersten Mal als Patient in der Heil- und Pflegeanstalt Reichenau. Das besiegelte wohl sein Schicksal: seine Ermordung ein Jahr später. Die sog. T-4 Aktion begann Ende 1939, als die Heil-und Pflegeanstalten Meldebogen abgeben mussten mit den Namen der Patienten, die u.a. an Epilepsie erkrankt waren. Am 13.11.1940 wurde Huber in die Tötungsanstalt Grafeneck deportiert und am selben Tag vergast. Seine Urne tauchte im Jahr 1983 im Friedhofsgebäude der Stadt Konstanz wieder auf. Wie die Urne, zusammen mit 196 anderen, dorthin kam, ist bis heute ungeklärt. Die Urnen wurden dann auf dem Konstanzer Friedhof in einem Grabmal für die Opfer der Euthanasie bestattet.
13:30, Hans VENEDEY (pol.), Rathaus
Venedey stammte aus einer bürgerlichen Juristenfamilie aus Konstanz mit langer radikal-demokratischer Tradition. Sein Vater war der hoch geachtete Konstanzer Rechtsanwalt und langjährige badische Landtagsabgeordnete Martin Venedey (1860-1934), sein Großvater Jacob Venedey (1805-1871), der sich 1848 als Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung für die bürgerlichen Grundrechte wie Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz einsetzte. Auch für Hans‘ Bruder, Dr. Hermann Venedey, wurde im vergangenen Jahr ein Stolperstein gesetzt.
Nach dem Studium trat Hans Venedey als Strafverteidiger in die Anwaltspraxis seines Vaters Martin in Konstanz ein. Von 1930 bis 1933 war er SPD-Mitglied des Konstanzer Gemeinderats. Als am 6. März 1933, nach dem Wahlerfolg der NSDAP bei den Reichstagswahlen, einige Nationalsozialisten auf dem Rathaus die Hakenkreuzfahne aufzogen, protestierte Venedey in einem Schreiben an den parteilosen Oberbürgermeister Otto Moericke, wenige Tage später wurde er auf offener Straße von der Gestapo verhaftet. Zwar wurde er kurz darauf wieder frei gelassen, doch bei der Beerdigung des Vaters am 22.4.1934 konnten seine beiden Söhne Hans und Hermann nicht anwesend sein, da beide 1933 vor den Nazis in die Schweiz geflohen waren.
Nach Ende des Krieges kehrte Venedey Anfang August 1945 in seine Heimatstadt Konstanz zurück. Er begann nun, sich ein zweites Mal eine bürgerliche Existenz aufzubauen. Am 20. Dezember 1945 erhielt Venedey auf Antrag die deutsche Staatsbürgerschaft zurück. Ende September 1946 wurde er in Konstanz wieder als Rechtsanwalt zugelassen und gründete mit Erwin Keller eine Anwaltskanzlei.
Anfang Oktober 1945 übersiedelte er nach Wiesbaden, weil er von Karl Geiler, dem Ministerpräsidenten des von der amerikanischen Besatzungsmacht geschaffenen Landes Groß-Hessen am 12. Oktober 1945 zum Innenminister berufen wurde. Als Innenminister wirkte er entscheidend bei der Ausarbeitung einer neuen Verfassung für Hessen mit. Während der Beratungen über die neue Verfassung hatte sich Venedey stets für sozialistische Positionen und ein Zusammengehen von SPD und KPD eingesetzt. Das führte schließlich zu einem Ausschlussverfahren aus der SPD.
Nach seinen vergeblichen Versuchen in Hessen und Baden, eine Aktionseinheit zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten zu schaffen, kehrte Venedey Ende 1948 nach Konstanz zurück und nahm seine Anwaltstätigkeit wieder auf. Unter anderem unterstützte er die Klage von Opfern des NS-Regimes gegen das Land Baden in Entschädigungsfragen, vertrat aber auch Hans Constantin Paulssen, Wehrwirtschaftsführer im Dritten Reich und späterer Leiter der Aluminiumwerke Singen.
Venedey war wegen seiner linken Gesinnung Anfang der 50er Jahre zahlreichen Schikanen staatlicher Stellen ausgesetzt. Als er im April 1951 einen Antrag auf Haftentschädigung und Verdienstausfall infolge seiner Emigration stellte, wurde sein Antrag erst sieben Jahre später mit der Begründung abgelehnt, „dass er die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekämpft und deswegen … von der Entschädigung ausgeschlossen ist“. Fast gleichzeitig wurde auf Veranlassung des Vorstandes des Konstanzer Finanzamtes, Bruno Helmle, eine steuerliche Prüfung seiner Anwaltskanzlei vorgenommen. Das Ergebnis der Prüfung war ein Bescheid auf Nachzahlung von 5000 DM an das Finanzamt. Offenbar wollte sich Helmle, eingedenk seiner erst 2012 aufgedeckten NS-Vergangenheit, als Verteidiger der neuen demokratischen Ordnung in der Bundesrepublik profilieren.
Hans Jakob Venedey starb am 9. Januar 1969 in Konstanz.
Autor: PM/hpk
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Für alle, die über Stolpersteine stolpern
Die Stolpersteinverlegung wäre eine Phrase, wenn man die Ehrenbürgerschaft von Helmle aufrecht erhalten hätte. Die Frage im Nachherein stellt sich noch, wie wären diese Opfer mit der Ehrenbürgerschaft eines exponeten Nazimitläufers umgegangen, denn ihnen blieb noch bis zu ihrem Tode verborgen, welche Vergangenheit ein so rühriger Oberbürgermeister ihrer Stadt hatte, welcher geschickt seine Vita den neuen Verhältnissen anpassen konnte. Vor allem sie hatten keine Chance mehr sich dazu zu äußern.