Buch-Premiere: Piemont, Berlusconi und wir

Am nächsten Donnerstag, 24. Mai, 19.30, stellen Sabine Bade und Wolfram Mikuteit in der Volkshochschule ihr neues Buch vor. Die Konstanzer Autoren präsentieren „Partisanenpfade im Piemont“, verlegt vom Konstanzer Verlag Querwege, und erzählen vorab im seemoz-Gespräch über Geschichten und Geschichte im Piemont, über grandiose Wanderwege und über den Widerstandsgeist der Piemonteser, der bis heute anhält. Alles das zu erleben fünf Autostunden vom Bodensee entfernt.

Warum soll unsereins noch heute auf Partisanen-Pfaden durchs Piemont stapfen?

Als wandernde Piemont-Liebhaber fällt uns die Antwort leicht: Schließlich liegt diese Region nicht nur – wie der Name ‚al piè dei Monti’ sagt – am Fuße der Berge, sondern mittendrin. Und verfügt darüber hinaus über ein wunderbares Wanderwege-Netz, von dessen Attraktivität sich so mancher mittlerweile zertifizierte Premiumweg nördlich der Alpen eine Scheibe abschneiden kann. Unsere Touren zwischen Gran Paradiso im Norden und Monviso im Süden folgen ausgewiesenen Wanderwegen durch National- oder Naturparkgebiete, führen über königliche Jagdsteige, alte Saumwege und stille Gebirgspfade. Und oberste Priorität hatte bei der Auswahl der Wege neben der historischen Bedeutung stets die Attraktivität des Weges und die der Landschaft.

Zudem: Unser Buch richtet sich nicht nur an passionierte Wanderer. Mit den Stadtspaziergängen durch Turin und Torre Pellice – beide auf den Spuren der Resistenza, dem 20-monatigen Widerstand gegen den Faschismus – kommt auch auf seine Kosten, wer sich aus Bergen rein gar nichts macht. ‚Partisanenpfade im Piemont’ ist ein Reisebuch, ein Wanderbuch und ein Geschichtenbuch.

Dennoch: Was und wen kümmert heutzutage noch die alten Geschichten des Widerstands in Italien? Ist das nicht längst vergessen?

Wir haben ein Buch geschrieben, das wir selbst vor über 20 Jahren bei unseren ersten Wanderungen in den piemontesischen Alpen gern dabei gehabt hätten. Dazu muss man wissen, dass im Piemont – wie auch jenseits des italienisch-französischen Grenzkamms – Stolpersteine zur Erinnerung an die Opfer der NS-Zeit nicht in den Boden eingelassen und auch deutlich größer sind als bei uns. Sie sind unübersehbar und bedienen sich einer ganz unverblümten Sprache. Und nachdem wir Anfang der 1990er-Jahre auf einer wildromantischen Hochebene auf über 2.000 Metern Höhe über ein Mahnmal für Opfer dieses Widerstands ‚gestolpert’ sind, hat uns das Thema nicht mehr losgelassen.

Wie aktuell dieses Thema einmal werden würde, haben wir allerdings bei Abgabe des Manuskriptes selbst noch nicht erahnt: Zwar hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag im Februar diesen Jahres bestätigt, dass das Prinzip der Staatsimmunität Deutschland vor Entschädigungsforderungen wegen in Italien begangener nationalsozialistischer Kriegsverbrechen schützt. Doch das Urteil hat auch klargestellt, dass Deutschland zumindest eine moralische Verantwortung dafür übernehmen müsse und die Notwendigkeit einer ‚gemeinsamen Erinnerungskultur’ angemahnt. Da regt sich was, durchaus nicht nur in Italien, wo gerade Anfang Mai in Florenz ein Kongress zu diesem Thema stattfand. Auch in Deutschland setzen sich langsam immer mehr Institutionen mit der italienischen Resistenza auseinander.

Piemont ist wunderschön. Und hat eine beeindruckende Geschichte. Ihr habt schon angedeutet, dass in Eurem Buch auch die Geschichte des Widerstandes gegen die Faschisten beleuchtet wird…

Von ganz vielen Seiten. Angefangen bei der 40-seitigen Einführung in dieses nur wenig bekannte Thema. Schließlich wuchs die italienische Widerstandsbewegung vom September 1943 bis Ende April 1945 mit wohl 250 000 Mitgliedern zur zahlenstärksten Widerstandsbewegung Westeuropas an. Diese 20 Monate, in denen sich Menschen unterschiedlichster politischer Couleur – Liberale, Sozialisten und Kommunisten waren ebenso beteiligt wie Monarchisten – zusammen schlossen, um gegen deutsche Besatzung und italienischen Faschismus und für einen radikalen Wandel in ihrem Land zu kämpfen, haben das Piemont schließlich nachhaltig geprägt.

Wir haben aber kein Geschichtsbuch geschrieben, sondern anhand ganz unterschiedlicher Artikel versucht, diese Geschichte erlebbar zu machen. Wir erzählen von Mussolinis Aufstieg – weil die Widerstandsbewegung nur verständlich wird vor dem Hintergrund, dass beim Kriegseintritt Italiens an der Seite Hitler-Deutschlands 1940 ein damals 18-jähriger italienischer Wehrpflichtiger nicht einen einzigen Tag in einem demokratischen Staat gelebt hatte. Wir erzählen auch von dem 1933 in Turin gegründeten Verlag ‚Giulio Einaudi Editore’, mit dem LeoneGinzburg, Cesare Pavese, Giulio Einaudi, Carlo Levi, Vittorio Foa und viele andere versuchten, die faschistische Zensur zu unterlaufen und Bücher zu verlegen, die zu kritischem Denken anregen sollten – und dafür auch langjährige Haftstrafen und Verbannung in Kauf nahmen.

Wir erzählen auch von dem Phänomen, das die italienische Historikerin Anna Bravo als eine der „größten Verkleidungsaktionen der italienischen Geschichte“ bezeichnet hat: Dass sich circa die Hälfte der Soldaten des italienischen Heeres, die sich am Tag der Waffenstillstandserklärung im deutschen Machtbereich befunden hat, durch Flucht der Gefangennahme und dem Transport in die deutschen Zwangsarbeitslager entziehen konnte.

Und weil ‚Partisanenpfade im Piemont’ ein Wanderlesebuch ist, haben wir in Ergänzung zu den Tourbeschreibungen auch ganz viele kurze Hintergrundgeschichten geschrieben. In diesen ‚Themensplittern’ kann – wer mag – nachlesen, warum jedes kleine Dorf in Italien seine ‚Via Roma’ hat, was genau unter der italienischen ‚Judenkartei’ zu verstehen ist, wie Piero Gobettis Witwe Ada ihre Winterüberschreitung des Passo dell’Orso in ihrem Tagebuch beschrieb. Hier findet sich auch das Gedicht ‚Kamerad Kesselring’, geschrieben in Erinnerung an den Kriegsverbrecher, der kaltschnäuzig genug für die Bemerkung war, die Italiener täten gut daran, ihm für sein Verhalten in der Zeit, in der er den Oberbefehl auf dem italienischen Kriegsschauplatz innehatte, ein Denkmal zu errichten.

Unter Berlusconi wurde der italienische Faschismus wieder hoffähig…

Wir wollen keinen Mythos bedienen. Dass es einen ganz offenkundigen Widerspruch zwischen Wachhalten der Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand einerseits und dem mittlerweile durch langjährigen Berlusconismus veränderten Geschichtsverständnis vieler Italiener andererseits gibt, ist uns bewusst. Auch, dass der Abgang von Silvio Berlusconi nichts daran ändert, dass er Mussolini und den italienischen Faschismus in Italien wieder hoffähig gemacht hat. Auch wenn das dort, wo wir unterwegs waren und immer wieder sind, nur ganz selten in Erscheinung tritt.

Widerstand im Piemont hat Tradition bis auf den heutigen Tag. Findet sich das auch in Eurem Buch wieder?

Wir haben jeden Talbereich mit einem Motto überschrieben, und das Motto für das Susatal lautet: ‚Der Kampf um die Eisenbahn’. In der Zeit der Resistenza stand dies Motto für die Schlacht um die für die Deutschen so bedeutsame Eisenbahnlinie Turin – Fréjus – Modane, über die der Nachschub in das besetzte Südostfrankreich verlief. Heute steht dieses Motto für den Widerstand gegen den ‚Treno ad alta velocità’, beziehungsweise die Bauvorhaben, die hier geplant sind, um die Hochgeschwindigkeitslinie zwischen Turin und Lyon zu realisieren.

Wir verfolgen den Widerstand im Susatal seit Mitte der 1990er-Jahre (und haben auch in seemoz mehrmals darüber berichtet). Damals lasen wir vom ‚Transalpedes’-Projekt, mit dem Umweltaktivisten um Dominik Siegrist und Jürg Frischknecht auf einer Wanderung am Alpenhauptkamm entlang auf die drohende Umweltzerstörung im Alpenraum aufmerksam machen wollten. Sie trafen in verschiedensten Regionen Menschen, die versuchten, sich gegen Fehlentwicklungen zur Wehr zu setzen. Einer von ihnen war Claudio Giorno, damals wie heute aktiv im Widerstand gegen die Betonlobby.

Das innerhalb der Widerstandsbewegung gegen das faschistische Mussolini-Regime und die deutsche Besatzung entstandene Motto „Ora e sempre Resistenza“ haben die Projektgegner längst zu ihrem gemacht. Man könne den Protest gegen das TAV-Projekt nicht von

der Geschichte der Resistenza trennen, sagt denn auch Claudio Giorno. Piero Calamandrei, Professor für Zivilprozessrecht, hat 1955 in seiner berühmt gewordenen Vorlesung darauf hingewiesen, dass der Kampf um die italienische Verfassung in den Berggebieten ausgetragen wurde. Kein Wunder also, dass gerade dort dringender Nachbesserungsbedarf an eben dieser Verfassung aufgezeigt wird: Damit der Wille der ganz überwiegenden Mehrheit einer Region nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden kann, damit auch beispielsweise das international geächtete CS-Gas nicht im Landesinneren verwendet werden darf und um unter anderem auszuschließen, dass Militär gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt wird. Darum haben wir in unser Buch auch den Artikel „Ora e sempre Resistenza: NO TAV!“ aufgenommen.

Ihr seid Reiseschriftsteller. Über welche anderen Regionen kann man Reisetipps von Euch erfahren?

Einspruch. Dass wir Sachbücher schreiben, macht uns nicht zu Schriftstellern. Auf unserer Internetpräsenz westalpen.eu sowie dem Blog westalpen.wordpress.com veröffentlichen wir regelmäßig Hintergrundinformationen und berichten über kuriose und nicht alltägliche Geschichten aus unserem Zielgebiet, den italienisch-französischen Westalpenbogen zwischen Genfer See und Mittelmeer.

Und dort schreiben wir manchmal auch über Schriftsteller, etwa den französischen Literaturnobelpreisträger Jean-Marie Gustave Le Clézio. Der hat in seinem Buch ‚Fliehender Stern‘ die Geschichte einer Gruppe von Juden unterschiedlichster Nationalität erzählt, die zwischen März und September 1943 im französischen Saint-Martin-de-Vésubie Zuflucht vor den Deutschen gefunden hatte. Als die von Süden vorrückten, machte sich die Gruppe auf den beschwerlichen Weg über die Berge nach Italien. Ihre Hoffnung – mittlerweile war Mussolini abgesetzt und am 8. September der italienische Waffenstillstand erklärt – so in die Freiheit zu gelangen, trog: Die Deutschen marschierten am 12. September auch in diese Region ein und besetzten die italienischen Stellungen. Die Flüchtlinge wurden von den Deutschen auf Basis der von Mussolini 1938 erlassenen Rassengesetze verhaftet, in Borgo San Dalmazzo (Provinz Cuneo) in Güterwaggons gepfercht und nach Auschwitz transportiert, wo 311 Menschen dieser Fluchtgruppe ermordet wurden. Ein Ereignis, auf das heute am Bahnhof von Borgo San Dalmazzo das ‚Memoriale della Deportazione‘ hinweist.

Derartige Hinweise auf Geschehnisse abseits des reinen Wanderweges sind auch in unsere bisher erschienenen sieben Wanderführer eingeflossen.

Die Fragen stellte hpk

Das Buch: Sabine Bade | Wolfram Mikuteit: Partisanenpfade im Piemont. Orte und Wege des Widerstands zwischen Gran Paradiso und Monviso. Ein Wanderlesebuch. Verlag Querwege, Konstanz 2012, 272 Seiten, mit detaillierter Karte zu jeder Tour, mit GPS-Tracks zum Download, ISBN 978-3-941585-05-8, EUR 19,90, CHF 25,90. Das gesamte Inhaltsverzeichnis und viele andere Informationen zum Buch online: http://www.facebook.com/PartisanenpfadeImPiemont