Der Kürzungs-Tsunami
Jetzt schlägt er ein, der Kürzungs-Tsunami. Die Stadtverwaltung dreht den Geldhahn zu und versucht, die Ausgaben auf ein Minimum zu reduzieren. Der Gemeinderat hat sich selbst entmachtet, indem er sich eine „Haushaltsstrukturkommission“ vor die Nase setzte, die jetzt mithilfe der Kämmerei Ersatzgemeinderat spielt. Diese Entwicklung wird fatale Auswirkungen auf Vereine und städtische wie private Kultureinrichtungen haben. Zeit, sich die Hintergründe dieses neuen Sparzwangs genauer anzusehen. Dazu ein Kommentar von LLK-Stadtrat Simon Pschorr (Bild)
Woher kommt das Defizit?
Wo die Stadt Konstanz bisher von coronabedingten Einnahmeausfällen im Vergleich zu anderen Kommunen relativ verschont geblieben ist, macht sich gerade die besondere wirtschaftliche Struktur der Stadt bemerkbar: Keine Gesundheitsindustrie wie etwa Biontech in Mainz – einer seit letztem Jahr plötzlich schuldenfreie Kommune –, keine Automobilbranche mit konstant hohen Absatzzahlen, sondern Gastronomie und Einzelhandel. Man meinte ja, gerade diese Unternehmen müssten während der Hochphase der Pandemie in die Knie gegangen sein. Viele Gewerbetreibende in Konstanz hatten bittere Pillen zu schlucken, doch brachten sie Corona weitgehend lebendig hinter sich. Was ihnen jetzt das Genick bricht, sind die Pachterhöhungen. Der Preis für Gewerberaum geht gerade durch die Decke. Anstatt ihre langjährigen Pächter*innen am Leben zu lassen, quetschen private Immobilieneigentümer jetzt den allerletzten Cent aus den Krisengebeutelten und töten damit Stück für Stück alteingesessene Betriebe ab.
Wenn die Läden ersetzt werden, dann durch die immergleichen Ladengeschäfte internationaler Marken. Die sind hier, solange es in Konstanz Schweizer Geld einzusammeln gibt. Schlägt die Konjunktur um, verschwinden sie so schnell, wie sie hergekommen sind. Doch gerade bleiben viele Ladengeschäfte leer. Angesichts kriegsbedingten Materialmangels und durch den Bauboom verursachter Überlastung vieler Handwerksbetriebe können Ladenlokale nicht bezogen werden. All das geht zulasten der Gewerbesteuer, einer der wichtigsten Finanzquellen deutscher Kommunen.
Des Kämmerers Glaskugel
Die Kämmerei kalkuliert deshalb seit 2020 mit Steuereinnahmen deutlich unter dem Niveau von 2019. Zwar schlugen im Jahresabschluss 2020 und 2021 tatsächlich niedrigere Einnahmen zu Buche, auffällig ist jedoch, dass sich gerade die Gewerbesteuer weit weniger negativ entwickelte als angenommen. Zwar sah sich der Gemeinderat sogar gezwungen, Rückstellungen zu bilden, um zu erwartende Gewerbesteuerrückzahlungen decken zu können, dennoch konnten im Vergleich zum Haushaltsansatz knapp 11 Millionen Euro Schulden vermieden werden.
Der kommunalen Finanzaufsicht beim Regierungspräsidium Freiburg legte die Stadtverwaltung jedoch diesen klamm gerechneten – in den Worten des Kämmerers „konservativ kalkulierten“ Haushalt zur Genehmigung vor. Wie als self fulfilling prophecy beschied die Finanzaufsicht deshalb: So geht es in Zukunft nicht weiter! Sparkurs ist angesagt! Dieser Aufforderung kamen Stadtverwaltung und Kämmerei unmittelbar nach und legten dem Gemeinderat eine „Haushaltskonsolidierung“ zur Beschlussfassung vor.
Der städtische Haushalt soll nach Plänen der Stadtverwaltung 15 Millionen Euro einsparen – just genau das Defizit, das nach dem Haushaltsansatz des Jahres 2021 eingefahren werden sollte und sich dann nur in Höhe von 4 Millionen Euro realisierte. Warum genau dieser Betrag einzusparen ist, um künftige Haushalte genehmigungsfest zu machen? Der ist in des Kämmerers Glaskugel erschienen: Der diesjährige Haushalt, die Haushaltsvorausberechnung einschließlich der Entwicklung der Ausgaben sowie die Steuerschätzung. All diese Faktoren werden in eine empirisch unterfütterte Haushaltsprognose eingestellt – doch schlussendlich verbleiben der Kämmerei und der Stadtspitze Beurteilungsspielräume, wie gut oder schlecht die wirtschaftliche Lage, wie unvorhersehbar die Entwicklung auf dem Finanzmarkt und wie abstrus die Inflation in allen Lebensbereichen wird. Das heißt: In der momentan kriegs-, corona- und inflationsgeprägten Situation ist Haushaltsplanung Stochern im Nebel.
Handlungsbedarf – aber wie?
Ich möchte hiermit keinesfalls in Abrede stellen, dass es einen Handlungsbedarf im Hinblick auf unsere Kommunalfinanzen gibt. Die Stadt Konstanz hat seit Jahren hohe laufende Ausgaben, die sie bisher durch eine boomende Wirtschaft kompensieren konnte. Zugleich wurden über viele Jahre zugunsten eines „sanierten“ Haushalts Investitionen in Infrastruktur (Schulen und Kitas!) und Digitalisierung verschleppt. Jetzt, wo gefühlt alle gleichzeitig bauen, bauen, bauen, holen wir diese Investitionen zu deutlich gestiegenen Kosten nach. Schließlich hat die Stadt mit fataler Verspätung erkannt, dass unser Klima bei einem fossilen „Weiter so“ vor die Hunde geht. Der ökologische Umbau ist ebenfalls nicht kostenlos – und ist doch jeden Cent wert.
Wie die Verwaltung bisher mit dem Problem umgeht, ist jedoch fatal. Von den 15 Millionen Euro sollten zunächst neun Millionen mit Steuereinnahmen gedeckt werden. Dazu war eine Erhöhung der Grund- und Gewerbesteuer beabsichtigt. Das hätte das Konstanzer Gewerbe doppelt getroffen und für viele Mieter*innen einen erheblichen Griff in die leeren Hosentaschen bedeutet. Die Stadt hätte somit zur weiteren Explosion der Wohnkosten beigetragen. Der Gemeinderat hat sich gegen diese Lösung zu Recht verwahrt.
Stattdessen hat sich die Ratsmehrheit eine sogenannte „Haushaltsstrukturkommission“ vor die Nase setzen lassen. In diesem rein beratenden Gremium soll ein Bruchteil des Rates über Einsparmaßnahmen diskutieren, vorbei an Haupt- und Finanzausschuss (HFA) und Gemeinderat. Das funktioniert natürlich nicht, denn nach dem Kommunalrecht darf der Gemeinderat seine Entscheidungskompetenzen nicht völlig auf (beratende oder beschließende) Ausschüsse übertragen. Deshalb muss alles, was in der Haushaltsstrukturkommission diskutiert wird, durch HFA und Gemeinderat. Schon mit nur einem vorberatenden Gremium (HFA) hatten Entscheidungen keinen Bestand. Warum sollte das jetzt besser werden?
Kultur und Soziales werden bluten, das BoFo bleibt heilige Kuh
Im Bildungs- und Sportausschuss am 28.06.2022 hat sich Gegenteiliges angedeutet: Auf Druck der Kämmerei hat die Stadtspitze eine dringend erforderliche Förderung des Schulschwimmunterrichts abgelehnt. Der Schwimmklub Sparta, ohne den Schulschwimmen für einen Großteil der Konstanzer Schüler*innen nicht mehr gewährleistet werden könnte, war vor den Kopf gestoßen. Bürgermeister Osner merkte man den Zwiespalt an: Er hält das Projekt ersichtlich für unverzichtbar, doch traf ihn das Veto der Finanzer. Der stellvertretende Kämmerer Helff sprach sich im Ausschuss deutlich gegen eine Finanzierung des Projekts aus. Wolle man so eine hohe Ausgabe (140.220 € jährlich) stemmen, müsse zuerst die Haushaltsstrukturkommission entscheiden. Als Ratsmitglied und Mitglied der Haushaltsstrukturkommission frage ich mich im Ernst: Warum tagen die anderen Ausschüsse dann eigentlich noch? Klären wir doch ab sofort alles im Superministerium.
Wenn die Konstanzer*innen diesen Kürzungs-Tsunami heil überstehen wollen, müssen sie nicht nur präventiv schwimmen lernen (treten Sie in einen Sportverein, z.B. den Schwimmklub Sparta, ein!). Wahrscheinlich müssen Sie auch schon heute Ihre Jahresdosis Goethe und Schiller inhalieren. Kunst und Kultur stehen als „freiwillige Aufgaben“ als nächstes auf der Abschussliste. Weitere Sportförderleistungen oder monetäre Unterstützung für soziale Projekte wird es nicht geben. Gespannt bin ich, ob sich die Verwaltung auch an finanzielle Kooperationen mit den Religionsgemeinschaften herantraut. Bisher blieben diese von allen Sparerwägungen verschont. Selbstverständlich gilt das nach Vorstellung des Oberbürgermeisters auch für das Bodenseeforum. Dieser kulturell-ökonomische „Leuchtturm“ scheint der Stadtspitze unverzichtbar. Dabei hat auch das Regierungspräsidium die hohen laufenden Kosten dieses weder sozial, noch kulturell, noch messbar ökonomisch relevanten Millionengrabs bemängelt. Solange die Stadtspitze ihre schützende Hand über dieses Haus hält, bin ich nicht bereit, an Sozialem, Sport und Kultur zulasten der Bürger*innen zu sparen oder gar Steuern auf Wohnraum zuzustimmen. Wer ein Bodenseeforum finanzieren kann, der braucht keinen Kürzungs-Tsunami, sondern muss seine Glaskugel polieren.
Text: Simon Pschorr, Bild: Privatbesitz
Hallo Hr. Pschorr, Sie sprechen es in Ihrem Artikel an: Es wird gebaut, gebaut, gebaut. Und zwar in vielen Städten und Gemeinden rund um den See. Gibt es grad erhebliche Fördermittel? Flächenversiegelung und Bauen ist einer der schlimmsten Klimakiller überhaupt, zerstört Biodiversität und steht in Konkurrenz zum Ackerbau. Der Preis für Weizen sinkt zwar schon wieder, also bestehen wohl keine Anreize mehr, die wenigen ackerbaulich meist minderwertigen Blühwiesen für Insekten auch noch in Anbauflächen umzuwandeln. Der Schaden aber wird angerichtet durch die schiere Masse an menschlichen Eingriffen in die Natur. Und ich habe durch ihre Kommentare den Eindruck gewonnen, dass die Konstanzer Gemeinderät*innen sehr wohl wissen, welchen Schaden sie mit ihren Entscheidungen gegen die Natur anrichten. Werden sich wenigstens die jungen Familien mit Kindern als Zielgruppe angesichts einer aktuellen Verteuerung von quasi allem, die Wohnungen/Häuschen auf dem Hafner und den Christianiwiesen noch leisten können? Welche Kosten für die Stadt sind eigentlich mit diesen Bautätigkeiten verbunden? Und was wird uns unser heutiger verschwenderischer Verbrauch von Naturressourcen in Zukunft kosten? Schauen Sie doch dafür bitte mal in Ihre Glaskugel.
Wenn mit den Bodenseeforum kein Geld verdient wird, sondern es ein Zuschussgeschäft bleibt, sollte es geschlossen und verkauft oder verpachtet werden. Man könnte es auch der Universität anbieten, die in den nächste Jahren aufgrund der anstehenden Bau- und Sanierungsmaßnahmen Bedarf an Ersatzräumlichkeiten haben wird – aber vielleicht will nicht mal die Universität dort rein.
Ich verstehe bis heute nicht, wie man auf den Gedanken gekommen ist, dass man mit den BoFo eine hinreichende Zahl an Veranstaltungen nach Konstanz bekommen könnte. Es gibt in der Region bereits eine Zahl an Veranstaltungsorten, und Konstanz ist überaus suboptimal an die Verkehrswege (Bahn und Straße) angebunden – außer in Richtung Schweiz, und die Schweizer kommen eh zum Einkaufen.