Gemeinderat krönt neuen Chefdirigenten
Es ist in Konstanz eigentlich guter Brauch, dass die MusikerInnen der Südwestdeutschen Philharmonie nach einigen Probedirigaten ihren neuen Chefdirigenten für die nächsten fünf Jahre selbst wählen. In die Stichwahl kamen dieses Mal zwei Dirigenten (und keine Dirigentin): John Axelrod, ein arrivierter Dirigent, und Gabriel Venzago, ein hochgelobtes, relativ junges Talent. Das Orchester plädierte mehrheitlich für Axelrod, der Gemeinderat entschied sich hingegen für Venzago.
Es ist heutzutage kein gewöhnlicher Vorgang in der eigentlich sehr demokratischen Struktur der Konstanzer Orchesterlandschaft, dass der Gemeinderat (wozu er als künftiger Arbeitgeber berechtigt ist) seinem Orchester einen Chefdirigenten vor die Nase setzt. Nun ist es geschehen: Sowohl der Orchesterausschuss als auch der Gemeinderat stimmten für ein Talent. Die Entscheidung des Gemeinderates ist sicher nicht künstlerisch motiviert: Venzago bietet in den Augen der StadträtInnen bessere Konditionen als Axelrod und – ganz wichtig!, – er wird anders als der international orientierte Axelrod nach Konstanz umziehen, um sich ganz „seinem“ künftigen Orchester zu widmen.
Da stellt sich natürlich die Frage, ob die Entscheidung des Gemeinderates Sinn macht oder nicht eine Ohrfeige für das Orchester ist?
Wirtschaftlich macht diese Entscheidung sicher Sinn: Axelrod ließ in den Vertragsverhandlungen dem Vernehmen nach deutlich erkennen, dass Konstanz für ihn bestenfalls zweite Wahl wäre, aber dass er die Braut für viel Geld zwar gern küssen könne, aber sie nicht unbedingt auch lieben werde. Von Venzago steht zu erwarten, dass er sich der Südwestdeutschen Philharmonie mit Herzblut widmen wird. Dass Axelrod bekannter ist, mehr Erfahrung und Beziehungen hat und wahrscheinlich auch mehr mediale Aufmerksamkeit auf die Konstanzer MusikerInnen lenken und vielleicht lukrativere Gastspiele ermöglichen könnte, ist verlockend. Aber Konstanz wäre für ihn wohl nur zweite Geige.
Insa Pijanka, Intendantin der Südwestdeutschen Philharmonie, beugt sich dem Votum des Gemeinderates: „Wir hatten die Luxussituation, außergewöhnlich starke Kandidaten in dem Verfahren der letzten Sieben zu haben und am Ende zwischen zwei Kandidaten auswählen zu können, von denen jeder ein musikalisch wie persönlich ganz individuelles Profil hat. Beide wären auf ihre Art ein Zugewinn für Konstanz gewesen. Dass der Gemeinderat anders als das Orchester entschieden hat, liegt an dem Umstand, dass er nicht nur das künstlerische Votum berücksichtigen kann, sondern entscheiden muss, welcher Kandidat am Ende das beste Gesamtprofil für die Stadt und die aktuelle Situation hat. Ich bin mir sicher, dass wir mit Gabriel Venzago einen inspirierenden neuen Chef gefunden haben, der dem Orchester viele neue Impulse geben kann. Dass er außerdem noch Konstanzer werden will, ist sicher nicht von Nachteil. Ich hoffe, auch jene MusikerInnen im Orchester, die für John Axelrod gestimmt haben, wird er mit seiner Arbeit schnell überzeugen. Er ist ein toller Künstler und wird eine Bereicherung für die Stadt und die Philharmonie sein.“
Text: Harald Borges. Bild: Nikolaj Lund