BUND-Position zur Standortsuche für das neue Krankenhaus im Kreis Konstanz
Die Ortsverbände Singen und Radolfzell des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sprechen sich aus ökologischen, finanziellen und praktischen Gründen für Sanierung und Ausbau der bisherigen Krankenhäuser in Singen und Radolfzell aus. Hier die umfangreiche Pressemitteilung im Wortlaut.
Der BUND betont, dass ökologische und ökologisch-finanzielle Kriterien in die Standort-Entscheidung einfließen müssen. Die Verantwortlichen des Umweltverbands bewerten die vorgeschlagenen Neubaustandorte in Singen und Radolfzell-Böhringen derzeit nicht. Dies unter anderem deshalb, weil bislang keinerlei Gutachten bzw. keinerlei fachliche Aussagen zu den ökologischen und klimatischen Wirkungen eines Krankenhausbaus dort vorliegen.
Viele Kreisräte, Gemeinderäte, Oberbürgermeister und Bürgermeister sowie andere politisch Verantwortliche bevorzugen derzeit einen Neubau des Krankenhauses an einem neuen Standort. Diese Bevorzugung fußt auf einem Gutachten. Der BUND betont, dass dieses Gutachten aus der Zeit vor dem Ukraine-Krieg stammt. Die Verhältnisse haben sich seither dramatisch verändert:
Die aktuellen finanziellen Entwicklungen in unserem Land zwingen zu einer Neubewertung, betont der BUND, und zu einem akribischen Kostenvergleich
• zwischen Sanierung bzw. Erhalt der bisherigen Standorte einerseits,
• und großzügigem Neubau andererseits, unter Berücksichtigung von Fördermöglichkeiten.
Bei diesem Vergleich müssen alle Kosten für neue Infrastruktur und Begleiteinrichtungen sowie den bei Großprojekten in unserer Zeit üblichen Kostensteigerungen bei Neubauten berücksich-tigt werden. Eine momentan kaum zu benennende Größe, die aber ins Kalkül gezogen werden muss, ist die jetzige und eventuell zukünftige mögliche Preisentwicklung im Rahmen der allgemeinen Verknappung von Baumaterialien.
BUND-Forderungen im Detail
Gesamtbetrachtung aller Kosten inklusive nachziehender Infrastruktur wie …
• neue Parkhäuser,
• Bahnhaltepunkt,
• Bushaltestellen,
• Zufahrtsstraßen,
• Klimawirkung des Baus,
• Klimawirkung im Betrieb,
• Auswirkungen des zusätzlichen Verkehrs,
• ökologische Ausgleichsmaßnahmen,
• Verlust an Artenvielfalt
• und ökologische Schäden sowie finanzielle Kosten durch den Flächenverbrauch.
Auch die möglichen Kosten für die Umnutzung der ursprünglich genutzten Bestandsgebäude sind zu berücksichtigen.
Ein zweites Gutachten sollte die Zahlen des vorliegenden Gutachtens mit dem Hintergrund der Klimawirkung, der Baukostensteigerungen und des potenziellen Bedarfs überprüfen.
Der BUND fordert, die Alternativenprüfung sorgfältig zu wiederholen – unter den neuen Gesichtspunkten wie Kostensteigerung im Bau, Klimawirkung, Kosten für Ausgleiche.
Ökologische Kriterien
In einer Zeit des für alle greifbaren Klimawandels und zugleich eines großen Insekten- und Artensterbens müssen bei der Standortsuche für ein so flächenfressendes Projekt und bei der Prüfung möglicher Varianten ökologische Kriterien auf jeden Fall einbezogen werden, betont der BUND.
Die entscheidenden Fragen dabei:
• Bei welchem Standort ist der Flächenfraß, die Neuversiegelung von Böden, am geringsten? Dabei sind alle Gebäude, alle Straßen und geteerten Flächen sowie die durch deren Bau beeinträchtigte Flächen mit einzurechnen.
• Wieviel klimabedeutsamer Wald wird vernichtet? Wieviel Wald kann ausgeglichen werden? Wie viele großwüchsige Einzelbäume fallen?
• Wie sind die Standorte im Hinblick auf Eingriffe ins Grundwasser und ins Wasserregime allgemein zu bewerten?
• Welcher Aufwand entsteht dadurch, dass wegen hoher Grundwasserstände mit Grundwasserwannen und ähnlichen Techniken gebaut werden muss.
• Welcher Aufwand für auszugleichende Eingriffe wird für die Einrichtung einer kompletten Versorgungsinfrastruktur erforderlich?
• Welche Maßnahmen der Hochwasservorsorge sind notwendig? Dies auch vor dem Hintergrund, dass kein Schmutzwasser in die Aach oder ins Grundwasser dringen darf.
• Welche und wie viele Biotope mit welchem Wert werden zerstört?
• Bei welchem Standort und welcher Variante sind Ausgleiche nach dem Waldgesetz und nach dem Naturschutzrecht am ehesten möglich?
• Welcher Standort ermöglicht die nach ökologischen Kriterien beste Verkehrsanbindung – ggf. auch mit Bau neuer Zug- und Bushaltestellen? Bei welchem Standort ist die Anreise von Patienten, Besuchern und Angestellten mit öffentlichen Verkehrsmitteln am ehesten möglich?
Ökologisch-finanzielle Kriterien
Aus der Notwendigkeit der ökologischen Vorsorge und des gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleichs ergeben sich eine Reihe zusätzlicher, bisher nicht beachteter Kosten, die beim Vergleich der Standorte berücksichtigt werden müssen:
• Der BUND weist darauf hin, dass bei Waldverlust nach dem Landeswaldgesetz ein Ausgleich von mindestens 1:1 vorgeschrieben ist, also mindestens eine neue Baum-pflanzung für jeden gefällten Baum. Ausgleiche nach dem Naturschutzrecht, also für zerstörte Brut- und Nahrungsplätze sowie für Schutzgüter wie Boden, Grundwasser etc. kommen hinzu. Der BUND fordert, dass erstens frühzeitig bekannt gegeben wird, wo im Landkreis man die Flächen hernehmen und finden will, auf denen dieser „Ersatzwald“ und die weiteren Ausgleichsmaßnahmen verwirklicht werden können. Zweitens müssen die Kosten für diese Flächen, für die Pflanzungen und für die anderen Maßnahmen bei der Standortsuche mitberücksichtigt und eingepreist werden.
• Wird ein Standort gewählt, der überwiegend landwirtschaftlich genutzt wird, so ist nach Auffassung des BUND ein Flächen- oder Geldausgleich für diejenigen bäuerlichen Betriebe erforderlich, die heute dort wirtschaften – zusätzlich zum Ausgleich für das Schutzgut Boden. Ziel muss es sein, dass die entsprechenden Höfe erhalten bleiben.
• Zur ökologischen Vorsorge gehört auch der Grundwasser- und Hochwasserschutz. Welche Kosten entstehen dadurch, dass wegen hoher Grundwasserstände mit Grundwasser-wannen und ähnlichen Techniken gebaut werden muss? Welche Maßnahmen der Hoch-wasservorsorge sind notwendig und was kosten sie? Dies auch vor dem Hintergrund, dass kein Schmutzwasser in die Aach oder ins Grundwasser dringen darf.
• Schließlich gehören zur ökologischen Vorsorge die Erreichbarkeit des Krankenhauses mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem Fahrrad oder zu Fuß. Beim Neubaustandort Singen wird der Bau eines neuen Seehas-Haltepunkts plus Bushaltestellen, beim Radolfzeller Vorschlag ein Shuttlebus vorgeschlagen, für den ebenfalls der Bau von Bushaltestellen am Krankenhaus und an Bahnhöfen erforderlich ist. Das sind Kosten, die beim Erhalt des bisherigen Standorts nicht anfallen würden.
• Bei einem neuen Standort des Krankenhauses müssen auch deutlich mehr Zufahrten für Fahrzeuge gebaut – und damit Flächen versiegelt werden – als das beim Erhalt der bisherigen Standorte der Fall wäre.
Flächengröße bei Neubau
[the_ad id=“87862″]Je nach Betrachtungsweise sind bis zu drei Standorte für das Großkrankenhaus im Kreis Konstanz im Gespräch, einer in Radolfzell-Böhringen, einer in Singen-Nord und der Standort des bisherigen Krankenhauses in Singen, mit einer möglichen Teilnutzung der Radolfzeller Klinik. Der BUND hat ermittelt, dass die in Anspruch genommene Fläche des Großkrankenhauses Villingen-Schwen-ningen 700 x 700 Meter oder 49 Hektar umfasst – mit allen Nebengebäuden, Parkhäusern, neu gebauten Zufahrtstraßen und Bus-Infrastruktur. Da der Kreis Konstanz mehr Einwohner hat als der Schwarzwald-Baar-Kreis und da es die Tendenz gibt, im Lauf der Jahre eher größer als kleiner zu bauen, geht der BUND von einem Flächenverbrauch für das geplante Großkrankenhaus von bis zu 100 Hektar aus, eine Fläche so groß wie der Mindelsee bzw. so groß wie 93 Fußballfelder.
Gesetzlicher Rahmen und Vorsorge
Auch am Tag der Berichterstattung über die Planungen zum neue Großkrankenhaus betonten Wissenschaftler, dass es beim Klimawandel und beim gleichzeitigen großen Insekten- und Artensterben um nicht weniger als das Überleben von uns Menschen geht. In dieser Lage brauchen wir buchstäblich jeden Baum, und wir können es uns einfach nicht mehr erlauben, hektarweise Natur zu versiegeln.
Der BUND hat den Eindruck, dass die Verantwortlichen Wald, Äcker und Biotope genauso leichtfertig preisgeben wie schon immer in den vergangenen Jahrzehnten. Es geht nach Auffassung des BUND eben nicht allein darum, ob unsere Gesundheitsvorsorge kostengünstiger organisiert werden kann, sondern auch, ob unsere Kinder und Enkel auf dieser Erde noch werden leben können. Der BUND fordert alle Verantwortlichen – wie Klinikplaner, Oberbürgermeister und Bürgermeister sowie Kreis- und Gemeinderäte und die Behörden – dazu auf, die vom BUND genannten Fragen verantwortungsvoll und im Sinne unserer Kinder und Enkel zu beantworten.
Die Entscheidungsträger müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie sich für ihre Entscheidung und deren Folgen bei allen Bürgern und Bürgerinnen werden rechtfertigen müssen. Sie sollten in ihrer Entscheidung den Artikel 20a unseres Grundgesetzes berücksichtigen: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere (…).“
Text: Medienmitteilung
Hände weg von unseren Krankenhäusern! Wohnortnahe Krankenhäuser sind gerade auf dem Land, als wesentliche Ergänzung der medizinischen Versorgung, unverzichtbar. Darauf weist aktuell eine Petition von Bettina Natter-Kollmuß hin (Erhalt der Klinik Tettnang), die bisher 15.971 Unterstützer gefunden hat. Es werden täglich mehr.
Karl Lauterbach und Manfred Lucha im Länd wollen mittels Gesundheitskiosken, die eigentlich nur der Beratung dienen, die Kommunen und Krankenkassen belasten. Peter Noack, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin/Brandenburg findet neben vielen Mitstreitern: „Angesichts der angespannten Finanzlage bei den Krankenkassen die Pläne des Gesundheitsministers vollkommen kontraproduktiv. Nach ersten Schätzungen würden sich die Kosten für 1.000 Gesundheitskioske auf rund eine Milliarde Euro pro Jahr belaufen. 745 Millionen davon würden auf die Krankenkassen entfallen.“ Man muss sich mit anfallenden Einsatz-, Fahrt- und Transportkosten (RTW und Hubschrauber) auseinandersetzen.
Die Kiosk-Lasten liegen bei den gesetzlichen Krankenkassen (74,5 Prozent) der Gesamtkosten, die private Krankenversicherung trägt 5,5 Prozent und die Kommunen 20 Prozent. Der Bund schleicht sich aus der Verantwortung.
Die Linke Bodenseekreis erinnerte daran: „In Sonntagsreden wird vom Gesundheitsminister der große Einsatz und das heldenhafte Engagement von Ärzt*innen und Krankenpfleger*innen in der Pandemie gelobt. Gleichzeitig wird ein Krankenhaus nach dem anderen zugemacht. Zuletzt waren das in der Region das 14 Nothelfer Krankenhaus in Weingarten, die Geburtsstation in Bad Saulgau, nun sollen die Kliniken Pfullendorf, Bad Waldsee, Bad Saulgau und Tettnang folgen. Auch die bereits bestehenden Pläne um die geplante Verlegung des Rettungshubschraubers „Christoph 45“ werden von vielen Akteur*innen des Gesundheitsbereich als folgenreiche, strategische Schwächung des Gesundheitssystems im Bodenseekreis bewertet. Die Politik setzt weiter auf wenige, zentrale Häuser, die alles anbieten müssen – aus Kostengründen und voranschreitender Profitorientierung des Gesundheitssektors.
„Für die Mitarbeiter*innen (nicht nur) in Tettnang hieße das neben der Unsicherheit des Arbeitsplatzes künftig auch: weite Wege zur Arbeitsstelle und damit auch höhere Kosten und mehr Zeit auf der Straße.“ Es gibt also mehr als die ökologische Sichtweise zu beachten. Was besonders ins Gewicht fällt ist, dass Tourismus in der Krankenhausbedarfsplanung wohl nicht berücksichtigt wird.
https://www.change.org/p/sozialminister-baden-w%C3%BCrttemberg-erhalt-der-klinik-tettnang/u/30300704
Das war zu befürchten, dass die Kakophonie sich ins Unendliche erweitert. Alles nach der Devise: Wer noch nicht mitgeredet hat, bitte umgehend melden. Es ist zwar alles längst gesagt, aber eben nicht von jedem.
Danke dafür. Es ist zu hoffen, daß diese Pressemitteilung nicht ins Sommerloch fällt, sondern von möglichst vielen Menschen wahrgenommen und auf ihre Bedeutung hin verstanden wird.