Der Grenze zum Trotz: Das Tägermoos
Auf der einen Seite das Rheinufer, auf der anderen der Thurgau, östlich die deutsche Stadt Konstanz und westlich das Schweizer Dorf Tägerwilen: das Tägermoos ist umsäumt von einer herrlichen Landschaft und historischen Orten. Heutzutage wird es sowohl von schweizerischen als auch von deutschen Bauern bewirtschaftet. Obwohl das Gebiet Tägermoos offiziell in der Schweiz liegt, hat die Stadt Konstanz Verwaltungsaufgaben und Liegenschaftsrechte.
Das Tägermoos gilt in der Region rund um den Oberrhein und Untersee als seit jeher hart umkämpftes Gelände. Bereits 1499 gab es Streitigkeiten, die erst 1831 mit einem offiziellen Staatsvertrag geklärt werden konnten. Aber zurück zum Ursprung: Wer sich für langatmige Kriegsgeschichten nicht interessiert, verliert möglicherweise schnell das Interesse an diesem Gebiet. Bis ins Mittelalter wird der Hoheitsstreit über das Tägermoos zurückverfolgt. Es ist eine Geschichte voller Kriege, Verträge und Eidgenossenschaften. Es ist aber auch eine Geschichte, die von der fruchtbaren und freundlichen Zusammenarbeit zwischen dem Thurgau und Konstanz erzählt. Kurz gesagt, es ist eine phänomenale Historie, die diese Zone mit sich bringt.
Trügerische Idylle
[the_ad id=“87862″]Das Tägermoos ist auch heute ein beliebter Landstrich für Spaziergänger. Am Rheinufer entlang, zwischen Ackern und Feldern bis zum Strandbad Tägerwiler Badi, kann man hier die Seele baumeln lassen. Seinen Namen trägt das Tägermoos wegen der lehmig-feuchten Erde. Der altdeutsche Begriff „teger“ wurde für Lehmerde benutzt. Der Begriff „Moos“ weist auf sehr feuchtes Gebiet hin, denn das Tägermoos war über die Jahrhunderte immer wieder Überschwemmungen ausgesetzt. Bevor hier ruhige Sonntagsspaziergänge gemacht wurden, fanden im Tägermoos sogar Hinrichtungen statt. Die Idylle, die diese Region ausstrahlt, wenn man im Sommer an den Blumenfeldern und bewirtschafteten Ackern vorbeiradelt, ist insofern trügerisch, als sie Grund für viele Streitigkeiten war. Diese konnten aber am 28. März 1831 letztlich begraben werden. Als das Großherzogtum von Baden und der Thurgau eine Einigung fanden, wurde ein „ewig geltender“ Vertrag aufgesetzt: „Staatsrechtlich gehörte das Tägermoos zur Schweiz, auf Gemeindeebene zu Tägerwilen, doch die deutsche Stadt Konstanz übte über die Gemarkung bestimmte kommunale Rechte nach Maßgabe des thurgauischen Gemeinderechts aus“, schreibt Tobias Engelsing, Direktor der städtischen Museen Konstanz, in seinem Buch „Das Tägermoos – Ein deutsches Stück Schweiz“.
Ein veralteter Vertrag
Heutzutage gilt diese Regelung nach wie vor. Auch wenn der Vertrag bereits 1831 aufgesetzt wurde und kaum noch aktuell sein kann, gilt er als Staatsvertrag. Das bedeutet, dass Änderungen nur auf Bundesebene geklärt werden können. Bern und Berlin haben wohl oder übel andere Aufgaben und so arrangieren sich die Kommunen rund um das Tägermoos.
„Auf der Arbeitsebene funktioniert die Zusammenarbeit mit Tägerwilen sehr gut“, sagt Christoph Sigg, Amtsleiter für Liegenschaften und Geoinformationen der Stadt Konstanz. Das Liegenschaftsamt ist unter anderem für die Kleingärten im Tägermoos zuständig. „Wir arbeiten in gutem Einvernehmen“, fügt der Gemeindeammann von Tägerwilen, Markus Ellenbroek, hinzu. „Aber man muss auch sagen, dass übergeordnete Probleme nicht gelöst sind. In unserer jährlichen Grenzlandkonferenz konnten wir beispielsweise nicht die Frage der medizinischen Notfälle lösen. Wenn ein deutscher Bauer einen Unfall hat, kann er natürlich die Schweizer Ambulanz rufen. Aber zahlt das dann auch die Versicherung? Solche Fälle sind diskutabel und letztlich auf kommunaler Ebene nicht zu klären.“
Nicht nur die Frage der medizinischen Notfälle bedarf einer engen Kommunikation der beiden Gemeinden. Als die Grenzen pandemiebedingt geschlossen waren, mussten schnell Sonderregelungen für die Bauern und Kleingartenbesitzer im Tägermoos beschlossen werden. Tatsächlich durften deutsche Kleingartenbesitzer 2020 ihre Gärten für einige Zeit nicht besuchen. „In so einer Zeit bewährt sich die lange Zusammenarbeit. Tägerwilen hat die Rasen gemäht und auch mit Securities nach dem Rechten gesehen“, erzählt Herr Sigg.
Der veraltete Vertrag bringt, trotz harmonischer Zusammenarbeit, immer wieder Diskussionspotential mit sich. Die Konstanzer genießen die Rechte im Tägermoos, während die Schweizer sich immer wieder fragen: kann das alles noch aktuell sein? „Die operative Ebene ist wirklich originell, das muss man fast schon so lassen“, sagt Ammann Ellenbroek und schmunzelt dabei. Vor allem im Steuerrecht kommt der Vertrag an seine Grenzen. „Im Grunde ist der Staatsvertrag klar und wird auch so gelebt. Es gab mal eine Arbeitsgruppe, die sich beispielsweise mit KFZ-Themen beschäftigte: Darf ein Traktor mit deutschem Kennzeichen in der Schweiz am Acker stehen bleiben? Diese Arbeitsgruppe ruht derzeit allerdings. Steuerliche Fragen können auf kommunaler Ebene nicht geklärt werden“, erklärt der Konstanzer Stadtkämmerer Ulrich Schwarz.
Wer am meisten darunter leidet, sind letztlich die deutschen Bauern, die der Bürokratie zweier Länder ausgesetzt sind. Während sie ihre saisonalen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nach Schweizer Arbeitsrecht entlohnen, müssen sie ihre Steuern in Deutschland bezahlen. Dadurch erhalten sie keine Direktzahlungen aus der Schweiz. Von deutscher Seite sind Zuschüsse auch nicht vorgesehen, denn die Betriebsstätten der Bauern liegen in der Schweiz. Sie leben also, wie man so schön sagt, „von der Hand in den Mund“. Viele der deutschen Bauern beliefern schweizerische sowie deutsche Händler. Dafür sind Zertifizierungen in beiden Ländern nötig, was sich für die Bauern trotz doppelter Kontrollen aber durchaus lohnt. Die Teilnahme am Konstanzer Wochenmarkt ist für die Tägermooser Bauern uninteressant. „Ich kann mit meinem Gemüse natürlich rüber auf den Konstanzer Wochenmarkt fahren, aber alles, was ich wieder zurück ins Tägermoos bringen will, muss dann verzollt werden“, sagt Rainer Schächtle. Er ist einer der „Paradiesler“ – ein Bauer, ansässig im Paradies mit ca. sechs Hektar Flächenbesitz.
Bizarre Vorteile für die Umwelt
Als 1970 der Bau einer Autobahn durch das Gemüseland gebilligt wurde, hatte dies eine nachhaltige Wirkung. Zum einen wurden 17 Hektar vom Tägermoos abgetrennt, zum anderen bewirkt sie bis heute ein enormes Verkehrsaufkommen. Nicht nur die Erschließung der deutschen B33 zur Schweizer Nr 7, sondern auch die Straße, die in früheren Jahren schon durch das Tägermoos bis Gottlieben gebaut wurde, wird an verkehrsreichen Tagen bis zu 10.000 Mal befahren. Dass das für die Umwelt keine Vorteile birgt, ist klar. „Angesichts des aktuell zunehmenden Siedlungsdrucks, der auf dem Tägermoos lastet, ist die Schutzfunktion des bisherigen Rechtszustands nicht zu unterschätzen. […] So gesehen hat das staatsrechtliche Kuriosum Tägermoos, so überholt und bizarr es erscheinen mag, noch eine sehr wünschenswerte Nebenwirkung: Es schützt ein großes Stück Grünland vor der unwiederbringlichen Zerstörung durch Überbauung“, schreibt Tobias Engelsing. Trotz der gebauten Straßen steht das Tägermoos also wie unter einer Art Naturschutz.
Man kann nur hoffen, dass sich Bern und Berlin weiterhin anderen Aufgaben widmen und das Tägermoos mit seinen Bauern, Feldern und der sumpfigen Rheinlandschaft das bleibt, was es irgendwie schon immer war: ein Stück Land für alle.
Text: Linda Lengler, Bilder: Fehrenbach (oben und unten), O. Pugliese
Sehr geehrte Frau Lengler,
in Ihrem Bericht über das Tägermoos fehlt ein ganz wesentlicher Bestandteil: Für die Finanzierung eines Krankenhausneubaus in Konstanz hat die Stadt Konstanz Anfang der 70er Jahre einen erheblichen Teil seiner Grundstücksanteile im Tägermoos an die Schweiz verkauft. Dadurch war z.B. der Bau des Zollhofs und die Heranführung der Schweizer Nationalstraße 7 (die Autobahn) an die Grenze zu Deutschland überhaupt erst möglich; ein Umstand den Sie als „gebilligt“ umschreiben. Die Stadt KN hatte sich gerade durch den Verkauf, selbst in eine überaus schlechte Verhandlungsposition gebracht!
Im Übrigen möchte ich Sie darauf hinweisen, dass zumindest ein erheblicher Teil des Tägermooses überhaupt kein Land „für alle“ ist, denn viele Felder und Grundstücke sind in Privatbesitz und werden entsprechen genutzt, auch siedeln sich dort immer mehr Firmen an.
Das was Sie als „sumpfige Rheinlandschaft“ bezeichnen, sind mit Schilf bewachsene Uferzonen und damit Lebensräume von Wasservögel und Amphibien etc. Und „eine Art Naturschutz“ geniesst diese Region schon lange nicht mehr, denn leider beobachte ich immer wieder Feiernde, die sich verbotenerweise in die Schilfzonen hineinbewegen, ihren Müll zurücklassen sowie der Natur insgesamt erhebliche Schäden zufügen.
Die Menschen, die im Tägermoos seit Generationen von Gemüseanbau und -handel leben, werden von Ihnen als „Bauern“ bezeichnet (sie betreiben aber keine Viehzucht). Es handelt sich hierbei aber – political correct – um ‚Gemüsegärtner‘ als korrekte Berufsbezeichnung, nicht um Bauern.