Soziale Stadt? „Da bin ich schon mal vorbei geradelt“
Der Mieterbund hatte acht OB-KandidatInnen zur Diskussion über die Konstanzer Wohnraumprobleme ins Landratsamt gebeten. Gut 100 BürgerInnen waren gekommen und wurden mit einem Thema konfrontiert, das fast alle angeht und auch in Zukunft auf der kommunalpolitischen Tagesordnung ganz oben stehen wird. Zwei KandidatInnen überzeugten, zwei bislang hoch eingeschätzte Bewerber offenbarten große Schwächen, einer fiel ganz durch.
Mieterbund-Chef und SPD-Stadtrat Herbert Weber zeichnete in seiner Eingangsbemerkung ein düsteres Bild. Bis 2030 wachse die Stadt auf etwa 85 000 Einwohner. Wo sollen die alle wohnen? Denn heute schon stehen viele auf den Wartelisten. Die Mieten in der größten Stadt am Bodensee sind jährlich gestiegen und Konstanz gehört seit einiger Zeit zu den sieben teuersten Städten Deutschlands. Erst neulich, so Weber, habe ihm ein Vermieter erzählt, dass es für seine 3-Zimmer-Wohnung 130 Bewerbungen gegeben habe. Das ursprüngliche Ziel von 300 neuen Wohnungen jährlich, wurde „nicht erreicht“. Heute wisse man, dass man „sogar 400 neue Wohnungen“ pro Jahr brauche, nicht nur für Studenten, sondern auch für Familien mit Kindern. Leider, merkte Weber kritisch an, stünden rund 500 Ferienwohnungen und etwa ebenso viele Zweitwohnungen weitestgehend leer. Auch da sehe er Handlungsbedarf.
Was also tun, wurden die KandidatInnen gefragt, die sich um die Nachfolge des scheidenden Oberbürgermeisters Horst Frank bemühen. Nicht alle OB-Bewerber wurden geladen, fünf blieben außen vor. Webers Begründung: „Wir haben nur die zu uns gebeten, die im Vorfeld Kontakt mit uns hatten, außerdem haben wir unsere Mitglieder gefragt, wen sie gerne auf dem Podium hätten“. Ausgewählt wurden: Sabine Seeliger (Grüne), Sabine Reiser (CDU), Mykola Neumann (parteilos), Sven Zylla (SPD), Martin Luithle (parteilos), Henning Tartsch (parteilos), Uli Burchardt (CDU) und Andreas Kaltenbach (CDU).
Kandidat ohne Meinung
Wer auf schnell umsetzbare Lösungsvorschläge gehofft hatte, ging etwas ratlos von dannen. Kein Wunder, denn Bauflächen sind rar in und auch um Konstanz und auch neue Baugebiete müssen zuallererst auf ihre Eignung überprüft werden. Immer wieder geisterten die Gebiete Gerstäcker und Hafner durch die Runde. Für eine Wohnbebauung dort sprachen sich fast alle aus, wobei die kommunalpolitisch erfahrene Seeliger darauf verwies, dass man vor allem im Hafner reichlich Geld in die Hand nehmen müsse, weil es dort an Infrastruktur fehle. OB-Bewerber Burchardt wirkte etwas desorientiert und hatte dazu keine nachvollziehbare Meinung.
Innerstädtisch, so die KandidatInnen unisono, müsse man „maßvoll nachverdichten“. Und ja, der soziale Wohnungsbau, eingestellt durch die Schwarz-gelbe Koalition, sollte umgehend reanimiert werden. Leerstehende Gebäude, wie beispielsweise das Telekom-Hochhaus, könnten für studentisches Wohnen schnell hergerichtet werden, meinten vor allem Reiser, Seeliger und Neumann. Letzterer möchte auch im Alter, „junge Menschen um sich haben“. Kandidat Tartsch plädierte für den Ausbau vieler Dächer, denn dadurch bekäme man auch das studentische Wohnproblem in den Griff. Natürlich, so Tartsch, müsse man dafür im Vorfeld flott die Bauvorschriften ändern. Luithle äußerte mehrmals die Meinung, da es nun das Studiticket gäbe, sollten sich die Studis gefälligst im Konstanzer Hinterland eine Bleibe suchen. Zylla mahnte eine „sozialraumorientierte Planung“ an, versäumte es aber, zu erklären, was er damit konkret verbindet. Zugegeben: Bei maximal zwei Minuten Redezeit sind nicht nur politische Quereinsteiger oft überfordert.
Dauerbrenner Döbele
Ist Wohnbebauung auch am Döbele möglich? Da gingen die Einschätzungen ziemlich auseinander. Tartsch will dort ein Parkhaus mit 900 Plätzen. Dass er damit einem totalen Verkehrsinfarkt das Wort spricht, ficht ihn nicht an. Auch Kaltenbach schlug in diese Kerbe. Luithle hätte an dieser Stelle gerne ein „rückbaubares und stählernes Parkhaus“. Würde auch architektonisch gut ins Altstadtbild passen, raunte ein Zuhörer spöttisch. Reiser favorisiert eine „moderate Wohnbebauung“ inklusive Tiefgarage. Wie sie sich das konkret vorstellt, konnte sie aus Zeitmangel nicht weiter ausführen. Zylla hält an dieser Stelle Parken und Wohnen für möglich. Seeliger erteilt einem reinen Parkhaus eine klare Absage. Das Döbele sei vor allem „wertvolle Wohnfläche“, über das konkrete Vorgehen müsse man sich umgehend Gedanken machen. Ein Vorschlag, der seit Jahren vor sich hin dümpelt, denn das Döbele ist neben dem Lutherplatz innerstädtisch eine der wenigen Flächen, auf denen Wohnbebauung noch möglich ist. Uli Burchardt entzog sich erneut einem wichtigen Thema: „Ich lege mich da nicht fest“.
Bei der anschließenden Fragerunde aus dem Publikum trennte sich die Spreu vom Weizen. Warum denn den KandatInnen das integrative und bundesweit gelobte Wohn- und Kulturprojekt „Soziale Stadt“ im Berchengebiet keine Bemerkung wert gewesen sei, wollte die frühere Stadträtin Christine Hähl wissen. Die Antworten waren ernüchternd. Tartsch: „Kenne ich nicht, kann mich ja nicht um alles kümmern“. Kaltenbach: „Kenne ich auch nicht“. Burchardt: „Kenne ich nicht, habe aber Gutes gehört“. Neumann: „Keine Ahnung, war noch nicht dort“. Zylla ist wenigstens schon mal „dran vorbei geradelt“. Luithle setzte noch einen drauf. Auch ihm sei das Projekt unbekannt, außerdem habe er im Wahlkampf „Wichtigeres“ zu tun. Nach Meinung vieler BürgerInnen hat sich der Rechtsanwalt mit dieser ignoranten Bemerkung als halbwegs ernstzunehmender Bewerber selbst aus dem Rennen genommen. Im Gegensatz dazu lobten Reiser und Seeliger das Projekt „Soziale Stadt“ als „vorbildlich“, wegweisend auch für andere Quartiere und „absolut förderungswürdig“. Beide haben sich vor Ort mehrmals umgeschaut und wissen um die enorme Bedeutung solcher Initiativen.
Seeliger und Reiser setzen sich ab
Ziemlich eindeutig die Stimmungslage unter den Besuchern nach Ende der Veranstaltung. Seeliger, und knapp dahinter Reiser, kamen am besten an und scheinen sich als Topfavoritinnen für das Amt einer Oberbürgermeisterin allmählich vom Rest der Bewerber abzusetzen. Erstaunlich gut gehalten hat sich aber auch Kandidat Kaltenbach, der mehrmals erkennen ließ, dass ihm die Konstanzer Verhältnisse durchaus bekannt sind. Uli Burchardt hingegen blieb den ganzen Abend über völlig blass und desinformiert. Hat CDU-Stadtrat Alexander Fecker doch Recht, wenn er Burchardts OB-Ambitionen als „heiße Luft“ bezeichnet? Oder rettet den Kandidaten, dass ihn die Ortszeitung fast täglich schön schreibt? Gerätselt wurde über den SPD-Bewerber Zylla auf. Auch sein Parteiumfeld war irritiert. Zylla wirkte fahrig und nicht ganz bei der Sache. Oft nutzte er nicht mal die knapp bemessene Redezeit. Bei der Wohraumdebatte hätte er punkten können. Die Chance hat er nicht genutzt. Viele wird er nicht mehr bekommen.
Autor: H.Reile
Nun stellt sich natürlich die Frage, wie oft sich die Gemeinderäte bisher im Berchen haben blicken lassen. Dass sie ihr Interesse auf den innerstädtischen Horizont begrenzen, ist traurig. Bei der Eröffnung des neu gestalteten Berchen-Spielplatzes zumindest war die Anzahl der Räte übersichtlich. Nicht wahr, Herr Reile?
Ehrlichgesagt, weiß ich nicht, wo das Problem der Studenten ist. In Ostdeutschland gibt es billigen Wohnraum, gute Unis mit guter Lehre und Einzelbetreuung der verwöhnten Sonnendeckbewohner. Warum nach Konstanz ziehen, wenn es hier so schwer ist? Bedeuten Angebot und Nachfrage gar nichts mehr in unserer marktfeindlichen Gesellschaft? Ist der Horizont zu eng? Selbst zu den Wagnerfestspielen in Bayreuth hat man es von Sachsen nicht weit und kann dort sicher auch Frau Reiser treffen hohoho. Nee, im Ernst: einfach nicht in Konstanz studieren, weil hier der Wohnraum knapp ist. Dort studieren, es genügend Kapazitäten gibt. Sonst überhebt sich Papi womöglich noch finanziell . . . .
Zum zweiten: die Zweitwohnungssteuer in Konstanz drastisch erhöhen, damit der Böblinger Zahnarzt auch mal was nützliches tut.
Zum dritten sollten Firmen und Institutionen, die Mitarbeiter in Konstanz beschäftigen wollen, eigenständig und proaktiv für Wohnraum und Kinderbetreuung sorgen und nicht immer den Staat dafür einspannen.
Das ist wohl ein Witz, das die Möchtegern (OBs), nichts von unserem Berchengebiet wissen, geschweige denn überhaupt was wissen über die Gebiete in KN. Ich war auch noch nicht in allen Winkeln in KN, aber den künstlich angekurbelten Mietspiegel, kenne auch ich. Jetzt weiß ich wenigstens wer dafür verantwortlich ist. Ausgerechnet der DMB, bei dem ich wieder Mitglied werden wollte. Nein danke, Rechtsschutz mit Mietschutz geht auch. Nun für die Linke bin ich nicht, auch wenn sie Tatsachen objektiv betrachtet (die ganze Wahrheit des Mietwuchers in KN). Das Leerstehen von vielen Wohnungen am See, ist sehr bedenklich und Menschenunwürdig. Bei den fleissigen Deutschen hört die Arbeit einfach auf, wenn der Vermieter nicht genügend Profit hat.
Mieterbund-Chef Herbert Weber hat es selbst gehörig mitzuverantworten, dass die Mieten in Konstanz maßlos steigen!
Solange er den „Konstanzer Mietspiegel“ hochlobt und verteidigt, obwohl gerade dieser die Vermieter dazu ermutigt die Mieten zu erhöhen, wird sich an der Misere unbezahlbarer Mieten in dieser Stadt schwerlich etwas ändern lassen.
(Ich frage mich ohnehin, warum diese Fehlbesetzung für Mieterinteressen trotzdem immer wieder mit hohem Stimmenanteil in den Gemeinderat gewählt wird!)
Von der neuen Oberbürgermeisterin erwarte ich schnelles Handeln in Sachen Wohnungspolitik kurz nach der Wahl!
Die Umwandlung von leerstehenden Gewerbeflächen in vorübergehenden studentischen Wohnraum sollte im Herbst zügig realisiert werden.
Die Doppeljahrgänge (G8 und G9) streben zum Wintersemester an die ach so viel gepriesene Exzellenz-Uni.
Um ein Beispiel zu nennen: das Studentenwerk „Seezeit“ hinkt mit der Zurverfügungstellung von erforderlichen studentischen Wohnraumplätzen hinterher.
Zum 30. September erhielten z.B. sämtliche ca. 250 Studis in einem Wohnheim auf dem Chérisy-Areal die Kündigung (wohl auch aufgrund eines Besitzerwechsels der Immobilie) und wissen nicht wohin.
Danach wird sich „Seezeit“ damit brüsten können, 250 neue Wohnheimplätze für Erstsemester (mit natürlich gestiegenen Mietpreisen) anbieten zu können.
Gleichzeitig hat sich die Mehrheit des Gemeinderates von Verwaltung und Privatinvestoren narren lassen, die auf eben diesem Areal ein sog. Studi-Wohnheim bauen möchten.
Dass sich der „Normalstudi“ die Miete des Privatwohnheims nicht wird leisten können und dass dieses sog. Studi-Wohnheim nach kürzester Zeit anderen Nutzungen zugefügt werden wird, ist längst erwiesen.
Ich verlange von der künftigen Oberbürgermeisterin, dass sie sofort nach der Wahl das Thema Wohnraum zur Chefinnensache macht und z.B. zügig für einen (nicht sehr aufwändigen) Umbau des Telekomgebäudes in vorübergehenden studentischen Wohnraum sorgt.
Und natürlich erfordert das Thema Wohnraum einen „Runden Tisch“!
Stefan Frommherz, Mitglied des Kreisvorstandes der Partei DIE LINKE Konstanz