Das Fahrradparkhaus nimmt Gestalt an
Wenn sich heute der Beirat für Architektur und Stadtgestaltung der Stadt Konstanz – Gestaltungsbeirat (GBR) versammelt, steht vor allem ein Projekt auf der Tagesordnung, das das Antlitz der Stadt eines fernen Tages erheblich verändern könnte: Abriss und Neubau der Ladenzeile am Bahnhof, in der neben „Nutzungseinheiten für Gastronomie und Reisendenversorgung“ auch ein öffentliches WC, Lagerflächen und vor allem ein Fahrradparkhaus entstehen sollen.
Dass die Bahn besonders schnell sei, wird ihr niemand nachsagen, der sie kennt, und auch das Vorhaben der Verbesserung des Bahnhofsumfeldes in Konstanz reift in den Gärtanks der Planer*innen schon eine ganze Weile vor sich hin. Immerhin bereits im Jahre des Herrn 2011 wurde ein Rahmenplan veröffentlicht, und seitdem finden Gespräche zwischen der Stadt Konstanz und der DB Station&Service AG (DB S&S) statt. Letztere ist nämlich Eigentümerin der Ladenzeile sowie des schweizerischen Bahnhofs.
Immerhin dürfte hier einer der größten Eingriffe in das Stadtbild geplant sein, den Konstanz in den letzten Dezennien erlebte. Das Bahnhofsempfangsgebäude in seinem putzigen Zuckerbäcker-Mischmasch-Stil wurde 1863 eröffnet, die großherzogliche Wartehalle (heute eine Bäckerei-Filiale) wurde 1910 errichtet, auf dass die hohen Herrschaften sich nicht unters gemeine Volk mischen mussten. Und die Ladenzeile wurde irgendwann nach dem Krieg errichtet und enthält das 1905 gebaute pavillonartige Fremdenverkehrsbüro, so steht es zumindest in der Sitzungsvorlage. Dass der etwa 290 m lange und durchschnittlich 25 m breite Bahnhofplatz mit einer Fläche von ca. 7.500 m², „verstärkt durch Alleebäume ursprünglich als boulevardartiger Straßenraum wirkte“, kann man sich aber beim besten Willen nicht mehr vorstellen. Die Gegend gehört derzeit zu den Schmuddelecken der Stadt, aber das soll sich ja irgendwann ändern.
Die Stadt sagt, wo’s langgeht
Wer das Sagen beim Projekt Ladenzeile hat, ist klar geregelt: Es handelt „sich bei der Fläche um eine bahngewidmete Fläche, die bei reiner eisenbahnbetriebsbezogener Nutzung in die Genehmigungshoheit der Bahn selbst fällt. Da es sich hier aber um eine bahnfremde Nutzung handelt (zumindest die bahnbetriebsbezogene Nutzung deutlich untergeordnet ist), muss im Verfahren zwar die Bahnverträglichkeit geprüft werden, die Genehmigungszuständigkeit liegt aber bei der zuständigen Baurechtsbehörde (Stadt Konstanz, BDA).“ Mit anderen Worten: Das Ding gehört zwar irgendwie zum Bahnhof, dient aber nicht dem eigentlichen Zugverkehr, daher hat die Stadt zumindest das vorletzte Wort und kann der Bahn einige Daumenschrauben anlegen.
Da in der Innenstadt, und vor allem an Marktstätte und Bahnhof ein eklatanter Mangel an Abstellmöglichkeiten für Fahrräder herrscht (während Autos ja massenhaft spottbillige Parkplätze in den umliegenden Parkhäusern finden), ist die Idee naheliegend: Ein Fahrradparkhaus muss her. Beim Neubau der Ladenzeile soll das Parterre ähnlich wie bisher genutzt werden, und das Dachgeschoss soll ein Fahrradparkhaus mit Servicestation beherbergen. Vor allem Pendler werden dort leidlich diebstahls- und wettersichere Fahrradparkmöglichkeiten finden, und an der Servicestation kann mensch das Rad tagsüber reparieren lassen, während er irgendwo anders dem Mammon nachjagt. Außerdem soll es zusätzlich zur Fahrradwerkstatt auch einen Fahrradverleih geben. 600 Fahrräder sollen irgendwann in dieses Parkhaus passen, vermutlich ist das bis zur Fertigstellung allerdings nicht mehr als der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein.
Neubau ohne Rückseite
Damit der Neubau kein vor allem an den Profitinteressen der Bahn orientierter Klotz wird, hat die Stadt einige Eckpunkte definiert, die sich an der Traufhöhe des Bahnhofs orientieren. So soll das Erdgeschoss etwa 4,50 Meter hoch werden und das Fahrradparkhaus auf dem Dach ca. 3,50 Meter.
Auch das ästhetische Empfinden rührt sich frühzeitig: „Darüber hinaus ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass der geplante Neubau mit seiner Ausrichtung nach allen Seiten ein Gebäude ohne Rückseite ist.“ Der Bau soll also von allen Seiten aus schmuck anzusehen sein. Der Orpheus, der die Vorlage für den Gestaltungsbeirat gedichtet hat, greift an dieser Stelle volltönend in seine Harfe: „Mit hoher öffentlicher Sichtbarkeit und als Symbol für nachhaltige, emissionsfreie und multimodale Mobilität in der Stadt, soll der Neubau der Ladenzeile inkl. Fahrradparkhaus dem Ort eine spezifische Identität geben und insgesamt die Attraktivität des Mobilitätsschwerpunktes am Bahnhof Konstanz erhöhen.“
Was das Fahrradparkhaus angeht, sind die Vorstellungen klar: Platz für mindestens 600 Fahrräder, die über eine Rampe entlang der Straße oder am Bahnsteig in den ersten Stock geschoben werden können. Für etwas weniger sportlicher Radler*innen soll ein Fahrstuhl für mindestens fünf Fahrräder eingebaut werden. Man will bei der Planung übrigens auch Lastenräder sowie Fahrradanhänger berücksichtigen. Außerdem ist eine „enge, funktionale Verknüpfung der Rampenzufahrt mit der Radservicestation im EG und dem dortigen Übergabepunkt für das Angebot ‚Garderobenparken‘ vorzusehen.“ Mit anderen Worten: Radler*innen können ihre Stahlröss*innen auch im Erdgeschoss abgeben und wieder abholen, um den Rest kümmert sich der Service. Insgesamt soll das Gebäude etwa 2.900 Quadratmeter Nutzfläche haben, von denen dem Fahrradparken 1.250 Quadratmeter zur Verfügung stehen. (Das entspricht etwa einem Quadrat von 35,35 Metern Seitenlänge. Zum Vergleich: Ein bundesligatauglicher Fußballplatz hat etwa 7.100 Quadratmeter.)
Sicherheit vor Fahrradklau
Wie das eigentliche Parkhaus gestaltet werden soll, ist auch schon angedacht: Auf jeden Fall so flexibel, dass die Größe der einzelnen Bereiche jederzeit verändert werden kann. Derzeit geht die Planung von folgendem Bedarf aus: 5 Sonderräder (Lasten-E-Bikes, Anhänger), 30 Pedelecs sowie 10 Reparaturräder kommen in einen eigenen Bereich. „Zugangsberechtigt sind ausschließlich Mitarbeitende, ein entsprechendes Zugangssystem ist einzuplanen. Der Zugang zu diesem Bereich sollte räumlich mit dem geplanten Lastenaufzug verknüpft sein.“
„Im Bereich für das Garderobenparken sind 50 Plätze in Doppelstockparkern sowie 3-5 Plätze für Sonderräder einzuplanen. Zugangsberechtigt sind ebenfalls ausschließlich Mitarbeitende.“
„Im Bereich der gesicherten/kostenpflichtigen Stellplätze sind 130 Plätze in Doppelstockparkern sowie 10 Plätze für Sonderräder einzuplanen. Der Zugang zum Bezahlbereich ist über ein entsprechendes Zugangssystem (z.B. Drehkreuz) gesichert. Nutzerinnen und Nutzer des Bezahlbereichs haben die Möglichkeit, einen festen Stellplatz zu mieten, sodass die Suche nach freien Radparkmöglichkeiten entfällt.“ Darüber hinaus soll es dann noch 420 frei zugängliche, kostenfreie Stellplätze in Doppelstockparken sowie 15-20 Plätze für Sonderfahrräder geben.
Wer wissen will, wie das alles aussehen könnte, findet hier in den öffentlich zugänglichen Sitzungsunterlagen erste Bilder und Pläne.
Der Baubeginn ist für den März 2028 geplant und die Inbetriebnahme für September 2029. Bis dahin fließt (hoffentlich) noch viel Wasser den Rhein hinunter, und noch viele Glasscherben werden sich in dieser Zeit mit diabolischem Grinsen in gequälte Fahrradmäntel bohren.
Text & Bild: O. Pugliese
Hier ein Beispiel, wie so etwas aussehen kann, wenn der politische Wille nur stark genug ist: Der Fahrradtempel von Amsterdam