Was Darwin heute entdecken würde

Der Biologe Eduardo Sampaio von der Universität Konstanz erforschte Oktopusse vor den Kapverden. Er nahm an einer Citizen-Science-geleiteten Expedition teil, die die klassische Reise von Charles Darwin nachfuhr und dabei neue Perspektiven auf Lebensräume gewann.

Das Schiff Captain Darwin segelte die Reise von Darwins HMS Beagle nach. Ziel der Reise war es zu erkunden, wie sich das Ökosystem seit Darwins Reise 1832 verändert hat. „Hätte Charles Darwin die Möglichkeiten gehabt, vor den Kapverdischen Inseln zu tauchen, er wäre vollkommen begeistert gewesen“, ist Eduardo Sampaio überzeugt, denn Darwin hätte eine faszinierende, artenreiche Landschaft gesehen. Doch ihm fehlte die Tauchausrüstung. So beschrieb er in seinen Aufzeichnungen über die Fahrt der Beagle die Kapverden als eine karge Landschaft.

Oktopusse in der Forschung

Anders hingegen erging es Eduardo Sampaio von der Universität Konstanz. Er wurde vom Filmemacher Victor Rault eingeladen, auf dem Schiff Captain Darwin seine Oktopusforschung fortzusetzen.

Der 30-jährige Victor Rault ist im Jahr 2021 in Plymouth in See gestochen. Er möchte auf seinem Törn erkunden, wie sich das Ökosystem seit Darwins Reise mit der HMS Beagle 1832 verändert hat. Er lädt Forschende und Bürger*innen ein, gemeinsam an dieser Reise teilzunehmen und Experimente im Sinne von Darwin durchzuführen. „Als Victor mir von seinem Projekt erzählte, war ich verblüfft“, erinnert sich der portugiesische Biologe Eduardo Sampaio. „Mir war sofort klar: Es ist eine ausgezeichnete Idee, den Weg von Charles Darwin neu zu beschreiten!“, berichtet er.

Was sehen Oktopusse in einem Spiegelbild?

Zehn Tage verbrachte Eduardo Sampaio an Board der Captain Darwin. Im Mittelpunkt standen die Tauchgänge: Der Biologe, der am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie angestellt ist, wollte eigentlich das gemeinsame Jagdverhalten von Oktopussen und Fischen beobachten. Aber es war Paarungszeit, weshalb sich die Tiere nur selten zeigten. Kamen sie hervor, wollten sie mit anderen Oktopussen interagieren. Jagen taten sie gar nicht.

Kurzerhand änderte Sampaio sein Forschungsvorhaben und führte stattdessen einen Spiegeltest durch: „Wir wollten feststellen, ob die Oktopusse zumindest wahrnehmen, dass sie ein anderes Individuum im Spiegel sehen.“ Abends an Bord schaute die Crew das Videomaterial an: „Als der Oktopus den Spiegel anstrebte, wechselte er seine Farbe. Aber nur die Seite, die zum Spiegel hin gewandt war, änderte sich. Das war sehr faszinierend zu beobachten“, berichtet Eduardo Sampaio. In einem weiteren Experiment muss nun geprüft werden, ob sich die Oktopusse sogar selbst erkennen können.

Darwins Forschungsart auf die Höhe der Zeit bringen

Die abendliche Lektüre war Darwins The Origin of Species: „Die Ausführungen inspirierten mich“, sagt Eduardo Sampaio. Oft grübelte er: „Wie können wir Darwins Art von wissenschaftlicher Arbeit mit den neuen Methoden, die wir entwickelt haben, wie maschinelles Lernen und Computervision, wieder auf die Höhe der Zeit bringen, um besser zu verstehen, wie sich die Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum bewegen oder verschiedene Strategien zur Nutzung sozialer Informationen anwenden?“ Noch hat er keine Antwort. Aber vielleicht kommt findet er sie, wenn er das nächste Mal auf der Captain Darwin mitsegelt.

Großartige Unterstützung für Wissenschaftler*innen

Eduardo Sampaio wird wieder an Bord des Schiffes gehen: „Diese als Citizen Science gestartete Reise ist eine großartige Unterstützung für Forschende, die nicht über die nötigen Mittel verfügen, um diese Art von Feldforschung zu betreiben, vor allem für Forschende aus benachteiligten Gebieten und in Ländern, in denen die Forschungsstrukturen nicht so gut ausgestattet sind.“ Vieles, was sonst die Forschenden selbst regeln mussten, wurde übernommen, wie etwa das Einholen von Erlaubnissen, die Anschaffung der Ausrüstung oder die Einwerbung der Gelder. „Außerdem stellte ich fest, dass Bürger*innen eine viel aktivere Rolle in der Wissenschaft spielen können, als nur Daten zu sammeln“, sagt Eduardo Sampaio, der hofft, dass diese Segeltour einen Auftakt für weitere spannende Citizen-Science-Expeditionen darstellt. Über die Zusammenarbeit schrieben Eduardo Sampaio und Victor Rault außerdem einen am 15. November 2022 bei PLOS Biology veröffentlichten Bericht.

Text: MM/red.
Foto 1: Das Schiff Captain Darwin segelte die Reise von Darwins HMS Beagle nach. Ziel war zu erkunden, wie sich das Ökosystem seit Darwins Reise 1832 verändert hat. Bild: Victor Rault / Captain Darwin.
Foto 2: Nahm an der Expedition der Captain Darwin teil: Eduardo Sampaio vom Exzellenzcluster „Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour“ der Universität Konstanz und Forscher am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie.
Bild: Victor Rault / Captain Darwin.
Foto 3: Was sehen Oktopusse in einem Spiegel? „Als der Oktopus den Spiegel anstrebte, wechselte er seine Farbe. Aber nur die Seite, die zum Spiegel hingewandt war, änderte sich“, berichtet Eduardo Sampaio. Bild: Victor Rault / Captain Darwin.