„Der Ukraine-Krieg ist nur ein Zwischenspiel“
Ziviler Widerstand kann schneller organisiert werden, fordert weniger Opfer als militärische Gegenwehr – und ist erfolgreicher. Zu diesem Schluss kommt Jürgen Grässlin in einem Interview mit dem SWR – und attestiert der Ampelkoalition hinsichtlich Waffenlieferungen eine „katastrophale Bilanz“. Das Gespräch mit dem Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen hört, wer auf das Bild klickt; es ist auch hier nachzuhören.
Und hier der Begleittext des SWR:
„Wir leben in einer Zeit nie gekannter Militarisierung und Aufrüstung“, so die Einschätzung von Jürgen Grässlin, Bundessprecher der ‚Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen‘ im SWR2 Tagesgespräch. Der russische Angriff auf die Ukraine habe diese Situation maßgeblich verschärft und dafür gesorgt, dass die Pläne der Ampelregierung zum Thema Abrüstung, die sowohl in den Wahlprogrammen als auch im Koalitionsvertrag zu finden waren, sich inzwischen erledigt hätten.
Aus Grässlins Sicht gäbe es zwei Möglichkeiten, auf eine Situation wie in der Ukraine zu reagieren: Man könne „unendlich Waffen in dieses Land pumpen“ oder zivilen Widerstand – zum Beispiel in Form von „Streiks und Verweigerung auf ganzer Breite“ – unterstützen. In diesem Zusammenhang verweist Grässlin auf die US-Friedensforscherin Erica Chenoweth. Nach deren Erkenntnissen sei in der Vergangenheit ziviler Widerstand erfolgreicher gewesen – und das auch in kürzerer Zeit als militärischer. So hätte man möglicherweise zumindest einige der „geschätzt 240.000“ Todesopfer vermeiden können. Allerdings müsse man davon ausgehen, dass Russland als Besatzungsmacht „sehr hart“ gegen diesen Widerstand vorgegangen wäre. Dessen ist sich der Friedensaktivist bewusst.
Die Bilanz der Ampel-Koalition nach einem Jahr an der Regierung bezeichnet Grässlin unter Abrüstungsgesichtspunkten als „katastrophal“, unter anderem, weil sie „der Teile-Lieferung für den Eurofighter nach Großbritannien zugestimmt“ habe. Dieses Kampfflugzeug sei nach Saudi-Arabien exportiert worden und werde jetzt im Jemen „völkerrechtswidrig auch gegen Zivilistinnen und Zivilisten eingesetzt“. Bedenklich seien Rüstungsexporte, so Grässlin, in „alle Staaten, die Menschenrechte verletzen und die Krieg führen.“ Realistische Chancen auf weltweite Abrüstung sieht Grässlin derzeit nicht, da „die Militärspirale vor sieben Jahren in Gang gesetzt“ worden sei. Dabei verweist er auf die Erkenntnisse des Friedensforschungsinstituts SIPRI, wonach die weltweit größten Rüstungskonzerne seit Jahren Umsatzzuwächse verzeichnen. Das Ergebnis dieser Entwicklung sei klar: „Wir steuern zielstrebig auf eine Welt-Auseinandersetzung zwischen den USA und China zu. Da ist die russische Intervention in der Ukraine eigentlich nur ein Zwischenspiel.“
Dennoch wünscht sich Grässlin, „dass wir vom Primat des Kriegs zum Primat des Friedens kommen“ – in Form von Friedensverhandlungen nicht nur im russischen Krieg gegen die Ukraine sondern auch „in den 25 anderen laufenden Kriegen, die wir nicht vergessen dürfen.“
[Aus der Sendung vom
Die herrschende Meinung ist die Meinung der Herrschenden. Wie es dazu kommt, wird hier thematisiert:
https://www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/02_Wissenschaftsportal/03_Publikationen/2022_Ukraine_Zwischenbericht.pdf
Interessant, daß auch in einer derartigen Studie die Behauptung vom „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands“ unausweichlich ist.
Ohne in Erwägung zu ziehen, daß angesichts der mörderischen Mißachtung von Minsk 2 durch Kiew Russland die „Responsibility to Protect“, Schutzverantwortung, für den russischsprachigen Donbass zustehen könnte.
Wieder einmal ein sehr bemerkenswertes Interview von Herrn Grässlin. Leider nicht im positiven Sinne. Hier meine Kritikpunkte.
Er spricht konsequent von einer russischen Intervention. Vor was musste Russland denn in der Ukraine intervenieren? Wieso bezeichnet er es nicht als das, was es ist? Nämlich ein abscheulicher Angriffskrieg seitens Russlands.
Er übernimmt hier in Teilen die verharmlosende russische Begrifflichkeit für den Krieg in der Ukraine.
Weiter bezieht er sich auf die Ergebnisse der Friedensforscherin Erica Chenoweth. Lässt es aber unerwähnt, dass ihre Forschung hauptsächlich auf Konflikten innerhalb eines Staates basiert. Und wie sich gewaltfreie Methoden auf die Demokratisierung eines Staates auswirken.
Die Ergebnisse ihrer Forschung lassen sich nicht einfach so pauschal auf den Krieg in der Ukraine übertragen.
Sie selbst gibt auch zu bedenken, dass ihre Ergebnisse ungenau sind, da in jedem Konflikt sowohl gewalt- als auch gewaltlose Methoden verwendet werden.
Weiter gibt sie auch zu bedenken, „dass tödliche Gewalt kontraproduktiv sein kann, es sei denn, es handelt sich um rechtmäßig eingesetzte und weithin unterstützte Sicherheitskräfte, die handeln, um eine eindeutige und gegenwärtige Bedrohung für das Leben und die Sicherheit anderer zu verringern.“
https://en.wikiversity.org/wiki/Effective_defense#Nonviolent_resistance_has_been_more_successful_than_violence
Bedeutet, dass selbst Frau Chenoweth den Einsatz tödlicher Gewalt unter bestimmten Voraussetzungen nicht ausschließt. Was für den Krieg in der Ukraine absolut zutrifft.
Sie beschreibt in einem Artikel in der Washington Post zwar die Vorteile von gewaltfreiem Widerstand, kommt aber zum Schluss, dass der russische Einmarsch in die Ukraine bedingt durch die gewaltfreien Stürze pro russischer Regierungen in Kiew 2004 und 2014 bedingt.
https://www.washingtonpost.com/politics/2022/03/14/russia-protests-ukraine-resistance/
Somit führte der gewaltfreie Protest zu einer Eskalation der Gewalt durch den russischen Einmarsch.
Aber auch sie, hat eine sehr positive Sicht auf die russischen Streitkräfte. Genauso Herr Grässlin auch eine sehr romantische Vorstellung von gewaltfreiem Widerstand und dem Verhalten der russischen Streitkräfte hat.
Bei einer Kundgebung am 13.032022 in Stuttgart sagte er folgendes: „Wie wäre es zum beispielsweise, wenn Zehntausende weiß gekleideter Frauen und Männer in der Ukraine mit weißen Friedensfahnen die Zufahrtswege in die Städte durch ihre Sitzblockaden versperren würden? Ich bin mir sicher: Russische Panzerfahrer würden diesen gewaltfreien Widerstand nicht niederwalzen oder zusammenschießen!“
https://www.friedenskooperative.de/ukranie/rede/j%C3%BCrgen-gr%C3%A4ssslin-stuttgart
Wir wissen aus Tschetschenien zu was die russischen Streitkräfte fähig sind. Wir sehen auch in der Ukraine zu welchen Kriegsverbrechen die russischen Streifkräfte fähig sind. Wer sich einmal eingehend mit den restriktiven Strukturen innerhalb der russischen Armee beschäftigt, weiß, dass Gewalt und Angst von Seiten der Offiziere gegenüber einfachen Soldaten an der Tagesordnung sind.
Die Vermutung von Herrn Grässlin: „Ich bin mir sicher: Russische Panzerfahrer würden diesen gewaltfreien Widerstand nicht niederwalzen oder zusammenschießen!“ kann man nicht teilen.
Der russische Panzerfahrer wird schon allein aus Furcht vor seinem Vorgesetzen einfach über die Demonstrierenden drüber walzen.
Daher bin ich der Meinung, dass Herr Grässlin wieder einmal die Realität ausblendet.