Cinestar-Belegschaft: „Wir lassen nicht locker“
Wieder kamen sie in der Kälte zusammen, und wieder war der Warnstreik der Konstanzer Cinestar-Belegschaft ein voller Erfolg: Auf dem Streikposten vor dem Kinoeingang des Lago-Centers herrschte beste Stimmung. Und das zu Recht.
Manche hatten Ferien, einige waren krank – und doch stand am Samstagmittag über die Hälfte der unterbezahlten Beschäftigten am Eingang zum Konstanzer Filmpalast. Anfangs waren es vielleicht zehn Leute, doch es stießen immer mehr dazu: Nach einer halben Stunde standen rund dreißig Streikende vor dem Lago, später gesellten sich noch frühere Kolleg:innen dazu, um ihre Solidarität zu zeigen. Wie schon zwei Wochen zuvor bauten sie die roten ver.di-Quader auf, streckten den Passant:innen ihre Plakate entgegen, trugen sich in Streiklisten ein, kredenzten Glühwein, bissen in die Semmeln der Streikleitung oder füllten ver.di-Beitrittsformulare aus.
Der Zeitpunkt war ja auch gut gewählt: Just an diesem Wochenende sollte erstmals der von vielen Kino-Fans lang erwartete Blockbuster „Avatar II“ gezeigt werden, auch der viel beworbene Film „Magic Flute“ hatte Premiere. Es lief auch alles prima – aber draußen, nicht drinnen.
Daher sorgte eine Mitteilung der Filmpalast Konstanz GmbH & Co. KG erst für Verblüffung, dann für Gelächter. Die Geschäftsführung habe beschlossen, „auf den heutigen Streik (…) mit der Aussperrung der an dem Streik teilnehmenden Mitarbeitenden zu reagieren“, hieß es in dem Schreiben. „Da will doch sowieso keiner rein von uns“, sagte eine der vielen jungen Streikenden. Und als eine weitere Mitteilung des Unternehmens die Runde machte, traf sie nur auf Schulterzucken. Kurz nach Streikbeginn ließ das Unternehmen wissen, dass alle, die trotz Ausstand zur Arbeit erscheinen, einen Aufschlag von 50 Prozent bekommen. „Die wollen uns mit sechs Euro mehr pro Stunde zum Streikbruch ködern“, sagte einer. „Die halten uns ja für blöd.“ Natürlich ging keine:r rein.
Aber die Nachricht zeigte, dass die neuerliche Arbeitsniederlegung ihre Wirkung nicht verfehlte. Beim ersten eintägigen Streik am 3. Dezember hatte die Geschäftsleitung kein Angebot für potenzielle Streikbrecher:innen vorgelegt. Sie wurde offenbar unruhiger. Und sie wird es am Tag danach noch mehr gewesen sein. Denn der Ausstand dauerte diesmal nicht einen, sondern zwei Tage, also auch den ganzen Sonntag über – und wurde mit einer bemerkenswerten Geschlossenheit geführt: Gerade mal drei der über fünfzig regulär Beschäftigten sollen am Wochenende ihren Dienst angetreten haben; dazu ein, zwei Aushilfskräfte, die – wie es heißt – aus dem persönlichen Umfeld des Managements aufgeboten wurden. Wie sehr der Streik wirkte, zeigte auch ein fast schon beschwörender Instagram-Post des Unternehmens an die „lieben Gäste“ (siehe Bild ganz unten).
„Der Mindestlohn reicht in Konstanz nicht!“
Aber worum geht es den Streikenden überhaupt? Wie erklärt sich ihr Zusammenhalt? Und wie schätzen sie die Lage ein? Dazu ein Interview mit zwei seit längerem beschäftigten Teilzeitarbeitenden bei Cinestar Konstanz (die ihren Namen lieber nicht genannt haben möchten):
seemoz: Wie seid ihr auf die Forderung nach einem Einstiegslohn von 13 Euro gekommen?
Streikende: Wir haben uns an der Stundenlohnbasis in der Unistadt Konstanz orientiert und uns übers letzte Jahr hinweg angeschaut, wie die Stundenlohntarife schwanken. Schon vor der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns lag der Lohnstandard für Teilzeitkräfte und Minijobber immer zwischen 12 und 13 Euro. Und so haben wir uns überlegt, was vor dem Hintergrund der Inflation ein solider Einstiegspreis wäre – und beschlossen, dass wir bei 13 Euro anfangen.
seemoz: Dabei bieten selbst Discounter in Konstanz einen Einstiegslohn von 14 Euro.
Streikende: Ja, Lidl zum Beispiel, Kaufland oder Netto.
seemoz: Ihr bleibt darunter.
Streikende: Die letzten Jahre haben gezeigt, dass sich die Kinobranche immer am Mindestlohn entlang hangelt, mit vielleicht ein paar Cent darüber. Das zeigt zum Beispiel der bundesweite Tarifvertrag des Cinestar-Verbunds mit ver.di, da liegt der Einstiegslohn bei 12,05 Cent.
seemoz: Und das bekommt ihr auch?
Streikende: Nein, da wir in Konstanz einen eigenen Haustarifvertrag haben, aber noch keinen Abschluss erzielt haben, bekommen vorerst alle den Mindestlohn in Höhe von 12 Euro, egal, wie lange sie schon dabei sind, und die Ebenenleiter – die mehr Verantwortung haben – aktuell noch eine Zulage von 1,60 .
seemoz: Von 13 Euro kann man aber nicht leben.
Streikende: In Konstanz? Nein. Andererseits sind die Gehälter für studentische Teilzeitkräfte nicht so hoch, dass sie derzeit davon ihren gesamten Lebensunterhalt bestreiten könnten.
seemoz: Der Belegschaft gehören viele Studierende an?
Streikende: Von den knapp 55 Beschäftigten sind über achtzig Prozent Schüler oder Studenten. Das Unternehmen sucht schon das ganze Jahr über händeringend nach Vollzeitkräften, aber bei einem Vollzeitjob auf Stundenlohn-Basis gehen viele lieber woanders hin, weil am Ende des Monats nach Abzug der Steuer einfach zu wenig übrigbleibt. Beim Mindestlohn erreicht man im Alter ja nicht mal die Grundsicherung. Es gibt auch eine extrem hohe Fluktuation. Studenten kommen und gehen, besonders zu Beginn des Sommers- und Wintersemesters. Es sind nur wenige auch über die coronabedingten Schließungen hinaus geblieben.
seemoz: Ein höherer Lohn müsste doch auch im Interesse eines Unternehmens sein, das händeringend nach Leuten sucht …
Streikende: In der Theorie ja. Dabei wird immer investiert, um den Gästen ein umfangreiches Kinoerlebnis zu bieten – sei es in Form von neuen Sitzen, neuen Soundsystemen oder der Umgestaltung der Räume. Weiter kamen in diesem Jahr auch wieder Preiserhöhungen an den Theken dazu. Popcorn und Getränke werden aufgrund der anhaltenden Krisen teurer, die Anpassung an einen fairen Lohn wird dabei aber nicht in Betracht gezogen. Dabei läuft ohne uns der Betrieb nicht. Das Unternehmen kriegt es nicht einmal hin, einen vollen Betrieb aufrecht zu erhalten (also Montag bis Donnerstag von 13 bis 21 Uhr, Freitag und Samstag von 13 bis 23 Uhr, am Sonntag Matineevorstellungen), weil es an Mitarbeitern fehlt.
seemoz: Euer Tarifkampf ist bundesweit einzigartig. Wieso?
Streikende: Alle anderen Cinestar-Kinos haben sich mit ver.di auf einen Einstiegslohn von 12,05 Euro geeinigt; der genügt uns aber nicht. Wir wollen wie auch damals, 2013, einen eigenen Haus-Tarifvertrag abschließen.
seemoz: Warum?
Streikende: In Konstanz ist das Leben teurer als anderswo. Außerdem wurde unser Kino hier aufgrund der Nähe zur Schweiz und des entsprechend höheren Umsatzes stets separat betrachtet – wir waren beim Lohn schon immer über der bundesweiten Tabelle angesiedelt. Das Kino in Konstanz ist ein Sonderfall, da es im Besitz von zwei Gesellschaftern ist. Zum einen dem CineStar-Konzern und zum anderen Kurt Rabe hier aus Konstanz.
seemoz: Für einen Kampf allein auf weiter Flur braucht es aber einen Zusammenhalt. Woher kommt der?
Streikende: Viele von uns haben sich nicht erst im Kino kennengelernt, sondern an der Uni, an der HTWG oder anderswo. Wenn wir an einem Samstagabend mit fünf unserer besten Freunde zusammenarbeiten können, wissen wir, dass alles läuft und wir uns auf die Kollegen verlassen können. Manche bleiben sogar nach dem Studium dabei – nicht wegen der Arbeit, sondern weil sie das Miteinander schätzen. Der Zusammenhalt ist einfach genial, das zeigen ja unsere Streiks.
seemoz: Gab es nach dem ersten Warnstreik Druck von der Geschäftsleitung?
Streikende: Nein. Aber wir haben gemerkt, dass sie nicht erfreut war. Und einige in höheren Positionen haben ihre Abneigung kundgetan. Aber es gab keine Drohungen.
seemoz: Ihr seid also zu weiteren Streiks bereit?
Streikende: Definitiv. Wir lassen da nicht locker.
PS: Das hat inzwischen auch die Geschäftsleitung des Konstanzer Kinopalasts begriffen – und Verhandlungen angeboten. seemoz wird weiter darüber berichten.
Text und Fotos: Pit Wuhrer