Unser Tipp für den Wahlsonntag: Sven Uli Reisiger

Der Südkurier hatte zum Talk ins Konzil geladen. Eine fast volle Hütte zeigte ein weiteres Mal, dass die KonstanzerInnen großes Interesse daran haben, wer nun die kommenden acht Jahre das oberbürgermeisterliche Ruder übernimmt. Auch wenn Überraschungen nie ganz auszuschließen sind: Ein Quartett wird es wohl unter sich ausmachen. Der Rest spielt vermutlich keine Rolle und kann sich locker, entspannt und in freudiger Erwartung auf die Sommerferien vorbereiten.

Draußen vor der Tür machte es sich der Esobräunling Roman Urban gemütlich, der an diesem Abend mal wieder Ausgang hatte. Entrückt lächelnd saß er auf der Terrasse des Konzilgebäudes und verspeiste sein mitgebrachtes Obst. Der Südkurier hatte ihn nicht zur Diskussion geladen, weil man an der Ernsthaftigkeit des Kandidaten von der Reichenau zweifelt. Darüber erzürnt, sagte auch OB-Bewerber Thomas Linz ab und baute seinen Infostand, an dem es keine Infos gab, vor dem Konzil auf.

Die Südkurier-Redakteure Jörg-Peter Rau und Torsten Geiling machten als Moderatoren einen guten Eindruck und sorgten dafür, dass auch die zwölfte Podiumsdiskussion mit den OB-KandidatInnen nicht allzu langweilig wurde. Denn viel Neues war nicht zu hören. Um ehrlich zu sein: Bereits Bekanntes erfuhr die soundsovielte Aufwärmung. Wie auch anders? Die relevanten Themen wurden bei den vorangegangenen Diskussionen bereits ausführlich durchgekaut. Natürlich wollen alle mehr sozialen Wohnungsbau, sichere Arbeitsplätze, verbesserte Kinderbetreuung, weniger Verkehr, wünschen sich solide Finanzen oder mehr Bildung und Integration, plädieren für nachhaltige Politik, mehr Bürgerbeteiligung und kulturelle Vielfalt.

Doch die Wege dahin führen meist über verschlungene Pfade und manche KandidatInnen zeigten allzu deutlich, dass sie zwar als Wolkenschieber und Worthülsenproduzenten mittlerweile geübt sind, aber von den konkreten Konstanzer Problemen und deren Bewältigung wenig Ahnung haben. Davon aber reichlich. Und so kam es zu den unvermeidlichen Wunschkonzerten, die schon seit Wochen gegeben werden und wirklich niemanden mehr vom Hocker reißen. Immerhin war auch diesmal der Eintritt frei.

Die Moderatoren baten jeweils drei oder vier KandidatInnen zu den Themen Wohnen, Wirtschaft und Soziales an einen Stehtisch. SPD-Mann Sven Zylla scheint langsam in die Gänge zu kommen. Er konnte sich vor allem bei sozialen Fragen profilieren, forderte „mehr Engagement von Bund und Land“ und versprach, sich als Oberbürgermeister für ein „Konstanzer Bildungsnetzwerk“ einzusetzen.

Bei Wirtschaftsfragen kam CDU-Mann Uli Burchardt ins Schwimmen. Zuerst wollte er eine Erhöhung der Gewerbesteuer nicht ausschließen, fünf Minuten später machte er einen Rückzieher. Der smarte Förster und Unternehmensberater hat durchgängig ein Problem: Was er vorschlägt, klingt im Ansatz meist passabel, ist aber oft nicht realisierbar. Bei fast allen Themen zeigt er, dass ihm die hiesigen Verhältnisse weitgehend fremd sind. Von seinem Wahlkampfmotto „Echt Konstanz“ ist er meilenweit entfernt. Ahnt er seine Schwächen, dann versucht er, sich mit allerlei Witzchen aus der Affäre zu ziehen und schlägt umgehend was anderes vor. Nachhaltigkeit, die Burchardt gerne bemüht, sieht anders aus. Seine Attacke gegen Sabine Seeliger: „Sie fahren doch Ihre Streuobstsäfte auch mit dem Auto zu Edeka“, war eher peinlich und unter seinem Niveau. Dennoch viel Applaus für den Kandidaten, der noch von seinem Charme-Potential zehrt.

Sabine Reiser zeigte sich erneut ein wenig blass. Ihr Netzauftritt ist gut, ihre Live-Auftritte sind es weniger. Um der drohenden Wohnraumisere im Herbst zu Leibe zu rücken, will sie, kommen die Studenten, „Studentencamps“ einrichten und sich dafür jetzt schon auf die Suche nach Investoren machen. Die Konzilfeierlichkeiten flötete sie zum „Jahrhundertereignis“ hoch, in das sie „alle einbinden und integrieren“ will. Meist rührte sich kein Händchen für Reiser. Nur nach ihrem Bekenntnis für den Ausbau der B 33 brandete Beifall auf. Bringt aber nichts, die Landesregierung hat kürzlich den Weiterbau auf später verschoben.

Sabine Seeliger wirkte, wie fast immer, am besten informiert, auch wenn ihre Vorstellung vor allem über eine zukünftige Verkehrspolitik und eine umweltfreundliche Mobilität bei der konservativen Wählerschaft auf Ablehnung stößt. Sie kennt die Probleme vor Ort, weiß auch über wichtige Details Bescheid und kann auf ihre langjährige kommunalpolitische Erfahrung als Stadt- und Kreisrätin zurück greifen. Sie ahnt aber auch, dass es im zweiten Wahlgang richtig eng werden könnte – und rudert bei heiklen Fragen, je näher der Wahltag kommt, zentimeterweise zurück. Aus ihrer City-Maut wurde ein „Mäutchen“, „ergebnisoffen und ohne Denkverbote“ will sie die Döbele-Frage angehen und auch beim anstehenden Konziljubiläum fischt sie jetzt schon nach Stimmen aus dem bürgerlichen Lager. Bei ihrer Nominierung zur OB-Kandidatin war ihre Ansage noch klar und unmissverständlich. Man müsse schauen, dass die kommenden Feierlichkeiten nicht „allzu peinlich“ geraten. Neuerdings klingt das schon ganz anders. Sie lobte die „viele Vorarbeit“, die schon geleistet worden sie, wolle „nicht zurück schrauben“ und findet es gut, wenn während der beabsichtigten fünfjährigen Sause „jedes Jahr unter einem besonderem Motto steht“.

Hier äugt Wahlkampftaktik pur um die Ecke. Seeliger weiß sehr wohl, dass die bioladenaffine, grüne Konstanzer Neubourgeoisie, auf deren Stimmen sie hofft, nicht geschlossen hinter ihr steht. Wer auf ihre Unterstützerliste clickt, entdeckt sechs FGL-Fraktions-Mitglieder, die sich für sie stark machen. Vier fehlen: Dorothee Jacobs-Krahnen, Charlotte Biskup, Charlotte Dreßen und Normen Küttner. Und das sicher nicht ohne Grund. Sie hätten ihre grüne Kandidatin wohl gerne ein wenig konservativer.

Völlig außen vor ist auch der noch amtierende OB Horst Frank. Normalerweise wirbt ein scheidender Oberbürgermeister mit Herzblut für seine potentielle Nachfolgerin vor allem dann, wenn sie aus der eigenen Partei kommt. Doch Seeliger und Frank verbindet eine innige Feindschaft. Das wird nix mehr. Also braucht Seeliger Stimmen auch aus anderen Lagern. Ob sie sich allerdings einen Gefallen tut, wenn sie ihre hehren Absichten verdünnt, ist mehr als fraglich. Da kräuselt sich auch manche Stirn aus dem linken Dunstkreis. Bislang lag sie dort ganz gut im Rennen.

Das könnte sich schnell ändern. Schon einmal hat man sich für einen grünen Oberbürgermeister einspannen lassen, weil man glaubte, mit ihm brächen neue Zeiten an. Das war ein fataler Irrtum.

Autor: Holger Reile