Was wird eigentlich aus den Straßenumbenennungen?
Das Problem ist bekannt und war Gegenstand langwieriger Debatten in den politischen Gremien und Medien: Straßen, die noch heute die Namen von mit dem Nationalsozialismus zumindest paktierenden Männern oder Militaristen tragen, müssen umbenannt werden. Aber wie? Und wann endlich?
Die Benennung einer Straße nach einem Menschen stellt eine der größten Ehrungen dar, die eine Kommune vergeben kann. Wie alle Ehrungen sagt sie mindestens ebenso viel über die Ehrenden wie über die Geehrten aus. Manchmal haben Kommunen es mit der Umbenennung sogar so eilig, sodass sie sich sogar förmlich Wettrennen liefern: Nicht nur in Konstanz wurde einstmals ganz schnell eine Hitler-Straße gefunden: Die Seestraße. Nach dem verlorenen Krieg ging es dann allerorten mit Volldampf zurück: Als es plötzlich keine Nazis mehr gab, wollte niemand mehr in einer Straße wohnen, die nach dem größten Führer aller Zeiten benannt war.
Wer muss diesmal dran glauben?
Allerdings haben etliche Militaristen und auch Nazi-Mitläufer „ihre“ Straßen behalten. Moltke oder Hindenburg stehen für die militaristische Tradition Deutschlands, und Erzbischof Conrad Gröber war wie viele gute Christen ein eingefleischter Antisemit.
Solche Straßennamen werden ja seit geraumer Zeit auch in Konstanz diskutiert, denn bereits seit 2014 gibt es „Allgemeine Richtlinien der Stadt Konstanz für die Benennung und Umbenennung von Straßen, Wegen und Plätzen“.
Darin heißt es unter II.3: „Eine Benennung ist insbesondere nach Repräsentanten des Nationalsozialismus und anderer Unrechtssysteme, nach Diktatoren, Kriegshelden sowie nach Personen, deren Ziele und Wertvorstellungen in Widerspruch zu den Menschenrechten, zu unserer Verfassung oder unserer Rechtsordnung stehen, ausgeschlossen.“
Nach diesem Kriterium gibt es mindestens sechs Konstanzer Straßen, deren Namen nicht mehr zeitgemäß sind. Deshalb hat eine Kommission folgendes vorgeschlagen:
- Die Conrad-Gröber-Straße in Pfänderstraße umzubenennen.
- Die Hindenburgstraße in Am Petershauser Park umzubenennen.
- Die Franz-Knapp-Passage in Rathauspassage umzubenennen.
- Die Otto-Raggenbass-Straße in Schwedenschanze umzubenennen und die Hausnummerierung der Schwedenschanze aufsteigend fortzuführen.
- Die Werner-Sombart-Straße in Ralf-Dahrendorf-Straße umzubenennen.
- Die Felix-Wankel-Straße in Robert-Gerwig-Straße umzubenennen.
Ist Ihnen etwas aufgefallen? Moltke fehlt, obwohl er als preußischer Generalfeldmarschall und Generalstabschef 1870/71 ganz erheblichen Anteil am Krieg hatte.
Der Gemeinderat sollte eigentlich im November darüber befinden, aber die Umbenennungen wurden letztlich vertagt. Die Begründungen für die geplanten Umbenennungen können Sie hier nachlesen.
Es gibt in der Tat gute Gründe, sich noch einmal Gedanken über diese Umbenennungen zu machen: Ein besonders wichtiger Grund steht in den Richtlinien unter II.4: „Bei der Auswahl von Persönlichkeiten ist auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Frauen und Männern zu achten.“ Der Frauenanteil des aktuellen Umbenennungsvorschlages ließ Spötter*innen bereits vermuten, dass sich in der vorbereitenden Gremienarbeit die CDU durchgesetzt hat, er liegt nämlich deutlich erkennbar bei 0,0%.
Keine geschlossene Ablehnung
Im Vorfeld der Umbenennungen wurden die anwohnenden Bürger*innen angeschrieben und um ihre Meinungen und Vorschläge gebeten. Dabei stellte sich heraus, das jene Konstanzer*innen, die der Stadt antworteten, gar nicht so geschlossen gegen die lästigen Umbenennungen sind, wie mensch hätte vermuten können: „Auf die insgesamt über 1.000 versandten Schreiben erhielt die Stadt rd. 120 Rückmeldungen und über 90 alternative Namensvorschläge“, heißt es in der Sitzungsvorlage.
- Zur Otto-Raggenbass-Straße (ca. 87 Anwohner, ca. 13 Gewerbebetriebe) gab es 17 Rückmeldungen: 5 mal nur einen Namensvorschlag, 8 mal für die Umbenennung, 4 mal gegen die Umbenennung.
- Zur Franz-Knapp-Passage (keine Anwohner, keine Gewerbebetriebe) gab es 4 Rückmeldungen: 3 mal nur einen Namensvorschlag, 1 mal gegen die Umbenennung.
- Zur Conrad-Gröber-Straße: (ca. 90 Anwohner, ca. 11 Gewerbebetriebe) gab es 17 Rückmeldungen: 5 mal nur einen Namensvorschlag, 5 mal für die Umbenennung, 5 mal gegen die Umbenennung.
- Zur Felix-Wankel-Straße (ca. 2 Anwohner, ca. 7 Gewerbe) gab es 6 Rückmeldungen: 1 mal für die Umbenennung, 5 mal gegen die Umbenennung.
- Zur Werner-Sombart-Straße (ca. 694 Anwohner, ca. 29 Gewerbe) gab es 47 Rückmeldungen: 7 mal nur einen Namensvorschlag, 12 mal für die Umbenennung, 12 mal gegen die Umbenennung, 14 mal für ein Schild, auf dem erklärt wird, wer Sombart war.
- Zur Hindenburgstraße: (ca. 509 Anwohner, ca. 23 Gewerbe) gab es 34 Rückmeldungen: 5 mal nur einen Namensvorschlag, 7 mal für die Umbenennung, 12 mal gegen die Umbenennung, 8 mal ein Schild, auf dem erklärt wird, wer Hindenburg war.
An Frauen mangelt es eigentlich nicht
Die BürgerInnen haben massenhaft Vorschläge eingebracht, wer sich als Namensgeber*in für Straßen noch eignen könnte – diese Vorschlage entsprechend allerdings nicht immer den Richtlinien, nach denen eine Person mindestens ein Jahr lang tot sein und einen Bezug zu Konstanz gehabt haben muss. Trotzdem sind einige überraschende und beachtliche Vorschläge dabei:
- Margarita Schwarz-Gagg war eine in Konstanz geborene Nationalökonomin, die viel für die Besserstellung der Frauen in der Schweiz tat.
- Anna Hermann war eine passive Widerstandskämpferin im Nationalsozialismus, die in Wollmatingen lebte und jüngst einen Stolperstein erhielt.
- Emma Herwegh war an den Erhebungen von 1848/49 beteiligt und eine frühe Vorkämpferin der Frauenrechtsbewegung.
- Julia Plecher ist die Weltrekordhalterin über 100 m in High Heels, erfüllt aber die Vergabekriterien nicht.
- Kasia von Szadursa war eine in Russland geborene Künstlerin, die rund 25 Jahre in Konstanz und Meersburg wirkte und unter anderem etliche Bilder der Fähre schuf. Außerdem war sie 1919 Mitgründerin von „Breidablik“, einer expressionistischen Künstler*innenvereinigung am Bodensee.
- Elisabeth Schmidt-Pecht war Künstlerin und schuf Muster und Formen „auf Vasen etc.“, die noch heute in Fachgeschäften in KN zu finden sind.
- Erwin Reisacher (1924-1993) war ein bis heute unvergessener Gewerkschaftssekretär und Kommunalpolitiker.
- Walter Bensemann war ein bedeutender Fußball-Pionier und gründete in Konstanz das Magazin „Kicker“.
Was statt Pfänder?
Angesichts dieser Namensfülle bleibt unverständlich, warum die Straßenbenennungskommission keine Umbenennung nach einer Frau ins Auge gefasst hat. Auch die Vorschläge Pfänderstraße, Am Petershauser Park, Rathauspassage und Schwedenschanze wählen bewusst neutrale Namen, was schade ist, denn es sieht so aus, als solle hier durch die geographische Namenswahl einer öffentlichen Ehrung der demokratischen und revolutionären deutschen Traditionen ausgewichen werden, die im Stadtbild noch immer viel zu kurz kommen. Was für Robert Gerwig und Ralf Dahrendorf möglich ist, sollte auch für Menschen möglich sein, die sich aktiv für die Menschenrechte, gegen den Faschismus und für gesellschaftliche Gleichberechtigung eingesetzt und teils auch ihr Leben dafür riskiert haben.
Die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung sollten sich darüber noch mal Gedanken machen. Und nicht nur das: Bei einer Umbenennung wäre es auch wünschenswert, ein Zusatzschild zu montieren, auf dem der ehemalige Straßenname sowie die Gründe für die Umbenennung dokumentiert werden.
Schließlich sagen nicht nur Ehrungen, sondern auch Ent-Ehrungen viel über die Ent-Ehrten wie über die Ent-Ehrenden aus.
Text & Bild: O. Pugliese
02.05.2012 | Wenn Straßennamen nicht mehr genehm sind …
Ich wäre dafür die Hindenburgstraße in Strack Zimmermann Straße umzubennen. Wäre eine Frau als Namensgeber*in die für feministische und nicht militaristische Außen- und Verteidigungspolitik einsteht.
@Helmut Reinhardt: OK, danke für den Hinweis. Aber war das nicht eher eine politische Entscheidung von Wilhelm I und Bismarck? – Wie dem auch sei: Die Kommission hat nur Strassen/Plätze betrachtet, deren Namensgeber nach 1914 wirkten.
@Peter Köhler
Sie übersehen dabei, dass Moltke die brutale Niederschlagung der Pariser Kommune mit Geschick unterstützte, indem er Teile der gefangengenommenen französischen Armee zu diesem Zweck entliess.
Über Moltke d.Ä. wäre vielleicht noch zu reden: der war Militärstratege und hat sonst keine negativen Erinnerungen hinterlassen. Den Krieg 1870/71 hat er nicht angefangen – das war Napoleon III, dessen Adler heute noch über der Marktstätte thront. Unter Moltke wurde der französische Diktator besiegt, verhaftet und abgesetzt – seither ist Frankreich wieder Republik. Das ist ja eigentlich keine ganz schlechte Bilanz für einen Soldaten.