Weil sie es können …

Männer können mit Frauen „alles machen“, sagte einst der frühere US-Präsident Donald Trump. Und das scheint immer noch der Fall zu sein – allen Skandalen, Enthüllungen und nachträglichen Scheinentschuldigungen zum Trotz. Woran liegt das?

„Grab ’em by the pussy. You can do anything”, so Donald Trump vor Jahren. Ein Trump hat mindestens drei Zutaten, die ihn glauben lassen, mit Frauen „alles machen zu können“ (sic): Er ist ein Mann, er hat Macht (viel davon) und er hat ein Umfeld, das ihm das erlaubt. Zerlegen wir grob diese Zutaten, müssen wir dazu sagen: Er ist ein heterosexueller weißer Mann, mit viel Geld und starken Netzwerken in einem patriarchalen System. Und schon dieses System ist ein machtvolles Netzwerk, so du ein Mann bist. Die Frage, „warum können Männer offen oder verdeckt Gewalt gegen Frauen ausüben“ (und ich frage mich das mehr denn je), führt zu diesem Trumpschen Zutatenmix. Zugegeben nicht in jedem Mann steckt ein Trump, aber Fitzelchen seiner Zutaten schon.

Einmal jährlich, am „Tag gegen Gewalt gegen Frauen“ [1] – treffender wäre die Bezeichnung „Tag gegen männliche oder patriarchale Gewalt“ – bekommen wir erschreckende Zahlen präsentiert. „Jede Stunde werden in Deutschland durchschnittlich 13 Frauen Opfer von Gewalt in der Partnerschaft“, meldete beispielweise die Deutsche Welle, weltweit wiederum werden stündlich 5 Frauen von ihren Partnern oder von Familienangehörigen getötet, wie es in einer UN-Studie heißt.

Mit jeder neuen Statistik rückt das Thema für zwei, drei Tage in den Fokus und macht uns ein bisschen betroffen. Dann verschwindet es wieder – es gibt ja Schlimmeres, immer gibt es Schlimmeres. Munter machen wir also weiter bis zum nächsten Jahrestag oder bis zum 8. März, da ziehen wir eine kleine Zwischenbilanz und feiern den ein oder anderen feministischen Erfolg. Dazwischen blitzen mal größere, mal kleinere Schlagzeilen über Gewalt gegen Frauen auf, meist gespickt mit Euphemismen, wie „Beziehungstat oder Partnerschaftsgewalt“, ändern aber tut sich nichts. Dennoch nehmen diese Randnotizen und #MeToo-Meldungen zu, wir finden sie im Sport-, im Wirtschafts- und im Lokalteil, oder im Feuilleton einer jeden Zeitung.

„Die männliche Herrschaft ist so tief in unserem Unterbewusstsein verwurzelt, dass wir sie überhaupt nicht mehr wahrnehmen“, schreibt Pierre Bourdieu in seinem Buch „Die männluce Herrschaft“ und erinnert daran, dass Macht immer dort am besten funktioniert, wo sie unsichtbar bleibt. Nicht dass sie wirklich unsichtbar wäre, es ist vielmehr das unausgesprochene, unangefochtene Anerkennen von Machtverhältnissen, deren Naturalisierung sozusagen, indem sich alle einer herrschenden Annahme unterwerfen, die manche Menschen eben begünstigt und andere halt benachteiligt. Im Fall der männlichen Herrschaft zeigt sich das von der Annahme der beiden Geschlechter bis in zahllose Verwurzelungen daraus resultierender scheinbarer Unterschiede, die eine Machthierarchie begünstigen und legitimieren.[2] Ein nicht endend wollender, zirkulär sich windender Rattenschwanz konstruierter Geschlechtlichkeit, der uns alle in einem hierarchisierenden Raster einpendelt – und alle machen mit. Sexualisierte Gewalt ist die direkteste, primitivste und brutalste Demonstration männlicher Macht, und kaum einer Ungerechtigkeit schauen wir so schamlos zu, schützen sie und reproduzieren sie munter weiter.

Die Täter-Opfer-Umkehr

Zahlreiche prominente Fälle sexueller Gewalt zeigen deutlich wie ein banales und doch komplex perfides System sie ermöglicht und festigt (siehe dazu die Beispiele Julian Reichelt, Jérôme Boateng, Jonny Depp, Dieter Wedel oder Gruppenvergewaltigungen im Sport).

Weil sie es können, die Trumps und die anderen Männer, bedeutet viel Aufdeckung, Aufklärung und Entsetzen nicht automatisch auch Veränderung. Mit Blick auf die Statistiken und persönlichen Berichte von Betroffenen scheinen sich patriarchale Strukturen weiter zu verkrusten. Sexuelle oder sexualisierte Gewalt ist facettenreich, ereignet sich überall, kann jede Frau treffen und trifft fast jede Frau. Theoretisch scheinen wir uns oft sogar schnell einig zu sein, was demütigend, frauenverachten, grenzübergriffig etc.pp. ist. In der Praxis hapert es aber gewaltig – weil wir sie können lassen. Am deutlichsten zeigt sich das im Umgang mit Betroffenen, die über die selbst erlebte Gewalt sprechen.

Sehr schnell forcieren Männer dann Opfer-Täter-Umkehrungen, die Opfer erfahren erneut Gewalt, jetzt von einer größeren oft nicht fassbaren Masse. Die „Vorfälle“ werden angezweifelt, geleugnet, trivialisiert; den Betroffenen wird mal Prüderie, mal ein Schlampen-Dasein angedichtet, sie werden als hysterisch, laut, rachsüchtig, eifersüchtig, mal unter- mal übervögelt dargestellt. Manchmal wie in den Fällen Boateng und Reichelt, steckt ein professionell manipulierendes System dahinter, das bewusst steuert. Meistens ist dieses System eh einfach da, weil es auch ohne bewusste Steuerung funktioniert, weil diffamierende Bilder von Frauen greifen, weil es ein strukturelles Problem ist, weil es alltäglich ist, weil wir es zulassen oder gar mitmachen.

Wer erzählt wann wo was?

Machen wir mit, wenn wir Betroffenen den Zeitpunkt des Erzählens vorwerfen? „Warum erzählt sie das erst jetzt“, ist eine sehr typische Reaktion. Oder, wenn wir „nur“ anmerken, dass das nun wirklich nicht so schlimm gewesen sein kann oder wir so tun, als würden wir gar nicht verstehen, von was die Betroffenen sprechen. In der Regel entscheiden die Gewalttäter wann, wo und wie sie gewalttätig werden, und gerne entscheiden sie auch, wie, wann, wo und was erzählt wird; dabei finden sie meist auch Erzähl-Unterstützer:innen.

Die Beanspruchung der absoluten Deutungshoheit ist ein extrem männliches Moment der Macht. Unterstützen wir Täter, wenn wir anzweifeln, was die Betroffenen erlebt haben und was sie erinnern? Oder wenn wir meinen, dass wir den Mann so übergriffig gar nicht kennen – und wir kennen ihn ja schließlich gut, oh Wunder, als könnte ein Mann gleich alle Frauen sexuell belästigen oder würde gar seine Kumpels begrapschen, na so was.

Haben Sie das alles oder etwas davon auch schon gesagt, wenn Sie von Fällen sexueller Gewalt gehört haben? Ich schon, mal mehr, mal weniger und ich schäme mich dafür. Ich schäme mich als Feministin, wenn ich einen männlichen Blick reproduziere und mich von Männern instrumentalisieren lasse, die sich von mir eine Absolution ihrer männlichen Macken abzuholen wünschen. Diese Muster beim Umgang mit sexueller Gewalt sind direkte und indirekte Verunsicherungen der Betroffenen, es sind Drohungen, es sind Brandmarkungen, als „die, mit der etwas nicht stimmt.“ Betroffene, die nicht schweigen wollen, werden als Nestbeschmutzerinnen degradiert und erleben meist eine Isolation von ihrem sozialen Umfeld.

Schein-Entschuldigungen

Manchmal entscheidet sich ein übergriffiger Mann auch dazu, einzugestehen, dass er eventuell eine Grenze überschritten habe und ringt sich eine Entschuldigung ab, diese sieht in der Regel so oder so ähnlich aus: „Also, falls ich dich verletzt haben soll, so wurde mir gesagt, tut mir das leid, ich wusste nicht, dass du so empfindlich bist, auch war ich betrunken und überhaupt musst du da etwas irgendwie falsch verstanden haben.“ Nun, mit solchen Schein-Entschuldigungen beharren Gewalttäter erneut darauf, dass sie selber keine Schuld tragen und bestätigen, dass sie kein Schuldbewusstsein haben. Dass etwas verletzend sei, ziehen sie natürlich in Zweifel, denn schließlich ist die Verletzte ja auch sehr empfindlich und das kann mann ja nun wirklich nicht wissen.

Ich habe Männer erlebt, die nach solchen Zurechtrückmuster-Entschuldigungen noch aggressiver wurden, weil sich die Frauen davon nicht beeindrucken ließen. Also verfielen sie in die bekannten, oben erwähnten Schemen à la „aber ihr Rock war so kurz, die wollte das doch eh“, „na wer so einen Ausschnitt trägt“, oder „die treibt‘s doch eh mit jedem“. Intrinsische Reue, ein Schuldeingeständnis und selbstgewählte Konsequenzen habe ich noch nie erlebt – Sie etwa? Dafür so Sahnehäubchen-25-jährige-Florians mit Regenbogen- oder Feminismus-T-Shirt [3], die mir und Frauen im Allgemeinen gerne mal die Welt erklären und auch, wie Frauen und Feministinnen die Dinge zu sehen haben, zumindest, wenn sie ernst genommen werden wollen – danke dafür.

Sie können es, weil sie es können, weil wir es ihnen ermöglichen und erlauben, weil wir wegsehen und verdrängen, weil es uns an eigene patriarchale Muster und Versagen erinnert. Das Patriarchat ist älter als wir und älter als die Figur des „alten, weißen Mannes“ oder der jungen Feministin; es ist tief in uns verwurzelt und allgegenwärtig. Dieser internalisierte uralt-archaische Sexismus bahnt sich schlammig seltsame Wege in unser Denken, Handeln und Urteilen und ermöglicht Männern auch weiterhin, sexuelle Gewalt auszuüben. Zumindest solange wie wir, das Umfeld, die Gesellschaft, Gott und die Welt, Freunde, der Papst, Familien, Lehrer, Nachbarn, Fans oder sonstige Gruppen diese Männer (und bei den Zahlen müssen es viele sein) schützen und die Trumpschen Zutaten pflegen, anstatt Betroffene ernst zu nehmen und zu stärken.

Text: Abla Chaya / Bild: Banksys Gemälde zum Valentinstag 2023 [http://www.banksy.co.uk]

 

[1] Und Tag gegen Gewalt gegen Fintas. Ich schreibe hier von Frauen, weil ich zu wenig über die Gewalt gegen andere Geschlechter weiß und glaube, dass diese Gewalt bisschen anders funktioniert, genauso brutal, oft mit mehr Hass, aber eben anders. Auch dieses Nicht-Wissen ist Teil des Problems. Die Abwehr gegen das Selbstbestimmungsgesetz von Feministinnen zeigt, wie tief verankert der „männliche“ Blick oder patriarchale Logiken in uns allen sind. Die Zukunft ist hoffentlich queer-feministisch.

[2] Die Annahmen davon, wie welches Geschlecht zu sein hat und was alles vergeschlechtlicht wird, von Charaktereigenschaften bis zu Farben, ändert sich zwar, wird aber nicht aufgehoben. Auch der feministische Blick hat feine Unterschiede konstruiert, die Machtverhältnisse reproduzieren.

[3] Diese Form von Pink oder Woke Washing (oder wie man diese Doppelmoral auch immer nennen soll) ist der liederlichste Umgang mit Sexismus überhaupt. Sich als Antisexist oder Feminist zu bezeichnen, ist keine Legitimation für Übergriffigkeiten gegenüber egal welcher Frau. Besonders in diesem Kontext werden betroffene Frauen gerne als unpolitisch, nichtfeministisch oder schlampenartig geframt.