Zwischen allen Stühlen … Uni Downtown Reloaded
Im Sommersemester bietet die Universität sieben Vorträge an verschiedenen städtischen Orten an. Es geht um Lehrprojekte, die in Zusammenarbeit mit der Stadtgesellschaft durchgeführt wurden.
Immer wenn ich an der Uni bin, freue ich mich darauf, auf dem Rückweg mit dem Fahrrad den Gießberg hinunterzuradeln. Wind um die Nase, Sonne – oder auch mal Regen – auf der Haut – ein schönes Gefühl! „Vom Gießberg in die Stadt“ heißt eine Vortragsreihe, die genau diese Bewegung aufnimmt und von Projekten berichtet, die sich auf den Weg gemacht haben vom elfenbeinernen Turm ins fruchtbare Tal städtischen Lebens und auf dieser Reise ganz entspannt die in manchen Konstanzer Kreisen immer noch kursierende Mär von der elitären Denkbude, die den Weg zu den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Konstanz nicht findet, hinter sich lässt.
Denn es geschieht viel zwischen Gießberg, Münsterplatz, Schänzle und Industriegebiet. Und einiges davon ist in der Stadt sogar sichtbar: Ausstellungen beispielsweise. Regelmäßig erarbeiten Studierende Ausstellungen. Fotoausstellungen, die im Turm zur Katz gezeigt werden, meist mit ebenfalls von Studierenden erstellten Katalogen. Oder große Themenausstellungen, auch im Turm zur Katz: zu Künstlicher Intelligenz etwa oder zuletzt zu den Pandemien, mit denen die Menschheit seit Anbeginn leben muss, was ihr voraussichtlich in Zukunft jedoch größere Probleme bereiten wird.
Manche Ausstellungen sind politisch: etwa die im Richentalsaal zu sehende Ausstellung „Stoff. Blut. Gold“, bei der neue Forschungsergebnisse die Beteiligung der Konstanzer Kaufleute am organisierten Sklavenhandel im 16. Jahrhundert dokumentierten. Der zugehörige Stadtrundgang – Schilder machen auf koloniale Momente der Stadt aufmerksam – wurde durchaus kritisch aufgenommen, aber: warum auch nicht? Denn was wäre Wissenschaft, was wäre Demokratie, wenn nicht kritischer Dialog, gern auch Streit und harter Konflikt, solange es um die Sache geht?
Ergebnisse von Forschung und Lehre allgemeinverständlich vermitteln
Studierende sollen in solchen Projekten ja nicht nur lernen, die Ergebnisse von Forschung und Lehre allgemeinverständlich zu kommunizieren. Sie sollen auch, aber ebenfalls nicht nur, erste beruflichstaugliche Erfahrungen machen. Was aber noch wichtiger ist: Sie sollen Wissenschaft im direkten Austausch mit der Gesellschaft, deren Teilsystem sie ist, erfahren. Der Gießberg mag geographisch außerhalb der Stadt liegen, gehört aber dennoch zu ihr, ist Teil ihres Ökosystems. So waren die Hochschulen an der Erarbeitung der Ideen und Konzepte für das Modellquartier „Am Horn“ und auch zum neuen Stadtteil Hafner beteiligt. Dazu gehörten auch soziologische und psychologische Lehrprojekte – etwa zur Gesundheit von Architektur. Oder Schlüsselqualifikationsprojekte zur guten Nachbarschaft und zur Unterstützung längerer Selbstständigkeit alter Menschen.
Es gibt Lehrprojekte, die diesen Austausch weniger öffentlich sichtbar, aber umso nachhaltiger leben. Studierende der Wirtschaftspädagogik unterstützen in Tandems Geflüchtete im Rahmen von deren Ausbildung, helfen aber auch bei Alltagsproblemen. Physikstudierende produzieren Lehrfilme zu Sachfragen, die Lehrer:innen stellen. Studierende der Politik- und Verwaltungswissenschaft schreiben Nachhaltigkeitsberichte für Unternehmen und entwerfen Digitalisierungskonzepte für Gemeinden, die allen an Verwaltungsprozessen beteiligten Akteur:inn:en wirklich gerecht werden. Literaturwissenschaftsstudierende engagieren sich im Bereich Jugendstrafvollzug, und Kulturwissenschaftsstudierende arbeiten an der Erstellung eines neuen Moduls für die Polizist:inn:enausbildung mit. Transfer in der Lehre ist vielfältig und präsent.
Die Uni, so könnte man sagen, ist längst in der Stadt angekommen. Die Vortragsreihe „Vom Gießberg in die Stadt“ möchte allen Konstanzerinnen und Konstanzern die Möglichkeit geben, Projekte aus der akademischen Lehre näher kennenzulernen. Zu diesem Zweck wurden Orte gewählt, die in Bezug zum jeweiligen Inhalt des Vortrags stehen: Albert Kümmel-Schnur vom Team „Transfer Lehre“ erklärt am 13. April im Atelier der Malerin Sabine Becker, warum Hochschullehre nicht im Elfenbeinturm bleibt, der Sprachwissenschaftler Theo Marinis zeigt am 27. April im Treffpunkt Petershausen, wie man Mehrsprachigkeit in der Stadtgesellschaft wissenschaftlich fördert und unterstützt.
Wie lassen sich Menschenrechte öffentlich sichtbar machen
Die Literaturwissenschaftlerin Sarah Seidel fragt am 11. Mai im Café Doppio, wie man Menschenrechte öffentlich sichtbar machen kann. Der Maschinenbauer Manuel Bernhardt lädt die Stadtgesellschaft am 25. Mai in das neue FabLab der Universität, das auch Konstanzerinnen und Konstanzern zur Nutzung offenstehen wird. Die Historikerin Christine Bertram stellt am 15. Juni im Seniorenzentrum an der Laube ein Projekt zu persönlichen Erinnerungen als historischen Quellen vor.
Theatralisch wird es in der Gemeinschaftsschule Gebhard am 29. Juni: der Deutschdidaktiker Christian Heigel zeigt, was man im Schulunterricht alles mit Theatermethoden machen kann, auch und gerade, wenn man kein Stück auf eine Bühne bringen möchte. Die Reihe wird am 13. Juli abgeschlossen im Kaffee Blende 8, das zur Leica Galerie gehört. Dort stellt die Slavistin Maria Zhukova ein fotografisches Erinnerungsprojekt zum sowjetischen Fernsehen vor. Der Vortrag basiert auf einem Workshop von Studierenden mit der estländischen Künstlerin Maria Kapajeva.
Alle Vorträge finden von 19 bis 20 Uhr statt, der Eintritt ist frei, aber die Plätze sind – je nach Veranstaltungsort – begrenzt. Es lohnt sich also, rechtzeitig zu kommen.
Text: Albert Kümmel-Schnur, Symbolbild: cl