Bücherwurm (2): Von HIV, AIDS und dem Trauma des Überlebens
Krisen, egal ob wirtschaftlich, sozial oder politisch, waren und sind eine große Herausforderung, die Ausgrenzung, Angst und Trauma mit sich bringen. Eine Zeit, in der all diese Gefühle besonders präsent waren, stellt der Höhepunkt der HIV- und Aids-Epidemie in den 1980ern dar. In „The Great Believers“ (dt.: „Die Optimisten“) thematisiert Rebecca Makkai genau diese geschichtliche Periode auf eindrucksvolle und berührende Art, indem sie darstellt, wie sie nicht nur die Erkrankten, sondern auch deren Umfeld betroffen hat und wie die Folgen noch Jahre später nachwirken.
Der vielfach ausgezeichnete Roman beginnt im Jahr 1985 in Chicago und begleitet den Protagonisten Yale Tishman und seine Freund*innen durch den Höhepunkt der Aids-Krise. Während Yales professionelle Karriere in einer Kunstgalerie kurz vor ihrem möglichen Höhepunkt steht, trifft die HIV- und Aids-Epidemie immer mehr Menschen in seinem Umfeld, bis er schließlich fast alleine dasteht. Im Paris von 2015 wiederum lernen wir Fiona Marcus näher kennen, die in Yales Freundeskreis verkehrte – und deren Bruder sowie zahlreiche weitere Freunde an Aids starben. Fiona sucht in Paris nach ihrer verschwundenen Tochter und beschäftigt sich dabei tiefgehend damit, wie zerstörerisch die HIV- und Aids-Epidemie sich auf ihr Leben und die Beziehung zu ihrer Tochter ausgewirkt hat.
Was ist eigentlich Aids?
Die Krankheit Aids beziehungsweise HIV wurde erstmals 1981 dokumentiert und wurde 1982 als „Acquired Immune Deficiency Syndrome“, kurz Aids, klassifiziert, also als erworbenes Immunschwächesyndrom. Als HIV wird dabei das Virus bezeichnet, das die Abwehrkräfte des Körpers schwächt, wodurch die erkrankte Person letztlich keine Krankheiten oder Infektionen mehr bekämpfen kann. Ohne Behandlung entsteht so das Krankheitsbild AIDS, das tödlich endet.
In Deutschland wurden im Jahr 1982 die ersten HIV-Infektionen diagnostiziert. Als betroffene Personengruppe galten damals schwule Männer, wodurch diese starker Stigmatisierung ausgesetzt waren und sind, da das Virus vor allem durch Geschlechtsverkehr übertragen wird. Im Laufe der nächsten Jahre breitete sich das Virus rasant aus und tötete tausende von Menschen – das Ende das 20. Jahrhunderts galt damit als Höhepunkt der HIV- und Aids-Epidemie.
Heute ist HIV zwar noch nicht heilbar, aber gut behandelbar, allerdings besteht eine große Schieflage bei der Verteilung von Medikamenten. So ist Südafrika besonders stark durch das HIV-Virus betroffen und verfügt gleichzeitig kaum über Medikamente. Gleichzeitig ist eines der größten Probleme, mit dem sich HIV-positive Menschen auseinandersetzen müssen, die anhaltende Ablehnung und Benachteiligung, die zu ihrem Alltag gehört.
Die Initiative „Welt-Aids-Tag“ schreibt dazu: „Grund für die Diskriminierung von Menschen mit HIV sind meist unbegründete Ängste vor einer HIV-Übertragung, oft aber auch moralische Vorbehalte, da HIV mit Homosexualität, negativ bewertetem Sexualverhalten und Drogenkonsum in Verbindung gebracht wird. Menschen mit HIV erleben immer wieder Schuldzuweisungen und Abwertung, auch im Familien- und Freund*innenkreis, zum Beispiel durch „dumme Sprüche“ wie „Das muss doch heute niemandem mehr passieren“ oder „Selbst schuld, wenn man so lebt wie du“. Um dem entgegenzuwirken, leistet die Initiative viel Aufklärungsarbeit und hat beispielsweise den 01. Dezember als Welt-Aids-Tag ins Leben gerufen.
Trauma über Generationen
In „The Great Believers“ greift Makkai diese moralischen Aspekte der Aids-Epidemie und viele weitere emotionale Zusammenhänge auf. Die beiden zuvor dargelegten Erzählstränge gehen dabei Hand in Hand und ermöglichen einen Einblick in die tiefen Spuren, die die Aids-Pandemie nicht nur zu ihrem Höhepunkt, sondern bis heute hinterlässt. Durch die ausführlich gezeichneten Charaktere wird das Trauma, das noch über Generationen spürbar ist, gewissermaßen greifbar. Liebe spielt dabei eine Doppelrolle als heilende Kraft auf der einen Seite und Gefahr auf der anderen Seite, die klaffende, zerstörerische Wunden bewirken kann.
Mittels mehrerer nebensächlicher Erzähllinien schafft Makkai zudem einen geschichtlich akkuraten und realitätsnahen Erzählcharakter, der nicht nur die Aids-Pandemie an sich, sondern viele verschiedene Krisen und Ereignisse zum Thema macht. So schreibt beispielsweise Harper’s Bazar in einer Rezension: „Focused on a group of friends, lovers and family outcasts, the book highlights the way tragic illness shifts the courses of people’s lives – and how its touch forever lingers on those left behind.”
Wir lernen, wie unterschiedlich schwule Männer mit der Aids-Krise umgegangen sind, wie die Gesellschaft lange Zeit tausende von Toden ignorierte bis förderte, wie stark die Ungewissheit war und wie eine Tat nicht nur eine Person umbringen, sondern einen ganzen Rattenschwanz an Infektionen nach sich ziehen konnte.
Berührend, emotional und aufrüttelnd
Alles in allem hat mich „The Great Believers“ tief berührt und mir die Augen geöffnet für die Komplexität der Aids-Epidemie sowie das Generationentrauma, das eine Krise jeglicher Art auslösen kann und schwer auf den Überlebenden lastet. Makkai hat einen Roman geschaffen, der vor Tod nur so strotzt und gleichzeitig vibriert an Leben und Liebe. Damit zeichnet die Autorin einen starken Kontrast zu den häufigen Schwarz-weiß-Zeichnungen von Aids als einer Krankheit, die durch Unreinheit entsteht und nur schwule Männer betrifft, wodurch sie eine häufig verkannte Lebensrealität sichtbar macht.
Ein Roman, bei dem ich geweint habe vor Schmerz und Verlust, gelacht habe vor Glück und in einer Achterbahn der Gefühle Yale, Fiona und die vielen anderen durch eine schmerzhafte Periode ihres Lebens und bis in die Zukunft hinein begleitet habe. Ich kann diese Achterbahn nur empfehlen – „The Great Believers“ ist sicherlich kein emotional einfaches Buch, aber es hinterlässt seine Spuren und steht für mich weit oben auf der Liste meiner Lieblingsbücher.
Autor*in: Connie Lutz
Bildrechte: Anna Shvets auf Pexels
Bildbeschreibung für Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen: Das Bild zeigt den Oberkörper einer Person, die eine weiße Cordjacke trägt, vor einem hellen Hintergrund. Die Person hat eine rote Aids-Schleife angesteckt, die Solidarität mit Betroffenen ausdrückt und Aufmerksamkeit für die Krankheit generieren soll.
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Quellen zur weiteren Auseinandersetzung mit HIV und Aids:
- Website der Initiative „Welt-Aids-Tag“.
- „40 Jahre AIDS: Chronologie einer Krankheit“, Deutsche Welle. 01.12.2021.