Engagiert und widerspenstig: Wer wars? (69)
Der musikalische Stichwortgeber
Es ging von Ohr zu Ohr: In der Nacht auf den 25. April werde etwas geschehen, man müsse unbedingt Radio hören. Und tatsächlich: Kurz nach Mitternacht verlas ein Sprecher die erste Strophe eines verbotenen Lieds. Dann war das Lied selbst zu hören, eine Hymne auf Gleichheit und Brüderlichkeit, gesungen von einem Mann, allein dessen Namen zu nennen schon unter Strafe stand. Das war das Startsignal für die Armeerebellion. Jubelnd strömten die Menschen auf die Straßen und empfingen die aufständischen Soldaten mit roten Nelken. Einen Tag später gehörte Portugals Diktatur der Vergangenheit an. Das war 1974.
Der Sänger und Komponist des Liedes war 1929 in der portugiesischen Hafenstadt Aveiro zur Welt gekommen. Vom autoritären Regime, das António de Oliveira Salazar 1932 errichtet hatte, bekam er zunächst nur wenig mit. Meist lebte er in Angola oder Mozambique, den Kolonien, in denen sein Vater als Richter fungierte (seine Mutter war Lehrerin). Als er dann aber 1938 zum weiteren Schulbesuch nach Portugal zurückgeschickt wurde, erwischte es ihn hart: Sein Onkel steckte ihn in eine faschistische Jugendorganisation, was dem Buben „die schlimmste Zeit“ seines Lebens bescherte.
Doch dann ging er in die Musikstadt Coimbra, wo er Geschichte und Philosophie studierte und Lehrer wurde. Er entdeckte den Fado und eroberte mit seinen politisch anspielungsreichen Balladen und Folksongs (denen er später auch afrikanische Elemente beimischte) die Herzen der ArbeiterInnen in Stadt und Land. Dass seine Texte zunehmend „subversiv“ wurden, rief schließlich die Zensur auf den Plan; man entzog ihm die Lehrbefugnis und einmal für zwanzig Tage auch die Freiheit.
Als das Militärregime 1969 einen etwas gemäßigteren Kurs einschlug – das abgewirtschaftete Land konnte sich längst nur noch durch die Ausbeutung seiner Kolonien aufrechthalten –, schloss sich der Protestsänger der aufkeimenden Gewerkschaftsbewegung an. Er komponierte, dichtete, sang, landab, landauf, oft von der Staatsgewalt behindert. Das Konzert am 29. März 1974 in Lissabon jedoch blieb unbehelligt. Niemand griff ein, als am Ende das Publikum – darunter viele kolonialkriegsmüde Offiziere – das Lied „Grândola, vila morena“ sang, jene verbotene Hymne, die vier Wochen später die Nelkenrevolution einleitete und einen Moment lang von einer herrschaftsfreien Zukunft träumen ließ.
Wer war der große Liedermacher, der auf seinen Europatourneen für Landkooperativen und Kulturzentren Geld sammelte und dessen Sarg 1987 über 30.000 PortugiesInnen folgten?
Text und Bildcollage: Brigitte Matern
Die Auflösung erscheint am kommenden Montag.