1848er-Revolutionär Friedrich Hecker: Der badische Che
Ein historischer Rückblick: Vor 175 Jahren wurde der Badener Friedrich Hecker zum Popstar der 1848er-Revolution in Deutschland. Nachdem sein „Heckerzug“ bei Kandern im Schwarzwald gescheitert war, begann der Kult um ihn erst richtig. Mit teils kuriosen Ausläufern bis heute. Auch das Konstanzer Rosgartenmuseum erinnert ab 17. Mai mit einer Sonderausstellung im Richentalsaal des Kulturzentrums am Münster an den badischen Revolutionär, die dort bis 7. Januar 2024 gezeigt wird.
„Hecker hoch!“ „Es lebe Hecker!“ – im Frühjahr und Sommer 1848 waren solche Rufe in Baden und bald auch in Württemberg immer häufiger zu hören. Auch weiter weg wurde dem badischen Revolutionär Friedrich Hecker gehuldigt. In der Pfalz, in Hessen, selbst in Sachsen sollen Lieder auf ihn gesungen worden sein – am bekanntesten das „Heckerlied“: „Er hängt an keinem Baume, er hängt an keinem Strick. Er hängt nur an dem Traume der freien Republik.“
Friedrich Hecker war in dieser Zeit nicht nur ein Volksheld, er wurde zu einer Art Popstar, löste einen regelrechten Kult aus. Interessant dabei: Der Kult begann erst, als er selber die revolutionäre Bühne schon verlassen hatte. Sein Auftritt in der deutschen Revolution von 1848/49 ist ein relativ kurzer.
Geboren am 28. September 1811 in Eichtersheim im Kraichgau, damals Großherzogtum Baden, war Hecker schon in der Schulzeit bekannt für sein außergewöhnliches rhetorisches Talent. Er studierte Rechtswissenschaft in Heidelberg, arbeitete ab 1838 als Anwalt in Mannheim, ehe er 1843 seine politische Karriere begann; erst im Mannheimer Gemeinderat, dann in der Zweiten Badischen Kammer. Dort erwarb sich Hecker mit stürmischen Auftritten den Ruf des Wortführers der liberalen und demokratischen Opposition – und eine gewisse Popularität. Auch, weil er sich auf Themen konzentrierte, „die nahe an den Bedürfnissen der Bevölkerung lagen und soziale Brisanz hatten“, so der Berliner Historiker Joachim Baur. Hecker forderte unter anderem die Förderung von Genossenschaften von Handwerkern und Arbeitern, ein breites aktives und passives Wahlrecht, die Trennung von Staat und Kirche, schließlich im „Offenburger Programm“ von 1847 auch eine „progressive Einkommenssteuer“ und eine „Ausgleichung des Mißverhältnisses zwischen Arbeit und Capital“.
Der „Heckerzug“ war kein Erfolg
Kurz nachdem im März 1848 auch in Deutschland die Revolution ausbrach, wurde Hecker ins Frankfurter Vorparlament gewählt. Dort geriet er aber als Teil der radikal-demokratischen und republikanischen Minderheit immer mehr ins Hintertreffen gegenüber den Liberalen und gemäßigten Demokraten. Nachdem er sich mit seiner Forderung, das Parlament in der Paulskirche solle „in Permanenz“ tagen, nicht durchsetzen konnte, ging Hecker nach Baden zurück, mit dem Ziel, die Revolution erst einmal dort umzusetzen.
Am 12. April 1848 rief er in Konstanz die Republik aus und startete seinen „Heckerzug“. Der Plan war, mit einer auf dem Weg immer weiter anwachsenden revolutionären Truppe nach Karlsruhe zu ziehen, um dort den badischen Großherzog abzusetzen. Doch schon der Anfang war ernüchternd. In Konstanz ging er mit kaum 60 Getreuen los, am Ende, als Heckers Kolonne am 20. April bei Kandern im Südschwarzwald auf weit überlegene hessische und badische Truppen traf, waren es um 1.200. Die Revolutionäre unterlagen. Hecker musste in die Schweiz fliehen, wanderte kurz danach in die USA aus und kämpfte im Bürgerkrieg (1861 bis 1865) als Offizier auf Seiten der Nordstaaten. Erst sehr viel später kam er noch einmal nach Deutschland, 1881 starb Hecker auf seiner Farm in Illinois.
Schon vor seinem gescheiterten Zug war Hecker in Deutschland nicht zuletzt wegen seiner flammenden Reden in der Paulskirche bekannt, er war der „beliebteste Volksmann in Deutschland“, wie Jörg Bong in seinem Revolutions-Panorama „Die Flamme der Freiheit“ schreibt. Doch nun, nach dem 20. April, wandelte sich diese Beliebtheit in geradezu kultische Verehrung.
Und die äußerte sich nicht nur in Hochrufen und Liedern, sondern auch in Devotionalien, heute würde man sagen: Merchandising. So gab es jede Menge Bilder, meist Lithographien, die ihn in unterschiedlichen Motiven zeigten. Mal als Anwalt in bürgerlicher Kleidung, mal als Freischärler: mit seinem charakteristischen, breitkrempigen Hut mit angesteckter Feder, bald als „Heckerhut“ bekannt, mit hohen Stiefeln, weiter Bluse, Pistolen im Gürtel, Säbel und Gewehr. Hecker wirkt und posiert oft wie ein Räuberhauptmann, wild und entschlossen. Manche Motive wecken sogar religiöse Assoziationen, erinnern an populäre Christus-Darstellungen.
Hecker-Merch war beliebt
Die Bildmotive fanden sich auf Holzkästchen und Ziertellern, Kacheln, Schals und Medaillen. Und der Revolutionär wurde nicht nur auf Zier-, sondern auch auf Gebrauchsgegenständen verewigt: Heckerköpfe und -figuren gab es als Spazierstockknauf, Pfeifenkopf oder, besonders beliebt, Anstecknadel. Und schließlich wurden seine Kleidung, sein Bart und seine Frisur selbst zur Mode. Mit hohen Stiefeln, weiten Blusen, dem „Demokratenbart“ und dem Heckerhut konnte Sympathie mit dem badischen Aprilaufstand und mit der republikanischen Sache insgesamt ausgedrückt werden.
Aus Heckers Popularität versuchten viele Profit zu ziehen. Die kommerzielle Medaillenwerkstatt Drentwett in Augsburg beispielsweise fertigte zwar auch Medaillen mit Bildern des reaktionären österreichischen Grafen und Feldmarschalls Josef Wenzel von Radetzky. Der warf in Italien nach der dortigen Revolution die Unabhängigkeitsbewegung nieder. Doch plötzlich gab es dort auch welche mit Hecker-Bildern und mehr oder weniger revolutionären Parolen wie „Friedrich Hecker der Mann des Volcks“ oder „Für Freiheit, Gleichheit, Bruderliebe“. Hätte Hecker ein gutes Jahrhundert später gelebt, sein Konterfei wäre auf T-Shirts und Postern abgebildet gewesen, wie seit über 50 Jahren das des kubanischen Revolutionärs Ernesto Che Guevara. Unter anderem diese Assoziation war es, die den Historiker Joachim Baur vor 22 Jahren bewog, den Kult um die beiden Männer zu analysieren und zu vergleichen. „Zur Genese des revolutionären Helden“ heißt seine im Jahr 2000 an der Uni Stuttgart eingereichte Diplomarbeit (online nachles- und downloadbar).
Unterschiede zwischen den beiden Revolutionären gibt es dabei natürlich reichlich; etwa bei den konkreten politischen Zielen, die beide verkörperten – eine demokratische Republik bei Hecker, sozialistische und antiimperialistische Ziele bei Guevara –, oder bei der geografischen Verbreitung des Kults um sie.
Doch es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die auf beide zutreffen und laut Baur Bedingungen sind für die Herausbildung eines „revolutionären Helden“: Beide sind in Zeiten von Umbrüchen und Krisen politisch aktiv, der Bedarf an Identifikationsfiguren ist hoch. Und beide, Hecker und Che, konnten diesen Bedarf befriedigen, verkörperten ein „Identifikationsangebot“. Konkret: Sie mussten bereits in der Bevölkerung bekannt sein, ein politisches Programm vertreten, das mit dem der revolutionären Bewegung weitgehend übereinstimmt, und sie mussten Sympathieträger sein und dabei über einige „Sonderbegabungen“ verfügen. Bei Hecker werden von Zeitgenossen nicht nur die rhetorischen Fertigkeiten und seine entschlossene Art, sondern auch sein Äußeres hervorgehoben.
„Gesund gefärbtes Antlitz mit sinnlichem Munde“
Ein namentlich nicht genannter Beobachter etwa schreibt 1848, Hecker sei ein „stattlicher schöner Mann (…) In dem wohlgeformten und gesund gefärbten Antlitz mit entgegenkommendem sinnlichen Munde, umgeben von dem reichen Haar mit lichtbraunem Schein um Haupt und Kinn liegt jenes Einnehmende, welches uns hübsche Personen, je länger wir sie betrachten, immer hübscher und liebenswürdiger vorkommen läßt. Fügen wir dazu noch eine angemessene Bewegung der Arme beim Vortrag (…) und eine dem Ohr wohltuende Stimme, so haben wir in Hecker das Bild eines Volksmannes, Volksredners und Volksführers, wie wir es uns kaum passender denken können.“
Damit aus großer Popularität kultische Verehrung wird, bedarf es aber bei Hecker wie Che Guevara noch etwas: ein „spektakuläres Ereignis“. Bei Hecker Aprilaufstand und Heckerzug, bei Guevara Guerillakampf und Tod in Bolivien – wobei sich beide als entschlossen und tatkräftig erweisen, sich sozusagen „bewähren“. Bemerkenswert ist noch eine Parallele, die Baur als „Ausscheiden aus dem revolutionären Prozess vor dessen Niedergang“ beschreibt: Bei Guevara ist das Ausscheiden endgültig, er wird ermordet. Hecker geht erst in die Schweiz und dann in die USA ins Exil. Mit dem möglicherweise desillusionierenden Fortgang der Revolution haben beide nichts mehr am Hut, die politischen Mühen der Ebene bleiben ihnen erspart, der mythische Ruf erhalten, das Heldenbild unangekratzt. So gesehen war das frühe Scheitern des Heckerzugs seiner Popularität sogar förderlich.
In beiden Fällen entfernen sich die Bezüge auf die Revolutionäre später mehr und mehr von den historischen Personen, von ihren konkreten politischen Inhalten. Che Guevara wurde schon als Werbefigur genutzt für die Autovermietung Europcar (2002) und die Autohersteller Mazda (2004) und Mercedes (2012) – der Bezug auf „Revolution“ bedeutet hier nur noch revolutionäre Technik oder ein revolutionäres Angebot.
Bei Hecker sind die Entwicklungen teils noch bizarrer, weil noch mehr Zeit vergangen ist. Von der Verkörperung des „typischen Demokraten“ in der Revolutionszeit wird er im nicht sonderlich demokratischen Deutschen Kaiserreich zu einer positiven Verkörperung des „typisch Deutschen“ stilisiert. Statt seiner politischen Ziele wird nur noch seine Tatkraft und Entschlossenheit betont. In den USA wird er zum Symbol der nationalen Identität der Deutsch-Amerikaner und der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Nach einer Zeit des Vergessens wird Hecker nach 1945 wiederentdeckt und teils als Gegenbild zu den Nazis, als Symbol für ein „anderes Deutschland“ bemüht.
Danach werden die Bezugnahmen unübersichtlicher: Im Zuge der 68er-Bewegung wird Hecker immer wieder zur Identifikationsfigur. Auf dem Cover der Schallplatte „Flugblattlieder“ des badischen Liedermachers Walter Mossmann, der gegen das AKW Wyhl aktiv war, ist etwa eine Figur mit Heckerhut zu entdecken, die gegen Atomkraftwerke protestiert.
Die FDP hat den Säbel wegretuschiert
Aber auch die politisch andere Seite vereinnahmt Hecker. Die CDU wirbt 1976 auf einem Wahlplakat mit ihm und dem Slogan „Freiheit statt Sozialismus“. 1978 zeigt ein Plakat der Wanderausstellung „Die liberale Revolution“ der FDP-nahen Reinhold-Maier-Stiftung ein zeitgenössisches Hecker-Bild – aber, damit’s nicht zu radikal wirkt, mit wegretuschiertem Säbel und Gewehr.
Beim 150-jährigen Revolutionsjubiläum 1998 in Baden-Württemberg kennt die Verkitschung kaum noch Grenzen: Konditoreien stellen Heckerhüte mit Schokoguss oder aus Marzipan her, und selbst der CDU-Ministerpräsident Erwin Teufel setzt sich einen Heckerhut auf. Taz-Autor Jürgen Berger stößt das damals sauer auf: 1848/49 wäre Teufel, „die Inkarnation des schwäbischen Pietismus“, „wohl einer der ersten gewesen, der preußisches Militär zur Niederschlagung revolutionärer Freischärlerhaufen in den Süden beordert hätte“, echauffiert sich Berger. „150 Jahre später darf er ungestraft in TV-Mikros hauchen, auch er wäre damals Revolutionär gewesen.“
Auch im öffentlichen Raum ist Hecker zu sehen. Zum Beispiel in Johannes Grützkes aus Majolika-Keramik gefertigtem Triptychon „Heckerzug“, seit 1998 am Konstanzer St.-Stephans-Platz, das Hecker aber historisch unkorrekt mit schwarzem statt blondem Bart und insgesamt etwas räuberhotzenplotzig zeigt (Grützke ist Berliner). Das kann dem Bildhauer Peter Lenk schon deshalb nicht passieren, weil er seine Figuren nicht anmalt – sein Denkmal „Badische Revolution„, 2004 in Schopfheim aufgestellt, zeigt neben vielen anderen Figuren auch einen Hecker.
Und heute? Vergleichsweise ruhig gegenüber dem 150. zeigt sich bislang das 175. Revolutionsjubiläum in diesem Jahr. Okay, der Schwarzwaldverein bietet „Wandern auf Heckers Spuren“ an, doch insgesamt ist es wohl eher so, wie Heribert Prantl in einem Kommentar in der „Süddeutschen Zeitung“ schreibt: „Es klingelt nichts, wenn man Namen hört wie Carl Schurz oder Friedrich Hecker“. „Schändlich wenig“ wisse man in Deutschland über die Wegbereiter der Demokratie, klagt Prantl, und findet: „Es wird Zeit, das zu ändern. Ich bin ein Heckerist.“
Nach all den verschiedenen Hecker-Vereinnahmungen der Vergangenheit sind leise Zweifel angebracht, ob ein neuer Heckerismus näher an den politischen Idealen des historischen Heckers wäre.
Text: Oliver Stenzel. Sein Beitrag erschien zuerst auf: www.kontextwochenzeitung.de
Bild: O. Pugliese. Die Aufnahme zeigt Grützkes Triptychon „Heckerzug“ am Konstanzer Bürger*innensaal.
@Andreas Remark: Einfach das nette kleine Browser-Plugin „No Gender“ aktivieren und alle Texte sind plötzlich wieder ganz normal lesbar.
Bürger*innensaal – ein perfektes Beispiel dafür, wie schnell gut gemeintes Gendern ins Lächerliche abgleiten kann.