Heuschrecken tapsen über die Bühne
Sie gehörten zu den zehn biblischen Plagen, werden heute in Teilen Südostasiens als Delikatesse verputzt und gelten auch manchen zukunftszugewandten Europäer*innen als klimagerechte Alternative zum Fleischverzehr: Heuschrecken.
Bei uns in den landwirtschaftlich intensiv genutzten Naturresten sind die putzigen Krabbeltierchen mit dem ausgeprägten Gruppenzwang praktisch ausgestorben, obwohl sie noch vor wenigen Jahrhunderten auch in unseren Breiten für Verwüstungen sorgten – für uns gilt also einmal mehr: Aus den Augen, aus dem Sinn.
Andernorts aber weiß man sie seit den ältesten Tagen bis heute zu fürchten: „Da sprach der Herr zu Mose: Strecke deine Hand über Ägyptenland, dass Heuschrecken auf Ägyptenland kommen und alles auffressen, was im Lande wächst, alles, was der Hagel übriggelassen hat“ (2 Mos 10,12).
Doch neben ihrer Neigung zum Ratzekahlputz ganzer Landstriche besitzen sie auch eine Fähigkeit, die selbst uns Menschen als Oktoberfestbesucher*innen weitgehend abgeht: Sie können riesige, höchst effektive Schwärme bilden, und das ohne Handy und Internet. Wie sie das anstellen, wurde jetzt an der Universität Konstanz untersucht, teilte deren Abteilung für Kommunikation und Marketing jüngst mit:
„60.000 Heuschreckenfüße laufen in einer Arena. Sie marschieren von links nach rechts, von rechts nach links. Von dem tapsenden Geräusch der Heuschrecken ist der Imaging Hangar, das größte Labor der Universität Konstanz, erfüllt. Das Experiment ermöglicht es erstmals, die Bildung von Heuschreckenschwärmen im Labor zu studieren.
Die Forschenden verfolgen das Ziel, die Organisation und die Dynamiken, aber auch das Verhalten bei der Nahrungssuche bezüglich Futterverfügbarkeit oder die Kommunikation bei Gefahren in großen Schwärmen zu verstehen. Dafür haben sie rund 4.000 der Tiere mit reflektierenden Markern versehen. Von einem Motion-Capture-System werden die Marker erkannt. Damit können der Standort und die Bewegungsabläufe jedes einzelnen Tieres nachvollzogen werden.
„Ohne Zweifel, ein Höhepunkt meiner Karriere“, sagt Iain Couzin, der mit dem 15-köpfigen Forschungsteam die Schwarmbildung vom Kontrollraum aus beobachtet. Der Sprecher des Exzellenzclusters Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour (CASCB) der Universität Konstanz und Direktor des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie leitet das Gesamtprojekt.
Besonders ist das Experiment aufgrund der Anzahl der Tiere und der eingesetzten Technik. Bisher gab es kein vergleichbares Experiment, schildern die Wissenschaftler*innen vom Exzellenzcluster CASCB der Universität Konstanz und dem Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. Laborexperimente mit Heuschreckenschwärmen umfassten bislang typischerweise um die hundert Tiere.“
Was aber wird aus den Heuschrecken nach dem Experiment? Werden sie freigelassen, um die Apokalypse anzukündigen? Gehen sie als vermeintliche Gorilla-Bratlinge über die Mensa-Theke? Wir haben gefragt und erhielten eine offene Antwort: „Heuschrecken haben eine Lebenserwartung von rund drei bis vier Monaten und erreichen somit nicht lange nach dem Experiment das Ende ihrer natürlichen Lebensspanne. Nach Abschluss des Großexperiments mit 10.000 Heuschrecken wird ein Teil der Heuschrecken für weitere wissenschaftliche Verhaltensexperimente eingesetzt. Ein weiterer Teil der Heuschrecken geht in unsere universitäre Zucht über. Die übrigen Tiere werden als Futtermittel in der biologischen Lehrsammlung der Universität eingesetzt. In der Tat stammen die Heuschrecken auch aus der Tierfutterzucht, sie wurden also ursprünglich als Futter für andere Tiere gezüchtet.“
Einen ausführlicheren Überblick über das Experiment finden Sie hier.
Text: Redaktion, Universität Konstanz
Bilder: Universität Konstanz, Elisabeth Böker, Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour