Kritik am Gutachten zum Hegau-Bodenseeklinikum
Die Ortsverbände Singen und Radolfzell des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) üben Kritik am Gutachten zur Sanierungsfähigkeit des Hegau-Bodenseeklinikums, das seit einigen Wochen vorliegt. Sie fordern, bei der Standortentscheidung Faktoren wie Infrastrukturmaßnahmen, Flächenverbrauch, ökologische Auswirkungen und deren Kosten einzubeziehen.
Hier die Erklärung:
Das Gutachten soll eine wichtige Grundlage für die Entscheidung zum Krankenhaus-Standort bilden. Diese Entscheidung soll bis zu den Sommerferien fallen, wie Beamte des Landratsamts Konstanz bei einem Dialogforum am 10. März 2023 mitteilten.
Wichtige Gesichtspunkte fehlen
„Es fehlen sowohl klinikbezogene als auch ‚krankenhausfremde‘ Gesichtspunkte in diesem Gutachten“, sagt Thomas Giesinger, Vorstandsmitglied des BUND Radolfzell.
Rainer Behn, Sprecher des BUND-Ortsverbandes Singen, fasst die Kritik der beiden BUND-Gruppen so zusammen:
- Die Aufgabenstellung des Gutachtens ist sehr eng gefasst. Erwartet wurde eine umfassende Stellungnahme, auch unter dem Aspekt der Chancen des bisherigen Singener Standorts, so die Einbindung angegliederter, geografisch naher sozialer und medizinischer Einrichtungen.
- Die möglichen Chancen einer Nutzung der vorhandenen flächigen Erweiterungsmöglichkeit am derzeitigen Standort wurden nicht berücksichtigt.
- Infrastrukturfragen wie die Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr und die einfache Erreichbarkeit für Singener Stadtbewohner wurden nicht berücksichtigt.
- Kosten vor allem für begleitende neue Infrastruktur bei einem Neubau müssen bei einem Kostenvergleich mit Umbau und Sanierung des heutigen Standorts eingerechnet und berücksichtigt werden.
- Ökologische Faktoren wie Flächenverbrauch, Hochwasser- oder Trinkwasserschutz und andere fanden keine Bewertung.
Rainer Behns Fazit: „Das Gutachten liefert nur eine isolierte Betrachtung rein auf die Sanierung der Bestandssubstanz. Das kann nicht die Grundlage für eine Entscheidung sein, ob saniert und umgebaut wird oder ein Neubau erfolgt.“ Er fordert auch: Vertreterinnen und Vertreter des Entscheidungsgremiums bzw. der Gremien bei der Standortfrage sollten die Erstellung des „Sanierungsgutachtens“ nicht begleiten und auch nicht öffentlich bewerten.
Krankenhausfremde Kosten
Die vom BUND so genannten „krankenhausfremden“ Kosten erläutert Thomas Giesinger wie folgt: „Bei einem Neubau werden Kosten entstehen, die bei Sanierung und Erweiterung des bisherigen Krankenhauses nicht anfallen. Da diese Kosten direkt mit dem Krankenhaus nichts zu tun haben, aber definitiv anfallen werden, besteht die Gefahr, dass sie beim Kostenvergleich „Sanierung versus Neubau“ unter den Tisch fallen. Zudem: Man geht davon aus, dass die Sanierung teurer wird, ohne die Kosten eines Neubaus zu kennen.“
Wie setzen sich diese „krankenhausfremden“ Kosten zusammen?
Verkehrsanbindung
Beim Standort für den Krankenhaus-Neubau im Norden von Singen besteht große Einigkeit, dass dort ein Bahnhalt des Seehas gebaut werden soll. Zum Erreichen der Gleise ist eine Unterführung nötig. Die Seetorquerung in Radolfzell hat gezeigt, wie sehr Baukosten bei Bahnunterführungen unterschätzt werden können. Auch der derzeitige Bau einer Bahnunterführung in Pfinztal-Söllingen, Kreis Karlsruhe, zeigt, dass Kosten von 20 Millionen Euro und mehr gut möglich sind. Die Seetorquerung zeigt außerdem, dass die Bahn bei Bauprojekten, von denen sie nichts hat oder zu denen sie gesetzlich nicht verpflichtet ist, nichts zahlt. Die Kosten für den Bahnhalt werden also komplett im Landkreis hängen bleiben.
Einer der beiden Radolfzeller Standorte ist beim Bahnhalt Böhringen. Beim anderen Radolfzeller Standort („im Wald“, an der Autobahnausfahrt Singen-Industriegebiet/ Steißlingen) ist eine Bahnanbindung nicht möglich. Aus Sicht des BUND ist das ein großer Nachteil des Standorts.
Auch der Bau neuer Zufahrtsstraßen, neuer Parkhäuser, neuer Bushaltestellen und Taxistände wird im Falle eines Neubaus nach Auffassung des BUND zehn Millionen Euro oder mehr kosten.
Andere „krankenhausfremde“ Kosten
Hinzu kommen Kosten fürs Grundstück, denn nach Kenntnis des BUND ist nur eines der drei Grundstücke komplett in öffentlichem Besitz.
Der Forst wird laut Landeswaldgesetz für Baumfällungen einen Waldausgleich von voraussichtlich 1 zu 1, 5 Bäumen verlangen müssen, das heißt: Es fallen Kosten für die sachgemäße Neupflanzung von 1,5 Bäumen für jeden gefällten Baum an, mit Grundstückskauf, mit Zubehör, langjähriger Baumpflege und Personalkosten. Einer der Neubau-Standorte ist komplett Wald, erfordert also die Rodung von 30 bis 50 Hektar Wald. Der BUND geht davon aus, dass der Forst auf einer oder wenigen zusammenhängenden Pflanzungen bestehen wird. Grundstücke dieser Größe in unserem Landkreis sind so einfach nicht zu bekommen.
Kosten für ökologische Ausgleiche und möglicherweise auch Kosten für den Ausgleich verloren gehender landwirtschaftlicher Flächen kommen hinzu.
Das Hochwasser- und Grundwasser-Regime auf allen drei Neubau-Standorten ist nicht einfach – jedenfalls komplizierter als am derzeitigen Standort. Der BUND geht davon aus, dass man auch in dieser Hinsicht mit hohen Zusatzkosten rechnen muss.
Zusammenfassendes Fazit des BUND: Sowohl beim Vergleich Sanierung/Umbau versus Neubau also auch bei der Standortwahl müssen die genannten bisher nicht berücksichtigten Faktoren und Kosten eine zentrale Rolle spielen.
Schließlich wiederholt der BUND seine Forderung, bei einem Neubau das ehemalige Krankenhaus sinnvoll weiterzunutzen, dass Neubauten und Flächenfraß an anderer Stelle vermieden werden.
Singen/Radolfzell, 22. Juni 2023
Text: MM/red, Bild: