Klimablog (119): Asphaltgeschichten. Auf der falschen Blockade
Im ersten Beitrag ihrer Asphaltgeschichten berichtet Eileen Blum, was ihr alles durch den Kopf ging, als sie kurz entschlossen nach Berlin fuhr, um sich dort an Aktionen der Letzten Generation zu beteiligen. Inzwischen ist sie angekommen – und macht sich auf den Weg.
Montag im Mai. Der Wecker klingelt. Einige der anderen Aktivist*iien sind schon auf den Beinen. Wir stellen uns kurz vor, ziehen uns schweigend an, verschwinden ab und an ins Bad. Manche auch mehrfach. Angstpipi, wie man im Fachjargon vielleicht sagen würde. „Kommst du auch mit zur Aktion? Oder willst du erstmal ausschlafen?“, flüstert mir einer der Aktivisten zu. Ich nicke. „Ich bin auf jeden Fall dabei.“
Ich soll mir ein paar Minuten Zeit lassen. Die Leute im Nebenzimmer schauen noch, wie sie Kleber und Banner am unauffälligsten am Körper verstecken können.
Dann geht es los. Mit der U-Bahn durch die halbe Stadt. Der Aktivist neben mir ist ziemlich aufgeregt, auch wenn er schon an so vielen Aktionen teilgenommen hat, dass er langsam den Überblick verliert. Ständig nestelt er heimlich mit seinen Händen oder tritt von einem Fuß auf den anderen. „Mit der Aufregung wird es irgendwie nie besser“, sagt die Aktivistin neben mir leise. Es ist inzwischen schon ihre achte Blockade. Heute wird sie wieder kleben.
Ich denke an morgen. Da werde ich dann kleben. Hoffentlich haben wir dann Glück mit den Autofahrern.
Innenstadt statt Autobahn
Wir passieren mehrfach Polizisten, steigen unterwegs zweimal um. Alle halten jedes Mal die Luft an, versuchen, sich nicht umzusehen, die Polizisten nicht anzustarren und wenn sie schon öfters Polizeikontakt hatten, das Gesicht in die andere Richtung zu drehen. Wir haben Glück und erreichen unser Ziel ohne aus dem Verkehr gezogen zu werden.
Die Ampel springt auf Grün und wenige Augenblicke später stehen fünf junge Leute auf der Straße, ziehen sich eilig ihre orangenen Warnwesten über und entrollen die Banner, um sichtbar zu sein, bevor die Autos wieder anfahren.
Augenblicklich beginnt ein Hupkonzert und mir wird bewusst, dass ich heute vermutlich aus Versehen bei der falschen Aktion bin. Eigentlich wollte ich ja zum Treffpunkt für die Blockade auf der A100. Eine richtige Autobahn zu blockieren ist noch mal ein paar Nummern größer als nur eine gewöhnliche Straße in der Berliner Innenstadt. Ich hatte mich gemeldet, beim Einbetonieren der Hände zu helfen.
Besser ohne Handy
Während das Hupkonzert weitergeht, fahren die Gedanken in meinem Kopf Achterbahn. Hoffentlich geht es den anderen Aktivist*innen gut. Hoffentlich hat die Aktion auf der Autobahn trotzdem geklappt. Es sind viele erfahrene Leute dabei, aber manchmal kommt es auch einfach nur auf eine zusätzliche freie Hand an.
Bei ihnen melden kann ich mich nicht. In Aktion wäre es denkbar dumm, ein Handy mitzunehmen und zu riskieren, dass die Polizei an sensible Informationen kommt.
Um nachzukommen ist es jetzt zu spät. Aber ich könnte hier helfen und Gespräche mit Passant*innen führen. Oder Autos davon abhalten, über den Gehweg zu rollen. Das passiert bei Blockaden leider öfters. Vielleicht könnte ich auch Flyer verteilen. Wenn jemand von den anderen welche dabei hat …
Es stellt sich heraus, dass die Straßenblockade hier und die Leute von der Autobahn dummerweise den selben Treffpunkt zur selben Zeit gewählt hatten und ich mit der falschen Gruppe mitgegangen bin. Mir war in dem ganzen Organisationschaos am Morgen gar nicht aufgefallen, dass es überhaupt zwei Gruppen gab, als wir von der Unterkunft aus aufbrachen.
Es ist zu weit nach China
Ein Auto fährt über den Gehweg und ich stelle mich in den Weg. Er fährt so nah an mich heran, dass ich die Hände auf die Motorhaube legen kann. Dann hält er endlich an. Für ein paar Sekunden starren wir uns durch die Frontscheibe an. „Das ist ein Gehweg!“, sage ich ruhig, aber bestimmt. „Halten Sie sich an die Verkehrsregeln und gefährden Sie keine Fußgänger!“
Das Fenster wird heruntergelassen und eine Schimpftirade folgt. Wir seien hier die wahren Verbrecher, hätten zuerst angefangen, würden rechtschaffene Leute wie ihn von der Arbeit abhalten und sollten uns – wenn überhaupt – in China festkleben. Ich versuche ihm zu erklären, dass sich unser Protest nicht gegen ihn richtet, dass Protest laut Forschung stören muss, damit er wirkt und er sich aber von mir aus sehr gerne zusätzlich in China festkleben kann, wenn er möchte.
Er lacht darauf nur und sagt, dass er keine Lust hat, sich den Kopf von der chinesischen Regierung abschneiden zu lassen. Außerdem sei der Weg ihm zu weit und wenn Indien, Australien und die USA nicht auch mitmachen würden, dann hätte eh alles keinen Sinn. Das Fenster geht wieder hoch, eine Radfahrerin schreit ihn an, dass er Platz machen soll und man mit dieser scheinheiligen Argumentation ja erst mit dem Klimaschutz anfangen kann, wenn die Welt schon untergegangen ist.
Text: Eileen Blum / Fotos: Pit Wuhrer (oben) und Pressestelle der Letzten Generation
Was bisher geschah: