Klimablog (120): Asphaltgeschichten. „Verknacken Sie diese Arschgeigen!“
In ihrer Serie Asphaltgeschichten schildert Eileen Blum von Letzte Generation Konstanz wie das so ist, wenn man zivilen Widerstand gegen die Klimakatastrophe leistet. Was einem durch den Kopf geht. Und mit welchen Leuten man es zu tun bekommt. Hier kommt der dritte Teil ihrer Erlebnisse im Mai in Berlin.
[In den beiden ersten Teilen hat Eileen Blum beschrieben, wie sie am 19. Mai kurz entschlossen in Konstanz aufbrach und sich aus Versehen der falschen Blockadegruppe anschloss. Sie kam selber nicht zum Einsatz, klebte sich also nicht fest, sondern beobachtete als Unterstützerin die Geschehnisse vom Rand aus. Dort steht sie immer noch.]
Auf dem anderen Fahrstreifen steigt ein Fahrer aus und nimmt den vor ihm auf dem Boden sitzenden Aktivisten, laut Beleidigungen brüllend, ihre Banner weg. Ein Radfahrer steigt ab, sammelt die Banner wieder ein und gibt sie den Aktivist*innen zurück. Der Autofahrer wird immer wütender und schreit den Radfahrer an. Der weiß nicht so ganz, was er sagen soll und bleibt stumm. Der Autofahrer beginnt wieder Banner wegzutreten, die der Radfahrer den Aktivist*innen wieder zurückgibt.
Die Polizei kommt und der Autofahrer scheint erleichtert. „Na endlich! Verknacken Sie diese Arschgeigen! Das ist Nötigung!“ Die Polizei weist ihn bestimmt darauf hin, dass so etwas immer noch ihre Entscheidung sei und er als Fahrzeugführer nicht auf der Straße herumzulaufen habe.
Eine Aktivistin bedankt sich beim Fahrradfahrer, er bedankt sich anschließend bei ihr für den Protest und ihren Mut, dann steigt er auf sein Fahrrad und fährt weiter. Derweil streitet die Polizei immer noch mit dem Autofahrer.
Plötzlich taucht wie aus dem Nichts das britische Fernsehen auf und versucht, ein Interview von einem Aktivist*innen zu bekommen. Eine junge Frau läuft die Reihe der Aktivisten ab und fragt jeden einzeln, ob sie noch irgendwas brauchen. Tee, Kaffee, eine Brezel …
Die zweite Hand
Währenddessen versuchen drei andere Polizisten mäßig erfolgreich, alle Passant*innen von der Straße zu bitten, um in Ruhe arbeiten zu können. Zwei Aktivisten kleben im allgemeinen Trubel heimlich eine zweite Hand fest. Ein weiterer Polizist geht die Reihe der Aktivist*innen ab und markiert den Boden vor jedem Menschen mit einer großen roten Ziffer aus Sprühkreide. Es wird nach Ausweisen gefragt und die Versammlung für beendet erklärt. Derweil gehen die Diskussionen am Straßenrand weiter.
Zwei ältere Damen über Fünfzig fangen an, lautstark zu zetern und wild in Richtung der Aktivist*innen zu gestikulieren. Ich beschließe, dazwischen zu gehen und zu versuchen, die Situation zu deeskalieren so gut ich kann. Das Problem ist, dass eine gelungene Deeskalation eigentlich auch eine gewisse Bereitschaft beim Gegenüber voraussetzt.
„Was seid ihr für Menschen?“, brüllt die rothaarige Frau die Aktivist*innen an. „Genau, was seid ihr für Menschen? Ist doch abartig!“, brüllt ihre weißblondgefärbte Freundin hinterher. Als ich es endlich schaffe, laut genug dazwischen zu reden, dass sie mich bemerken, scheinen sie wenig erfreut, dass es offensichtlich noch mehr „Verrückte“ gibt. Aber wenigstens scheint ihre Aufmerksamkeit jetzt auf mir statt auf den anderen Aktivist*innen zu liegen, was gut ist, denn die haben mehr als genug mit der Polizei zu tun.
„Ich kann verstehen, dass das alles auf den ersten Blick sehr absurd und willkürlich wirkt,“ setze ich an, werde aber sogleich von der Rothaarigen unterbrochen: „Abartig ist das!“
„Was halten sie davon, wenn wir zwei Schritte zurückgehen, die Polizei in Ruhe arbeiten lassen und wir ruhig und erwachsen auf dem Gehweg weiterdiskutieren?“– „Mit euch kann man doch gar nicht diskutieren!“ sagt die eine. „Det is doch der Gehwech hier,“ sagt die andere. Ist es aber nicht. Ich stehe knapp hinter dem Bordstein auf dem Gehweg, die beiden mitten auf dem Fahrradweg zwischen Straße und Gehweg.
Ich gehe ab und zu einen Schritt zurück, halte dabei aber die Konversation am Laufen. Sie folgen mir langsam aber sicher auf den Gehweg. Ich bin ein bisschen überrascht, wie gut mein Trick funktioniert.
Thrombosestrümpfe erst nach dem Frühstück?
Nach einigem hin und her, lassen sie mir doch einmal kurz ein paar Sekunden Zeit, mich zu erklären, ohne ständig dazwischenzugrätschen: „Ich weiß, dass es nervt. Ich kann auch nachvollziehen, warum sich Leute aufregen, wenn sie wegen uns im Stau stehen. Wir machen das ja auch nicht gerne. Das Ding ist halt, dass der Klimawandel Menschenleben kostet und wenn wir nicht jetzt sofort als Gesellschaft auf die Bremse treten, dann wird das noch viele weitere Leben –“
„Ik sach euch mal, was Leben kostet: Wir arbeiten beide in der ambulanten Pflege und dat Insulin, det muss gespritzt werden. Wenn ik da och im Stau stehen würd, dann kriegt ihr keine Garantie,“ sagt die Blonde und schaut mich herausfordernd an.
„Mir würde so was von die Hutschnur platzen! Ihr könnt doch keine arbeitende Bevölkerung blockieren! Ja watt seid ihr denn für Menschen?“ kräht die andere.
Ich muss ein Lächeln unterdrücken. „Ich bin auch Pflegekraft. Ich habe auch schon in der ambulanten Pflege gearbeitet und ganz ehrlich: Erstens ist man da so oft wegen unterschiedlichstem Zeug zu spät, dass man auch mal eine halbe Stunde wegen Klimaaktivisten verkraften kann, zweitens stirbt weder Opa Heinz noch Oma Hildegard, wenn sie ein paar Minuten später ihr morgendliches Insulin samt Tabletten bekommen, noch trägt irgendjemand gesundheitliche Konsequenzen davon, wenn die Thrombosestrümpfe erst nach dem Frühstück angezogen werden. Aber wenn wir jetzt nicht gegen den Klimawandel aufstehen, dann sterben sehr wohl –“
„Watt hast du denn für ne Ahnung?“ blökt die Rothaarige. „Watt bist du denn für ne Pflegekraft?“ „Dass du überhaupt noch arbeiten darfst so! Feuern sollte man dich! Auf der Stelle!“
„Ça c’est le grève!“
Das britische Fernsehen wird auf uns aufmerksam und hält uns allen nacheinander das Mikro unter die Nase. Kein Wunder bei dem ganzen Geschrei. Durch den Schlafmangel und die anstrengende Diskussion bin ich leider ein bisschen zu durcheinander, um auf Englisch wirklich prägnante Antworten zu geben. Aber auch wenn es vielleicht ein bisschen zu ausführlich und schwammig war, bin ich froh, die Chance bekommen zu haben.
Zum Glück wird den beiden Pflegekräften alles relativ bald zu doof und sie ziehen von dannen. Ich kriege von einem anderen Aktivisten Flyer in die Hand gedrückt. Ein junger Franzose spricht mich mit leuchtenden Augen an und fragt, für was hier demonstriert wird. Ich erzähle ihm von der Letzten Generation und er ist so begeistert, dass er gleich einen ganzen Stapel Flyer haben will. Für die Uni und alle seine Freunde. „Ça c’est le grève!“ sagt er und radelt hastig davon, um nicht allzu spät zu seiner Vorlesung zu kommen.
Am Ende rede ich zusammen mit einer anderen Aktivistin mit einem, der mit Heavy-Metal-T-Shirt und Bierflasche des Weges kommt und behauptet, früher EU-Abgeordneter gewesen zu sein. „Ik war auch mal so wie ihr,“ sagt er. „Jung, motiviert, wollte die Welt verändern. Für die Armen wollte ik was machen. Da bin ik auch groß geworden. Hier in Berlin. Aber ik sach euch, da oben alles Idioten, die nur ihr eigenes Ego und ihre eigene Tasche im Kopf haben. Um uns gehts da längst nicht mehr.“ Er breitet die Arme aus: „Diese Welt wird untergehen. Deshalb genießt sie, so lange ihr noch könnt!“ Er nimmt einen tiefen Zug aus seiner Flasche und läuft davon.
Text: Eileen Blum von der Konstanzer Klimablog-Redaktion
Foto oben: Pressematerial der Gruppe Letzte Generation / Foto im Text: Konstanzer Blockadeszene im Februar 2023 (Pit Wuhrer)
Was bisher geschah:
Da hat die voll tricky Klimaaktivistin ja was gelernt, was sie heute schon umsetzen konnte. Mal im Ernst: Meine Mutter ist an der Bushaltestelle fast umgekippt und ist jetzt total am Ende.
Diese Schwarz/Weiß Schreibe: Alle, die es nicht kapieren, werden als Karikaturen hingestellt, während Aktivisten voll schlau sind und der Symphatisant natürlich ein junger Franzose mit leuchtenden Augen, der nicht weiß, dass es „la grêve“ heißt… furchtbar.
Besonders bemerkenswert am vorliegendem Bericht ist die aus nahezu jeder Zeile einem entgegenspringende Überheblichkeit der Autorin. In einer überaus herablassenden Art wird über den Dialekt der Berliner hergezogen und jeder und jede, die sich den „Aktivisten“ entgegenstellt als Karikatur dargestellt: So sind sie, die uneinsichtigen doofen Leute, die nicht richtig Deutsch reden können.
Wie gut, dass es die „Aktivisten“ gibt, die all den in fremder deutscher Zunge sprechenden – oder auch „krähenden“ – Normalmenschen den richtigen Weg zur Erlösung und zur Rettung der Welt zeigen. Vielen Dank.
Drei Stunden lang stand heute bei 33 Grad der Verkehr im Stadtteil Paradies mehr oder weniger still, das heißt, die Motoren liefen weiter; betroffen waren Familien mit kleinen Kindern (die teilweise ihr Auto verließen und sich in den Schatten flüchteten), andere mit Hund im Auto, Pflegedienstleister auf dem Weg zu Alten und Kranken, Handwerker auf Termin, Umzugswagen, Besucher der Stadt, ob Urlauber oder Einkaufstouristen, und Menschen in Bussen. Geiseln einer selbsternannten letzten Generation. Die Polizei war mit einem Großaufgebot im Einsatz. Wen erreicht die Botschaft noch?