Netzhammer: „Der Kampf um die Klinik geht weiter“
Wohl zum letzten Mal steht heute das Thema: Klinikfusion auf der Tagesordnung des Gemeinderates in Singen. Nachdem am Sonntag der Bürgerentscheid gegen den kreisweiten Zusammenschluss der Krankenhäuser gescheitert ist, geht es nun darum, den Beschluss des Gemeinderates vom 24.4. zu bekräftigen. Eigentlich zweifelt niemand am Votum für einen Kreisverbund. Doch die Gegner um CDU-Frau Netzhammer und Stadtrat Dieter Rühland geben nicht auf.
„Der Gemeinderat steht zu seiner Entscheidung“, ist sich Oliver Ehret, Oberbürgermeister der Stadt Singen, sicher. Sowieso seien nur deshalb so wenige Wähler an die Urne gegangen, weil „sie sich von den Fusionsgegnern instrumentalisiert fühlten“. Durch diese Wählerentscheidung sei die Verantwortung nun wieder an den Gemeinderat zurück gegeben worden.
Das sieht auch Landrat Frank Hämmerle so: „Der Bürgerentscheid hat den Beschluss des Gemeinderates nicht umgeworfen. Auch die Gegner der Fusion sollten sich jetzt als faire Demokraten erweisen und den Bürgerwillen akzeptieren. Ich werde alles daransetzen, dass der Konsortialvertrag zur Kreislösung noch in dieser Woche unterschrieben wird.“ Auch Claus Boldt, Konstanzer Bürgermeister und bislang für das Klinikum Konstanz verantwortlich, will zügig den Vertrag unterzeichnen. Denn er ist sich sicher, dass „der Gemeinderat in Singen seinen nach intensiven Beratungen gefällten Beschluss bestätigen und damit die Fusion endgültig beschließen wird“.
Den Arbeitnehmer-Vertretern „ist ein Stein vom Herzen gefallen“, so Margrit Zepf, für die Kliniken zuständige Gewerkschaftssekretärin von ver.di. Sie hofft, dass „die Unterlegenen sich als faire Verlierer erweisen und sich an die demokratischen Spielregeln halten. Wie es Ministerpräsident Kretschmann nach dem Bürgerentscheid zu Stuttgart 21 auch gemacht hat“. Dem stimmt Johannes Kölzer, Personalratsvorsitzender am Klinikum Singen, zu: „Schon während des sehr intensiven Wahlkampfs haben mir viele Singener gesagt, dass sie die Streiterei leid sind. So ist wohl auch die geringe Wahlbeteiligung zu erklären“.
Einzig Hans-Peter Storz, MdL und SPD-Gemeinderat in Singen, gießt noch einmal Öl ins Feuer, wenn er in seiner aktuellen Pressemitteilung die Fusionsgegner angreift: „Veronika Netzhammer ist unglaubwürdig, wenn sie fordert, den Beschluss zur Krankenhauskooperation aufzuheben, obwohl kein wirksamer Bürgerentscheid zustande kam. Als sie noch Landtagsabgeordnete war, wollte sie von geringeren Hürden und niedrigeren Quoren bei Volks- und Bürgerentscheiden nie etwas wissen. Ihre Forderung im Angesicht der Niederlage ist daher das Nachtreten der enttäuschten, schlechten Verliererin. Denn sie ist gestern zum dritten Mal gescheitert: Sie fand keine Unterstützung im Gemeinderat, das von ihr initiierte Bürgerbegehren war rechtswidrig und beim Bürgerentscheid, den der Gemeinderat trotzdem beschlossen hatte, fehlten trotz ihrer sündhaft teuren und teilweise verlogenen Kampagne fast 2000 Stimmen“.
Die kritisierte Veronika Netzhammer, CDU-Gemeinderätin in Singen und eine der Wortführerinnen der Fusionsgegner, sieht das naturgemäß anders und spricht von einem „Erdrutschsieg der Fusionsgegner“… „Gegen eine Phalanx aus Stadtverwaltung und Gewerkschaften, aus Bankern und Gemeinderäten hat sich eine Mehrheit der teilnehmenden Wähler gegen die Fusion ausgesprochen“. Solcher Bürgerwille müsse nun auch vom Gemeinderat auf seiner heutigen Sitzung respektiert werden. Und überhaupt habe sie noch als CDU-Landtagsabgeordnete bereits 2005 für eine Senkung des Quorums vom 30 auf 25 Prozent gesorgt. Sie nun als „Verfechterin des Quorum hinzustellen“, sei absurd. „Das Quorum an sich ist unsinnig“.
Sie hält übrigens „den Kampf um das Singener Klinikum noch nicht für verloren“. Immerhin habe sich der Bürgerwille in den letzten Monaten gedreht – jetzt sei eine nochmalige Abstimmung angebracht. Und ihr Mitstreiter Professor Rühland, Gemeinderat und langjähriger Chefarzt am Krankenhaus Singen, pflichtet bei: „67 Prozent der Stimmen waren gegen die Fusion“. Dieses Votum müsse akzeptiert werden, „sonst sehe ich ernsthafte Folgen für die OB-Wahl sowie für die auch nicht mehr so fernen Kommunalwahlen“. Die Zukunft des Klinikverbundes sieht er nicht rosig – nach seiner Meinung werde der neue Verbund „schon bald in die roten Zahlen rutschen“.
Während also die Gemeinderatsmehrheit offensichtlich nichts mehr als einen Schlussstrich in der leidigen Debatte herbei sehnt, geben die Gegner der Klinikfusion längst noch nicht auf. Es scheint, als solle uns das Thema noch einige Zeit begleiten. Ob das allerdings dem Krankenhaus, den Patienten und den Beschäftigten wohl bekommt, darf bezweifelt werden
Autor: hpk
Nicht auf der Höhe der Zeit!
Es ist wohl doch sehr vielen entgangen, dass der Bürgerentscheid in Baden-Württemberg gegenüber manch anderem Bundesland, nicht nur das Quorum, sondern auch noch eine weitere wichtige demokratische Komponente beinhaltet.
Der Gemeinderat muss nach dem Bürgerentscheid, sollte das Quorum nicht erreicht werden, erneut entscheiden. Es ist also nicht der schon einmal gefällte Gemeinderatsbeschluss automatisch gültig, sondern der Gesetzgeber in BW wollte hier, dass aufgrund des Wahlergebnisses des Bürgerentscheids die Anliegen der Bürger analysiert und bewertet werden und so in die erneute Gemeinderatsentscheidung einfließen.
Mehr als 2/3 der zur Urne gegangenen Wähler stimmten gegen die geplante Art der Fusion. Ein klares und eindeutiges Wahlergebnis. Ein Wahlergebnis, das zum Denken und Analysieren auffordert. Die Fusionsbefürworter, die schon bei der Verkündung des Wahlergebnisses klatschten, haben die obigen Grundregeln des demokratischen Bürgerentscheids in Baden-Württemberg nicht verstanden.
Die nicht abgegebenen Stimmen als Nein-Stimmen zu zählen und somit einen klaren Sieg aus ihrer Wahlniederlage zu machen geht völlig an der Realität vorbei. Hätte man die Nein –Stimmen bis zu einer Wahlbeteiligung bei der letzten Gemeinderatswahl (36,6%) hochgerechnet, so wäre das noch plausibel nachvollziehbar gewesen – aber dann hätten die Fusionskritiker immer noch die Mehrheit gehabt. Dies sollte doch jedem zu denken geben.
Allein dieses Ergebnis hätte ausreichen müssen, sich die Zeit zu nehmen die Argumente vor einer erneuten Gemeinderatsentscheidung zu überdenken. Doch nach nicht einmal 48 Stunden wurde eine Entscheidung gefällt, die nie mehr umkehrbar ist. Eine Entscheidung, die alleinig darauf beruht, dass ein Quorum nicht erreicht wurde. Eine Entscheidung, die auch darauf beruht, dass die meisten Gemeinderäte nicht einmal wussten, dass Sie nochmals zu entscheiden haben.
Laut dem Verwaltungsrechtler und früheren Oberbürgermeister der Stadt Schramberg Prof. Dr. Roland Geitmann ist der Gemeinderat, wenn er sich bei einem klaren mehrheitlichen Gegenvotum der Bürgerschaft auf das nicht erreichbare Zustimmungsquorum beruft, in Sachen Demokratie nicht auf der Höhe der Zeit.
Für manchen politischen Entscheidungsträger wäre es an der Zeit, die Demokratie (neu) zu erlernen.
Die Bürgervertretung zum Gemeinwohl im demokratischen System ist kein Ort für persönliche Kreuzzüge. Ein Bürgerentscheid bzw. eine Volksabstimmung kann keinesfalls mit einer Wahl von Bürgervertretern nach demokratischer Ordnung gleichgesetzt werden.
Deshalb gibt es bei einem Bürgerentscheid (Abstimmung des Volkes) ein Quorum, dieses verhindert durch die festgesetzte Prozenthürde eine auftretende Willkür. Ohne Quorum würde bald zu Allem und Jedem der Bürger befragt, eine demokratisch gewählte Bürgervertretung wäre faktisch handlungsunfähig und unsere Demokratie auf schnellstem Wege untergraben.
Mit etwas Geld, gutem Populismus und der nötigen Arroganz, ließe sich jeder im Sinne des Gemeinwohls und demokratisch gefasste Beschluss ausser Kraft setzen.
Ein Bürgerentscheid wird mit der Angabe erreichter Prozente im Verhältnis zu allen Stimmberechtigten geführt. Anders bei der Wahl von Bürgervertretern, hier werden die abgegebenen Stimmen, also nur die Wahlbeteiligung, zu 100% gewertet. Ein eklatanter Unterschied.
Wenn eine gewählte Bürgervertreterin bei der Bemängelung des Abstimmungsquorums im Zusammenhang von erreichten 66% oder gar einer 2/3 Mehrheit spricht, zeugt das nicht gerade von demokratischer Kunde.
Ich gehe hier von Unwissenheit aus. Warum sonst sollte sich eine Gemeinderätin und ehemals Vorsitzende eines Parteiverbandes freiwillig und öffentlich so diskreditieren.
Stünde hier jedoch Absicht im Vordergrund müsste ich von gewollter Irreführung der Bürger ausgehen, dann allerdings wäre auch die Meinung zu Ihrem Wahlvolk öffentlich, und dieses damit in aller Öffentlichkeit intellektuell herabgesetzt.
Aus welchem Grund auch immer hier zwei nicht vergleichbare Arten demokratischer Urnengänge rethorisch verschmolzen werden, beides ist einer Demokratie unwürdig und es ist zu überdenken wie mit Volksvertretern solchen Kalibers zukünftig umgegangen wird.
Die Gründer der Bundesrepublik hatten die politische Ausgangslage eines zugrunde gegangenen, menschenverachtenden Systems vor Augen und wichtige Ecksteine beim Aufbau einer guten Demokratie bedacht. Eine gewisse Komplexität bringt ein solches System sicher mit sich, zu begreifen ist es aber schon und letztlich dient es einer funktionierenden und lebendigen Gemeinschaft im demokratischen Sinne.