Das Land umkrempeln? AfD wählen?

Anti afd Demo in Rottweil - Bild W. Mossmann 29.6.2023Laut der Befragung „DeutschlandTrend“ vom 21. Juli 2023 könnte die AfD mit 20 Prozent der Wähler*innenstimmen rechnen, wenn an diesem Sonntag Bundestagswahlen wären. Eine erschreckend hohe Zahl – die Grünen kämen nur noch auf 13, die SPD auf 18 und CDU/CSU auf 28 Prozent. Claus Kittsteiner, Historiker und Mitglied der „Friedensregion Bodensee“, stellt sich nicht nur deswegen die Frage, was passieren könnte, wenn die „Alternative für Deutschland“ tatsächlich das Sagen hätte.

Wir veröffentlichen nachfolgend seinen eindringlichen Text in leicht überarbeiteter Form:

„Was soll man denn heute wählen?“ Diese verunsicherte Frage höre ich zur Zeit fast täglich bei Begegnungen. Diese Frage stellten sich gegen Ende der Weimarer Republik auch meine Großeltern. Sie wählten 1928 die ,viel‘-versprechende aufkommende 3-Prozent-Partei in der Hoffnung, dass in ihrem bürgerlichen Leben für sie alles wieder so wird wie in kaiserlichen Wohlstandszeiten. Die Folgen stehen in den Geschichtsbüchern und auf den Heldengedenksteinen. Und was erwartet uns heute beim genaueren Hinschauen?

Die noch AfD-Vorsitzenden wollen „das Land umkrempeln“ (Zitat). Fehlt nur noch die Macht dazu, man hofft auf die Wählerschaft. Wie das dann gehen soll, beschreibt Höcke, der kommende „AfD-Führer“, in seinem Buch von 2018 ganz offen, als Angebot für Sympathisant*innen und liebäugelnde Wähler*innen:

„Vielleicht werde ich auch mal eine interessante politische Person in diesem Lande. Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen, dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt. Wir werden leider ein paar Volksteile verlieren, die zu schwach oder nicht willens sind mitzumachen. So fürchte ich, nicht um eine Politik der wohltemperierten Grausamkeit herumzukommen.“

[the_ad id=“94028″]Ergänzt von Markus Frohnmaier, Mitglied des Deutschen Bundestages und Co-Vorsitzender des AfD-Landesverbandes Baden-Württemberg: „Wir werden ausmisten“. Die beim Champagner in Überlinger Restaurants lächelnd Wählerstimmen schürfende Frau Weidel meint dazu: „Björn Höcke ist kein Rechtsradikaler“. Wenn das seitens der AfD so gesehen wird, was wird dann nach zukünftigen Wahlen sein? Wird es entsprechend Höckes Ankündigungen wieder heißen, wie 1934 nach der durch das Wahlvolk ermöglichten Machtübergabe an die damalige „alternative“ Partei:

„Wir haben uns demokratischer Mittel [Wahlen] nur bedient, um die Macht zu gewinnen und werden unseren Gegnern all die Mittel versagen, die man uns in Zeiten der Opposition zugebilligt hatte“ und: „Wir werden die Macht niemals wieder aufgeben, bis sie uns als Leichen heraustragen.“

So kam es dann auch. Fazit: Die Qualität einer Demokratie hängt von den Millionen persönlichen Entscheidungen in der Wahlkabine ab. Meine Großeltern haben ihren Anteil am Geschichtsverlauf und ihre Feindbilder als Protestwähler oder Überzeugte nie verstanden oder zugegeben. Heute ist das natürlich ganz anders, wo man doch nur nette AfD-Leute kennt, höre ich … Haben sie Einfluss auf die Parteiführung ganz oben? Wo bleibt ihr Protest als Demokrat*innen zur Bewahrung der aufgeklärten Demokratie?

Ach ja, so was Theoretisches wie „Demokratie“ scheint manchem Mitbürger und Sonntagskirchgänger zu weit weg zu sein vom eigenen Gefühlsleben, ihr sie persönlich umtreibendes Hauptproblem sind fremd aussehende Mitmenschen, Ausländer*innen, Migranten*innen. Oder wie erklären sich die fast 20 Prozent, die ihr Kreuzchen im Kopf und auf dem Wahlzettel bei der rechtsextremen AfD machen, wie es heißt, „der erfolgreicheren NPD“? Wie auch der rechtsextreme Compact-Herausgeber Elsässer triumphierend feststellt:

„Alle zusammen in großer Einheit: AfD, Pegida, IB, Ein Prozent, Compact! Fünf Finger, alle kann man einzeln brechen, aber alle zusammen sind eine Faust!“

Ist allen bewusst, die politisch naiv oder voller Überzeugung eine Partei wie die AfD zu wählen beabsichtigen, in welcher Gesellschaft sie sich wiederfinden werden oder bereits befinden? Und wem sie mit ihrer Wählerstimme in den Sattel helfen, wie meine Großeltern es damals taten?

Claus Kittsteiner, Historiker; Bild: W. Mossmann