Die neoliberale Strategie gegen die Linkspartei
Starker Tobak: Dieser Artikel von Albrecht Müller, langjähriger SPD-Bundestagsabgeordneter und Planungschef unter SPD-Kanzlern, ist ellenlang. Aber wichtig. Er beschreibt Methoden und Manipulationen, wie man durch Meinungsmache dem politischen Gegner schadet. Methoden, die auch der Presse am Bodensee nicht fremd sind.
Eigentlich, so hatte mancher kritische Beobachter gemeint, wäre mit der Wirtschaftskrise auch die Erfolgschance der neoliberalen Ideologie erledigt. Das hat sich schon deshalb als Fehleinschätzung erwiesen, weil die mit viel publizistischer und finanzieller Macht ausgestattete Bewegung immer noch die Möglichkeit hat, über Manipulation und Meinungsmache die Macht zu sichern.
Sie vermögen damit, das Volk und vor allem die Multiplikatoren zu beeinflussen. Aber damit nicht genug: Sie nehmen direkt Einfluss auf die innere Willensbildung ihrer Konkurrenten. Das ist der eigentliche Grund dafür, dass es so schwer gelingt, eine politische Alternative zur Schwarz-Gelb oder wie zuvor zu neoliberal eingefärbten Schwarz-Rot oder Rot-Grün zu bieten.
Wie PR-Agenturen die politische Meinung prägen…
Einfluss nicht nur auf die Wählerschaft, sondern auch auf die innere Willensbildung der Parteien. Alle wurden nach rechts getrimmt und zu „Reformern“ und „Realos“.
Versetzen Sie sich einfach einmal in die Lage eines Strategen des rechtskonservativen, seit den siebziger Jahren neoliberal eingefärbten Lagers und unterstellen Sie dabei getrost, dass Sie über reichlich finanzielle Mittel, vor allem aber über publizistische Mittel direkt oder über PR-Agenturen verfügen. Dann sind Sie klug beraten,
wenn Sie ihre Gedanken und ihre Tätigkeit dafür einsetzen, die Wahlentscheidungen zu Gunsten der ihnen nahe stehenden Parteien Union und FDP zu beeinflussen und wichtige politische Entscheidungen im Interesse ihrer Bewegung zu steuern. Sie werden darüber hinaus versuchen, die innere Willensbildung der im Spiel befindlichen Parteien zu prägen.
Das ist genau so in den letzten Jahren geschehen: der linksliberale Flügel der FDP ist auf eine Restgröße ohne gesellschaftspolitische Relevanz reduziert worden; entgegen aller schönen Sprüche von der Sozialdemokratisierung ist die Union in ihrer praktischen Politik heute wesentlich von ihrem Wirtschaftsrat geprägt. Die SPD ist – beginnend mit der Vorbereitung des Kanzlerwechsels von Willy Brandt zu Helmut Schmidt und komplettiert mit Gerhard Schröders Agenda 2010 – heute wesentlich neoliberal geprägt. Dort hat sich eindeutig der rechte Flügel durchgesetzt. Und es ist nicht erkennbar, dass sich dies mit Steinmeier und Gabriel ändern sollte. Die Grünen haben sich zu einer Bastion der Realos gemausert.
Warum die Guten immer die Realos sind…
Alle diese Prozesse waren begleitet von massiver Beeinflussung der Meinungsbildung innerhalb dieser Parteien. Die Guten waren immer die rechten Flügel, die Realos, wie schon der Name suggeriert. Dabei haben die jeweiligen politischen Gegner, die Medien und die rechten Flügel im Inneren der betreffenden Parteien quasi als trojanische Pferde zusammengewirkt. Typisch dafür die Vorgänge um die angestrebte Bildung einer linken Koalition und Alternative in Hamburg, in Hessen und im Saarland.
Die hessische SPD zum Beispiel war massivem publizistischen Druck ausgesetzt, der dann mithilfe der vier Dissidenten zu einem politisch wirksamen Nein umgesetzt wurde. Im Saarland war der Vorsitzende der Grünen auf die andere Seite gezogen. Dieser Wortbruch des Hubert Ulrich wurde publizistisch im Gegensatz zum Verhalten Andrea Ypsilantis zu einer unbedeutenden Angelegenheit heruntergespielt. Die Beeinflussung der inneren Willensbildung wurde jedes Mal politisch hoch wirksam.
Jetzt ist vor allem die Linkspartei dran. Sie ist zurzeit einer massiven Kampagne ausgesetzt, bei der es im Kern darum geht, die inhaltlichen Kanten abzuschleifen, die sie zurzeit noch hat. Das Profil lässt sich in wenigen Stichworten zusammenfassen: möglichst schneller Abzug aus Afghanistan und Konzentration auf die Lösung von Konflikten mit friedlichen Mitteln, keine weitere Privatisierung öffentlichen Eigentums, keine weitere Verringerung von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst, Abschied von den Hartz-Gesetzen, Einführung eines gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohns, Sicherung einer armutsfesten Rente, Rücknahme der Rente mit 67. Das Ziel der laufenden Kampagne ist klar: Auch die Linkspartei soll so sehr auf Anpassung getrimmt werden, dass sie nicht mehr als links wirksam und auch nicht als solches erkennbar und damit für viele nicht mehr wählbar ist.
Die im Zentrum des Konflikts stehenden Personen sind gemessen daran zweitrangig. Sie dienen allerdings als Katalysatoren der Auseinandersetzung und auch zur Charakterisierung und Dämonisierung.
Beteiligt sind nahezu alle Medien. Ausnahme beispielsweise der Stern. Massiv wie immer ist die Bild-Zeitung im Geschäft.
Wie bei uns Meinung gemacht wird…
Die laufende Kampagne ist deprimierend und wirkt zerstörerisch für einzelne Personen; sie ist aber spannend zu beobachten, weil daran beispielhaft erkennbar wird, wie bei uns Meinung gemacht wird, mit welchen Methoden, mit welchen Mitteln und Medien. Die Kampagne zeigt auch, was möglich ist: die totale Meinungsbildung weiter Kreise von Journalisten, von Multiplikatoren und auch des Volkes.
Selbst in modernen Zeiten gilt in der Regel, dass die Medien die privaten Geschichten von Politikern nicht veröffentlichen. Das ist zwar immer mal wieder durchbrochen worden – bei Seehofer zum Beispiel, oder auch lange zurück im Vorfeld des Rücktritts von Willy Brandt im April und Mai 1974, als bösartige und unterstellende Stories bei Bild und anderswo veröffentlicht wurden. Jetzt erlebt Oskar Lafontaine den Bruch dieser Regel.
Da er in der bundesrepublikanischen Debatte aber so etwas wie eine Unperson darstellt, wird auch keine Rücksicht auf seine Krankheit genommen. Gnadenlos fallen Medien wie an vorderster Front die Bild-Zeitung über ihn her – auch mit unglaublich verdrehenden und lügenden Darstellungen.
Die totale Manipulation ist möglich. Das wird auch im konkreten Fall wieder belegt.
Es ist immer wieder erstaunlich, dass es gelingt, bei wichtigen Medien Parolen und Botschaften zu platzieren, die mit der Wirklichkeit nichts oder nahezu nichts zu tun haben. Das gelingt in der Regel dann, wenn die entsprechenden Botschaften ständig wiederholt und von verschiedenen Absendern ausgesandt werden.
Wenn Quellen missbraucht werden…
Im konkreten Fall ist es für den Erfolg der von neoliberaler Seite betriebenen Kampagne und ihrer Botschaften sehr wichtig, dass die eigentlichen Interessenten im Hintergrund bleiben und das Geschäft im wesentlichen innerhalb der Linken selbst betrieben wird. Bartsch oder Brie als Absender oder einzelne Landesvorsitzende aus dem Lager der so genannten Realos sind als Quellen wichtig, wie selbstverständlich auch die Vielfalt und die relative Breite der sich einsetzenden Medien, also Bild genauso wie die Frankfurter Rundschau.
Der Konflikt zwischen Lafontaine und Bartsch wird zu einem Konflikt zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland hochstilisiert. Das stimmt schon deshalb nicht, weil einige der Matadore wie etwa der Chef der thüringischen Linkspartei, Bodo Ramelow, wie auch der am Konflikt beteiligte Chefredakteur des parteinahen Organs „Neues Deutschland“, Jürgen Reents, aus dem Westen kommen. Es stimmt weiter nicht, weil sowohl im Westen Anhänger von Bartsch vorhanden sind wie auch im Osten Anhänger von Lafontaine. Vor allem gibt es dort viele Anhänger der Linken, die etwa von dem Anpassungskurs an neoliberale Glaubensmuster, wie sie im Koalitionsvertrag von Brandenburg enthalten sind, nichts halten.
Aber die Stilisierung zu einem Streit zwischen Ost und West erscheint den Matadoren geeignet, um größere Bataillone gegen Lafontaine in Stellung zu bringen.Wirklich atemberaubend ist der Versuch, dabei die eigentlich aus der SED kommende Truppe einschließlich von bekannten Stasi-Mitarbeitern wie André Brie den Guten zuzuordnen, und ehemalige aktive Gewerkschafter wie Klaus Ernst, den stellvertretenden Vorsitzenden, zu den Radikalinskis und Realitätsverweigerern zu stempeln.
Wie Vordenker und Pragmatiker entstehen…
Beispielhaft für diesen durchaus gelingenden Versuch ist die Süddeutsche Zeitung vom 15. Januar, wo Lafontaine zum Realitätsverweigerer, Bartsch zum Pragmatiker und André Brie zum Vordenker, Pragmatiker und Realist der Linken stilisiert wird. Ähnlich die Welt: „Linke Sektierer“. Und eine Fülle anderer Medien.
Die Westlinken sind nicht bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen.So wird es ohne jeden Beleg und im Widerspruch zu den Fakten behauptet. Die hessischen Linken haben ganz selbstverständlich daran mitgearbeitet, dort nach der Abwahl von Roland Koch eine alternative Koalition aus Rot, Grün und Rot zusammenzubringen. Sie wollten allerdings nicht der (unglaublichen) Forderung der Bundes-SPD folgen, auf ein Mitspracherecht bei der Abstimmung im Bundesrat zu verzichten. In keiner der Landeskoalitionen ist so etwas üblich. Überall gilt dann, wenn sich die Koalitionspartner nicht einigen können, das Prinzip Enthaltung.
Auch für das Saarland ist die Behauptung, die Linke sei nicht bereit zur Übernahme der Verantwortung gewesen, nicht richtig. Von der „Anti-Regierungs-Linken“ im Westen zu schreiben, wie es die Frankfurter Rundschau am 14. Januar tut, ist eine bewusst gestreute Lüge: Der gesamte Wahlkampf der dortigen Linkspartei zielte auf einen Regierungswechsel. Wenn der grüne Landesvorsitzende sich nicht für die FDP und Peter Müllers Koalition verdingt hätte, wäre es zur Koalition gekommen.
Was an den PR-Parolen dran ist…
Es ist interessant, auch noch der Frage nach den sachlichen Differenzen nachzugehen und zu prüfen, was aus dieser Perspektive an den Behauptungen vom Mangel an Regierungsbereitschaft, an der Parole „Hardliner West“ oder der Behauptung, der Kurs von Lafontaine sei radikal, er sei ein Realitätsverweigerer, die West-Linken wollten „die Parlamente von ganz links aus aufmischen“ (Frankfurter Rundschau) dran ist.
Zunächst ist anzumerken, dass in der Kampagne gegen die so genannten Radikalen bei der Linkspartei die Aussagen zum Programm je nach Lust und Laune gewechselt werden: Manchmal heißt es, die Linkspartei sei insgesamt programmlos, dann heißt es wieder, die Gruppe um Lafontaine beharre auf ihren programmatischen Vorstellungen. Beides passt nicht zusammen.
Bei den Inhalten selbst gibt es in der Tat Differenzen zwischen dem Flügel um Bartsch und dem anderen Flügel um Lafontaine. Nehmen wir uns ein programmatisches Element nach dem andern vor:
Erstens: Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan. Diese Position wird inzwischen von der evangelischen Ratsvorsitzenden Käßmann, dem CDU-Mitglied Todenhöfer und mit guter Begründung sogar vom Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz vertreten. Zollitsch zum Afghanistan-Einsatz: “Es sind gravierende Fehler gemacht worden”. In seiner Begründung taucht das richtige Motiv auf: der Militäreinsatz habe die Lage der Menschen verschlimmert. Von radikal kann keine Rede sein. Die Linkspartei um Lafontaine steht eher in der „Gefahr“, in dieser Frage am Ende noch vom Verteidigungsminister zu Guttenberg überholt zu werden. Und dennoch taugt das Thema offenbar für die aktuelle Kampagne.
Wie Meinungsmache mit der Privatisierung betrieben wird…
Zweitens: Keine weitere Privatisierung öffentlicher Einrichtungen und Unternehmen.
Das ist eine der wichtigsten Forderungen für die Politik der nächsten Jahre und Jahrzehnte. Die Notwendigkeit wird inzwischen von vielen Kommunalpolitikern und darunter sogar von konservativen Kommunalpolitikern gesehen. Viele Kommunen versuchen, ihre Versorgungs- und Entsorgungswerke zurückzukaufen. In einigen Städten wie in Leipzig und Freiburg sind Mehrheiten über einen Volksentscheid zusammengekommen, um die Privatisierung von Stadtwerken und öffentlichen Wohnungsbeständen zu verhindern. Es gibt eine klare Mehrheit in Deutschland gegen die Privatisierung der Deutschen Bahn.
Wir wissen, dass die Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Einrichtungen die Quelle schlimmer Spekulationen auf den Kapitalmärkten war und zugleich das Einfallstor zur Gängelung von Arbeitnehmern. Auf der anderen Seite ist klar, dass die Finanzwirtschaft auf die weitere Privatisierung setzt, weil dabei sowohl an den Schnäppchen als auch an der Transaktion der Vermögenswerte riesige Gewinne gemacht werden.
Die Verweigerung dieser Plünderung soll radikal sein? Radikal ist die Plünderung. Radikal ist das, was die Linke an Privatisierung in Berlin zum Beispiel mitgemacht hat und wozu sie auch in Brandenburg ihre Hand gereicht hat.
Wie die Anpassung an die Realos erzwungen werden soll…
Sind wir wirklich schon so weit gekommen, dass jetzt auch schon hinter diesem Teil der Linken, also auch hinter der Bartsch- und Brie-Linken große Interessen stecken? So wie sie hinter der Union und der FDP, aber auch hinter dem Steinmeier-/Gabriel-Flügel der SPD und hinter führenden Grünen stecken? Geht das so schnell? Und muss das sein?
Es geht also bei der aktuellen Debatte auch um viel Geld. Die mächtigen Interessen in Deutschland wollen sich die Plünderung des öffentlichen Eigentums durch eine inhaltlich orientierte Linke nicht stören lassen. Deshalb der Versuch, sie als radikal abzustempeln und die Anpassung an die Realos der eigenen und der anderen Parteien zu erzwingen.
Drittens: Kein Abbau von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im öffentlichen Dienst.
Auch das ist keine radikale Forderung. Sie ist in der jetzigen Wirtschaftskrise konjunkturpolitisch geboten, um antizyklisch zu wirken. Sie ist aber auch – wenn auch nicht in jeder Kommune – sachlich geboten, weil es im öffentlichen Bereich eine Fülle von darniederliegenden Aufgaben gibt.
Viertens: Schluss mit Hartz IV. Als Sozialdemokrat müsste man wünschen, dass die SPD und die Grünen endlich verstehen, was sie mit der Agenda 2010 und Hartz IV angerichtet haben: Die Zerstörung der sozialen Sicherheit. Siehe dazu hier: „Zu den vergessenen Nebenwirkungen von Hartz IV und Agenda 2010“ und in vielen anderen Beiträgen der NachDenkSeiten in den letzten drei Wochen.
Fünftens: Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente und Wiederherstellung des früheren Renteneintrittsalters. Selbst in konservativen Kreisen wird inzwischen eingeräumt, dass die Privatvorsorge mit Riester-Rente und Rürup-Rente ein teurer Irrweg ist. Und die Erhöhung des Renteneintrittsalters ist angesichts der hohen Arbeitslosigkeit der 50-und 60-jährigen geradezu abstrus. Was soll an der Rückkehr zur Vernunft hier radikal sein? Auch hier stecken hinter den Attacken auf solche Forderungen klar erkennbare große Interessen: die Interessen der Versicherungswirtschaft und der Banken.
Sechstens: Einführung eines gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohns. Das fordert inzwischen ja sogar die SPD.
Warum sollen Steuerzahler nicht besitzen, was sie bezahlt haben?
Das waren sechs Beispiele für die programmatischen Vorstellungen der Lafontaine-Linken. Vielleicht habe ich etwas vergessen. Umwerfend radikal kann es aber dann nicht sein. So ist zum Beispiel die Forderung danach, die Vermögenden und die Menschen und Gruppen mit höheren Einkommen wieder stärker an der Finanzierung der öffentlichen Aufgaben zu beteiligen – vielleicht so wie zu Kohls Zeiten mit Vermögensteuer und einem Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer von 53%, die SPD hatte einmal 56% gefordert – nicht sonderlich radikal. Und auch die Streichung der Steuerfreiheit der Gewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen, die von Schröder und Eichel eingeführt wurde, wäre keinesfalls ein radikales Unternehmen.
Das gilt auch nicht für die Übernahme der mit schon über 100 Milliarden € geretteten und damit subventionierten Banken in öffentliches Eigentum. Ich persönlich bin dabei nur deshalb skeptisch, weil sich nach aller Erfahrung auch in diesen öffentlichen Banken dann die konservativen Seilschaften drängeln und durchsetzen. Aber radikal wäre es nicht, wenn wir Steuerzahler auch besitzen wollten, was wir gerettet und bezahlt haben.
Diese programmatischen Elemente als „Maximalpositionen“ oder als die Positionen von „Hundertprozentigen, die niemals einen Jota von ihrer Position abweichen würden“, wie es die Süddeutsche Zeitung am 15. Januar reichlich verschroben beschreibt, kann nur als Element einer ausgeklügelten Kampagne verstanden werden. Alleine kommt ein Journalist auf eine so abwegige Beurteilung nicht.
Nach diesen notwendig ausführlichen Anmerkungen zu den Inhalten nun zurück zu den gleich lautenden Botschaften der laufenden Kampagne: Lafontaine sei gegen die deutsche Einheit gewesen, heißt es in mehreren Pamphleten. Allen voran bei „Bild“. Das ist eine Geschichtsfälschung, die immer wieder wiederholt wird. Ich habe als Abgeordneter auch gegen die damalige Währungsunion gestimmt. Weil ich der Überzeugung war, dass die Umtauschrelationen und die sonstigen Umstände es den Betrieben in Mittel- und Ostdeutschland überaus schwer machen, ihre produzierten Güter und Dienstleistungen noch loszuwerden. Außerdem fehlte die gezielte Hilfe zur Modernisierung damals schon im Ansatz. Wenn jetzt immer noch jenen, die gegen die leichtfertig durchgesetzte Währungsumstellung waren, unterstellt wird, sie seien gegen die deutsche Vereinigung gewesen, dann stecken dahinter erkennbare Interessen: Man will sich frei waschen von der Verantwortung für das Desaster, das noch heute sichtbar ist.
Was sich an der Wahlkampfstrategie änderte…
Die Aufbauarbeit von Bartsch war vermutlich in Ordnung, ich denke sogar gut. Ein endgültiges und ausgewogenes Urteil kann ich mir nicht anmaßen. Aber ich kann Wahlkämpfe beurteilen und vor allem auch Wahlkämpfe von Parteien, die von ihren Gegnern über die Maßen attackiert und stigmatisiert werden. Mit dieser Erfahrung im Hintergrund kann ich die Wahlkämpfe der Linkspartei bis zum Beginn der heißen Phase des Bundestagswahlkampfs zum Beispiel nicht als glorios, sondern als weitgehend falsch betrachten. Entsprechend enttäuschend war denn auch das Europawahlergebnis mit 7,5 %, weit abgeschlagen hinter den Grünen mit 12,1 % und der FDP mit 11 %. Bei der Bundestagswahl gerade einmal drei Monate später erreichte die Linkspartei 11,9 %.
Dazwischen lag eine Änderung der Wahlkampfstrategie zumindest von Seiten Lafontaines. Er hat die Gegnerschaft der Medien und die Diffamierungskampagnen zum Thema gemacht und neben der angepassten SPD wenigstens eine Alternative aufgezeigt.
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Gysi sei beschädigt. Er sei Bartsch in den Rücken gefallen. Er habe in den ostdeutschen Landesverbänden Sympathien eingebüßt. Das wird in verschiedenen Beiträgen zum Thema immer so daher geschrieben. Als Belege werden dann die Stimmen von Freunden von Bartsch zitiert. Wie die Wählerinnen und Wähler, wie die Mitglieder der Linkspartei insgesamt auf diesen Vorgang reagieren und ob sie Gysi wegen dessen Intervention gegen das sonderbare Verhalten eines Bundesgeschäftsführer das Vertrauen entziehen, das steht dahin. Ich weiß es nicht. Aber die Medien wissen es nahezu gleich lautend.
[b]Wie die nächste Runde eingeläutet wird…[/b]
Da ist deutlich erkennbar: Hier wird die nächste Runde eingeläutet. Denn diese Art von gleich lautender Agitation kommt nicht aus dem Nichts. Sie ist insbesondere von Dietmar Bartsch, nachdem er angekündigt hatte, im Mai nicht wieder antreten zu wollen, also vom amtierenden Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, kräftig befördert worden.
Einige Medienschaffenden gehen davon aus, dass mit dem Abtritt von Bartsch der Konflikt und damit auch die Richtungsentscheidung der Linkspartei nicht entschieden ist. Dass die Leute um Bartsch das so sehen, ist deutlich erkennbar. Sie haben vermutlich darauf gesetzt, den aus dem Saarland stammenden Vorsitzenden jetzt schon mürbe zu machen und ihn loszuwerden. Das hätte ihnen die Freiheit gegeben, die Linkspartei programmatisch anzupassen.
Diese Lösung ist vorerst gescheitert. Aber das sagt noch nichts über die weitere Entwicklung. „Der Machtkampf ist nur vorerst entschieden“. (dpa offensichtlich nach Gespräch mit Bartsch) oder die FAZ vom 17. Januar: „Dietmar Bartsch wird warten. Er ist 51, Lafontaine 66. Bartsch ist ein alter Volleyballer. Da gilt: Der letzte Schlag zählt.“
Die mediale Unterstützung für Bartsch in der abgelaufenen und laufenden Kampagne deutet darauf hin, dass er auch für den nächsten Schlag die Unterstützung der Mehrheit der Medien haben wird. Darauf muss sich die Führung der Linkspartei einstellen und sowohl ihre Mitglieder als auch ihre Wählerinnen und Wähler frühzeitig und immer wieder auf diesen Vorgang aufmerksam machen.
Da den Realos bei der Linkspartei vermutlich wie den Rechten in der SPD die Macht im Staat nur dann attraktiv erscheint, wenn sie sie auch in ihrer Partei besitzen, werden wir den nächsten Schlag in dieser Auseinandersetzung im Vorfeld der nordrhein-westfälischen Landtagswahlen erleben. Es könnte der Gruppe um Bartsch nichts Besseres passieren für den inneren Machtausbau als ein schlechtes Ergebnis der nordrhein-westfälischen Linkspartei. Deshalb werden sie vermutlich viel tun, um die Unruhe und die schlechten Kommentare und Berichte am Laufen zu halten.
Die Einlassungen Dietmar Bartschs direkt nach seinem Rückzieher deuten darauf hin. Er ist immerhin noch Bundesgeschäftsführer und beginnt bereits kräftig mit der Demontage des Fraktionsvorsitzenden Gysi zum Beispiel. Wenn es ihm um seine Partei gehen würde und nicht zu allererst um die Durchsetzung seiner Richtung, dann hätte er geschwiegen und hätte seine Freunde ermuntert, auch zu schweigen. Das haben sie nicht getan, und sie werden weiter in ihrem innerparteilichen Kampf das Image der gesamten Partei beschädigen, solange sie den Kampf nicht für sich, ihre Richtung und ihre Jobs entschieden haben.
Wer die Geschichte der SPD in den letzten 40 Jahren aufmerksam verfolgt hat, kennt diese Mechanismen. In ihr waren immer Leute platziert, die das Interesse ihrer politischen Gegner vertraten. Sie war bei wichtigen Willensbildungen und Entscheidungen fremdbestimmt und verzehrte sich in dieser Fremdbestimmung. Warum sollte das bei der Linkspartei nicht auch so sein?
Da wir aber ein Interesse an einer Alternative zur herrschenden Ideologie haben, brauchen wir eine nicht angepasste Linke. Nur deshalb kümmert uns das ganze Thema. Weil der beste Weg zur Verhinderung der skizzierten Entwicklung ihre Offenlegung ist, ist dieser Text geschrieben.
Autor: Albrecht Müller (wir verdanken diesen, von uns verkürzten, Text www.nachdenkseiten.de)