SS-Mann Stein: Vom Brandstifter zum Biedermann

Als in der Nacht zum 10.November 1938 die Konstanzer Synagoge brannte, trat SS-Oberführer Walter Stein erstmals ins Licht der Öffentlichkeit: Der Verantwortliche für diese Schandtat machte später Karriere im NS-Unrechtsstaat – vornehmlich als Polizeichef im besetzten Polen, wo er nach Kriegsende auch zur Rechenschaft gezogen wurde. Ganz anders in Deutschland: Hierzulande kaum behelligt, starb Stein 1985 in Garmisch-Partenkirchen. Robert Schmidt hat diese typisch deutsche Geschichte jetzt aufgearbeitet.

Der Konstanzer Student hat in seiner Bachelor-Arbeit den Lebensweg des SS-Oberführers Walter Stein nachgezeichnet und dabei Erkenntnisse zutage gefördert, die der Wissenschaft bislang verborgen blieben. Mehrfach wurde Schmidts mit „sehr gut“ bewertete Arbeit seitdem zitiert und von namhaften Historikern gelobt, die Verantwortlichen von „Offenes Gedenken Radolfzell“ haben sie auf ihrer homepage veröffentlicht. Robert Schmidt bleibt seitdem dem Thema treu; derzeit forscht er als Assistent von Professor Wirtz für seine Master-Arbeit weiter im Bereich der jüdischen Geschichte, jetzt mit besonderem Fokus auf die Geschichte der jüdischen Gemeinde von Gailingen.

Im Anschluss an eine kurze, zusammenfassende Einführung veröffentlichen wir die gesamte Arbeit „NS-Täterforschung am Beispiel des SS-Oberführers Walter Stein“. Das sind fast 40 DIN-A-Vier-Seiten wissenschaftlichen Textes für alle die Leser, die genauer nachlesen wollen. Schwerer Stoff, der aber ein ungetrübtes Licht auf die Nazi-Vergangenheit auch unserer Region wirft und gleichzeitig der historisch immer noch bedeutenden Frage nachgeht, warum die Täter kaum verfolgt und selten bestraft wurden. Ein Lehrstück unserer „Vergangenheitsbebewältigung“. (Für die teils schwer lesbare Schreibweise, z.B. der eingefügten Fußnoten wegen, bitten wir um Verständnis: Die Arbeit von Robert Schmidt soll möglichst unverändert präsentiert werden).

Vom Konstanzer SS-Abschnittsleiter zum Polizeipräsidenten im annektierten Polen

Walter Wilhelm Stein wurde am 6. November 1896 als siebtes Kind des Schlossers Karl Stein und dessen Ehefrau Auguste Stein geb. Frech in Schwelm/NRW geboren. Nach einer mittelmäßigen Beendigung der achtjährigen Volkschule begann Walter Stein 1912 eine zweijährige Lehre zum Schlosser. Kurz bevor er seine Ausbildung abschließen konnte, wurde Stein zum Wehrdienst eingezogen. Nach verschiedenen schweren Verletzungen versuchte er sich nach Ende des 1. Weltkrieges erfolglos als Student, kämpfte dann aber in Freikorps mit. Noch 1929 tritt Walter Stein der NSDAP bei, was seine Gesinnung mutmaßlich erahnen lässt. Mehrere Dokumente bestätigen den Eintritt Steins zur NSDAP (Mitgliedsnr. 255.956) zum 01.05.1929; die Parteiakte der NSDAP-Gaukartei jedoch führt Walter Stein unter gleicher Nummer zum 01.06.1930.123. Ähnliches gilt für den Eintritt in die SA, den Stein wohl direkt im Zuge der Parteimitgliedschaft beantragte. Mit Bestimmtheit lässt sich nur das Eintrittsjahr in die SS festlegen, da auf allen relevanten Akten der 1. November 1930 (SS-Nr.: 12780) verzeichnet ist und auch Stein selbst dieses Datum in Verhören angab.

In der SS macht Walter Stein schnell Karriere. Er wurde mit Wirkung vom 15. März 1936 zum SS-Abschnitt XXIX in Mannheim abkommandiert. Der Abschnitt wurde dann kurz darauf „verlegt“ und befand sich ab Mitte 1936 in Konstanz, wo Stein als Führer der SS Dienst tat. Nach seiner Eheschließung im April 1936 wurde er SS-Abschnittsführer, die zum 05. Dezember 1939 dauerte.

Aufschlussreich für Steins Rolle während der Synagogenbrände sind Akten der Staatsanwaltschaft Konstanz, die im Staatsarchiv Freiburg lagern. In erster Linie werden zwar nur die Geschehnisse der Brandnacht bzw. Brandnächte, wenn man von der Zerstörung weiterer Synagogen im Bodenseeraum ausgeht, durch Zeugen wiedergegeben, allerdings erfährt man einiges über Steins Funktion in Konstanz. Was genau war also während der Pogromnacht in Konstanz geschehen?

Wie in den meisten Städten und Regionen des deutschen Reiches hatte der Mordanschlag des Herschel Grünspan am deutschen Diplomaten Ernst von Rath am 7.November 1938 auch in Konstanz zu Übergriffen gegen jüdische Bürger geführt. Als in der Nacht zum 10. November die Konstanzer Synagoge brannte, befand sich SS-Oberführer Stein in seiner Wohnung in der Allmannsdorferstraße 28 und hatte per Telefon von der Tat in der Innenstadt erfahren. Stein eilte nach dem Anruf in seine Kommandantur, gelegen im Gebäude der heutigen Spielbank in der damaligen Adolf-Hitler-Straße, und versuchte über seinen Stabsführer, SS-Standartenführer Graaf, mehr Informationen zu bekommen.

Später begab er sich selber zur brennenden Synagoge und stellte fest, dass der Brand nicht ausreichte, das Gebäude zu zerstören. Unterschiedliche Zeugenaussagen belegen, dass Stein den Befehl zur Sprengung gegeben habe, was von ihm in späteren Befragungen stets bestritten wurde. Gesichert aber ist, dass noch während der Aktion an der Synagoge die männlichen, jüdischen Bürger verhaftet und vor dem brennenden Gotteshaus schwer misshandelt wurden. Anschließend wurden sie von der Gestapo zu weiteren „Verhören“ verschleppt. So wurde der Vorsteher der israelischen Gemeinde, Erich Blochs Vater und zur Tatzeit bereits 70 Jahre alt, auf schlimme Art verprügelt und beinahe im Rhein ertränkt.

Strafrechtlich wurde wohl keiner dieser Fälle verhandelt. Es bleibt aber festzuhalten, dass, trotz seiner gegensätzlichen Aussage, alle Fäden bei Walter Stein zusammenlaufen. Als Führer der lokalen SS wusste Stein über alles Bescheid, was sich in dieser Nacht ereignete. Auch wenn er immer wieder von seiner Person ablenkte, sind die Fakten eindeutig. Auch bei weiteren Pogromen in der Bodenseeregion soll Walter Stein zugegen gewesen sein.

Steins SS-Karriere in Polen und sein Leben in der BRD

Walter Stein war bis November 1939 in Konstanz stationiert. Im August 1940 wurde Stein nach Danzig gesandt, um sich dort mit der Arbeit der Polizeiverwaltung vertraut zu machen, da Himmler ihn als Polizeipräsidenten einzusetzen gedachte. Vermutlich aus demselben Grund wird Stein noch im selben Jahr zum kommissarischen Polizeidirektor in Thorn im Reichsgau Danzig-Westpreussen ernannt. Über seine Tätigkeiten in Danzig, Thorn und später Litzmannstadt ist wenig Beweisbares bekannt – allerdings kam es während seiner Dienstzeit zu Deportationen von Polen und Juden, die nach Kriegsende zu einer Verurteilung von Walter Stein durch polnische Gerichte führte.

Zu Beginn des Jahres 1954 kam er auf freien Fuß. Bis zu seiner erneuten Verhaftung 1962 lebte Stein mit seiner Familie unbehelligt in Garmisch-Partenkirchen und war als Lagerverwalter beschäftigt. Der Prozess gegen Walter Stein aus dem Jahre 1962 wegen mehrfacher und schwerer Brandstiftung wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft am 7. Mai 1963 eingestellt. Bis zu seinem Tode 1985 lebte Walter Stein in Garmisch-Partenkirchen.

NS-Täterforschung am Beispiel des SS-Oberführers Walter Stein Vorgelegt durch: Robert Schmidt

1. Einleitung

Als in der Nacht zum 10. November 1938 die Konstanzer Synagoge brannte, war der Schuldige schnell gefunden. Es war der Kantor der jüdischen Gemeinde, Arthur Godlewski höchst selbst, gewesen, so behauptete es zumindest die lokale SS, die in dieser Nacht die jüdische Bevölkerung der Stadt terrorisierte. Verantwortlicher SS-Abschnittsführer in dieser Zeit war ein gewisser Walter Stein im Range eines SS-Oberführers. Über ihn ist bis heute kaum etwas bekannt und auch die zeitgeschichtliche Forschung hat sich nur wenig mit der Personalie Steins befasst. Diese Arbeit hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, die Person Walter Stein, seine Geschichte im Dritten Reich und seine Funktionen bzw. Positionen im System der NS-Zeit genauer zu beleuchten. Des Weiteren soll versucht werden, diesem Walter Stein Taten nachzuweisen, die er im Laufe seiner langen Karriere innerhalb der SS und anderer NS-Organe begangen haben könnte. Was motivierte Menschen wie Stein einem kriminellen Regime zu dienen, in dessen Namen die schlimmsten Verbrechen gegen Juden, Kommunisten und andere Minderheiten in Form des Holocaust begangen wurden? Und wie konnten Menschen wie Stein, die im Dritten Reich in einer herausragenden Position waren, nach 1945 unbestraft ihr normales Leben in Deutschland fortsetzen? Diese Fragen sind auch nach dem Zweiten Weltkrieg in der historischen Forschung heftig und kontrovers diskutiert worden. Verfolgt man diese Debatte der sog. Täterforschung jedoch, so muss man mit Verwunderung feststellen, dass diese erst über ein Jahrzehnt nach Kriegsende ihren Anfang fand. Es drängt sich also die Frage auf, wieso sich die deutsche Gesellschaft erst so spät mit Männern wie Walter Stein auseinandersetzte und wie sie dies schlussendlich tat. Daher wird auch dies Thema der Arbeit sein und es soll ferner versucht werden, die Geschichte dieses bis heute nicht abgeschlossenen Prozesses der Vergangenheitsbewältigung zu skizzieren und ihre „vorläufigen“ Ergebnisse zu präsentieren. Methodisch sinnvoll wird daher dieser Part der Historie der Täterforschung zu Beginn der Arbeit stehen, um als theoretische Grundlage für die biographische Studie Walter Steins zu fungieren. Die Forschungsergebnisse können mit Sicherheit dazu beitragen, Walter Stein und seine Rolle bzw. Stellung innerhalb des NS-Regimes besser verorten zu können. Der zweite Hauptteil der Arbeit soll sich dann ausschließlich mit seiner Biographie auseinandersetzten und versuchen, neue Erkenntnisse über seinen Lebensweg zu gewinnen. Hierbei sollen drei Abschnitte seines Lebens im Blickpunkt stehen, die sich hauptsächlich in der betreffenden Zeitspanne seiner Tätigkeit im NS-Staat ereigneten. In chronologischer Reihenfolge soll zunächst sein früheres Leben und seine Zeit in der Berliner SS, gefolgt von seiner Amtszeit als SS-Abschnittsleiter in Konstanz und zuletzt seine Tätigkeiten in Polen beleuchtet werden.

2. Die NS-Täterforschung: Die Geschichte des kontroversen Diskurses um die Aufarbeitung der Verbrechen im Nationalsozialismus

Um der Aufgabenstellung gerecht zu werden, soll im folgenden Kapitel der Versuch unternommen werden, die Geschichte der Täterforschung bzw. des Diskurses um die Täter der Shoa in ihrer Gesamtheit darzustellen. Dem Beispiel Gerhard Pauls folgend, der 2003 mit seiner Aufzählung die einzelnen Schritte der Forschungsdebatte sehr detailreich präsentierte[1], soll dieser erste Abschnitt, ebenfalls chronologisch, den Täterdiskurs seit Ende des Zweiten Weltkrieges beschreiben. Es wäre allerdings vermessen, die Gesamtheit der Debatte und ihre Fülle an Publikationen und Streitschriften im Umfang dieser Arbeit zu erfassen. Vielmehr sollen die von Paul ausgemachten Phasen der Täterforschung in ihren Grundzügen übernommen werden, da sie die einzelnen Zeitabschnitte bzw. in manchen Fällen Zäsuren dieser Disziplin sehr deutlich hervorheben und so einen groben Überblick zulassen. Dies soll zunächst ohne eine explizite Definition eines Täterbegriffs resp. Festlegung von infrage kommenden Tätertypologien geschehen, da sich diese erst im fortlaufenden Diskurs entwickelten. Ein späteres Kapitel wird zudem versuchen, sie genauer zu beleuchten.

2.1. Die deutsche Nachkriegsgesellschaft und das Verdrängen der Verbrechen der NS-Zeit: Erste Tendenzen der Täterforschung

Die frühe Phase der Auseinandersetzung mit den Verbrechen des NS-Regimes war geprägt durch bewusste Distanzierung, teilweise sogar Leugnung der Greueltaten und Diabolisierung der obersten Führungsriege der NSDAP. In dieser Zeit der Aufarbeitung war der Sprachgebrauch geprägt von Wörtern wie „Opfer/ -gesellschaft“, der „Katastrophe“ der „Gewaltherrschaft“ und ähnlich egalisierenden Termini.[2] Wie die Kriegsverbrechertribunale in Nürnberg bereits „festgelegt“ hatten, waren die Hauptschuldigen auch in der Öffentlichkeit klar innerhalb der NSDAP-Führung, der Gestapo und der SS zu verorten. Im Gegenzug waren andere Instanzen des Holocausts, wohl im Besonderen die Wehrmacht, von einer Schuldzuweisung freigesprochen worden. Die Legende der „sauberen Wehrmacht“, auf die im Folgenden noch weiter eingegangen werden soll, fand sich daher schon früh in der öffentlichen Meinung wieder. Es schien ausgeschlossen, dass der deutsche Offizier oder Schupo, also der „aufrichtige“, deutsche Beamte und Soldat, etwas

[1] Paul, Gerhard: Von Psychopathen, Technokraten des Terrors und „ganz gewöhnlichen „Deutschen. Die Täter der Shoah im Spiegel der Forschung, in: ders. (Hg.): Die Täter der Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche? (= Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Bd.2) Göttingen 2003, S. 13-92.

[2] Ebd. S. 16.

mit dem Terror der Kriegstage zu tun gehabt hatte.[3] Auch die Rolle der Medien, Film und Printmedien gleichermaßen, förderte die Haltung in der Nachkriegsgesellschaft Deutschlands.[4] Habbo Knoch hebt in diesem Zusammenhang das erneute Aufkommen der „Landser“-Reihe in den späten 60er Jahren und die Heroisierung des Soldatentums hervor. Beachtung wurde folglich mehr den eigenen „Kriegsopfern“ geschenkt, als den Millionen von Ermordeten unter dem NS-Regime.[5] Die Diabolisierung der oberen bzw. ausführenden Institutionen, wie der Gestapo und der SS, gerade durch die Alliierten resp. die Nürnberger Prozesse, kam der deutschen Nachkriegsgesellschaft durchaus gelegen.[6] In den Worten Heinz Höhnes „ […] Die Greuel waren das große Alibi, die Entschuldigung vor sich und der Welt. Himmlers Schergenkorps schien dazu verurteilt, das Versagen vieler Deutscher im Dritten Reich zu verkleinern.“[7] Eine klare Abgrenzung der Kriminellen, der Verbrecher des NS-Staates von der „normalen“ deutschen Bevölkerung war also für die Zeit der Nachkriegsphase von entscheidender Bedeutung für die Vergangenheitsbewältigung. Die Entstehung dieses bipolaren Täterbildes fand auch in der Politik seine Beachtung, indem sogar Adenauer selbst zwischen „Kriegsverurteilten“ und „wirklichen Verbrechern“ unterschied. Ebenfalls im gängigen Wortschatz dieser Zeit vorhanden war in diesem Zusammenhang der Begriff des „verführten Idealisten“. Die durchschnittlichen Nationalsozialisten wären Idealisten gewesen, die an richtige Werte glaubten, mit dem NS-Regime allerdings auf eine verbrecherische Bande hereingefallen waren.[8] Diese Verdrängungsprozesse lassen sich jedoch nicht nur in der zivilen Öffentlichkeit erkennen. Die Dämonisierung hielt, ebenso wie die Opferstilisierung, Einzug in die Rechts-und Geisteswissenschaften. Unter dem Schlagwort des Befehlsnotstandes, der schon von den Strafverteidigern in Nürnberg erfolgreich angewandt wurde, sah man sich als Opfer der Zeit, des Terrors und der strikten Hierarchie des NS-Regimes, in der es keinen anderen Weg für das eigene Wohl als den des geringsten Widerstandes, also des Ausführens jeglicher Befehle, hatte geben können.[9] In Nürnberg selbst wurden 24

[3] Ebd. S.17.

[4] Eine genaue Ausführung über die konkrete Medienlandschaft soll hier nicht erfolgen. Die Landser Hefte scheinen dennoch besonders interessant für die vorliegende Betrachtung, da sie bis heute publiziert werden. Für genauere Informationen s.: Fischer, Torben/Matthias N. Lorenz (Hgg.): Lexikon der Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, Bielefeld 2007, S. 115ff.

[5] Knoch, Habbo: Entdeckte Nähe. Nationale und postnationale Gedächtnispolitik in der Bundesrepublik, in: Ueberschär, Ellen (Hg.): Soldaten und andere Opfer? Die Täter-Opfer-Problematik in der deutschen Erinnerungskultur und das Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, Rehburg-Loccum 2007, S. 139-160, hier S. 144ff.

[6] Paul, Gerhard: Von Psychopathen, S. 17.

[7] Höhne, Heinz: Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS, München 1967, S.12.

[8] Herbert, Ulrich: Wer waren die Nationalsozialisten? Typologien des politischen Verhaltens im NS Staat, in: Hirschfeld, Gerhard/ Tobias Jersak (Hgg.): Karrieren im Nationalsozialismus. Funktionseliten zwischen Mitwirkung und Distanz Frankfurt/Main/New York 2004, S. 17-42, hier S. 21.

[9] Paul, Gerhard: Von Psychopathen, S. 17-18.

Personen der Führung des NS-Staates und 185 weitere, den NS-Eliten zugeschriebene Männer, allesamt ausschließlich die hohen Funktionäre der SS, Gestapo und NSDAP, als Verbrecher bzw. Mitglieder einer verbrecherischen Organisation verurteilt.[10] Auch die frühen Gerichtsurteile der Nachkriegszeit von deutschen Gerichten spiegeln diesen Trend des „Befehlsnotstandes“ innerhalb Deutschlands wider. Nachdem die Hauptschuld an den Kriegsverbrechen auf Hitler, Himmler und Heydrich „abgeladen“, also die Täterschaft klar zugeschrieben wurde, kam für einen Großteil der übrigen Angeklagten nur noch eine Verurteilung im Sinne einer „Teilnehmerschaft“ in Frage. Als Beispiele können hier die hohen SS-Offiziere Erich Ehrlinger und Hellmuth Reinhard aufgeführt werden, die, wenn auch erst in den 60er Jahren, trotz diverser Verbrechen nur als „Gehilfen“ bzw. wegen Beihilfe zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden.[11] Auch in der Geschichtsforschung der direkten Nachkriegsjahre kamen die Täter des Holocausts nicht vor bzw. blieben sich die Historiker der Linie der Diabolisierung treu und suchten die Hauptschuldigen in der kleinen Gruppe der führenden Positionen der SS oder des SD. Für das Gros der Historiker glich die SS und mit ihr die Frage nach den Tätern der Shoa dennoch einem Tabuthema. Denjenigen unter ihnen, die dennoch neue Ansätze und Thesen wagten, so stellte Höhne fest, wurde kaum Beachtung geschenkt, da man an dem „Dogma der SS-Allmacht“[12] die eigene Unschuld festzumachen versuchte. Höhne geht sogar einen Schritt weiter, wirft der Historikerzunft, in Person von Hans Rohtfels vor, sogar gezielt der frühzeitigen Entdämonisierung Himmlers durch US-Historiker konterkariert zu haben.[13] Die bereits 1945 entstandene Schrift von Eugen Kogon, seinerseits als österreichischer Kommunist Insasse des KZs Buchenwald, bestätigte diese Thesen aus gänzlich anderem Kontext. Kogon schrieb erstmals aus der Sicht eines Opfers, und war gerade deshalb für die Verarbeitung der Kriegserfahrungen der Deutschen so relevant. Bei ihm fanden sich die Schuldigen unter den bereits erwähnten fanatischen Nazi-Ideologen und folglich ging er von keiner Kollektivschuld der Deutschen aus.14 Dieser erste psychohistorische Ansatz Kogons ging davon aus, dass der Großteil der Nazi-Täter aus Männern proletarischer Herkunft mit sadistischen Neigungen bestand, die auf Grund ihres fehlenden Selbstbewusstseins und schlechter Karrieremöglichkeiten den nötigen Hass gegen bessergestellte Menschen mitgebracht hatten, um die Taten des Holocausts zu begehen.[15]

[10] Jelitz, Jana/Mirco Wetzel: Über Täter und Täterinnen sprechen. Nationalsozialistische Täterschaft in der pädagogischen Arbeit von KZ-Gedenkstätten, Berlin 2010, S. 41.

[11] Just, Helmut/ Barbara Just-Dahlmann: Die Gehilfen. NS-Verbrechen und die Justiz nach 1945, Frankfurt/Main 1999, S.206 aber auch S. 273.

[12] Höhne, Heinz: Der Orden unter dem Totenkopf. , S. 12.

[13] Ebd. S. 12.tg

[14] Fischer, Torben/Matthias N. Lorenz: Lexikon der Vergangenheitsbewältigung,S 33.

[15] Jelitz, Jana/Mirco Wetzel: Über Täter und Täterinnen sprechen, S. 42; aber auch: Paul, Gerhard: Von Psychopathen, S. 19.

Sie seien vielmehr „ verkrachte Existenzen, meist ohne charakterliche oder fachliche Vorbildung“ bei denen „[…] nicht ein überlegen wägender und prüfender Verstand [ Vorrang hatte ], sondern Gesinnungstüchtigkeit und Exekutivtreue.“[16] Dass dieses erste Bild der Täter mehrheitlich auf den persönlichen Erfahrungen Kogons beruhte und gänzlich falsch war, wird sich im Folgenden noch verdeutlichen. Die erste Phase nach dem Zweiten Weltkrieg war folglich geprägt von der Verdrängung der Taten und der Täter. Vielmehr wurde die Diabolisierung Weniger zur Entschuldigung Vieler. Dass diese Haltung bis in die frühen 60er Jahre anhielt, war mit Sicherheit neben der mangelnden Bereitschaft der Aufarbeitung konkreter Fälle auch einer personellen Kontinuität in den neuen Staatsorganen der BRD und der potenziellen Mittäterschaft, ob direkt oder indirekt, einem Großteil der deutschen Bevölkerung verschuldet.[17]

2.2. Vom verbrecherischen Dämon zum verführten Schreibtischtäter: Hannah Arendt, Raul Hilberg und der Forschungsdiskurs bis in die 1980er Jahre

Die erste Phase der Verdrängung wurde durch neue Entwicklungen und Geschehnisse innerhalb der jungen BRD unterbrochen. Nach dem medienwirksamen Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958, in dessen direkter Folge die Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen gegründet wurde, und dem Fall Theodor Oberländer rückte schlussendlich mit dem Prozess über Adolf Eichmann 1961 in Jerusalem die Täterforschung wieder mehr in den Vordergrund. Diese Entwicklung habe, so Gerhard Paul, allerdings nur scheinbar zu einem Umdenken in der Frage nach den Tätern geführt. Auf den kriminellen, dämonischen SS-Sadisten folgte das Konstrukt eines intentionslosen Bürokraten, der praktisch einer Maschine glich und ohne Hinterfragung Befehle maschinell abarbeitete. Der Massenmord galt als industrieller Prozess, der ohne jegliche menschliche Regung durchgeführt und von geistlosen Anonymen überwacht wurde. Wie auch die These der Dämonisierung, konnte diese Sichtweise auf die Täter bzw. die Tat die „normalen“ Deutschen von ihnen trennen, erneut als Entschuldigung bzw. „Entschuldung“ dienen und das Bild des hörigen und durch andere gesteuerten Täters bestätigen.[18] Dass diese Thesen auch in der historischen Forschung Beachtung und Zustimmung fanden, zeigt das Beispiel Martin Broszats und dessen Veröffentlichung über den Auschwitz- Kommandanten Rudolf Höß aus dem Jahre 1958. In dieser, von Broszat publizierten und

[16] Kogon, Eugen: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, Frankfurt/Main 1959. S, 351.

[17] Garbe, Detlef: Die Täter. Kommentierende Bemerkungen, in: Herbert, Ulrich/Karin Orth/Dieckmann, Christoph(Hgg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur Bd.2, Göttingen 1998, S. 822- 840, hier S. 822.

[18] Paul, Gerhard: Von Psychopathen, S. 20-21.

kommentierten Autobiographie von Höß, erkennt der Historiker Höß als einen korrekten und bürgerlichen Mann an, der mit größtmöglicher Disziplin und Sauberkeit die ihm aufgetragenen Befehle ausführte. Bezeichnend ist hier die Aussage, dass gerade die Vergasung als vermeintlich hygienische Art des Tötens galt, die gerade durch ihre Systematik und Sauberkeit eine Distanzierung der Täter zum Massenmord ermöglichte.[19] In Broszats Worten sieht er Höß vielmehr als „exemplarisches Beispiel dafür, das private Gemüts-Qualitäten nicht vor Inhumanität bewahren, sondern pervertiert und in den Dienst des politischen Verbrechens gestellt werden können.“[20] Diese Tendenz der Normalität der Täterschaft der Shoa wurde in der Folgezeit immer wieder aufgegriffen und war spätestens mit dem Eichmann-Prozess 1961 in Jerusalem in den Fokus der Betrachtung gerückt. Robert Pendorf und Albert Wucher arbeiteten im selben Jahr Thesen heraus, die den Täter, in Person Eichmanns, als schlichten, intentionslosen „Mordbeamten“[21], also den ergebenen Schreibtischtäter, charakterisierten. Des Weiteren, so Wucher, konnten die Dimensionen des Holocausts nur durch die Verbindung von nationalsozialistischem Fanatismus und striktem Befehlsgehorsam zustande kommen.[22] Ebenfalls während des Eichmann-Prozesses entstand mit Hannah Arendts „ Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“ ein Werk, welches für die Täterforschung der folgenden Jahrzehnte von großer Bedeutung war.[23] Auch sie sah den Holocaust als mechanisierte Tötungsmaschine, in der die Täter, vergleichbar mit Broszats und Pendorfs Thesen, als „normale“ Menschen und nicht als nebulöse, dämonische Gestalten zu sehen waren. Eichmann habe als emotionsloser Vollstrecker seine bürokratischen Aufgaben aufs Genaueste erfüllt. Er tat dies nicht aus ideologischen Vorstellungen, sonder vielmehr aus Karrieregründen.[24] Nicht einmal der niedere Beweggrund des Antisemitismus konnte Arendt bei Eichmann ausmachen. Bei ihm war „[…] [kein] Fall von wahnwitzigem Judenhass, von fanatischem Antisemitismus oder von besonderer ideologischen Verhetzung.“ auszumachen, „persönlich habe er nie etwas gegen Juden gehabt“.[25] Nach Arendt war Eichmann nur Teil eines Systems des Mordens, welches sich durch eine Perfektion auszeichnete, die nur durch gerade diesen bedingungslosen Befehlsgehorsam der einzelnen (Schreibtisch-)Täter erlangt werden konnte. Zusammenfassend erkannte Arendt in ihrem sehr publikumswirksamen und häufig rezitierten Buch die „Normalität“ bzw.

[19] Paul, Gerhard: Von Psychopathen, S. 21.

[20] Höß, Rudolf: Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen (=Quellen und Darstellungen zu Zeitgeschichte, Bd.5) Stuttgart 1961, S. 15.

[21] Pendorf, Robert: Eichmann und die Judenpolitik des Dritten Reiches, Hamburg 1961, S. 22.

[22] Wucher, Albert: Eichmanns gab es viele. Ein Dokumentarbericht über die Endlösung der Judenfrage, München/Zürich 1961, S. 23.

[23] Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 1988.

[24] Jelitz, Jana/Mirco Wetzel: Über Täter und Täterinnen sprechen, S. 35.

[25] Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem, S. 99. E

Durchschnittlichkeit Eichmanns und etablierte endgültig ein neues, entdämonisiertes Täterprofil. Diese Entwicklung führte innerhalb der deutschen Gesellschaft zu Kontroversen und einer gewissen Empörung, rüttelte sie doch erstmals deutlich an der “Unschuld“ des Großteils der Bevölkerung.[26] Die kritische Rezeption von Arendts Werken kam jedoch nicht nur aus der BRD, gerade Historiker aus Israel sahen die These der „Banalität des Bösen“ kritisch. Arendt wurde vorgeworfen, eine zu universelle Tätertypologie entworfen zu haben, die auf Grund ihres pessimistischen Bildes der Menschheit auf die Annahme schließen ließ, etwas ähnliches wie der Holocaust könnte von jedem anderen, „normalen“ Menschen wiederholt werden. Gerade dies führe zu einer verfälschten Sicht auf die Täter und zu der Verharmlosung der von ihnen begangen Taten.[27] Bis in die heutige Forschung wird Arendts Ansatz kontrovers diskutiert. Die gesamte Debatte um Hannah Arendts „Banalität des Bösen“ kann und soll jedoch nicht von Belang für diese Arbeit sein. An dieser Stelle soll stellvertretend die Kritik eines Zeitgenossen einen kurzen Einblick in die Debatte, zumindest skizzenhaft, ermöglichen. Raul Hilberg, dessen Thesen im Folgenden weiter behandelt werden, kritisierte die zu geringe Gewichtung, die Arendt für Eichmanns Rolle im Holocausts vornahm. „Eichmann war zentral. Nicht wegen dem Rang, sondern seiner Position als Judenreferent im Reichssicherheitshauptamt“[28], sagte Hilberg 1999 in einem Interview mit der Zeitung Die Welt. Er sei des Weiteren kein einfacher Befehlsempfänger gewesen, wie vor Gericht immer betont wurde. Vielmehr war es bei ihm „ein absoluter Gehorsam […], aber kein blinder. Eichmann hatte nicht jeden Befehl befolgt, wie er immer behauptet hatte.“ [29] Hilberg hat mit seiner Kritik sicherlich einen Punkt angesprochen, der aus der heutigen Sicht der Forschung einleuchtend erscheint, dennoch muss man Hannah Arendts Leistung anerkennen, erstmals den Täterdiskurs bzw. die Täter, ihre Intentionen und Motivationen in einer Art und Weise dargestellt zu haben, die auch in der breiten Masse der Deutschen Beachtung fand. Dennoch hatten Hannah Arendts Thesen auch eine Schattenseite. Eichmann galt ab sofort als gängiger Tätertypus, der sowohl in der öffentlichen wie auch wissenschaftlichen Debatte Verwendung fand und sich in der Forschung bis auf weiteres halten konnte Das Bild des Dämonen in schwarzer Uniform war zu dem eines eisigen, gefühllosen und nicht zu selbstständigem Denken fähigen Bürokraten geworden, der als Teil eines maschinellen Tötungsapparates Befehle ausführte. Der Prozess des Tötens war praktisch „anonymisiert worden.[30] Zeitgleich zur „Banalität des Bösen“ erschien, zumindest

[26] Jelitz, Jana/Mirco Wetzel: Über Täter und Täterinnen sprechen, S. 46ff.

[27] Vgl. Paul, Gerhard: Von Psychopathen, S. 26.

[28] Hilberg, Raul: Eichmann war nicht banal. In: Die Welt 28.08.1999.

[29] Ebd.

[30] Vgl. Jelitz, Jana/Mirco Wetzel: Über Täter und Täterinnen sprechen, S. 49.

in den Vereinigten Staaten, Raul Hilbergs Ansatz „The Destruction of the European Jews“. Bezeichnenderweise wurde diese dreiteilige Reihe erst 1990 ins Deutsche übersetzt und publiziert.[31] Hilberg wählte einen anderen Zugang zum Thema der Shoa als die Forscher vor ihm. Ähnlich wie Hannah Arendt wehrte sich Hilberg gegen die These der Dämonisierung der Täter, sah den Holocaust jedoch als Verkettung von individuellen Taten von individuellen Tätern. Für ihn war es vielmehr „[…]ein Prozess aufeinanderfolgender Schritte, […] die auf Initiative unzähliger Entscheidungsträger innerhalb eines ausgedehnten bürokratischen Apparates[…]“[32] begründet war. Dabei unterschied Hilberg nicht zwischen den Begriffen „Täter“ und „Deutschen“, was sich auch in dem von ihm geprägten Term der „arbeitsteiligen Täterschaft“ widerspiegelt. Ebenfalls ähnlich zu Arendts Vorgehensweise, stehen bei Hilberg keine Direkttäter im Vordergrund. Ihn interessieren vielmehr die strukturellen Zusammenhänge des Prozesses der Judenvernichtung, die damit verknüpften bürokratischen Institutionen und deren willige Vollstrecker. In Hilbergs Worten: „The bureaucratic network of an entire nation was involved in these operations“[33] und weiter „ The machinery of distruction […] was structurally no different from organized German society as a whole”[34]. Hilberg sieht also die gesamte deutsche Gesellschaft als Ursprung des Genozids an den Juden, in der jeder Deutsche potenziell als „Rad im Getriebe“ des Massenmords einsetzbar war. Vereinzelt versucht Hilberg einen genauen Tätertypus auszumachen, so bspw. im dritten Band seiner bereits zitierten Reihe, auf Beweggründe und Motivationen geht er jedoch nicht gezielt ein und bleibt, ähnlich wie Arendt, bei einem, in Gerhardt Pauls Worten, „amorphen Täterbegriff verhaftet.“[35] Doch nicht nur in der BRD wurde das Thema der Kriegsverbrechen und ihrer Vollstrecker behandelt, auch in der DDR setzte man sich mit der NS-Vergangenheit auseinander. Dies soll allerdings nicht Gegenstand dieser Ausarbeitung sein, da die Täterforschung der ehemaligen DDR aus politisch-motivierter Sicht eher gegen die BRD als zur Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit verwendet wurde.36 Es sei dennoch kurz angemerkt, dass im Geschichtsbild der DDR der Holocaust als Mittel zum Zweck der kapitalistischen Eliten angesehen wurde, um die expansiven Interessen der NS-Regierung durchzusetzen. Ebenso wie in der BRD, war die frühe Phase der Täterforschung in der DDR geprägt von Verdrängung, der Idee des elitären und kriminellen Täters und dem, mit dieser gleichbedeutend, Freispruch der proletarischen

[31] Hilberg, Raul: Die Vernichtung der europäischen Juden, Frankfurt/Main 1990.

[32] Ebd., Bd. 1, S. 56.

[33] Hilberg, Raul: The Destruction of the European Jews, New Heaven/London 20033, S. 1075.

[34] Ebd. S. 1061.

[35] Paul, Gerhard: Von Psychopathen, S. 27.

[36] Ebd. S.30.

Massen von der Mittäterschaft. Ähnliche Ansätze waren auch in der 68er-Bewegung vorhanden. Zwar wurde auch hier keine explizite Täterschaft benannt, es kam vielmehr zu einem Generalverdacht der Vätergeneration, dennoch wurden erstmals Fragen nach Kontinuitäten laut. Neben generellen staatlichen Institutionen und dem neuen Staat bzw. seiner politischen Ausrichtung selbst, wurde erstmals auch der eigene Familienclan hinterfragt. Erste Tendenzen zu einer Forschung abseits der vorherrschenden strukturellen Ansätze waren zu erkennen, das Gros der deutschen Bevölkerung jedoch verschrieb sich weiterhin der Verdrängung bzw. Tabuisierung der Täterfrage.[37] Auch die Nachkriegsgeneration kam folglich nicht aus dem Usus der frühen Täterforschung heraus, auch wenn sie erstmals Fragen stellte und sich von der Diabolisierung einzelner Funktionäre und NS-Instanzen distanzierte, sie sogar gänzlich verwarf. Trotz der 68er- Bewegung wurden die Täter nur als unselbstständiges Bindeglied der Todesmaschinerie wahrgenommen. Wie bereits weiter oben erwähnt, war der Versuch der Verdrängung und Selbstentschuldung meist durch die rechtliche Grundlage des „Befehlsnotstandes“ ergänzt worden. Erste Bestrebungen, diese zu überprüfen, kamen nicht von Seiten der historischen Forschung, sondern logischerweise aus den Kreisen der Rechtswissenschaften. Besonders hervorzuheben ist hier das Werk von Herbert Jäger[38], der sich 1967 erstmals aus juristischer bzw. kriminologischer Perspektive dem Täterbegriff annäherte. Ähnlich wie im Falle Hilbergs, fand auch Jägers Ansatz zunächst wenig Beachtung. Auch Jäger widersprach der vorherrschenden Annahme, dass die Täter der Shoa einzig aus anonymen, von der Obrigkeit gesteuerten und intentionslosen Beamten bestanden. Er definierte die Täter vielmehr über die Art ihrer Beteiligung an den Verbrechen und unterschied die Taten in Exzeßtaten, Initiativtaten und Befehlstaten. Exzeßtaten waren „individuelle Taten in kollektiven Ausnahmezuständen“[39], also beispielsweise Willkürakte, die nur durch bestimmte Rahmenbedingungen des Dritten Reiches hatten entstehen können. Unter Initiativtaten verstand Jäger eigenständige Handlungen, die, gerade im Zuge des systematischen Massenmordes, ohne direkten Befehlszwang durchgeführt wurden. Die Befehlstaten, so Jäger, waren Fälle, „in denen das individuelle Verhalten durch Befehle genau festgelegt war und dem Täter kein Raum für eigenes Ermessen blieb.“[40] Als Grundlage für diese Studie dienten die Prozessakten der Jahre 1958 bis 1963, in denen Jäger erstmals empirisch Prozentangaben erarbeiten konnte. So konnte er nicht nur nachweisen, dass sich für diesen Zeitraum über 60% der

[37] Jelitz, Jana/Mirco Wetzel: Über Täter und Täterinnen sprechen, S. 50 ff.

[38] Jäger, Herber: Verbrechen unter totalitärer Herrschaft. Studien zur nationalsozialistischen Gewaltkriminalität, Freiburg/Olten 1967.

[39] Ebd. S. 22.

[40] Ebd. S.62.

Täter in den Reihen der Befehlstäter finden lassen, vielmehr konnte er den Mythos desBefehlsnotstandes in den meisten Fällen von Exzeßtaten und Initiativtaten ausschließen. Ganz entscheidend für die folgende Forschungsdebatte sieht Jäger es als unmöglich an, “ den Befehlsnotstand als kriminologischen Zentralbegriff anzusehen, von dem aus das Gesamtphänomen der nationalsozialistischen Massenkriminalität erklärbar wäre.“[41] Diese These unterstützend argumentiert Jäger weiter, dass „ bisher kein Fall nachgewiesen werden [konnte], in dem ein Befehlsempfänger wegen Ablehnung oder Nichtausführung eines verbrecherischen Befehls Schaden an Leib oder Leben genommen hat.“[42] Wie sich gezeigt hat, wurden die früh entstandenen Dogmen der Tätergruppen immer mehr revidiert bzw. gänzlich verändert. Auch wenn Arbeiten wie die von Herbert Jäger von Zeitgenossen nur wenig beachtet und rezipiert wurden, ermöglichten sie doch das Eingreifen anderer Disziplinen in das Feld der Täterforschung. Als letztes Beispiel für die Interdisziplinarität der 1960er und 1970er Jahre soll die 1972 entstandene Studie von Henry V. Dicks dienen. Dieser erste, psychologische Ansatz erkannte aus medizinischer Sicht keine „Dämonisierung“ bzw. krankhafte Natur in den Beteiligten des Holocausts, sondern vielmehr gewöhnliche Menschen bzw. Ordinary Men.[43] Wie entscheidend sich dieser Term auf die neuere Forschungsdebatte auswirkte, soll im folgenden Kapitel genauer definiert werden. Als letztes Beispiel für die Weiterentwicklung der Täterforschung sei auf die grandiose, aber ebenso verstörende Arbeit von Helmut Krausnik und Hans- Heinrich Wilhelm verwiesen.[44] Das in zwei Teile gegliederte Buch widmet sich den Einsatzgruppen und dem SD während des Ostfeldzuges. Auch wenn der erste Teil von Helmut Krausnik sehr detailreich die Taten und deren Organisation schilderte, wurden konkrete Täterbilder nicht erarbeitet. Deutlich ertragreicher schilderte hingegen Wilhelm den zentralen Führungskader der Einsatzgruppe A, bestehend aus 17 SS-Größen, und konnte anhand unterschiedlicher Lebensläufe interessante Gemeinsamkeiten feststellen. Es zeigte sich, dass die These des proletarischen Schlägers auf keines der 17 Beispiele anzuwenden war. Vielmehr konnten 13 der hier vorgestellten Offiziere ein abgeschlossenes Jurastudium, Erfahrungen im Ersten Weltkrieg und NSDAPParteiausweise der ersten Stunde vorweisen.[45] Wie bereits in der Einleitung erwähnt, war Obersturmführer Walter Stein, um den es im zweiten Hauptteil gehen wird, ebenfalls in vergleichbarer Position innerhalb der SS tätig. Inwiefern hier eine ähnliche Vita vorliegt,

[41] Ebd. S. 158.

[42] Ebd. S.158.

[43] Paul, Gerhard: Von Psychopathen, S. 35.

[44] Krausnik, Helmuth/ Hans-Heinrich Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD 1938-1942 (=Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 22) Stuttgart 1981.

[45] Ebd. S. 281 oder aber: Paul, Gerhard: Von Psychopathen, S. 36.

bleibt abzuwarten und soll im entsprechenden Kapitel behandelt werden. Im Kontext des Gesamtüberblicks der Täterforschung legten Krausnik und Wilhelm also einen ersten Trend zur mikrohistorischen Herangehensweise. Wie sich gezeigt hat, hat sich die Täterforschung in den Jahren nach der ersten Phase der Verdrängung, sowohl national wie international deutlich gewandelt. Zwar hatten sich durch Hannah Arendt und Raul Hilberg neue Perspektiven eröffnet, eine genaue Typologisierung war jedoch nicht entstanden. Auch wenn neue Ansätze aus anderen Disziplinen das Bild des Dämons korrigieren konnten, herrschte in der Wissenschaft dennoch ein amorphes und abstraktes Bild der NS-Täter vor. In den 1990er Jahren änderte sich dies zunehmend, wie das folgende Kapitel zeigen soll.

2.3. Der Wandel zum „Ordinary Man“: Christopher Browning, Daniel Goldhagen und neue Ansätze der Täterforschung bis in die 1990er Jahre

Nach Gerhard Paul kann erst seit dem Beginn der 1990er Jahre explizit von einer Täterforschung im eigentlichen Sinne ausgegangen werden.[46] Zu Beginn des „neuen“ Diskurses standen zum einen das Buch von Christopher Browning „Ganz normale Männer“ oder im englischen Original das erwähnte Ordnary Men[47 ]und zum anderen „Hitlers willige Vollstrecker“ von Daniel Noah Goldhagen.[48] Die Debatte, die nach der Veröffentlichung der Bücher und im Zusammenspiel mit der Wehrmachtsausstellung entstand, rückte den Täterdiskurs in gänzlich neuer Form in den Fokus der deutschen Gesellschaft. Sowohl Browning wie auch Goldhagen untersuchten die Beteiligung des Reserve-Polizeibataillons 101 an den Verbrechen in Polen, wenn auch auf unterschiedliche Art und mit unterschiedlichen Ergebnissen. Browning wählte, so Gerhard Paul, einen vielseitigen Ansatz, in dem sowohl die Situation des Krieges als bestimmenden Faktor, als auch die persönlichen Motive und Belange der Täter berücksichtigt werden.[49] Besonders interessant erscheint hierbei die Unterteilung der einzelnen Tätergruppen innerhalb des Bataillons, die Browning vornahm. In zwei konkreten Fallbeispielen, Marcinkance in Litauen und Mir in Weißrussland, machte er einen „harten Kern“ aus, der aus klar antisemitischen Beweggründen keine weiteren Befehle brauchte, um aktiv an der Liquidierung von Juden teilzunehmen. In der Regel machten diese allerdings nur einen kleinen Teil der jeweiligen Einheiten aus. Den größten

[46] Paul, Gerhard: Von Psychopathen, S. 37.

[47] Browning, Christopher: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen, Hamburg 1993.

[48] Goldhagen, Daniel Noah: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, München 2000.

[49] Paul, Gerhard: Von Psychopathen, S. 37.

Teil sah Browning als Mittelgruppe, die Befehle ohne eigene Intentionen ausführten und wohl als Mitläufer bezeichnet werden können. Einige Wenige verweigerten den Befehl zur Erschießung der Juden sogar und hatten, wie schon Schäfer belegt, keine Konsequenzen zu befürchten.[50] Brownings Fazit zu seiner Studie über das Polizeibataillon, in dem er sich hauptsächlich um die zweite Gruppe der Mitläufer kümmerte, war eine klare Abgrenzung zu der bisherigen Forschungsdebatte. Ausschlaggebend für die Gewaltexzesse war nicht die NS-Ideologie oder Antisemitismus. Vielmehr habe der Krieg, die allgegenwärtige Gewalt, eine massive Gruppendynamik bzw. Gruppendruck und ein strenger Korpsgeist zu derartigen Gewaltausbrüchen geführt. Besonders hervorzuheben ist hier auch, das Browning diese Grundlage als nicht spezifisch deutsch ansieht, d.h. dass eine solche Tat unter gegebenen Umständen wiederholbar sei.[51] Während Browning also die Entwicklung der Ordinary Men zu Massenmördern in erster Linie auf gruppeninterne Zwänge und Verrohung durch den Krieg zurückführte, sah Daniel Goldhagen einen gänzlich anderen Beweggrund, wie der Titel seines Buches deutlich zeigt. Für Michael Wildt „erschienen dieselben Männer bei Goldhagen als mordwillige, antisemitische Gewalttäter, die schossen, weil sie durften, und nicht, weil sie mussten.“[52] Wie bereits erwähnt befasste sich Goldhagen ebenfalls mit dem Reserve-Polizeibataillon 101. Sein Ansatz ging jedoch weit über den Rahmen hinaus, in dem Browning sein Buch verfasste. Vielmehr leitete Goldhagen einen tiefgründigen, spezifisch deutschen Antisemitismus her. So gab es nach ihm „eine beharrliche, weitverbreitete und kulturell tief verankerte Feindseligkeit der Deutschen gegen die Juden.“[53] Mit einem gezielten Anspielen auf Brownings Ansatz fügte er hinzu, „daß (sic!) die ganz normalen Deutschen […] zu dem Schluss kommen ließ, daß (sic!) die Juden sterben sollten.“[54] Für ihn waren die Opfer in erster Linie Juden und die Täter ausschließlich Deutsche. Ebenso warf Goldhagen der deutschen Nachkriegsgeschichtsforschung in ihrem Bezug auf ihr Täterbild Versagen vor. Die Täter seien gerade aufgrund ihrer Menschlichkeit über das Unrecht im Bilde gewesen, hätten dies aber durch den gesellschaftlich etablierten Antisemitismus nicht als solches angesehen und den Holocaust bewusst durchgeführt. Dies erkläre auch, wieso nur wenige Soldaten bzw. Polizisten Befehle verweigert hätten und warum viele der Taten durch die direkte Initiative und ohne ausdrückliche Befehle geschehen waren.[55] Vielmehr seien die

[50] Browning, Christopher: Judenmord. NS-Politik, Zwangsarbeit und das Verhalten der Täter, Frankfurt/Main 2001. S.247. Man beachte den eng. Originaltitel: Nazi Policy, Jewish Workers, German Killers (!)

[51] Paul, Gerhard: Von Psychopathen, S. 38.

[52] Wildt, Michael: Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002. S.21.

[53] Goldhagen, Daniel Noah: Hitlers willige Vollstrecker. S. 439.

[54] Ebd. S 28.

[55] Goldhagen, Daniel Noah: Hitlers willige Vollstrecker,. S. 28 und auch S. 440.

gewöhnlichen Deutschen mit der Zeit an die Greueltaten gewöhnt worden, hätten sich mit ihren Erschießungen gerühmt, sogar Spaß an den Verbrechen gehabt und sich nicht selten dazu freiwillig gemeldet. Dies sei der Tatsache geschuldet, so Goldhagen, dass ihnen ein früh entwickeltes, klischeehaftes Bild der Juden aufgezeigt wurde.[56] Auch wenn diese Aussagen die Vermutung nahe legen, dass Goldhagen Anhänger der Kollektivschuldthese war, so verneinte er dies, lehnte sie sogar kategorisch ab. Von Schuld könne man nur bei Einzelpersonen sprechen, die explizit an den Verbrechen beteiligt waren. Ebenso vehement spricht sich Goldhagen gegen die These Hilbergs aus, die Täter seien nur funktionelles Teil einer Vernichtungsmaschinerie gewesen.[57] Goldhagens Ausführungen entfachten eine heftige Debatte, nicht nur zwischen Goldhagen und Browning selbst, sondern vielmehr in der gesamten Forschung. Die Varianz der Reaktionen reichte hierbei von euphorischer Zustimmung bis hin zu totaler Ablehnung, sowohl in Deutschland wie auch weltweit. Auch wenn diese Fülle an Rezensionen und kritischen Essays von enormer Relevanz für die Täterforschung war und, wie bereits erwähnt, den Täterdiskurs in ein neues Licht rückte, sollen hier nur einige ausgewählte Antworten auf Goldhagens Buch Beachtung finden.[58] Die wohl interessanteste und zugleich konstruktivste Kritik leistete Christopher Browning. Mit seinem Wissen um identische Quellen warf Browning Goldhagen genau hier Versäumnisse, sogar Fehler und eine selektive Betrachtung vor und versuchte, diese anhand von direkten Vergleichen zu belegen bzw. zu widerlegen.[59] So kritisierte er beispielsweise Goldhagens Aussage des spezifisch deutschen Antisemitismus und brachte die Beteiligung von nicht-deutschen Hilfstruppen am Genozid als Gegenargument vor.[60] Weitere Kritiker, so beispielsweise Josef Joffe, warfen Goldhagen eine gefährliche Verallgemeinerung vor, die wissenschaftlich mehr als fragwürdig erschien. Joffe fragte berechtigterweise, wie man von Mikro auf Makrostudien bzw. von Fallbeispielen auf eine allgemeingültige, globale Theorie schließen konnte.[61] Mit Sicherheit lässt sich nicht abstreiten, dass Goldhagens Thesen pauschalisierend, methodisch teilweise nicht sonderlich fundiert und eher selektiver Natur waren. Sie stießen jedoch eine neue Grundsatzdebatte innerhalb der

[56] Ebd. S. 528ff.

[57] Ebd. S.11-12.

[58] Für einen Überblick: Schoeps, Julius H.: Ein Volk von Mördern? Die Dokumentation zur Goldhagen-Kontroverse um die Rolle der Deutschen im Holocaust, Hamburg 1996; des weiteren bietet das Online-Archiv der Zeitung Die Zeit eine Fülle von Reaktionen ( http://www.zeit.de/2011/index ).

[59] Browning, Christopher: Die Debatte über die Täter des Holocausts, in: Herbert, Ulrich(Hg.): Nationalsozialistische Vernichtungspolitik 1939-1945. Neue Forschungen und Kontroversen, Frankfurt/Main 2001, S. 148-169, hier S. 150.

[60] Browning, Christopher: Dämonisierung erklärt nichts, in: Schoeps, Julius H.: Ein Volk von Mördern?, S. 118-129, hier S. 123.

[61] Joffe, Josef: „Die Killer waren normale Deutsche, also waren die Deutschen Killer“, in Ebd. S. 160-175, hier S. 164.

Forschungen an, die zusammen mit Brownings Ansätzen, den Fokus auf die Ordinary Men, den „gewöhnlichen“ Täter lenkten und als entscheidend für die moderne Disziplin der Täterforschung angesehen werden müssen. Die Abkehr vom pathologischen Täter hin zu einem subjektiven, eigenständigen „Menschen“ innerhalb eines Massenmordes, der auf dessen aktive Teilnahme basierte, führte zu einer gänzlich neuen Ausrichtung der Shoa- Forschung.[62] Diese Entwicklung wurde durch die Wanderausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944“ im Jahr 1995 noch verstärkt. Erstmals wurde das Image der „sauberen Wehrmacht“ gerade durch den Einsatz von Bildern, Feldpostbriefen und sehr persönlichen Materialien, medial besonders wirksam hinterfragt und führte zu heftigen Reaktionen in der Bevölkerung. Rechte Gruppierungen, Teile der Bundeswehr und konservative Kreise sahen die Ausstellung als direkten Angriff auf die Ehre des deutschen Militärs und die Eltern- bzw. Großelterngeneration an. Besonders die Kritik von Rechts führte zu einer hohen Resonanz und rückte die Täterforschung erneut in den Fokus von nationalen, aber auch internationalen Debatten. Das durch Browning und Goldhagen geschaffene Verständnis für einen neuen, wenn auch unpopulären Tätertypus aus der Mitte des deutschen Volkes wurde so erneut bestätigt und mit der öffentlichen Zurschaustellung der deutschen Gräueltaten erstmals auch visuell (be)greifbar gemacht.[63]

2.4. Von „Weltanschauungseliten“ und „Direkttätern“: Der Perspektivenwechsel der neuen Täterforschung

Wie sich im vorherigen Kapitel bereits gezeigt hat, waren die Goldhagen-Debatte, Brownings Thesen und die Wehrmachtsausstellung von großer Relevanz für die Entstehung eines gänzlich neuen Täterbildes. Weitere Faktoren trugen in den 1990er Jahren zu einer stärkeren Kontrastierung des Themas bei. Eine neue Generation von Historikern, die nicht mehr unter dem direkten Einfluss der Nachkriegszeit und dem Zwang nach Entschuldung des deutschen Volkes standen, konnte sich mit Hilfe neuer Quellen aus den Archiven der ehemaligen DDR auf weitaus objektivere Weise dem Thema nähern.[64] Ebenso war die Frage nach der zentralen Führerweisung zum Mord an den Juden in den Hintergrund geraten. Vielmehr waren Einzelpersonen bzw. Einzeltäter und ihre Aktionen in den östlichen Gebieten in den Fokus gerückt.[65] Allerdings konzentrierten sich die ersten Studien zunächst auf die führenden Eliten in den verantwortlichen Reichsministerien und den Einsatzgruppen. Dies geschah, nach Gerhard Paul, wohl aus

[62] Paul, Gerhard: Von Psychopathen, S. 41.

[63] Jelitz, Jana/Mirco Wetzel: Über Täter und Täterinnen sprechen, S. 63ff.

[64] Paul, Gerhard: Von Psychopathen, S. 43.

[65] Jelitz, Jana/Mirco Wetzel: Über Täter und Täterinnen sprechen, S. 99.

Gründen der meist guten Quellenlage zu dieser Personengruppe.[66] Da die Fülle an Publikationen dieses neu ausgerichteten Zweiges der Forschung enorm groß und vielfältig ausfiel, muss sich die Betrachtung hier mit der beispielhaften These von Ulrich Herbert[67] begnügen und gezielt einige Aspekte ausblenden.[68] Prägend für die Shoa-Debatte war das biographisch angelegte Buch über den Verwaltungsleiter (Amt 1) des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) Werner Best von Ulrich Herbert aus dem Jahre 1996. Best, exemplarisch für die Führungsriege des RSHA ausgewählt, galt bei Herbert als Urtypus des „Weltanschauungstäters“, der keinesfalls geistig krank war oder durch Befehle zu verbrecherischen Handlungen gezwungen wurde. Im Gegenteil war Best mit den nötigen Kompetenzen ausgestattet, um aus eigenem Antrieb und eigenen Überzeugungen heraus den Genozid voranzutreiben. Dieses neue Täterbild, für das Best stand, war geprägt von fanatischer NS-Ideologie, im Gegensatz zu früheren Thesen aus akademischem Hintergrund und exekutiver Mitwirkung am Holocaust.[69] In weiteren Studien wurden die Handlungen des Großteils der mittleren Führungsebene des RSHA sowie des Judenreferates, aber auch der Gestapo bzw. Sipo innerhalb Deutschlands und der besetzen Gebiete aufgearbeitet. Besonders interessant für den zweiten Teil dieser Arbeit erscheint hier das Werk von Michael Kießner und Joachim Scholtyseck, die sich speziell mit regionalen Führern der NS- Organe in Süddeutschland auseinandersetzten und so erstmals einen Fokus auf die ländliche Gegend des zentralisierten deutschen Reiches lenkten. [70] Diese und viele andere Publikationen, ob zur RSHA oder den SSEinheiten und sonstigen Truppen in den KZs[71], machten ähnliche Entdeckungen bei der Beschreibung der Motive und der Herkunft der Täter. So waren die meisten Offiziere, zumindest in einigen Werken, funktionale bzw. exekutive Ebene des Holocausts, nach der Jahrhundertwende geboren worden, waren also nicht aktiv im Ersten Weltkrieg beteiligt, früh der SS beigetreten und über langjährige Dienstzeit in den KZs zu einem Grad der Verrohung gekommen, der sie ihre Arbeit als wichtig und lobenswert erachten ließ.[72] In den Folgejahren entstanden weitere Studien, zum einen über die Ärzte des Holocausts, so beispielsweise die recht neue von Ulrich Völklein zu Josef Mengele[73], und zum anderen

[66] Paul, Gerhard: Von Psychopathen, S. 43.

[67] Herbert, Ulrich: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903-1989. Bonn 1996.

[68] Für einen detailreichen Überblick: siehe:Paul, Gerhard: Von Psychopathen. S. 43-50.

[69] Vgl. Jelitz, Jana/Mirco Wetzel: Über Täter und Täterinnen sprechen, S. 68.

[70] Kießner, Michael/ Joachim Scholtyseck (Hg.): Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden-Württemberg, Konstanz 1997.

[71] Besonders zu erwähnen: Herbert, Ulrich/Karin Orth/Dieckmann, Christoph(Hgg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur Bd.2, Göttingen 1998.

[72] Paul, Gerhard: Von Psychopathen, S. 48.

[73] Völklein, Ulrich: Josef Mengele. Der Arzt von Auschwitz, Göttingen 2000.

über die Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF)[74], und beleuchteten weitere, bis dato wenig erforschte Tätergruppen. Dieser Themenkomplex der HSSPF bzw. SSPF (also Ssund Polizeiführer) wird im zweiten Teil der Arbeit noch detaillierter bearbeitet werden, da SS-Oberführer Walter Stein zu diesem Teil der SS in den besetzten Ostgebieten gehörte.

Die neuesten Ansätze der Täterforschung gehen erneut weg von Herberts Typus des „Weltanschauungstäters“ hin zu einer Untersuchung der Direkttäter. Klaus-Michael Mallmann bezeichnete diese Tätergruppe als „Fußvolk der Endlösung“[75] und gab mit diesem Begriff den neuen Rahmen der Forschung vor. Mallmann untersuchte bis dato weniger beachtete Polizeibataillone und Einsatzgruppen auf ihre Zusammensetzung und Beteiligung, jedoch erstmals nicht nur mit den Kommandeuren und höheren Offizieren, sondern mit den direkt in Erschießungen involvierten Tätern.[76] Besonders interessant war hier die Herkunft der Täter bzw. das gezielte Aussuchen der Mitglieder der Einsatzgruppen. So stellte Mallmann anhand der Einsatzgruppen C und D fest, dass, im Gegensatz zu Goldhagens Annahme[77], nicht jeder der Mitglieder dieser „Tötungsschwadronen“ aus ideologischen Weltanschauungskriegern bestanden, die einzig zum Einsatz an den Erschießungsgruben rekrutiert wurden bzw. sich hatten rekrutieren lassen. Vielmehr sei, zumindest bei den niederen Soldaten und Mannschaften, von einer Zufallsrekrutierung auszugehen. Sowohl in der oberen wie in der unteren Führungsebene, also den Gruppenführern und den Teilgruppenführern, wurde jedoch darauf geachtet, dass ausschließlich Karrieristen und/oder Routiniers mit der „richtigen“ Einstellung eingesetzt wurden. Als Beispiel sei hier Dr. Otto Rasch genannt. Er war zuletzt Befehlshaber der Einsatzgruppe C, hatte allerdings davor schon mehrfach als Anführer einer solchen Schwadron gedient und war aufgrund seiner Leistungen nach jedem Kommando befördert worden. In den unteren Rängen wurde der Einsatz ebenfalls als Karrieresprungbrett gerne genutzt.[78] Für Mallmann waren einige der früher gängigen Thesen für den Massenmord aus diesen Gründen nicht haltbar. Auch wenn, wie bereits nachgewiesen, der Großteil der Täter aus der Breite der Bevölkerung stammte und nicht als fanatische Nationalsozialisten gesehen werden darf, könne man nicht von Befehlstaten, wie bei Schäfer, oder von einer Verrohung durch den Krieg, wie bspw. bei Browning ausgehen. Die freiwillige Teilnahme an den Aktionen ließe solche Schlüsse bzw. Entschuldigungen schlichtweg nicht zu.

[74] Bsp. der grandiose Sammelband: Smelser, Ronald M. (Hg.): Die SS. Elite unter dem Totenkopf, Paderborn [u.a.] 2000.

[75] Mallmann, Klaus-Michael: Vom Fußvolk der Endlösung. Ordnungspolizei, Ostkrieg und Judenmord, in: Tell Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, Bd. 26 (1997) S. 255-291.

[76] Mallmann, Klaus-Michael: Die Türöffner der „Endlösung. Zur Genesis des Genozids, in: Paul, Gerhard/Klaus- Michael Mallmann (Hgg.): Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg. Heimatfront und besetztes Europa, Darmstadt 2000, S. 437-463.

[77] Vgl. Goldhagen, Daniel Noah: Hitlers willige Vollstrecker. S. 326.

[78] Mallmann, Klaus-Michael: Die Türöffner der „Endlösung, S. 456ff.

Vielmehr sei das antisemitisch-antibolschewistische Weltbild des frühen 20. Jahrhunderts, das den meist jüngeren Offizieren indoktriniert wurde, als Beweggrund für eine als notwendig erachtete Säuberungsaktion anzusehen.[79] Noch intensiver als Browning, Mallmann oder Jan Kiepe[80], die sich im Wesentlichen mit dem 101 Reserve- Polizeibataillon beschäftigten, behandelte Wolfgang Curilla in seiner erst kürzlich erschienenen Studie die Rolle der Ordnungspolizei in Polen.[81] Seine Befunde zu den Einsätzen der OP im Generalgouvernement werden für den zweiten Teil der Arbeit von Belang sein, da Walter Stein in seiner Funktion als Polizeichef in einigen polnischen Städten fungierte. Mit der Öffnung der Forschung gegenüber Tätergruppen aus weiteren Teilen der Kriegsmaschinerie des Zweiten Weltkrieges kam, natürlich nach Vorarbeit durch die Wehrmachtsausstellung, auch die „Truppe“ erneut in den Blickpunkt einiger Projekte. Die als einst so sauber geltende Wehrmacht wurde in vielen Einzelstudien[82] untersucht, allerdings erneut nur auf Führungsebene. Eine detaillierte Ausführung des Forschungsstandes würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Eine sehr interessante Studie von Gerd Ueberschär soll hier dennoch kurz erwähnt werden. In dessen Sammelband „NS-Verbrechen und der militärische Widerstand gegen Hitler“[83] wurden erstmals die Offiziere der Stauffenberg-Verschwörung auf ihre „Oppositionsfähigkeit“ bzw. ihren Befehlsgehorsam während der früheren Kriegsjahre untersucht. In einem Beitrag von Christian Gerlach untersuchte dieser durchaus namhafte Offiziere, so bspw. den am Attentat an Hitler beteiligten Henning von Tresckow, und konnte diese teilweise im Kreis der Direkttäter verorten, die zumindest die Hinrichtung von unerwünschten Personen als Sicherheitsfaktor für die Soldaten sahen und auch vor der Ausführung des Kommissarbefehls nicht zurückschreckten. In anderen Fällen, die die Zivilbevölkerung betrafen, agierte v. Tresckow wiederum moralisch und widersetzte sich offen den Befehlen.[84] Im Vergleich zu den unzähligen Studien über die Täter in SS, Gestapo oder Wehrmacht wurde dem zivilen Verwaltungsapparat der NS-Zeit bis heute relativ wenig Beachtung geschenkt. Erst die Ausarbeitung „Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement“ von Bogdan Musial aus dem Jahre 1999 brachte anhand des Beispiels des Generalgouvernements neue Erkenntnisse über die

[79] Paul, Gerhard: Von Psychopathen, S. 52.

[80] Kiepe, Jan: Das Reserve-Polizeibataillon 101 vor Gericht. NS-Täter in Selbst- und Fremddarstellung, Hamburg 2007.

[81] Curilla, Wolfgang: Der Judenmord in Polen und die deutsche Ordnungspolizei 1939-1945, Paderborn 2011.

[82] Um nur einige zu nennen: Böhler, Jochen: Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939, Frankfurt/Main 2006. aber auch Hartmann, Christian (Hg.): Die Verbrechen der Wehrmacht. Bilanz einer Debatte. (=Beck`sche Reihe Bd. 1632) München 2005.

[83] Üeberschär, Gerd (Hg.): NS-Verbrechen und der militärische Widerstand gegen Hitler, Darmstadt 2000.

[84] Gerlach, Chistian: Hitlergegner bei der Heeresgruppe Mitte und die „verbrecherischen Befehle, in Üeberschär, Gerd: NS-Verbrechen, S. 62-76, hier S. 68ff.

„Arbeitsteilung“ der militärischen und zivilen Institutionen.[85] In diesem gruppenbiographischen Ansatz, in dem sich Musial von der These des maschinellen Vernichtungsapparates distanzierte, wurde deutlich, dass sich auch in der Zivilverwaltung die Akteure des Holocausts aktiv an der Vernichtung beteiligten. Die Täterschaft, die Musial ausmachen konnte, war eben keine „preußische Verwaltungselite“, die ausschließlich Befehle befolgte, sondern bestand vielmehr aus nationalsozialistisch geprägten Kriminellen und Versagern, die im Zuge der Postenverteilung nach 1933 benachteiligt wurden. Einem Großteil der Verwaltungsbeamten schrieb Musial sadistische Neigungen zu und verortete sich in der Gruppe der Exzeßtäter.[86] Musials Thesen sind auch für das zweite Kapitel von Bedeutung, da SS-Oberführer Walter Stein in Polen als Polizeichef eingesetzt wurde. In den letzten Jahren wurden, auch im Zuge des feministischen Diskurses, vermehrt Studien publiziert, die sich mit dem sozialen Umfeld der Täter und dem Gender-Aspekt beschäftigten. Eine genaue Auflistung soll hier nicht erfolgen. Vielmehr ist hervorzuheben, dass zwar der Großteil der Täterschaft mit Sicherheit männlichen Geschlechts war, die Frauen allerdings, die im System des Massenmords eingespannt waren, ihnen in Sachen Grausamkeit und Überzeugungen in nichts nachstanden und ebenfalls in die Täterschaft miteinzubeziehen waren.[87] Ähnliche Aussagen lassen sich über die Tätigkeiten von ausländischen Hilfstruppen machen. Erst in frühester Vergangenheit wurde diesem Bereich Aufmerksamkeit geschenkt. Wie der Gender-Aspekt soll auch dieser, recht neue Untersuchungsbereich hier nicht von Relevanz sein, da sich der zweite Teil der Arbeit mit der deutschen Regionalgeschichte befassen wird.[88]

2.5 Zwischenfazit und Versuch einer Typologisierung der Täterschaft

Abschließend stellt sich die Frage, ob aus der oben aufgezeigten Debatte um die Täterforschung nun ein generell gültiges Täterbild entworfen werden kann oder allein durch die Vielfältigkeit der Täter, ihrer Taten, ihrer Motive und ihrer Herkunft ein solches Vorhaben unmöglich ist. Mit Sicherheit sind die ersten Thesen der Holocaust-Forschung nicht im Gesamten haltbar. Wie sich gezeigt hat, sind die frühen Ideen des Dämonen in Uniform und dem verführten, normalen Deutschen zum einen veraltet und zum anderen sicherlich nicht in ihrer generalisierenden Form verwendbar. In der neueren Forschung

[85] Musial, Bogdan: Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement. Eine Fallstudie zum Distrikt Lublin 1939-1944, Wiesbaden 1999.

[86] Vgl. Paul, Gerhard: Von Psychopathen . S.53, aber auch: Pohl, Dieter: Herren über Leben und Tod, in: Die Zeit 27/ 2000.

[87] Paul, Gerhard: Von Psychopathen . S.55; für eine genaue Darstellungen s. Ebd., S. 55ff.

[88] Für weiter Informationen und Literaturvorschläge s. Ebd. S. 56-61.

wurde das Bild der homogenen Täterschaft, die einzig, zumindest nach Goldhagen, aus „deutschem“ Antisemitismus heraus mordete, verworfen. Es wurde ersetzt durch eine heterogene Gruppe, die aus diversen Beweggründen den Massenmord ausführte. Erneut war es Gerhard Paul, der eine Unterteilung der empirisch-historischen Typologie der Täter des Holocausts vornahm, die auch in der restlichen Forschung anerkannt wurde. Zunächst ist der Weltanschauungstäter zu nennen. Dieser Typus war überzeugter Nationalsozialist, der sich „primär als Exekutor der rassistischen NS-Weltanschauung verstand und verhielt“[89] und sowohl in den höchsten Führungsebenen, als auch bei den Mannschaften der Einsatzgruppen und der Wehrmacht zu finden war.[90] Exemplarisch für diesen Tätertypus war wohl Werner Best, der mit seinem radikalen Weltbild und seiner rationalen antisemitischen Denkart den fatalsten und bedingungslosesten aller Täter ausmachte. Gerade der rationale Ansatz, der im Gegensatz zum Antisemitismus der SA, keine Kompromisse kennt und nicht auf Hass oder sonstigen Gefühlen basiert, sondern vielmehr auf einen wissenschaftlichen Kontext bzw. wissenschaftliche Herleitung der NS-Ideologie setzt, machte diesen Täter aus.[91] Als zweiter Typ wurde der utilitaristisch motivierte Täter hervorgehoben. Dieser sei, ähnlich wie bei Browning, bereits mit dem antisemitischen Bild des frühen 20. Jahrhunderts aufgewachsen bzw. geprägt worden und sah die Juden, aber auch sonstige „Ungewollte“ als problematisch an, die die Kriegsgüter und Ressourcen des Reiches unnötig strapazierten. Es war ein nötiges Übel, sich dieser Individuen zu entledigen, um nicht Gefahr zu laufen, in einen Mangel an kriegswichtige Materialien zu geraten. Laut Paul war dieser Typus hauptsächlich in der Zivilverwaltung, aber auch in der Wehrmacht vertreten.[92] Als Beispiel für höhere Dienstgrade der Wehrmacht könnte evtl. der bereits erwähnte Henning von Tresckow dienen. Der dritte Typus, den Paul ausmachen konnte, war der in allen Schichten und Teilen des NS-Regimes vorhandene Exzeßtäter. Dies zeigte nicht zuletzt die bereits erwähnte Studie von Musial. Exzeßtäter zeichnen sich nicht durch einen direkten Antisemitismus aus, vielmehr standen sexuelle und materielle Interessen im Vordergrund, die durch die Ausdehnung des Krieges in den Osten durch Brandschatzung, Vergewaltigungen und Mord befriedigt werden konnten.[93] Evtl. sind auch die Euthanasie-Mediziner und KZ-Ärzte, allen voran Josef Mengele in einem gewissen Maße diesem Tätertypus zuzuordnen.[94] Die vierte Art der Täternatur

[89] Paul, Gerhard: Von Psychopathen . S.61.

[90] Ebd.

[91] Kramer, Helgard: Tätertypologien, in: dies.(Hg.): NS-Täter in interdisziplinärer Perspektive, München 2006, S. 253 – 309, hier S. 267.

[92] Paul, Gerhard: Von Psychopathen . S.61.

[93] Paul, Gerhard: Von Psychopathen . S.61.

[94] Kramer, Helgard: Tätertypologien, S. 270.

definiert Paul maßgeblich über die früheren Charakterisierungen Schäfers und Brownings, den Befehlstäter. Unter dem Eindruck des Krieges und der spezifischen, gruppeninternen Drucksituation seien diese, selbst wenig antisemitisch eingestellten Befehlsempfänger, zu Tätern geworden.[95] Wie sich gezeigt hat, ist auch in der neuen Täterforschung, zumindest in dem hier verwendeten Beispiel von Gerhard Paul, der Versuch erfolgt, eine generelle Typologisierung vorzunehmen. Mit Sicherheit sind die Motive noch vielfältiger und auch die Grenzen zwischen den Kategorisierungen noch deutlich ambivalenter. In einer späteren Korrektur seiner Einteilungen versuchte Paul dem Rechnung zu tragen.[96] So ließ er den utilitaristisch motivierten Täter vollends verschwinden, was fragwürdig erscheint. Meiner Meinung nach kann eine solche Motivation durchaus in Frage kommen und sollte nicht außer Acht gelassen werden. Des Weiteren werden zwei neue bzw. abgewandelte Typen vorgestellt, der „band wagon Nazi“ und der Schreibtischtäter. Bei Erstgenanntem handelte es sich nicht um einen Nationalsozialisten der Überzeugung wegen, sondern vielmehr um einen Karrieristen, wie ihn Mallmann bereits erwähnt hatte. Die Schreibtischtäter, bereits von Hilberg etabliert, ergänzte die neue Typologisierung von Gerhard Paul, wenn auch in verschärfter Form. Für Paul waren die „neuen“ Schreibtischtäter nicht mehr nur Befehlsempfänger, sie gestalteten den Massenmord durch minutiöse Planung und eigenen Initiativen höchst selbst, wenn auch „nur“ als „bureaucratic killer“. In einem Zwischenschritt definiert Paul einen weiteren Typus, der eine Mischform aus Schreibtischtäter und Direkttäter bildet. Er charakterisierte diese als Vordenker und Vollstrecker, die nicht nur mit der Entscheidungsfindung beauftragt wurden, sondern auch deren Durchführung gleichermaßen aktiv mitgestalteten.[97] Auch wenn die Dimensionen der Tätereigenschaften, deren Intentionen und Motivationen vermutlich weitaus vielfältiger waren, man beachte allein, dass die hier vorliegende Betrachtung weder den Gender-Aspekt noch ausländische Hilfstruppen mit einbezieht, ist Gerhard Pauls Ansatz dennoch als wegweisend anzusehen. Die neue Täterforschung, die mit ihren multikausalen Ansätzen neue Täterbilder produziert bzw. erarbeitet hat, kann sich deshalb nicht mit allgemein gültigen Täterprofilen zufrieden geben oder versuchen, sie auf solche festzulegen. Auch wenn die Täterforschung, besonders in den letzten Jahren, viel erreicht hat, so beispielsweise die Aufarbeitung der höheren SS-Führung oder den Einsatzgruppen in den Ostgebieten, sind im Besonderen die mittleren und untersten Ebenen der Täter der Shoa wenig beleuchtet. Klaus-Michael Mallmann und Gerhard Paul fordern daher nicht zu Unrecht die Befassung mit SS- und Polizeiführern, um nur ein für den zweiten Teil dieser

[95] Paul, Gerhard: Von Psychopathen . S.61-62.

[96] Paul, Gerhard/ Klaus-Michael Mallmann: Sozialisation, Milieu und Gewalt, S. 16ff.

[97] Paul, Gerhard/ Klaus-Michael Mallmann: Sozialisation S. 18.

Arbeit relevantes Beispiel zu nennen.98 Zum jetzigen Stand der Kontroverse sind also eine Vielzahl von Tätertypen auszumachen, die, je nach Position innerhalb der unterschiedlichen Institutionen des Holocaust und ihrem Engagement, aber auch ihrer Herkunft und Sozialisation bzw. Ausbildung, unterschieden werden müssen. Im folgenden Teil soll nun versucht werden, eine biographische Studie über SS-Oberführer Walter Stein zu erstellen. Wie sich zeigen soll, verbindet gerade die Person Walter Stein einen lokalhistorischen Ansatz, da er zunächst als SS-Abschnittsleiter von Konstanz eingesetzt war, und einen solchen, wie ihn Mallmann und Paul fordern, da Stein ebenfalls in Polen als SSPF bzw. Polizeipräsident Dienst tat.

3. SS-Oberführer Walter Stein: Vom Konstanzer SS-Abschnittsleiter zum Polizeipräsidenten im annektierten Polen. Versuch einer lokalen Täterbiographie

Diese Kapitel widmet sich der Personalie Walter Steins, einem bis dato in der Literatur kaum vorkommenden SS-Offizier[99], der sowohl in Deutschland wie auch in Polen eingesetzt war. Es soll anhand der im vorherigen Teil beschrieben Täterbiographien versucht werden, diesen Walter Stein biographisch zu analysieren, seine Motivation und Ideale zu ergründen und ihn gegebenenfalls in einen Täterkreis zu verorten. Doch wie geht man vor, wenn man sich einem gänzlich Unbekannten biographisch zu nähern versucht? Die Akten, die im Document Center Berlin bzw. Bundesarchiv zu Walter Stein lagern, bilden, neben den Quellen und Prozessakten zu den Konstanzer Synagogenbränden, die Ausgangsbasis für diesen Versuch. Die Fülle der Dokumente, summa summarum über 500 Seiten, überrascht, auch wenn gerade die dienstlichen Akten kleinerer Akteure des Holocaust von der Zerstörung Großteils verschont geblieben waren. Die Prozessakten nach 1945 sind restlos einsehbar. Inwieweit die Quellenlage dennoch problematisch zu interpretieren ist, soll sich im folgenden Abschnitt noch herausstellen. Um dennoch Rückschlüsse auf die Personalie Steins ziehen zu können, sind Querverweise zu ähnlichen Biographien der SS-Hierarchie unabdingbar. So war es

[98] Paul, Gerhard/ Klaus-Michael Mallmann: Sozialisation, S. 22.

[99] Einzig erwähnt in Schriften zum Synagogenbrand in Konstanz, bspw.: Engelsing, Tobias: Im Verein mit dem Feuer. Die Sozialgeschichte der Freiwilligen Feuerwehr, Konstanz 1990, hier S. 153ff; oder zu seinen Karrierestationen: Nix, Phil/ Georges Jerome: The Uniformed Police Forces of the Third Reich 1933-1945, Stockholm 2006, S. 148, S. 163, S. 176, S. 178. Ausführlich wird über ihn im Zusammenhang mir den Synagogenbränden geschrieben in: Gläser, Diedrich: Die Nacht, in der die Fenster klirrten-Die Pogromnacht vom 9./10. November 1938 in Konstanz und Hegau, in: Bibby, Hildegard (Hg.): Themenband „Jüdische Kultur im Hegau und am See“(= Hegau, Bd. 64) Singen 2007.

zunächst nötig, einige frühere Biographien von SS-Männern mit ähnlichen Karrieren zu betrachten. Im Falle dieser Arbeit wurde im Besonderen mit Michael Kießners und Joachim Scholtysecks Buch über führende NS-Größen im lokalen Rahmen[100], Roland Smelsers „ Die SS: Elite unter dem Totenkopf“[101] sowie „Karrieren der Gewalt“[102] von Klaus-Michael Mallmann und Gerhard Paul gearbeitet. Sie zeigen, ähnlich wie bei Krausnik[103], einen biographischen Querschnitt durch die Breite der SS-Hierarchie. Zwar ist keine der herangezogenen Biographien in den mittleren Befehlsstrukturen, also auf derer Walter Steins, angesiedelt, es geht vielmehr um die höheren Dienstränge und politische Ämter der SS. Es soll dennoch versucht werden, einige Parallelen herauszuarbeiten, um gegebenenfalls zu einer allgemeineren Zuordnung in eine gewisse Täterkategorie hinzuweisen. Methodisch soll, ähnlich dem ersten Teil der Arbeit, chronologisch vorgegangen werden. Ausgehend von Steins früher Karriere in der NSDAP resp. SS soll versucht werden, sein Wirken innerhalb der Befehlsstrukturen der SS zu ergründen. Da Walter Stein sowohl in Deutschland wie auch in Polen eingesetzt wurde, werden diese Punkte in gesonderten Kapiteln behandelt werden, wobei der Fokus auf seiner Konstanzer Zeit liegen soll.

3.1 Walter Steins Biographie bis 1936: Steins steile Karriere in Berlin

Walter Wilhelm Stein wurde am 6. November 1896 als siebtes Kind des Schlossers Karl Stein und dessen Ehefrau Auguste Stein geb. Frech in Schwelm /NRW geboren. Nach einer mittelmäßigen Beendigung der achtjährigen Volkschule begann Walter Stein 1912 eine zweijährige Lehre zum Schlosser.[104] Kurz bevor er eine Reifeprüfung ablegen konnte, wurde Stein zum Wehrdienst eingezogen. Nach seinen Aussagen geschah dies mit 18 Jahren, also 1915. In einigen Dokumenten aus den 1930er Jahren, die eine Beförderung zum Ziel hatten, spricht Stein vom freiwilligen Kriegsdienst direkt nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges.[105] Zunächst wurde Stein im RIR 32 in Gera ausgebildet und dann an die Westfront versetzt, kämpfte in den Folgejahren in der Sturmabteilung der 113. ID, ebenfalls im Westen. Mehrmals schwer verwundet, so bspw. einen Durchschuss des Rückens, eine Gasvergiftung und eine weitere Schussverletzung im rechten

[100] Kießner, Michael/ Joachim Scholtyseck: Die Führer der Provinz.

[101] Smelser, Ronald M.: Die SS. Elite unter dem Totenkopf.

[102] Mallmann, Klaus-Michael/ Gerhard Paul (Hgg.): Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien ( =Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 2) Darmstadt 2005.

[103] Krausnik, Helmuth/ Hans-Heinrich Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges.

[104] Vgl. hierzu: Fragebogen zum Verlobungs- und Ehegesuch i. d. Akten d. BDC: VBS 283/6055015078 oder aber seine Aussage v. d. Konstanzer Staatsanwaltschaft (01.101962): i. d. Akten d. StaFR: F 178/ 2 (41), S. 355.

[105] So bspw. in einem handschriftlichen Lebenslauf v. 1934: BDC: VBS 283/6055015078

Ellenbogen, verbrachte Stein die letzten Kriegstage in einem Lazarett nahe seiner Heimatstadt. Als Unteroffizier mit diversen Auszeichnungen (EK II. und silbernes Verwundetenabzeichen) schied Stein 1918 aus dem Militär aus. Laut seiner Aussage versuchte er erneut in seinem Beruf Fuß zu fassen, begann sogar ein Studium zum Maschinenbauingenieur an der Maschinenbauschule Elberfeld/Wuppertal.[106] In einem früheren Dokument berichtet Stein, dass er dieses bereits vor dem Kriegsdienst begann.[107] In beiden Fällen gab er drei Semester als Studienzeit an. In Anbetracht dieser Zeitspanne scheint ein Studium vor Kriegsbeginn jedoch kaum wahrscheinlich. Wichtig erscheint hier nur, dass Stein studiert hat, wenn auch ohne Abschluss. Dies war, so Stein, neben finanziellen Problemen auch seiner Kriegsverwundung im rechten Arm geschuldet, die ihm das Arbeiten als Ingenieur gänzlich unmöglich machte. In Annahme eines abgebrochenen und dreisemestrigen Studiums wäre Stein 1920 ohne Beschäftigung und abgeschlossene Ausbildung nach Berlin gezogen. So ließ er zumindest in den Akten zu seiner Gerichtsverhandlung 1962 notieren. Aus seinen Akten aus der NSDAP-Zeit, besonders bei Beförderungen, zu denen später mehr gesagt werden soll, geht jedoch hervor, dass Stein an „[…] Abwehrkämpfen bei der Besetzung des Ruhrgebietes durch die Franzosen teil [nahm]“.[108] „Daraufhin betätigte er sich aktiv an den Abwehrkämpfen bei der Besetzung des Rhein-und Ruhrgebietes[…]“[109], so berichtete es zumindest der HSSPF Danzig- Westpreußen R. Hildebrandt in einem Gesuch zur Beförderung desselben1943. Walter Stein gab 1962 jedoch an, niemals in einem Freikorps gedient zu haben.[110] Eine korrekte und eindeutige Antwort lässt sich hier wohl nur schwer ausmachen. Spekulativ könnte man jedoch annehmen, dass Stein in der Nachkriegszeit alles daran setzte, einer Verurteilung durch deutsche Behörden zu entgehen und durch eine Leugnung eigener Freikorpserfahrungen nicht dem allgemeinen Bild des „Nationalsozialisten der ersten Stunde“ zu entsprechen. In den Urkunden zur Eheschließung mit seiner zweiten Frau, Agathe Wackerle, von 1936 brüstete sich Stein jedoch, 1923 vor einer Festnahme durch die Franzosen im Ruhrgebiet nach Berlin geflohen zu sein.[111] Vergleicht man nun den Lebenslauf Steins nach 1914 mit denen einiger SS-Größen, sowohl auf regionaler wie auch auf nationaler Ebene, so fallen deutliche Gemeinsamkeiten ins Auge. Wie bspw. bei Krausnik[112] beschrieben, war ein Großteil der späteren Führungskader der Einsatzgruppen in den besetzten Gebieten Polens und der UdSSR ehemalige Kriegsveteranen mit

[106] Steins Aussage v. d. Konstanzer Staatsanwaltschaft (01.101962): i. d. Akten d. StaFR: F 178/ 2 (41), S. 357.

[107] Fragebogen zum Verlobungs- und Ehegesuch i. d. Akten d. BDC: VBS 283/6055015078

[108] Ebd.

[109] Beförderungsgesuch zum SS-Brigadeführer, 07.09.1943, i. d. Akten d. BDC: VBS 286/6400044095

[110] Aussage Walter Steins v. d. Konstanzer Staatsanwaltschaft (01.101962): i. d. Akten d. StaFR: F 178/ 2 (41), 357.

[111] Fragebogen zum Verlobungs- und Ehegesuch i. d. Akten d. BDC: VBS 283/6055015078

[112[ Krausnik, Helmuth/ Hans-Heinrich Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges.

Freikorpsvergangenheit. Exemplarisch hierfür können SS-Brigadeführer Fritz Walter Sternecker, SS-Standartenführer Karl Jäger[113], SS-Obergruppenführer Gottlob Berger[114], aber auch HSSPF Friedrich-Wilhelm Krüger und HSSPF Hanns Rauter[115] angesehen werden. Auch die „Prominenz“ der NS-Führung, bspw. der spätere RFSS Heinrich Himmler, RM Martin Bormann und SS-Obersturmführer Rudolf Höß, hatten ähnliche Erfahrungen nach 1918 gemacht.[116] Mit Sicherheit kann die Mitgliedschaft in einem Freikorps nicht direkt als Anklagepunkt bzw. Indiz für einen späteren „Täter“ gelten, dass sich dennoch ein Großteil der späteren NS-Größen und in Nürnberg Verurteilten nach 1918 in solchen befanden, darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden.[117] Vielmehr können solche Gemeinsamkeiten evtl. auf ähnliche Motivationen im Prozess der Shoa hindeuten. Doch auch der weitere Lebensweg Walter Steins ähnelt dem führender Nazis und bereits beschriebener Täter des Massenmords. Nach dem Stein nun 1923 nach Berlin gekommen war, ob freiwillig oder nicht sei dahingestellt, widmete er sich nach eigenen Angaben dem „Kraftfahrwesen“[118]. Auch hier gibt es mehrere Versionen, Einzelheiten sollen jedoch nicht von Belang sein. Aus den Dokumenten der Eheschließung 1936 und späteren Aussagen geht jedoch hervor, dass Stein nach einer Anstellung als Fahrer für div. Firmen schließlich selbständig wurde und einer kaufmännischen Tätigkeit nachging.[119] Gegen Ende der 1920er Jahre wurde Stein, wie viele Deutsche im Zuge der Weltwirtschaftskrise, dann arbeitslos. Dies kann für die weitere Entwicklung Steins evtl. als relevant angesehen werden. Auch Teile der HSSPF und späteren Einsatzgruppenleiter können auf eine ähnliche Historie zurückblicken.[120] Besonders interessant erscheint die hohe Anzahl von späteren SS-Größen in diesen Einheiten, deren kaufmännische Existenzen ab 1929 zerbrachen. Krausnik sieht hier eine früh geprägte, antisemitische Stimmung, ausgehend bzw. angefacht vom Deutschnationalen Handlungsgehilfen- Verband.[121] Inwieweit Walter Stein in dieser Zeit antisemitisch eingestellt war ist nicht überliefert bzw. zu belegen. Genauere Erkenntnisse können evtl. im folgenden Teil zu den Konstanzer Synagogenbränden gewonnen werden. Noch 1929 tritt Walter Stein der NSDAP bei, was seine Gesinnung mutmaßlich erahnen lässt. Mehrere Dokumente bestätigen den Eintritt Steins zur NSDAP (Mitgliedsnr. 255.956) zum 01.05.1929 und auch

[113] Vgl:. Krausnik, Helmuth/ Hans-Heinrich Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges, S. 281ff.

[114] Vgl.: Kießner, Michael/ Joachim Scholtyseck (Hg.): Die Führer der Provinz, S 79.

[115] Vgl.: Smelser, Ronald M.: Die SS. Elite unter dem Totenkopf. S. 323ff. und 412ff.

[116] Vgl.: Ebd. S. 236.

[117] Ebd.

[118] Aussage Walter (01.101962): StaFR: F 178/ 2 (41), S.357.

[119] Ebd. Und auch Verlobungs- und Ehegesuch: BDC: VBS 283/6055015078; Er gab bspw. an, Besitzer eines Tabakladens gewesen zu sein. Davor war er wohl Reisekraftfahrer in In-und Ausland.

[120] So bspw. der bereits erwähnte Karl Jäger; Vgl. Krausnik, Helmuth/ Hans-Heinrich Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges.

[121] Ebd. S. 283.

er selbst datierte seinen Eintritt zu genanntem Datum.122 Die Parteiakte der NSDAPGaukartei jedoch führt Walter Stein unter gleicher Nummer zum 01.06.1930.[123] Ähnliches gilt für den Eintritt in die SA, den Stein wohl direkt im Zuge der Parteimitgliedschaft beantragte. Mit Bestimmtheit lässt sich nur das Eintrittsjahr in die SS festlegen, da auf allen relevanten Akten der 1. November 1930 (SS-Nr.: 12780) verzeichnet ist und auch Stein selbst dieses Datum in Verhören angab. [124] Ein so früher Eintritt in die NSDAP und gerade in ihre Teilinstitutionen ist in der späteren, höheren Schicht der NS-Funktionäre und Offiziere nicht unüblich. Auch dies lässt zunächst an einer nationalsozialistischen Gesinnung Steins festhalten. Nach den vorhandenen Akten war Stein bis AnfangDezember 1930 als „normaler“ SS-Mann, der in der motorisierten SS-Staffel der 6. SS-Standarte mit Standort Berlin, wohl als Techniker Dienst tat.[125 9 Die Berliner SS war in dieser Zeit, wie die SS reichsweit, damit beauftragt, die Aktivitäten anderer Parteien, aber auch innerhalb der Bewegung selbst zu beobachten und gegebenenfalls niederzuschlagen. Beauftragter SS-Oberführer für den betreffenden Abschnitt Ost dieser Zeit war Kurt Daluege, der spätere SS-Oberst-Gruppenführer und Chef der Polizei.[126]

Auf die Beziehung zwischen Stein und Daluege soll in einem späteren Abschnitt kurz eingegangen werden. Am 06.12.1931 wurde Stein zum Sturmführer des zweiten Sturmes der 6. SS-Standarte ernannt. In den Schreiben an den RFSS wird Stein als „[…] zuverlässiger, alter Soldat[…]“[127] beschrieben, der „[…] unbeirrbar die von ihm einmal für richtig erkannte Linie haltend […]“[128] angesehen werden kann. Auch Daluege pflichtete dem bei und setzte sich für Stein ein.[129] Für die folgenden drei Jahre schien Stein hauptsächlich in Berlin an seiner Karriere zu arbeiten. Am 01. Oktober 1932 wurde er zum SS-Sturmhauptführer ernannt und befehligte den ersten Sturmbann der 6. SSStandarte. [130] Bereits ein Jahr später, zum 3. Sepember 1933, bekleidete Stein dann den Posten eines SS-Sturmbannführers und wurde als Motor-Oberstaffelführer im Stabe des

[122] Aussage Walter (01.101962): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 359; oder aber Gesuch z. Beförderung 1944: BDC: VBS 283/6055015078.

[123] NSDAP-Gaukartei i. d. Akten d. BDC: VBS 283/6055015078.

[124] Aussage Walter (01.101962): StaFR: F 178/ 2 (41), S.359; aber auch Gesuch z. Beförderung 1944: BDC: VBS 283/6055015078 u. div. Andere.

[125] Aussage Walter (01.101962): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 359.

[126] Vgl.: Buchheim, Hans: Die SS. Das Herrschaftsinstrument. Befehl und Gehorsam (= Anatomiedes SS-Staates, Bd. 1) München 1967, S. 32. Zu Kurt Daluege: Schulz, Andreas/ Günter Wegmann: Die Generale der Waffen-SS und der Polizei. Die militärischen Werdegänge der Generale, sowie der Ärzte, Veterinäre, Intendanten, Richter und Ministerialbeamten im Generalsrang, Bd. 1: Abraham -Gutenberger (= Deutschlands Generale und Admirale, Teil V) Bissendorf 2003, S. 194ff.

[127] Vorschlag zur Ernennung Steins zum Stf. BDC: VBS 283/6055015078.

[128] Ebd.

[129] Brief d. SS-Abschnl. Daluege an RFSS Himmler 03.12.1931. Ebd.

[130] Befehl d. RFSS v. 20.Okt. 1932 BDC: VBS 283/6055015078.

SS-Abschnitts III. eingesetzt.[131] Nur drei Monate später, zum 1. Dezember, beförderte ihn der RFSS zum SS-Obersturmbannführer in Funktion eines Gruppenstaffelführers des Oberabschnitts Ost[132] und kurz darauf, im März 1934 zum SS-Standartenführer.[133] Am 1. April des folgenden Jahres wurde Walter Stein zum Führer der 3. SS-Motorstandarte ernannt[134] und erhielt seine letzte Beförderung zum SS-Oberführer am 1. Juni 1936.[135] Neben dem steilen Karriereweg Steins sind die jeweiligen Personalberichte, die die vorgesetzten Offiziere mit der Bitte um Beförderung einreichten, besonders interessant, da sie Aufschluss über die Gesinnung, wenn auch nur „äußerlich“ bzw. vor Anderen, und Persönlichkeit Steins geben können. In restlos allen Personalbögen wird eine sehr gute und einwandfreie nationalsozialistische Weltanschauung[136] bescheinigt, die Stein als „alter, überzeugter Kämpfer“[137] auch nach außen vertrat. Nach Steins Aussage 1962 war diese Tätigkeit in der SS jedoch nur „ehrenamtlich“ bzw. nebenamtlich und er war bis 1934 nach wie vor arbeitslos. Anscheinend war Stein nahegelegt worden, hauptamtlich zur SS zu gehen, er habe dies jedoch abgelehnt, da er nur im technischen Bereich hatte arbeiten wolle.[138] Diese Aussage erscheint komisch, da Stein ja nach eigenen Angaben als SSTechniker in Berlin im und um den Fuhrpark der 6. SS-Standarte arbeitete. Er begann 1934, bereits zum SS-Standartenführer aufgestiegen, eine hauptamtliche Anstellung bei der Deutschen Arbeiter Front (DAF) und war wohl auch hier für die Instandhaltung des Fuhrparks verantwortlich gewesen. Nach eigenen Angaben war Stein gleichzeitig als Ausbilder für die Fahrer der DAF tätig und führte die eigens dafür eröffnete Kraftfahrerschule in Berlin. Im Zuge dieser Tätigkeit wurde er ebenfalls 1934 als ehrenamtlicher Reichsarbeitsrichter an den Ehrendisiplinarhof der DAF in Leipzig berufen.[139] Genaueres ist hier nicht festzustellen. Dies wird nur in Steins Aussage und einer kurzen Randnotiz auf der SS-Stammrolle erwähnt. Fraglich sind hier die Voraussetzungen, die Stein für dieses Amt besaß. Er hatte bis dato keinerlei juristische Ausbildung oder Ähnliches durchlaufen, was seiner Berufung jedoch wohl nicht im Weg stand. Steins Rolle in RAG kann hier nicht genauer behandelt werden. Mit Sicherheit sind weitere Forschungen diesbezüglich interessant, da das RAG ab 1933 gleichgeschaltet und ab 1934 hauptsächlich mit der Entlassung und Entrechtung von jüdischen und kommunistischen, aber auch anderen „systemfeindlichen“ Arbeitnehmern betraut war. Bei

[131] Befehl d. RFSS v. 5. Sept. 1933, ebd.

[132] Befehl d. RFSS v. 23. Feb. 1934, ebd.

[133] Schreiben d. SS-Gruppenführers Dietrich, ebd.

[134] Schreiben d. Chefs d. SS-Personalamtes Schmitt, ebd.

[135] SS-Stammrollenauszug, ebd.

[136] Div. Personalberichte z. Steins Beförderungen; ebd.

[137] Personalbericht v. SS-ObGrFü. Dietrich v. 30.11.1934, ebd.

[138] Aussage Walter (01.101962): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 359.

[139] Ebd.

der Auswahl der gerichtlichen Beisitzer achtete die DAF auf eine systemtreue Linie und arische Herkunft der Richter.[140] Auch diese Station in Steins Leben spricht nach meiner Auffassung eine recht deutliche Sprache was seine politische Überzeugung anging bzw. wie Stein von seinen Vorgesetzten im parteipolitischen Sinne eingeschätzt wurde. Zu Beginn des Jahres 1936 traf Stein nach eigenen Angaben im Dienstgebäude seiner DAFZweigstelle zufällig auf den RFSS Heinrich Himmler. Dieser sei von Stein sofort angetan gewesen und habe ihn sich „vorgemerkt“.[141] Diese Vormerkung wurde relativ schnell umgesetzt, denn schon am 21. Februar 1936 wurde SS-Oberführer Stein auf direkten Befehl des RFSS von all seinen Tätigkeiten in Berlin entbunden und mit der hauptamtlichen Führung des SS-Abschnitts XXIX beauftragt.[142] Stein war damit wohl nicht einverstanden und versuchte mit Hilfe des damaligen SS-Oberabschnittsleiter Dietrich eine Versetzung zu umgehen. Als Grund gab Stein an, dass er lieber in Berlin seiner gewohnten Arbeit nachgehen wollte. In jedem Fall scheiterte dieses Unterfangen und Stein wurde mit Wirkung vom 15. März 1936 zum SS-Abschnitt XXIX in Mannheim abkommandiert. Der Abschnitt wurde dann kurz darauf „verlegt“ und befand sich ab Mitte 1936 in Konstanz am Bodensee, wo Stein dann als Führer der SS Dienst tat.[143]. Nach seiner Eheschließung im April 1936 lässt er in der Führerkartei der SS-Personalkanzlei einige Änderungen vornehmen, bei der interessante Details zu erkennen sind. Stein gibt hier erstmals an, Träger des Totenkopfrings und des SS-Ehrendegens gewesen zu sein.[144] Zumindest Letztere kann evtl. als Indiz für eine „gute“ Beziehung zum RFSS gesehen werden. Während der Totenkopfring fast allen höheren SS-Angehörigen verliehen wurde, die eine dreijährige Führungsposition innerhalb der Bewegung nachweisen konnten, war der SS-Ehrendegen einzig durch den Abschluss an einer SS-Junkerschule oder, wie wohl im Falle Steins, durch die Gunst und Zuwendung Himmlers zu erwerben.[145] Die frühe Karriere Steins war, wie gezeigt, geprägt von seinem schnellen Aufstreben in der Hierarchie der SS. Als SS-Mann „zweiter“ Stunde standen ihm auch ohne fundierte Ausbildung alle Tore offen, was seine Anstellung als Richter zeigte. Die Bekanntschaften, die Stein in Berlin machte, waren für seine spätere Karriere sicherlich von Vorteil. Im Folgenden soll nun die Konstanzer Zeit Steins erläutert werden, in der er als SSAbschnittsleiter mit vermeintlich mehr Einfluss, Macht und Kompetenzen ausgestattet war, als zuvor in Berlin.

[140 ]Vgl. HP des Bundesgerichtshofes: http://www.bundesarbeitsgericht.de/allgemeines/geschichte.html#no_I4 . (Stand: 03.08.2011)

[141] Aussage Walter Steins (01.101962): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 360.

[142] Befehl d. RFSS v. 21.Februar 1936; BDC: VBS 283/6055015078.

[143] Aussage Walter Steins (01.101962): StaFR: F 178/ 2 (41), S, 360.

[144] Änderungsantrag a. d. SS-Personalkanzlei ( 19.10.1936); BDC: VBS 283/6055015078.

[145] Vgl. Höhne, Heinz: Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS, München 1967, S. 141.

3.2. Walter Stein als SS-Oberführer des Abschnittes XXIX: Das Novemberpogrom 1938 im Bodenseekreis und die Rolle der SS

Wie im vorangegangenen Teil ausführlich dargelegt, führte Walter Steins Karriere ihn ab Mitte 1936 nach Konstanz. Für seine Amtszeit als SS-Abschnittsführer, die von 15.03.1936 bis zum 05. Dezember 1939 dauerte, liegen, zumindest im Document Center in Berlin oder dem Staatsarchiv Freiburg, wenig bzw. keinerlei Aktenbestände aus der damaligen Zeit vor. Es findet sich einzig ein Briefwechsel, bestehend aus 2 Briefen, zwischen Stein und Kurt Daluege im September 1936. Der Inhalt ist eher unbedeutend, zusammenfassend geht es um Interna der Stuttgarter OP. Auffallend ist lediglich der freundschaftliche Ton der beiden, da sich beide duzen und sich nach dem Wohlbefinden der jeweiligen Familie erkundigen.[146] Wie bereits weiter oben erwähnt, kannten sich Stein und der späterer Chef der OP noch aus der gemeinsamen Berliner Zeit. Inwieweit diese Beziehung für Personalentscheidungen zu Gunsten Steins gesorgt hatte, kann nicht nachgewiesen werden. Ein freundschaftliches Verhältnis zu den obersten NS-Kadern zu besitzen hatte Stein wohl dennoch nicht zum Nachteil gereicht. Bedeutend aufschlussreicher sind die Akten der Staatsanwaltschaft Konstanz zum Fall der Synagogenbrände, die im Staatsarchiv Freiburg lagern. In erster Linie werden zwar nur die Geschehnisse der Brandnacht bzw. Brandnächte, wenn man von der Zerstörung weiterer Synagogen im Bodenseeraum ausgeht, durch div. Zeugen wiedergegeben, allerdings erfährt man einiges über Steins Funktion in Konstanz. Was genau war also während der Pogromnacht in Konstanz geschehen? Einige Antworten auf diese Fragen haben schon Historiker aus dem Konstanzer Raum geben können. Allerdings haben diese Ansätze meist einen anderen Blickwinkel auf die Tatnacht gewählt. Dr. Tobias Engelsing hat bspw. versucht, eine Mitschuld bzw. Unschuld der zuständigen Feuerwehr herauszuarbeiten. [147] Erich Bloch und Erhard Roy Wiehn hingegen verwendeten hauptsächlich Zeugenaussagen aus der damaligen jüdischen Gemeinde, um die Geschichte aus „Opfersicht“ herzuleiten.[148] Dies soll keineswegs als Kritik verstanden werden, alle Ansätze sind sehr interessant und führen auf ihrem Wege zu faszinierenden Ergebnissen. In der vorliegenden Arbeit sollen jedoch die Befehlsstruktur und die daraus resultierenden Befugnisse Walter Steins im Vordergrund stehen, um zum einen seine Position innerhalb der SS und zum anderen im fortschreitenden Prozess des Holocaust zu verorten. Um dies zu bewerkstelligen werden

[146] Briefwechsel Stein/Daluege (03.08.1936-18.09.1936): BDC: VBS 283/6055015078.

[147] Engelsing, Tobias: Im Verein mit dem Feuer, S. 153ff.

[148] Vgl. Bloch, Erich: Geschichte der Juden von Konstanz im 19. und 20.Jahrhundert. Eine Dokumentation, Konstanz 19892 ; Wiehn, Erhard Roy: Novemberpogrom 1938. Die „Reichskristallnach“ in den Erinnerungen jüdischer Zeitzeugen der Kehilla Kedoscha Konstanz.50 Jahre danach als Dokumentation des Gedenkens, Konstanz 1988.

auch die Erkenntnisse, die sich erst deutlich nach der Tat herausgestellt hatten, verwendet werden. Dies geschieht auch auf die Gefahr hin, die anfänglich gewählte Methode der chronologischen Aufzählung zu vernachlässigen. Die erste Frage die sich stellte war die nach Steins Befugnissen als SS-Abschnittsleiter in Konstanz. Laut Stein selbst war er als Chef der Allgemeinen SS zuständig für die SSStandarte in Konstanz u. Umgebung, sowie die Standarten in Freiburg, Ulm und Reutlingen.[149] Die Quellenlage zur Organisation der einzelnen SS-Stürme dieser Bereiche scheint relativ schlecht zu sein, genauere Untersuchungen waren im Umfeld dieser Arbeit nicht möglich, aber auch nicht zwingend notwendig. Welche Einheiten für den Rahmen der Arbeit von Belang waren, soll sich im laufenden Kapitel noch zeigen. Einen sehr guten Eindruck der Befehlsstruktur konnte Emil Traub, seines Zeichens Führer der Allgemeinen SS in Radolfzell bis 1937, während seiner Befragung zur Pogromnacht im September 1962 machen. Der Radolfzeller Trupp der SS war dem Konstanzer Sturm unterstellt, dieser wiederum dem dortigen Sturmbann. Die zusammengefassten Sturmbanne gehörten wohl zu einer SS-Standarte in Konstanz, welche vom SS-Abschnitt XXIX bzw. dessen Führer Walter Stein direkt befehligt wurden. Unabhängig von der Allgemeinen SS war in Radolfzell ab Juli 1937 eine Standarte der Verfügungstruppe, der späteren Waffen-SS stationiert, die der 3. SS-Standarte Germania zugehörig war und von SS-Sturmbannführer Koeppen kommandiert wurde. Besonders interessant für den hier vorliegenden Fall ist, dass nach Traubs Aussage die Kommunikation zwischen der Standarte in Radolfzell und der Standartenführung in Hamburg durch die große Entfernung meist über den SSAbschnitt in Konstanz lief. Folglich kamen Befehle an die SS-Germania, zumindest nach Traub über Konstanz an den Stab der VT.[150] Nachdem nun die Befehlsstruktur des SSAbschnitts grob ausgeführt wurde, soll kurz die Funktion der SS erläutert werden. Auch dieser Zwischenschritt ist nötig, um die Kompetenzen Walter Steins zu ergründen. Eine vollständige Analyse der SS-Strukturen ist hier schlichtweg nicht durchführbar, da sie zu komplex für diese Arbeit wäre. Geht es nach dem Organisationsbuch der NSDAP aus dem Jahre 1937, so war die SS ein Parteiorgan, das in erster Linie zum Schutze Adolf Hitlers etabliert wurde.[151] Jedoch war durch „[…] den Auftrag des Führers das Aufgabengebiet der SS dahin erweitert worden, das Reich im Inneren zu schützen.“[152] Die SS-Gesamtstruktur war unterteilt in die Allgemeine SS, die VT, spätere Waffen-SS und die SSTotenkopfverbände. Die beiden zuletzt genannten können als bewaffneter Arm der

[149] Aussage Walter Steins (01.10.1962): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 361.

[150] Aussage Emil Traub ( 28.09.1962): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 349.

[151] Vgl.: NSDAP Organisationsbuch v. 1937: http://ia700306.us.archive.org/16/items/OrganisationsbuchNSDAP/ Organisationsbuch_der_NSDAP_3._Auflage_1937_678_S._Scan_Fraktur.pdf. (Stand: 03.08.2011) 152 Ebd. S 417.

Führerexekutive angesehen werden, wobei die VT quasi als persönliche Elitesoldaten des Führers im Kriegsfall dienen sollte.[153] Die SS-Wachtruppen, die späteren Totenkopfverbände waren nach Hitlers Weisung vom 17.August 1938 „ […] weder Teil der Wehrmacht noch der Polizei. Sie sind eine stehende bewaffnete Truppe der SS zur Lösung von Sonderaufgaben polizeilicher Natur […]“.[154] Die Allgemeine SS ist folglich als parteiliche Institution zu sehen, die den Verwaltungsapparat der SS stellt und auch unter dem Namen Heimat-SS bzw. Schwarze SS bekannt war. Der Großteil ihrer Mittglieder war durch die vereinsartige Struktur freiwillig im Dienste der SS tätig und war im Gegensatz zur VT unbewaffnet. Nachdem nun die Struktur und Organisation der SS genauer beleuchtet wurden, soll nun weiter versucht werden, Walter Steins Rolle in seiner Position als SS-Abschnittsleiter bei den Synagogenbränden zu erläutern. Wie in den meisten Städten und Regionen des deutschen Reiches hatte der Mordanschlag des Herschel Grünspan am deutschen Diplomaten Ernst von Rath am 7. November 1938 auch in Konstanz zu Übergriffen gegen jüdische Bürger geführt. Als in der Nacht zum 10. November die Konstanzer Synagoge brannte, befand sich SS-Oberführer Stein in seiner Wohnung in der Allmannsdorferstraße 28 und hatte per Telefon von der Tat in der Innenstadt erfahren.[155] Er war erst kurz zuvor von einem „Sturmabend“ der Allgemeinen SS zurückgekehrt. Solche Versammlungen der lokalen NSDAP-Führung, SAMannschaften und eben SS-Stürmen hatte es als, salopp gesagt, politischen Stammtisch wohl in regelmäßigen Abständen gegeben. Dies sagte zumindest Walter Steins persönlicher Fahrer Theodor Bornschein aus, ebenfalls Mitglied der Allgemeinen SS Konstanz, der ihn gegen 1.30 Uhr nachts zuhause absetzte.[156] An diesem Abend, man traf sich wohl vor dem Hintergrund des Jahrestages des Hitlerputsches, wurden überall im deutschen Reich Versammlungen dieser Art abgehalten. Nach dem plötzlichen Tode Raths hatte Goebbels in München eine hetzerische Rede gegen die jüdische Bevölkerung gehalten. Die Signale waren eindeutig, die Führung der Gaue, SA und SS-Abschnitte, alle versammelt zur Ehrung Hitlers, gaben entsprechende Weisungen aus.[157] Einen solchenAbend hatte es also auch in Konstanz gegeben, auch wenn hier natürlich nicht von einem möglichen Brand der Synagoge gesprochen wurde, so Bornschein.[158] Stein selbst konnte

[153] Buchheim, Hans: Die SS, S. 170.

[154] Ebd.

[155] Vgl.: Aussage Walter Steins (23.01.1963): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 362

[156] Aussage Theodor Bornschein (16.11.1962) : StaFR: F 178/ 2 (41), S. 539.

[157] Graml, Hermann: Reichskristallnacht. Antisemitismus und Judenverfolgung im Dritten Reich, München 1998, S. 12ff. Aber auch: http://www.lpb-bw.de/fileadmin/lpb_hauptportal/pdf/bausteine_materialien/Die_Nacht_als_die_Synagogen_ brannten.pdf, S. 31. Ein Telegram, das vermutlich auch nach KN geschickt wurde, ist im Anhang zu sehen.

[158] Aussage Theodor Bornschein (16.11.1962) : StaFR: F 178/ 2 (41), S. 539.

sich nicht an ein solches Treffen erinnern. [159] Bezüglich Steins genereller Einstellung gegenüber Juden konnte die Aussage des damaligen Konstanzer Staatsanwaltes Dr. Pfeifer Aufschluss geben. Für Pfeifer stand fest, dass „[…] der damalige SS-Oberführer Walter Stein die Hände im Spiel hatte, halte ich für sehr wohl möglich ja wahrscheinlich, denn bei Versammlungen führte er besonders scharfe Reden gegen die Juden.“[160] Doch zunächst zurück zu den Geschehnissen in der Tatnacht. Stein eilte nach dem Anruf in seine Kommandantur, gelegen im Gebäude der heutigen Spielbank in der damaligen Adolf-Hitler-Straße, und versuchte über seinen Stabsführer, SS-Standartenführer Graaf mehr Informationen zu bekommen. So schilderte Stein dies zumindest in seiner Aussage vor der Konstanzer Staatsanwaltschaft im Jahre 1962.[161] Grund der Aussage war seine Verhaftung bezüglich seiner evtl. Mittäterschaft am beschrieben Brand der Synagoge. Der Prozess war schon der zweite, der um die Geschehnisse der Pogromnacht geführt wurde. Bereits 1946 war der Fall in Konstanz behandelt worden, allerdings war er aus Mangel an Beweisen schnell wieder eingestellt worden.[162] Dieser frühe Prozess soll hier eine untergeordnete Rolle spielen, da zum einen die Zeugenaussagen fast identisch sind und zum anderen die Quellenlage für den späteren Prozess deutlich besser ist. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass es 1946 zu keiner Verurteilung kam. Folgt man denAusführungen Steins weiter, so war er kurz nach der Lagebesprechung mit Graaf zur Synagoge gekommen und hatte dort zu seinem Erstaunen eine gesamte Kompanie der VT aus Radolfzell angetroffen. Auf Nachfrage bei dem zuständigen Kommandeur Koeppen vor Ort habe dieser von einer geplanten Aktion gesprochen, die vom SSOberabschnittsleiterKaul aus Stuttgart befohlen worden war. Stein eilte darauf erneut in die Kommandantur und kontaktierte Kaul per Telefon. Dieser habe ihn daraufhin aufgefordert, Koeppen freie Hand zu lassen. [163] Diese Aussage revidierte Stein in einer späteren Befragung im Januar 1963. Vielmehr habe er gegen 2 Uhr nachts einen Anruf vom SS-Oberabschnitt erhalten, in dem er von der geplanten Zerstörung der Synagoge durch die VT Germania erfahren habe. Kaul habe ihn gefragt, ob man in Konstanz denn noch schlafe und daraufhin den Befehl gegeben, etwaige Übergriffe gegen Juden und jüdische Einrichtung zu verhindern. Er habe, so Stein, den Einsatz der Allgemeinen SS aufgrund der Grenznähe zur Schweiz sogar ausdrücklich verboten. Es sei ausschließlichSache der VT und diese sei bereits mit entsprechenden Befehlen ausgestattet worden.[164]

[159] Vgl.: Aussage Walter Steins (23.01.1963): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 371.

[160] Aussage Dr. Pfeifer (Datum unleserlich): StaFR: F 178/ 2 (41).

[161] Aussage Walter Steins (01.10.1962): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 371.

[162] Urteil d. Konstanzer Staatsanwaltschaft 1946: StaFR: F 178/ 2 (43).

[163] Aussage Walter Steins (01.10.1962): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 280.

[164] Aussage Walter Steins (23.01.1963): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 373.

Hier sei erwähnt, dass dieser SS-Sturmbannführer Koeppen 1939 in Polen gefallen war und folglich keine Klarheit über diese Situation zu schaffen sein wird. Ebenso verhält es sich mit SS-Gruppenführer Kurt Kaul, der ebenfalls noch zu Kriegszeiten verstorben war. In den insgesamt vier Anhörungen Steins finden sich bezüglich der Brandnacht einige Widersprüche. In seiner ersten Vernehmung am 27.08. 1962 gab Stein an, er sei von einem Unbekannten informiert worden, dass die Synagoge brenne. Um 2 Uhr, er bestand im Übrigen vehement auf der Richtigkeit seiner Angaben, war er erneut an der Synagoge und habe mit Erschrecken und Zorn die Machenschaft der SS mit angesehen.[165] Er sei vielmehr „[…] gegen 3 Uhr oder 3.30 Uhr morgens [gewesen], als ich abgehauen bin. […] weil es mich empört hat, daß (sic!) eine Truppe derartiges macht, noch aus einem Bereich, wo sie nicht hingehört.“[166] Mit Sicherheit ist es relativ schwer, nach einem viertel Jahrhundert korrekte Angaben zu machen, allerdings sind dies nicht die einzigen Unstimmigkeiten, die sich im vorliegenden Fall finden lassen. Weitere Zeugenaussagen lassen den Vorfall ebenfalls in anderem Licht erscheinen. Da der Prozess mit zahlreichen Zeugen begangen wurde, soll hier nur eine kleine Auswahl behandelt werden, die den Sachverhalt jedoch sehr deutlich schildert. Zunächst waren die Aussagen der Feuerwehrleute, die in der Brandnacht zuständig waren äußerst aufschlussreich. Josef Marx, Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Konstanz, war in der Nacht zum 10. November am Ort des Geschehens. Nach der Alarmierung war er mit seinem Trupp samt Motorspritze ausgerückt und kurz vor der Brandstelle von einem SS-Offizier gestoppt worden. Ohne jeden Zweifel identifizierte er diesen als SS-Oberführer Stein, da sich beide kannten. Nach einer kurzen Unterredung mit dem Führer der Feuerwehreinheit, Erich Vögele, wurde Befehl zur Rückkehr ins Gerätehaus gegeben und dies trotz allgemeiner Empörung unter den Feuerwehrleuten ausgeführt.[167] Jener Erich Vögele war als Brandmeister verantwortlich für den Einsatz und bestätigte die Aussage von Marx. Ein Mann in Zivil habe die Motorspritze gestoppt und nach dem Zweck des Einsatzes gefragt. Da Vögele augenscheinlich einem Zivilisten gegenüberstand, weigerte er sich Befehle entgegenzunehmen. Darauf gab sich der Mann als SS-Oberführer Stein zu erkennen und befahl:„ Scheren sie sich weg, die Bude muss weg!“ und „Hier befehle ich“.[168] Auch ArthurSchwarz, ein Mitglied der Feuerwehr, der sich zur Zeit des Brandes privat169 an der Synagoge befand, konnte diesen Wortlaut wiedergeben und Stein identifizieren.[170] Teile

[165] Aussage Steins (27.08.1962): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 280.

[166] Ebd.

[167] Aussage Josef Marx ( 26.09.1962): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 317.

[168] Aussage Erich Vögele ( 26.09.1962): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 325.

[169] Auch gegen Schwarz wurde diesbezüglich 1946 ermittelt. Aus Mangel an Beweisen jedoch fallengelassen.

[170] Aussage Arthur Schwarz ( 26.09.1962): F 178/ 2 (41), S. 331.

der sich im Dienst befindlichen Feuerwehr waren nach eigenen Angaben aus „reiner Neugier“ nach dem Wiedereinrücken in die Feuerwache erneut zur Synagoge zurückgegangen. Ohne Einsatzwerkzeug, aber noch in Uniform wurden sie erneut vor Ort von Stein angesprochen. Er habe sie nach Details der Örtlichkeit befragt, da die betreffenden Feuerwehrmänner bereits im Jahre 1936[171] einen Brand in der Synagoge erfolgreich bekämpft hatten. Des Weiteren habe Stein nach brennbaren Materialien und Atemschutzmasken gefragt, um den Brand von innen her zu beschleunigen. Die Synagoge, komplett aus Stein gemauert, erwies sich als schwer entzündlich und musste daher von Inneren heraus immer wieder entzündet werden. Während dieses von der Feuerwehr aus der nahegelegenen Feuerwache geholt worden war, hatte ein Trupp der Pioniertrupp der VT aus Radolfzell vor der Synagoge Stellung bezogen. Diese waren Schwarz aufgrund ihrer Statur aufgefallen, nicht anhand ihrer Uniform. Nach Schwarz waren alle VT-Männer in Zivil, aber ihre Größe wäre ein eindeutiges Indiz auf Männer der späteren Waffen-SS gewesen. Sie hatten außerdem direkt begonnen, an den Säulen der Synagoge Dinge, evtl. Sprengladungen zu installieren.[172] Während des gesamten Vorfalls schien eine Gruppe von SS-Leuten in Zivil den Brandort abgesperrt zu haben, so waren sich die Feuerwehrleute einig. Sie konnten daher der SS zugeordnet werden, da Schwarz einen gewissen SS-Mann Kalinowski[173] persönlich kannte.[174] Von alledem will Stein nichts gewusst haben. Allerdings habe er die Feuerwehr vor einem Konflikt mit den Soldaten der VT schützen wollen und ihnen daher nahe gelegt, den Ort sofort zu verlassen. Von einem Einsatz der Allgemeinen SS distanzierte sich Stein vehement während aller Verhöre und sprach von einer alleinigen Aktion der Radolfzeller SS-Truppen.[175] Die Aussage eines Angehörigen dieser Truppe widerlegte nicht nur dies, sondern Steins gesamte Argumentation. Walter Büchner, Mitglied des Pioniertrupps der VT aus Radolfzell gab an, dass er früh morgens von seinem diensthabenden Offizier geweckt worden sei. Er sollte sofort in zivil mit Teilen seines Trupps nach Konstanz fahren. Sein Zugführer klärte ihn auf der Fahrt darüber auf, dass es der Allgemeinen SS in Konstanz nicht gelungen sei die dortige Synagoge anzustecken und daher hatte der dortige Oberführer Stein um die Hilfe der VT gebeten. Nach der Ankunft in Konstanz, nach Büchner gegen 7 Uhr morgens, habe er begonnen die Synagoge systematisch zu sprengen, was etwa eine Stunde in Anspruch nahm. Da er Walter Stein nicht kannte, konnte er ihn unter den vielen Menschen, die wohl

[171] 1936 hatte bereits ein Brandanschlag auf Synagoge stattgefunden. Bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft konnten keine Täter ausgemacht werden; Vgl. Gläser, Diedrich: Die Nacht, in der die Fenster klirrten, S. 189.

[172] Aussage Arthur Schwarz ( 26.09.1962): F 178/ 2 (41), S.331.

[173] Kalinowski fiel in Stalingrad. Nachforschungen der Konstanzer Polizei ergaben, dass er Angehöriger der Allgemeinen SS war, also Stein direkt unterstellt. Vgl. Ermittlungsergebnisse Pol. Konstanz: StaFR: F 178/2 (41).

[174] Vgl.: Aussagen d. Zeugen Marx u. Schwarz ( 26.09.1962): F 178/2 (41).

[175] Vgl.: bspw. Aussage Walter Steins (23.01.1963): StaFR: F 178/2 (41), S. 673.

noch anwesend waren, nicht identifizieren.[176] Selbst nach Vorlage dieser Aussage beharrte Stein auf seinen Angaben und stritt ab, auch nur einen einzigen Befehl zum Anzünden der Synagoge gegeben zu haben.[177] Dass es nicht bei der bloßen Zerstörung blieb, konnte Erich Bloch nachweisen. Noch während der Aktion an der Synagoge wurden die männlichen, jüdischen Bürger verhaftet und vor der dem brennenden Gotteshaus schwer misshandelt. Anschließend wurden sie von der Gestapo zu weiteren „Verhören“ verschleppt.[178] Wer diese Taten verübte, bleibt jedoch unklar. Es ist jedoch anzunehmen, dass, auch wenn sich keiner der beteiligten Männer der Allgemeinen SS, der VT oder der Feuerwehr an solche Taten erinnern wollte, Übergriffe stattgefunden haben. So wurde der Vorsteher der israelischen Gemeinde, Erich Blochs Vater und zur Tatzeit bereits 70 Jahre alt, auf schlimme Art verprügelt und beinahe im Rhein ertränkt. Als Täter machte Bloch einen SS-Schergen aus, der gegen ihn einen gerichtlichen Prozess verloren hatte. Da dieser hauptberuflich als Gastwirt gearbeitet haben soll, lässt dies den Schluss zu, dass es sich um einen Angehörigen der Allgemeinen SS und gehandelt hatte und somit um Steins Zuständigkeitsbereich.[179] Strafrechtlich wurde wohl keiner dieser Fälle verhandelt. Des Weiteren bleibt festzuhalten, dass, trotz seiner gegensätzlichen Aussage, alle Fäden bei Walter Stein zusammenlaufen. Als Führer der lokalen SS wusste Stein über alles Bescheid, was sich in dieser Nacht ereignete. Auch wenn er immer wieder von seiner Person ablenkte und die VT verantwortlich machte, sind die Fakten eindeutig. Auch bei weiteren Pogromen in der Bodenseeregion soll Walter Stein zugegen gewesen sein. Die Zeugen und Opfer der Zerstörungen der Synagogen und der Misshandlungen am 10.November 1938 gaben an, eine „Mischung“ aus SA, SS und VT beteiligt gewesen zu sein.[180] Walter Stein selbst wurde von den Zeugen nicht erkannt, er selbst gab jedoch an, mit Koeppen in Gailingen und Randegg gewesen zu sein. Erneut sei er hier nur passiver Beobachter gewesen und habe in keinster Weise Befehle gegeben noch selbst Hand angelegt.[181] Auch diese Angelegenheit lässt sich aufgrund der nicht vorhandenen bzw. divergierenden Zeugenaussagen nicht klären. Dennoch können einige generelle Dinge zum Pogrom und somit auch zu Steins Funktion gesagt werden. Die gesamte Aktion war auf höchster Führungsebene beschlossen worden und durch die verschiedenen Institutionen des NS-Terrors durchgeführt worden. Wie schon Gläser feststellte, war Stein nicht nur Anheizer der antisemitischen Stimmung, sondern vielmehr Koordinator der

[176] Aussage Walter Büchner ( 26.11.1962) : StaFR: F 178/ 2 (41), S.

[177] Vgl. Aussage Walter Steins (23.01.1963): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 677.

[178] Bloch, Erich: Geschichte der Juden von Konstanz im 19. und 20.Jahrhundert., S. 147.

[179] Wiehn, Erhard Roy: Novemberpogrom 1938, S. 42.

[180] Gläser, Diedrich: Die Nacht, in der die Fenster klirrten, S 204ff.

[181] Aussage Steins (27.08.1962): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 373.

gesamten Aktion.182 Auch wenn nicht eindeutig zu belegen ist, dass Stein direkte Befehleerhalten hatte, so muss er in der Funktion eines Abschnittsleiters solche bekommen haben und deren Durchführung mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln überwacht und geleitet haben. So wurden die SA und auch die Allgemeine SS zum Zusammentreiben der Juden herangezogen. Die Allgemeine SS sollte laut Befehl die Aktion außerdem bewachen bzw. absichern, wobei sie kläglich „scheiterte“. Die VT war für das Grobe zuständig, also die Sprengungen und evtl. auch die körperliche Gewalt. Schließlich nahm die Gestapo die Juden in „Schutzhaft“ und transportierte sie nach Verhören in das KZ Dachau ab.183 Wie bereits erwähnt war die geplante Aktion ein gemeinsames Pogrom der verschieden Organisationen, in dem Walter Stein eine, wenn nicht gar die Führungsperson war. Das dies die Staatsanwaltschaft Konstanz ähnlich sah, soll im letzten Abschnitt der Arbeit kurz erläutert werden. Im Folgenden soll es nun um die weitere Karriere Steins in Polen gehen, die er nach seiner Amtszeit in Konstanz begann.

3.3 SS-Oberführer Walter Steins Karriere im Polizeiapparat des Dritten Reiches

Walter Stein war bis November 1939 in Konstanz stationiert. Bereits im September 1939 hatte Oberabschnittsleiter Kurt Kaul in Berlin angeregt, dass Stein „demnächst einmal versetzt werde“.[184] Hier zeigt sich erneut die Relevanz von Beziehungen und Kontakten, fast schon Patronage im System der SS. Wie bereits 1936 wurde auch diese Bitte an den RFSS schnell in die Tat umgesetzt und bereits im Dezember desselben Jahres wurde Stein in den Stab des Oberabschnittes Rhein in Wiesbaden beordert.[185] Stein selbst gibt an, zunächst als Abschnittsleiter in Koblenz fungiert zu haben[186] und auch in den Personalakten des BDCs wird er zunächst als Führer des XI. SS-Abschnitts geführt.[187] Ab Mitte des Jahres 1940 wurde gegen Walter Stein ein Disziplinarverfahren vor dem SS-Gerichtshof in München geführt, da er wohl gegen Bezahlung und anderen materiellen Zuwendungen einem gewissen SS-Hauptsturmführer Fritz Kiehn aus Trossingen zu einer Beförderung verholfen hatte.[188] Auch wenn dieser Fritz Kiehn eine schillernde Nazi- Persönlichkeit war, soll dieser Prozess hier nicht genauer untersucht werden. Allerdings sind den Akten mehrere interessante Erkenntnisse zu entnehmen, die erneut das korrupte Patronagesystem der SS aufzeigen. Die Zuwendungen, u.a. eine Mercedes Benz Limousine, verhalfen Kiehn wohl in den Rang eines SS-Sturmbannführers. Inwieweit dies

[182] Gläser, Diedrich: Die Nacht, in der die Fenster klirrten, S 209.

[183] Vgl. Ebd. und auch Aussage Dr. Wolf i. Wangen a. See (10.03.1946): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 109.

[184] Schreiben des RFSS a. d. RSHA v. Sept. 1939: BDC: VBS 286/6400044095, S. 41.

[185] Versetzungsbefehl v. 05.12.1939 BDC: VBS 286/6400044095, S. 46.

[186] Aussage Steins (27.08.1962): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 361.

[187] Stellenbesetzung Abschnitt XI ( 17.01.1940), BDC:VBS 286/6400044095

[188] Sachbericht zum Prozess gegen Walter Stein (06.06.1940) : VBS 286/6400044095, k. Seitenzahl angegeben.

Kiehns Karriere unterstützte ist nicht genau zu belegen, da Kiehn als Mitglied des Reichstages und Präsident der Handelskammer Stuttgart vermutlich bessere und gewichtigere Kontakte nach Berlin hatte und so eine Beförderung wohl eher selbst hätte erwirken können.[189] Dennoch setzte sich Stein aktiv, mit Briefen, aber auch mit persönlichen Unterredungen[190], für Kiehn ein. Das Verfahren wurde eingestellt, da Stein wohl glaubhaft darstellen konnte, dass die Zuwendungen der SS in Konstanz zu Gute kamen und als Hilfsleistung unter „Alten Kämpfern“ zu werten seien. Schützenhilfe bekam Stein auch von einigen befreundeten Abschnittsleitern und seinem Vorgesetzten, SSBrigadeführer Erwin Rösner, die ihm einen „reinen“ Charakter und eine linientreue Haltung bescheinigten.[191] Nach Kiehns Versetzung zum persönlichen Stab des RFSS lässt sich allerdings mutmaßen, dass Stein nun über ein gutes Netzwerk an Beziehungen bis in die oberste Etage des Regimes verfügte.[192] Im August 1940 wurde Stein auf Befehl des RFSS nach Danzig gesandt, um sich dort mit der Arbeit der Polizeiverwaltung vertraut zu machen, da Himmler ihn als Polizeipräsidenten einzusetzen gedachte.[193] Vermutlich aus demselben Grund wird Stein noch im selben Jahr zum kommissarischen Polizeidirektor in Thorn im Reichsgau Danzig-Westpreussen ernannt.[194] Über Steins Zeit in Thorn und auch über die Funktion als Polizeidirektors ist, zumindest in den vorliegenden Akten zu Stein nichts bekannt. Versucht man, die Organisationstruktur der SS bzw. Polizei in Polen zu analysieren, so steht man vor einem Gewirr aus Zuständigkeiten, das nur schwer zu durchschauen ist. Eine detaillierte Deutung der Befugnisse Walter Steins erscheint fast unmöglich. Dennoch soll hier in aller Kürze versucht werden, dass Geflecht der SS bzw. Polizeihierarchie in Polen zu erläutern. Nach dem Einfall in Polen 1939 und dem schnellen Niederringen der polnischen Armee hatte das NS-Regime einen Großteil des Landes annektiert. Die Linie Hitlers war klar. In seiner Weisung kurz vor Kriegsbeginn bestimmte er: „Vernichtung Polens im Vordergrund. Ziel ist die Beseitigung der lebendigen Kräfte. […] Brutales Vorgehen“[195] Erreicht werden sollte die Vertreibung der polnischen Bevölkerung, um in freigewordenen Räumen Deutsche anzusiedeln und die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Polens. Nachdem Himmler als neuer „Reichskommissar für Festigung des deutschen Volkstums“ für diese Aufgabe zuständig war, wurde der gesamte, ihm unterstellte Apparat für das Erreichen dieser Ziele eingesetzt. An oberster Stelle standen

[189] Ebd.

[190] So bspw. in einem Brief an den Chef d. persönl. Stabs d. RFSS Wolff (04.02.1940): BDC: VBS 286/6400044095, k. Seitenzahl angegeben.

[191] So bspw. Stellungnahme Erwin Rösner (26.06.1940) BDC: VBS 286/6400044095, k. Seitenzahl angegeben.

[192] Sachbericht zum Prozess gegen Walter Stein (06.06.1940):Ebd.

[193] Brief d. Chefs d. OP Dr. Bader i.V. (14.08.1940): Ebd.

[194] Aussage Steins (27.08.1962): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 363.

[195] Zit. nach Curilla, Wolfgang: Der Judenmord in Polen, S. 21.

hier die beiden Hauptämter, also das RSHA unter Heydrich und das Hauptamt OP unter Kurt Daluege. Heydrich unterstand quasi die politische Polizei, also Gestapo, SiPo und SD. Das Äquivalent zum RSHA befehligte die OP bzw. SchuPo und Gendarmerie. Dalueges Amt wiederum unterstellt waren die HSSPF. Da sie für die neuen Gebiete im Osten als Himmlers Stellvertreter fungierten, waren sie gegenüber der SS und der OP weisungsbefugt und sorgten für die korrekte Ausführung der vom RFSS gegebenen Befehle.[196] Im Falle Walter Steins war SS-Obergruppenführer u. General der Polizei Hildebrandt also dessen vorgesetzter HSSPF in Thorn. Für die jeweiligen Gebiete gab es unterhalb des HSSPF Kommandeure der OP oder SiPo, die die jeweiligen Einheiten wohl als unterste Kommandoebene führten. Walter Steins Aufgabe als Polizeidirektor sind in diesem Gewirr nicht direkt auszumachen und auch in den Archivakten ist diesbezüglich nichts zu finden. Er war vermutlich als Abschnittsleiter der OP in Thorn selbst dazu befähigt, die Polizei der Stadt führen. Zu etwaigen Verbrechen in dieser Zeit sind ebenfalls keinerlei Daten oder Studien vorhanden. Da die Vertreibung und Tötung von Polen und Juden vermutlich auch im Gau Danzig-Westpreußen noch nicht „abgeschlossen“ war, sind eventuelle Taten und Verbrechen nicht auszuschließen. Ähnlich verhält es sich mit Walter Steins weiterer Karriere in Polen. Stein wurde zum 1. Oktober 1941 nach Danzig versetzt, um dort die kommissarischen Geschäfte des Polizeipräsidenten zu übernehmen.[197] Am ersten Januar 1942 wurde Stein zum SS-Standortführer für Danzig und Zoppot[198] und am 10. Februar zum regulären Polizeipräsidenten der Stadt Danzig ernannt[199] .Mit dieser Beförderung könnte man eine Personalunion von Pol. Pr. und SS-Führer vermuten, was Walter Stein in den Rang eines SSPF erheben würde. In der Literatur bezüglich dieser Instanz werden diese als oberste Befehlshaber der am Standort stationierten Polizei und SS-Einheiten gewertet, die sogar noch über den Kommandeuren der Polizei standen, also als eine Art niederer HSSPF fungierten. Da es dieses Amt allerdings nur im Generalgouvernement, jedoch nicht in den annektierten Ostgebieten gab, ist dies also für Stein in Danzig eher unwahrscheinlich.[200] Eine genaue Auflistung der Kompetenzen eines Pol. Pr. ist mir hier folglich nicht möglich. Evtl. können spätere Forschungen, die den Fokus auf den generellen Befehlsstrukturen haben, hier neue Erkenntnisse bringen. Verbrechen in Danzig können Stein nicht direkt nachgewiesen werden. Da sich in der Nähe Danzigs jedoch das KZ Stutthof befand, das ab Januar 1940 von der Danziger

[196] Mallmann, Klaus-Michael: „… Mißgeburten, die nicht auf diese Welt gehören“ in: Mallmann, Klaus- Michael/Bogdan Musial (Hgg.): Genesis des Genozids. Polen 1939-1941, Darmstadt 2004, S. 75, aber auch Matthäus, Jürgen: Polizei, in: Benz, Wolfgang (Hg.): Lexikon des Holocaust, München 2002, S. 179-182, hier S.180.

[197] Erlass d. RFSS (30.09.1941): VBS 286/6400044095, k. Seitenzahl angegeben.

[198] Beschluss des HSSPF Hildebrandt ( 13.01.1942), Ebd.

[199] Meldung d.SS-Personalkartei ( 06.08.1943) Ebd.

[200] Buchheim, Hans: Die SS, S. 142ff.

SchuPo geleitet wurde, kann eine evtl. Mitarbeit an Deportationen in Betracht gezogen werden.[201] Da das KZ wohl ab 1941 als Sonderlager ausschließlich von der Gestapo kontrolliert wurde, über deren Einsatz Stein mit Sicherheit keine Befugnis hatte, ist dies allerdings durchaus fraglich, aber nicht undenkbar. Da spätestens ab dem Kriegsfall 1939 zumindest eine gewisse Zusammenarbeit der einzelnen Polizeiinstitutionen nicht ausgeschlossen werden kann, können weitere Forschungsansätze hier evtl. Klarheit schaffen.[202] Im Oktober 1942 wurde Stein vom SS-Oberabschnitt Rhein, von dem er nach wie vor Bezüge erhalten hatte, zum SS-Führer im RSHA abberufen, war aber immer noch in Danzig tätig.[203] Warum nun das RSHA für Stein zuständig war, erschließt sich mir nicht. Als Polizeichef müsste er theoretisch unter dem Befehl des Hauptamtes der OP gestanden haben. Weitere Nachforschungen diesbezüglich konnten allerdings im Rahmen dieser Arbeit nicht unternommen werden, in weiterführenden Studien sollte dies allerdings erneut untersucht werden. Zu Beginn des Jahres 1944 hätte Walter Stein als Pol. Pr. nach Warschau versetzt werden sollen, aus gesundheitlichen Gründen konnte er dieses Amt jedoch nicht wahrnehmen.[204] Einige Versuche, in den Rang eines SS-Brigadeführers befördert zu werden, wurden vom RFSS mit der Begründung abgelehnt, dass die von ihm besetzte Stelle als Pol. Pr. keine für einen solchen Rang sei.[205] Steins Vorgesetzter Hildebrandt hatte öfters vergeblich versucht, eine Beförderung zu erwirken. Stein sei ein „sehr alter und verdienter Truppenführer der Allgemeinen SS“ und „charakterlich und weltanschaulich durchaus in Ordnung. Sein Auftreten ist immer so gewesen, daß (sic!) er dem Rock der Schutzstaffel Ehre machte.“[206] Verwunderlich erscheint hier ein Schreiben zur Beförderungsanfrage, wohl Interna des RSHA, in dem Stein als „alter Staffelmann“ beschrieben wird, der „jederzeit die Belange der Sicherheitspolizei und des SD weitgehend unterstützt hat.“[207] Stein dürfte nach „normalem“ Dienstweg nichts mit dem SD zu tun haben. Weitere Untersuchungen sind hier schon aufgrund der schlechten Quellenlage nicht möglich. Im November 1944 wurde Walter Steins zum Pol.Pr. in Litzmannstadt im Gau Wartheland ernannt.[208] In Litzmannstadt befand sich 1944 das letzte verbliebene Ghetto in Polen, da es früh zur Produktion von kriegswichtigen Gütern, maßgeblich Textilen, ausgebaut wurde. Die Geschichte des Ghettos Litzmannstadt ist

[201] Curilla, Wolfgang: Der Judenmord in Polen, S. 230.

[202] Vgl. Mallmann, Klaus-Michael: „… Mißgeburten, S. 75ff.

[203] Schreiben d. RSHA (10.01.1942): BDC: VBS 286/6400044095, k. Seitenzahl angegeben.

[204] Aussage Steins (27.08.1962): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 363.

[205] Schreiben d. RSHA (13.11.1943): BDC: VBS 286/6400044095, k. Seitenzahl angegeben. Fraglich ist hier, wieso das RSHA für Stein zuständig ist; er sollte vielmehr durch Daluege befördert werden.

[206] Schreiben Hildebrandts an RFSS ( 10.05.1943), Ebd.

[207] RSHA Interna (07.09.1943): Ebd.

[208] Versetzung Steins ( 22,09.1944): BDC: VBS 286/6400044095, k. Seitenzahl angegeben

aufgrund seiner besonderen Stellung für die deutsche Wirtschaft relativ gut erforscht[209], allerdings fanden alle großen Deportationen und Vernichtungsaktionen vor der Versetzung Steins statt. Neben dieser wirtschaftlichen Besonderheit hatte sich im Ghetto Litzmannstadt ein eigener Verwaltungsapparat entwickelt, der parallel zu, oft auch gegen die regulären Instanzen der Besatzung arbeitete. Inwieweit Walter Stein hier interagierte, ist nicht festzustellen. In einem Brief an seinen ehemaligen Vorgesetzten Hildebrandt, der in der Zwischenzeit als Chef des SS-Rasse- und Siedlungshauptamt (RuSHA)fungierte, beschrieb Stein jedoch seinen Eindruck über die neue Stellung. Er selbst beschreibt diese als „Amt des Leiters der Polizeiverwaltung“,[210] was Rückschlüsse auf seine Rolle in den letzten Tagen des Ghettos zulässt. Weiter schrieb er, dass ihm die Stadt und seine Position sehr unvertraut waren und dass „ an Litzmannstadt alles dran ist. Wenn ich diesen Ausdruck gebrauche, so glaube ich, daß (sic!) sie mich in jeder Form verstanden haben.“[211] Dies klingt zunächst merkwürdig, die Antwort aus dem RuSHA lässt allerdings auf Einiges schließen. Hildebrandt antwortet am 23.November: „Ich kann mir vorstellen, daß (sic!) Vieles, das Meiste sogar, neu ist, aber gerade das wird sie als Mann und Persönlichkeit mehr befriedigen, als die doch immerhin sehr gehemmte Tätigkeit im Gau Danzig-Westpreußen.“ [212] Meiner Meinung nach hört sich dies eindeutig an. Mit Sicherheit sind auch Steins Kompetenzen gemeint, die wohl unweit größer waren als zuvor, allerdings waren die letzten Tage der deutschen Besatzung von Litzmannstadt gezählt und die Front rückte beständig näher. Die in Litzmannstadt eingesetzten Polizeieinheiten hatten von Steins Vorgängern Schäfer und Albert einige Sonderrechte zugesprochen bekommen, um das wichtige Ghetto zu bewachen. So waren alle Polizisten berechtigt, sofort von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, was wohl oft zu regelrechten Massenerschießungen ohne direkten Grund führte. Die Dimensionen der Polizeikräfte im Jahre 1944 sind nicht bekannt, 1942 waren jedoch mehr als 2500 Polizisten, unterteilt in drei verschiedene Einheiten in Litzmannstadt stationiert.[213] Die Geschichte des Ghettos ist in jedem Fall durchzogen von unsagbarer Gewalt durch alle Institutionen der Polizei. In diversen Säuberungsaktionen, hauptsächlich von der SchPo durchgeführt, wurden von den 290.860Juden, die 1941 im Ghetto lebten, beinahe alle deportiert oder im nahegelegenen Vernichtungslager Chelmno ermordet. Nur ca. 12.000 erlebten die Befreiung durch die

[209] Bspw. Klein, Peter: Die „Ghettoverwaltung Litzmannstadt“ 1940-1944. Eine Dienststelle im Spannungsfeld von Kommunalbürokratie und staatlicher Verfolgungspolitik, Hamburg 2009.

[210] Schreiben Steins an Hildebrandt (18.11.1944): BDC: VBS 286/6400044095, k. Seitenzahl angegeben.

[211] Ebd.

[212] Antwort v. Hildebrandt (31.11.1944): VBS 286/6400044095, k. Seitenzahl angegeben.

[213] Klein, Peter: Die „Ghettoverwaltung Litzmannstadt“, S. 114ff.

Rote Armee am 19.01.1945.[214] Auch hier scheint Walter Stein nicht bzw. kaum beteiligt gewesen zu sein, denn das Ghetto wurde im August 1944 aufgelöst. Stein kam bekanntlich erst im November 1944 nach Litzmannstadt. Was in der Stadt selbst nach der Schließung des Ghettos passierte, ist nicht zu rekonstruieren. Dass die letzten Tage vor der Befreiung jedoch meist mit die Schlimmsten waren, muss nicht erneut hervorgehoben werden. Dies trifft auch auf das Lager Chelmno zu, das kurz vor Ankunft der Russen aufgelöst wurde. Ein genaues Aufzeigen der Historie des Lagers scheint hier unangebracht, allerdings waren seit Bestehen des Lagers die Polizeieinheiten ausLitzmannstadt für die Vernichtung der Juden und die Bewachung der dort stattfindenden Aktionen verantwortlich. Während der gesamten Phase der Massenvernichtung in Polen war in Chelmno ein Sonderkommando aus verschiedensten Teilen der Polizeiorgane am Werke. Sie waren zum Teil aus der SS, wohl Totenkopfverbände, aber auch OP, SiPo und SchuPo. Im November begann man mit letzten Deportationen, von denen Stein, als Chef der Polizei, de facto gewusst haben musste. Die Vernichtung ging bis zum Tage der Ankunft der Roten Armee weiter. Die Männer des Sonderkommandos flohen, genau wie Stein, erst nach Einkesselung Litzmannstadts in Richtung Westen.[215] Auch wenn Stein nur kurz in Litzmannstadt stationiert war und die Hauptaktionen gegen die jüdische Bevölkerung schon stattgefunden hatten, traf er doch zu einem Zeitpunkt ein, an dem der Holocaust noch aktiv „betrieben“ wurde. Auch wenn es keinerlei Akten oder Aufzeichnungen diesbezüglich gibt, so sind die letzten Tage und Stunden in anderen KZs hinreichend überliefert, um die Umstände in Chelmno zu erahnen. Mit dem Wissen um die Sonderrolle der Polizei, sowohl in der Stadt wie auch im dazugehörigen Vernichtungslager, kann Walter Stein meiner Meinung nach hier in den aktiven Täterkreis verortet werden. Als Beweis hierfür sehe ich den Briefwechsel mit Hildebrandt, auch wenn nichts Konkretes thematisiert wurde. 3.4. Walter Steins Flucht aus Polen und sein Leben nach 1945: Befehlstreuer Mitläufer oder doch Überzeugungstäter? Walter Stein konnte nach eigenen Angaben der Verhaftung durch die Rote Armee entgehen und trotz der Umschließung Litzmannstadts durch die sowjetischen Truppen zusammen mit einer Polizeieinheit die feindlichen Linien durchbrechen. Ihm gelang die Flucht nach Danzig, wo er laut eigener Aussage mit der Ausschiffung der Zivilbervölkerung beauftragt wurde. Mit Hilfe der Kriegsmarine setzte Stein dann nach Deutschland über, wo er in Berlin den Befehl erhalten habe, sich nach Fürstenfeldbruck zu begeben. Auf der

[214] Vgl.: Klein, Peter: Die „Ghettoverwaltung Litzmannstadt“, S. 116ff.

[215] Ebd. S. 112.

Flucht vor den Amerikanern floh Stein nach Garmisch-Patenkirchen. Dies tat er vermutlich, da seine Frau, die wohl nach wie vor in Konstanz wohnte, ursprünglich aus dieser Region stammte. Er traf dort auf seinen alten Attaché aus Konstanz, Alfons Graaf, und beide setzten sich nach Tirol ab. Dort wurden sie am 3. Juni 1945 von den Alliierten verhaftet. Eigenen Angaben zufolge stellte er sich freiwillig. Stein wurde, nach einem Aufenthalt in US-Kriegsgefangenenlagern in Augsburg und Dachau, nach Polen ausgeliefert, wo ihm 1947 der Prozess gemacht wurde. Hier wurde Stein zu 7 Jahren Haft verurteilt. [216] Stein selbst bezeichnete diesen als „richtigen Schauprozess“[217] und legte Revision ein, was den Prozess bis 1949 hinzog. Er verbrachte die Zeit bis zur Urteilsverkündung in Isolationshaft im Danziger Gefängnis.[218] In den im Bundesarchiv vorhanden Akten existiert eine Abschrift des Urteils gegen Stein vom 21. Februar 1949, in dem ihm das Bezirksgericht Danzig vorwarf, zum einen Mitglied einer verbrecherischen Organisation gewesen zu sein und zum anderen Verbrechen gegen das polnische Volk begangen zu haben. Der erste Punkt war für Stein schwer zu verheimlichen, denn sein Rang als SS-Oberführer war dem Gericht durchaus bekannt. Hierfür wurde er zu 6 Jahren Gefängnis verurteilt. Das Urteil zu seinen verbrecherischen Handlungen hingegen fiel sehr milde aus, allerdings wurden nur die „Taten“ in Danzig und Thorn berücksichtigt, Litzmannstadt wird mit keinem Wort erwähnt.[219] Im Urteil wird Stein als braver Soldat dargestellt, der nur Befehle befolgte und auch sonst eher als „Gutmensch“ beschrieben, der sogar Polen vor dem Vollzug der Gestapo schützte. So sagten Zeugen für Stein aus, die er angeblich aus Potulice, einem Außenlager des KZs Stutthof, gerettet hatte. Eine Ausgangssperre, die er in Danzig verhängt haben soll, konnte er den Richtern sogar als Maßnahme zum Schutze der polnischen Bevölkerung verkaufen. Des Weiteren habe er nur eine solche Stellung in der SS gehabt, da er als Fahrer von Motorradrennen und anderen sportlichen Wettkämpfen große Erfolge verbuchen konnte.[220] All dies erscheint schon fast surreal, bedenkt man Steins 40% Kriegsinvalidität. Ebenfalls bizarr mutet es an, dass die Richter Stein glaubten, dass er kein Feind der Polen sein könne, da er aus Westfalen komme, wo man nichts gegen Polen habe. Trotz der Aussage eines Zeugen, der von Stein in Danzig verprügelt und mit dem Tode bedroht wurde, befanden sie Stein für nur bedingt schuldig. Da keine Beweise für sonstige Verbrechen vorlagen, wurde Stein in diesem Anklagepunkt zu zwei Jahren Haft verurteilt. Für die unbestreitbare Mitgliedschaft in der SS wurde er zu sieben Jahren verurteilt. Hinzu kam die Entziehung der öffentlichen und bürgerlichen Rechte für

[216] Aussage Steins (27.08.1962): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 363.

[217] Ebd.

[218] Ebd.

[219] Gerichtsurteil d. Danziger Bezirksgerichts ( 21.02.1949 ): StaFR: F 178/ 2 (46), keine Seitenzahl angegeben.

[220] Ebd.

fünf Jahre.[221] Da Stein bereits seit 1946 in Untersuchungshaft saß, kam er zu Beginn des Jahres 1954 auf freien Fuß. Bis zu seiner erneuten Verhaftung 1962 lebte Stein mit seiner Familie unbehelligt in Garmisch-Partenkirchen und war als Lagerverwalter beschäftigt.[222] Der Prozess gegen Walter Stein aus dem Jahre 1962 wegen mehrfacher und schwerer Brandstiftung, der auf seiner Verhaftung folgte, wurde in einem vorangegangen Kapitel schon umfangreich beschrieben. In seinem Abschlussbericht zum Prozess kam der zuständige Kriminalinspektor Kretz zu einem eindeutigen Urteil: „Bei objektiver Beurteilung der vorliegenden Zeugenaussagen und Anzeigen kann an der Täterschaft der angeschuldigten Stein und Graf (sic!) nicht gezweifelt werden.“[223] Zu einem Urteil kam es jedoch nie. Am 5. April 1963 beantragte der Oberstaatsanwalt die Einstellung des Verfahrens gegen Walter Stein, was zum 7. Mai auch erfolgte. Die Staatsanwaltschaft hatte ein Verfahrenshindernis festgestellt. Stein war nach einem Gesetz verurteilt worden, welches zur Tatzeit noch nicht gegolten hatte und erst 1943 (!) in den Gesetzeskatalog aufgenommen wurde. In einem solchen Fall tritt auch heute noch der § 2 III StBG in Kraft, der besagt, dass bei Veränderung der Strafordnung die mildere Gesetzgebung angewandt werden muss. Da Stein generell nur der Beihilfe zur Brandstiftung beschuldigt wurde, konnte ein maximales Strafmaß von 15 Jahren Gefängnis erwirkt werden. Da damals in solchen Fällen dieses maximale Strafmaß der Verjährungsfrist gleichkommt, war Steins Tat laut der Konstanzer Staatsanwaltschaft im Jahre 1960 verjährt und konnte nicht weiter verfolgt werden.[224] Walter Stein wurde entlassen und verstarb 1985 in Garmisch- Partenkirchen. In der Öffentlichkeit scheint dem Prozess kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden zu sein.[225] Dies verwundert, waren doch gerade die Jahre 1961 mit dem Eichmann-Prozess und 1963 mit Beginn der Auschwitz-Prozesse die Jahre, in denen die erste Welle der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit nach Nürnberg entstand. Sehr zynisch gesagt könnte man meinen, dass das bürgerliche Konstanz auch im Jahre 1963 noch schlief, wie schon in der Nacht zum 10 November 1938 durch Kurt Kaul vermutet.

[221] Gerichtsurteil d. Danziger Bezirksgerichts ( 21.02.1949 ): StaFR: F 178/ 2 (46), keine Seitenzahl angegeben.

[222] Aussage Walter Steins (27.08.1962): StaFR: F 178/ 2 (41), S. 369.

[223] Abschlussbericht Kretz (28.08.1962) StaFR: F 178/ 2 (41), S. 91.

[224] Erklärung zur Einstellung d. Verfahrens gg. Stein, Ebd. keine Seitenzahl angegeben.

[225] In den Akten des Freiburger Archivs finden sich 2 Zeitungsauschnitte bezüglich d. Prozesses; StaFR: F 178/2 (41).

4. Fazit und Schlussbetrachtung: Versuch einer Kategorisierung Walter Steins

Wie sich gezeigt hat, konnte Walter Stein auf eine steile Karriere in den NS-Kreisen zurückblicken, ohne, zumindest nach deutschem Recht, jemals dafür belangt zu werden. Er war, genau wie die erwähnten Spitzen der SS und deren Einsatzgruppen, ein „alter Kämpfer“, der sich bereits in der Frühzeit der NS-Zeit in die Dienste des Hitler-Regimes begeben hatte. Gerade durch seine Kontakte in die oberen Riegen der SS bzw. OP kam er früh in führende Positionen, die er durchaus für sich zu nutzen wusste. Stein hatte, wie sich zwischen den Zeilen lesen lässt, nie als Teil einer kämpfenden Truppe gedient, wohl gerade auf Grund seiner guten Beziehungen. Dass dieses Netzwerk innerhalb der SS besonders wichtig war, muss nicht erneut hervorgehoben werden. Es hat sich jedoch gezeigt, dass Stein durchaus ein guter „Networker“ war, der es verstand, seine hohen Freunde und Vorgesetzten auf seine Seite zu ziehen und zu seinen Gunsten einzusetzen. Zumindest lassen seine Empfehlungsschreiben und Beförderungsbögen diesen Schluss zu. Die Frage nach Steins Weltanschauung wurde durchweg positiv, im Sinne der Bewegung jedenfalls, beantwortet und für sehr gut empfunden. Über Steins Haltung zum Antisemitismus und der rassischen Ideologie kann allerdings nur gemutmaßt werden. Seine, meiner Meinung nach, belegte Hauptschuld an den Synagogenbränden, der bezeugten Misshandlung von Menschen mit jüdischem Glauben, der er zumindest stillschweigend zusah und seine möglichen Verstrickungen mit dem Vernichtungslager Chelmno sind nicht von der Hand zu weisen. Ein SS-Mann in seiner Position muss zweifelsohne eine antisemitische Einstellung gehabt haben, um in solche Kreise aufsteigen zu können. Seine Dienstzeit in Polen ist leider schwer zu rekonstruieren, dennoch waren ihm, wenn nicht in Thorn oder Danzig, dann zumindest in Litzmannstadt Einheiten der Polizei unterstellt, die de facto am Massenmord an den Juden beteiligt waren. Allerdings fehlen auch hier die Beweise. Schuld an der schlechten Quellenlage diesbezüglich sind zudem vermutlich auch die Aktenvernichtungen der Kriegszeit. Konkrete Taten in Polen waren Stein nicht zuzuschreiben, weder durch die polnische Justiz noch durch diese Studie. Das polnische Urteil ließ bei Stein mildernde Umstände gelten, da er „nur“ Befehle befolgt hatte. Dass diese Auffassung auch in Deutschland lange Bestand hatte, wurde im ersten Teil der Arbeit bereits ausführlich erklärt. Abschließend stellt sich die Frage, wie man Stein nun in den Kreisen der Täter verorten kann. Er war mit Sicherheit ein Schreibtischtäter, denn als führendes Mitglied der Polizei musste er Befehle empfangen und weitergeleitet haben. Allerdings war er genau so Direkttäter, was die Zeit in Konstanz faktisch belegen konnte. Ein Überzeugungstäter war er mit aller Wahrscheinlichkeit nicht. Er war nie in dieser Hinsicht auffällig geworden, auch wenn die Konstanzer Tat eine gewisse Kaltblütigkeit und antisemitische Grundhaltung voraussetzte. Die Typologisierung, die Stein wohl am zutreffendsten beschreibt, ist die des Karrieristen. Er war sicherlich nicht sonderlich intelligent, besaß allerdings eine gewisse „Bauernschläue“, die er geschickt zur Förderung seiner Karriere einsetzte. Zwar hatte Stein eine relativ hohe Position in den Reihen der SS inne gehabt und konnte eine ebenso lange Parteizugehörigkeit vorweisen, allerdings kann man ihm selbst mit den hier erreichten Forschungsergebnissen keine Überzeugungstäterschaft nachweisen. Stein hat sich zu keinem erkennbaren Zeitpunkt von seinem Engagement im Dritten Reich distanziert. In der gesamten Nachkriegszeit wies er alle Anschuldigung von sich und auch von Reue bzw. Schuldgefühlen lässt sich in den Aufzeichnungen Steins nichts finden. Allerdings ist die Forschung um die Person Walter Steins mitnichten abgeschlossen. Eventuell können weitere Forschungsarbeiten im Umfeld Walter Steins, die sich ausschließlich mit seiner Zeit in Polen befassen, zu mehr Erkenntnissen führen.

Anhang:

Eines der Telegramme, die aus Berlin an die jeweiligen OP und SS Stellen gingen:

Quelle: http://jgmv.de/Projekte/wanderausstellung/Dok.13.2.htm#Seitenanfang

Abkürzungsverzeichnis:

DAF Deutsche Arbeiter Front

HSSPF Höherer SS und Polizeiführer

OP Ordnungspolizei

Pol. Pr Polizeipräsident

RAG Reichsarbeitsgericht

RFSS Reichsführer SS

RM Reichsminister

RuSHA SS-Rasse- und Siedlungshauptamt

SSPF SS und Polizeiführer

SiPo Sicherheitspolizei

VT Verfügungstruppe/spätere Waffen-SS

Literaturverzeichnis:

Benz, Wolfgang (Hg.): Lexikon des Holocaust, München 2002.

Birn, Ruth Bettina: Die Höheren SS- und Polizeiführer. Himmlers Vertreter im Reich und in

den besetzten Gebieten, Düsseldorf 1986.

Bloch, Erich: Geschichte der Juden von Konstanz im 19. und 20.Jahrhundert. Eine Dokumentation, Konstanz 19892..

Browning, Christopher: Dämonisierung erklärt nichts, Schoeps, Julius H.: Ein Volk von

Mördern? Die Dokumentation zur Goldhagen-Kontroverse um die Rolle der Deutschen im Holocaust, Hamburg 1996, S. 118-129.

Browning, Christopher: Die Debatte über die Täter des Holocausts, in: Herbert, Ulrich(Hg.): Nationalsozialistische Vernichtungspolitik 1939-1945. Neue Forschungen und Kontroversen, Frankfurt/Main 2001, S. 148-169.

Browning, Christopher: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen, Hamburg 1993.

Browning, Christopher: Judenmord. NS-Politik, Zwangsarbeit und das Verhalten der Täter, Frankfurt/Main 2001.

Buchheim, Hans: Die SS. Das Herrschaftsinstrument. Befehl und Gehorsam (= Anatomiedes SS-Staates, Bd. 1) München 1967.

Böhler, Jochen: Auftakt zum Vernichtungskrieg. Die Wehrmacht in Polen 1939, Frankfurt/Main 2006.

Curilla, Wolfgang: Der Judenmord in Polen und die deutsche Ordnungspolizei 1939-1945, Paderborn 2011.

Engelsing, Tobias: Im Verein mit dem Feuer. Die Sozialgeschichte der Freiwilligen

Feuerwehr, Konstanz 1990.

Fischer, Torben/Matthias N. Lorenz (Hgg.): Lexikon der Vergangenheitsbewältigung in

Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945, Bielefeld 2007.

Garbe, Detlef: Die Täter. Kommentierende Bemerkungen, in: Herbert, Ulrich/Karin Orth/Dieckmann, Christoph(Hgg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager.

Entwicklung und Struktur Bd.2, Göttingen 1998, S. 822- 840.

Goldhagen, Daniel Noah: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der

Holocaust, München 2000.

Hartmann, Christian (Hg.): Die Verbrechen der Wehrmacht. Bilanz einer Debatte. (= Beck`sche Reihe, Bd. 1632) München 2005.

Herbert, Ulrich: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903-1989. Bonn 1996.

Herbert, Ulrich: Wer waren die Nationalsozialisten? Tyologien des politischen Verhaltens im NS Staat, in: Hirschfeld,Gerhard/ Tobias Jersak (Hgg.): Karrieren im Nationalsozialismus. Funkttionseliten zwischen Mitwirkung und Distanz, Frankfurt/Main/New York 2004, S. 17-42.

Höhne, Heinz: Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS, München 1967.

Höß, Rudolf: Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen (=Quellen und Darstellungen zu Zeitgeschichte, Bd.5) Stuttgart 1961.

Jäger, Herber: Verbrechen unter totalitärer Herrschaft. Studien zur nationalsozialistischen Gewaltkriminalität, Freiburg/Olten 1967.

Jelitz, Jana/Mirco Wetzel: Über Täter und Täterinnen sprechen. Nationalsozialistische Täterschaft in der pädagogischen Arbeit von KZ-Gedenkstätten, Berlin 2010.

Joffe, Josef: „Die Killer waren normale Deutsche, also waren die Deutschen Killer“, in Schoeps, Julius H.: Ein Volk von Mördern? Die Dokumentation zur Goldhagen – Kontroverse um die Rolle der Deutschen im Holocaust, Hamburg 1996, S. 160-175.

Just, Helmut/ Barbara Just-Dahlmann: Die Gehilfen. NS-Verbrechen und die Justiz nach 1945, Frankfurt/Main 1999.

Knoch, Habbo: Entdeckte Nähe. Nationale und postnationale Gedächtnispolitik in der Bundesrepublik, in: Ueberschär, Ellen (Hg.): Soldaten und andere Opfer? Die Täter-Opfer- Problematik in der deutschen Erinnerungskultur und das Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, Rehburg-Loccum 2007, S. 139-160.

Kogon, Eugen: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, Frankfurt/Main 1959.

Kramer, Helgard: Tätertypologien, in: dies.(Hg.):NS-Täter in interdisziplinärer Perspektive, München 2006, S. 253-309.

Krausnik, Helmuth/ Hans-Heinrich Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD 1938-1942 (=Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 22) Stuttgart 1981.

Mallmann, Klaus-Michael: Die Türöffner der „Endlösung. Zur Genesis des Genozids, in: Paul, Gerhard/Klaus-Michael Mallmann (Hgg.): Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg. Heimatfront und besetztes Europa, Darmstadt 2000, S. 437-463.

Mallmann, Klaus-Michael: Vom Fußvolk der Endlösung. Ordnungspolizei, Ostkrieg und Judenmord, in: Tell Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, Bd. 26 (1997) S. 255-291.

Mallmann, Klaus-Michael/ Gerhard Paul (Hgg.): Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien ( =Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 2) Darmstadt 2005.

Mallmann, Klaus-Michael: „… Mißgeburten, die nicht auf diese Welt gehören“ in:

Mallmann, Klaus-Michael/Bogdan Musial (Hgg.): Genesis des Genozids. Polen 1939- 1941, Darmstadt 2004, S. 71-89.

Nix, Phil/ Georges Jerome: The Uniformed Police Forces of the Third Reich 1933-1945, Stockholm 2006. Pendorf, Robert: Eichmann und die Judenpolitik des Dritten Reiches, Hamburg 1961. Paul, Gerhard/ Klaus-Michael Mallmann: Sozialisation, Milieu und Gewalt. Fortschritte und Probleme der neueren Täterforschung, in: dies. (Hgg): Karrieren der Gewalt.

Nationalsozialistische Täterbiographien (=Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd.2) Darmstadt 2005, S. 1-32.

Paul, Gerhard: Von Psychopathen, Technokraten des Terrors und „ganz gewöhnlichen „Deutschen. Die Täter der Shoah im Spiegel der Forschung, in: ders. (Hg.): Die Täter der Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche? (= Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Bd.2) Göttingen 2003, S. 13-92.

Reichel, Peter: Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit. Frankfurt/Main 1998. Sandkühler, Thomas: Die Täter des Holocaust. Neue Überlegungen und Kontroversen, in: Pohl, Karl-Heinrich (Hg.): Wehrmacht und Vernichtungspolitik. Militär im nationalsozialistischen System, Göttingen 1999, S. 39-65.

Schoeps, Julius H.: Ein Volk von Mördern? Die Dokumentation zur Goldhagen- Kontroverse um die Rolle der Deutschen im Holocaust, Hamburg 1996.

Schultz, Andreas/ Günter Wegmann: Die Generale der Waffen-SS und der Polizei. Die militärischen Werdegänge der Generale, sowie der Ärzte, Veterinäre, Intendanten, Richter und Ministerialbeamten im Generalsrang, Bd. 1 Abraham -Gutenberger (= Deutschlands Generale und Admirale, Teil V) Bissendorf 2003.

Schulze-Wessel, Julia: Ideologie der Sachlichkeit. Hannah Arendts politische Theorie des Antisemitismus (=Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1796) Frankfurt/Main 2006.

Smelser, Ronald M. (Hg.): Die SS. Elite unter dem Totenkopf, Paderborn [u.a.] 2000.

Völklein, Ulrich: Josef Mengele. Der Arzt von Auschwitz, Göttingen 2000.

Wiehn, Erhard Roy: Novemberpogrom 1938. Die „Reichskristallnach“ in den Erinnerungen jüdischer Zeitzeugen der Kehilla Kedoscha Konstanz.50 Jahre danach als Dokumentation des Gedenkens, Konstanz 1988.

Wildt, Michael: Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamurg 2002.

Wucher, Albert: Eichmanns gab es viele. Ein Dokumentarbericht über die Endlösung der Judenfrage, München/Zürich 1961.

Quellenverzeichnis:

Personalakten der NSDAP u. SS zu Walter Stein aus dem Document Center Berlin:

VBS 1/ 1110086918

VBS 282/ 6055015078

VBS 286/ 6400044095

Akten zu Walter Stein aus dem Staatsarchiv Freiburg:

StaFR F 178/2 41

StaFR F 178/2 42

StaFR F 178/2 43

StaFR F 178/2 46

Internetquellen:

Anweisung der Gestapo über das Verhalten bei Demonstration vom 10.11.1938 http://jgmv.de/Projekte/wanderausstellung/Dok.13.2.htm#Funkspruch.

Fernschreiben der Geheimen Staatspolizei Berlin, vom 9.11.1938. http://www.lpbw.de/fileadmin/lpb_hauptportal/pdf/bausteine_materialien/Die_Nacht_als_die_Synagogen_brannten.pdf.

Fernschreiben Dalueges an OP-Stellen: http://jgmv.de/Projekte/wanderausstellung/Dok.13.2.htm#

Seitenanfang Hilberg, Raul: Eichmann war nicht banal. in: Die Welt 28.08.1999. http://www.welt.de/print-welt/article581968/Eichmann_war_nicht_banal.html (Stand 02.08.2011)

Homepage des Bundesgerichtshofes zur Historie des RAG: http://www.bundesarbeitsgericht.de/allgemeines/geschichte.html#no_I4 (Stand: 02.08.2011)

Organisationbuch der NSDAP, 3. Auflage 1937; komplett einzusehen auf: http://ia700306.us.archive.org/16/items/OrganisationsbuchNSDAP/Organisationsbuch_der_NSDAP_3._Auflage_1937_678_S._Scan_Fraktur.pdf. (Stand 02.08.2011)

Pohl, Dieter: Herren über Leben und Tod, in: Die Zeit 27/ 2000. http://www.zeit.de/2000/27/Herren_ueber_Leben_und_Tod (Stand 02.08.2011)