Das St.Galler Kulturmagazin „Saiten“ im März 2009:

«Seemoz» – der Name steht für ein linkes Konstanzer Internetmagazin, das seit dem 1. Mai 2007 online ist. Kritisch – widerborstig – informativ, diese Leitmotive hat sich «Seemoz» auf das virtuelle Banner geschrieben. Der Bodensee ist genauso titelgebend wie die Abkürzung für Monatszeitung, kurz «Moz». Letzteres ist allerdings nicht wörtlich zu nehmen. Das Kürzel ist ein Relikt aus den Anfängen, als die Initianten noch mit einer gedruckten Ausgabe liebäugelten. Bei der nun etablierten Veröffentlichungsform im Netz erscheinen nicht monatlich, sondern beinahe täglich neue Artikel.

Die Seitenzugriffe aus der Schweiz beschränken sich bisher auf circa acht Prozent, wobei durchaus Steigerungspotential vorhanden ist. Zum einen gelangen aus dem Pressebüro von Ralph Hug regelmässig Artikel aus dem Raum St.Gallen in die «Seemoz», zum Beispiel die Artikel «Späte Rehabilitierung Schweizer Spanienkämpfer» oder «Oh, diese armen Nazis …», welcher die umstrittene Ausstellung «Kälte, Hunger, Heimweg» im Historischen Museum kritisch beleuchtet. Zum anderen sind viele der abgehandelten Themen beidseits der Grenze relevant. Denn obschon die Konstanzer Lokalpolitik ein Steckenpferd des Magazins ist, findet sich in den dreizehn Rubriken so manch Lesenswertes, das keinen direkten Bezug zur süddeutschen Universitätsstadt hat: Nachrichten auf regionaler und internationaler Ebene, Buch- und Ausstellungsrezensionen, Veranstaltungshinweise. (…) Und unter dem Rubriktitel «Muskelspiele» hat auch der Sport einen Platz bekommen, wo sonst «Unerhörtes» abgehandelt wird. Schwule Fussballer zum Beispiel.

Gegen unreflektierten Journalismus

Die «Seemoz» ist lesefreundlich gestaltet, die Seitenwerbung bleibt stets am Rand und stört den Lesefluss nicht. Mühsam in den Text springende Fenster gibt es keine. (…). Der Veranstaltungskalender bietet dem Kulturinteressierten einen Einblick in die Layoutvorlieben längst vergangener, aufrührerischer Tage: Das linke Internetmagazin kennt «den Link» zu den einzelnen Veranstaltungen leider nicht. Doch wir wollen auf diesen Mankos nicht herumreiten, für die Gestaltung der Seite ist nur gerade ein Mann zuständig – in seiner Freizeit. Außerdem fördert ja gerade das Mäandern innerhalb des Portals ungeahntes Strandgut zutage.

Eine wesentliche Triebfeder für die Initiation des Internetmagazins war und ist das konservative Monopolblatt am nordwestlichen Seeufer, der «Südkurier». «Wir wehren uns mit der Plattform gegen einen unreflektierten Journalismus, der blindlings überzogene Kapitalinteressen von Politik und Wirtschaft alimentiert und nicht weiter denkt, zum Beispiel daran, dass man in der Stadt dringend in den sozialen Wohnungsbau investieren sollte», sagt Holger Reile, einer der drei Betreiber der «Seemoz». «Die steigenden Zugriffe zeigen, dass «Seemoz» für viele unverzichtbar geworden ist, da es als einziges Medium im Raum Konstanz eine echte Alternative zum sogenannten Mainstream bietet.» (…)

Mit der Bannerwerbung am Seitenrand kann das «Seemoz»-Trio knapp die Spesen für die Recherchen und die Servermiete finanzieren. Die Betreiber arbeiten ohne Honorar, genauso wie die Gastautoren. Aus ökonomischen Gründen wird das Medium auch zukünftig nur im Internet erscheinen. Der Vorteil davon liegt für Holger Reile in der Reaktionszeit, mit der ein Webmedium auf ein Ereignis reagieren kann. Obschon «Seemoz» primär auf Qualität und nicht auf Geschwindigkeit aus ist, freut er sich dennoch, dass man bei einigen Ereignissen schneller reagiert hat als die übermächtige Konkurrenz. Außerdem bietet diese Form der Veröffentlichung im Gegensatz zu einem gedruckten Medium die Möglichkeit, die Zugriffe zu registrieren.

Amüsiert verfolgen die Publizisten, dass ihre Seite viel von der Konkurrenz angeklickt wird. Namentlich die Damen und Herren des «Südkuriers» oder der «Schwäbischen Zeitung» seien öfters zu Besuch, obwohl letztere ihren Redaktoren den Zugriff auf seemoz auch schon mal verboten hätten. (…)

Auf «altlinken» Schultern

Immer wieder versucht Holger Reile, Studierende für die Mitarbeit an der «Seemoz» zu gewinnen, doch diese stünden unter einem grösseren Druck als früher und seien leider kaum für regelmäßige Beiträge zu begeistern. Und so gilt noch immer, was Pit Wuhrer (auch er schreibt gelegentlich für die Internetzeitung) vor einem knappen Jahr in der «Woz» schrieb: «Das Konzept einer regionalen Gegenöffentlichkeit, das vor zwei Jahrzehnten Projekte wie das «Nebelhorn» beflügelt hatte und damals auch viele Studis mitriß, interessiert heute nicht mehr. Und so fehlen dem Onlinemagazin die Freiwilligen.»

Aus diesem Grund lastet das «Seemoz»-Projekt nach wie vor auf altlinken Schultern, auch wenn Holger Reile diesen Stempel wahrscheinlich relativieren würde. Er selbst stellt jedem Begriff, welcher nur in Ansätzen auf eine «Schublade» hindeutet, ein «sogenannt» davor. Es ist dem Beziehungsnetz der Macher zu verdanken, dass Journalisten wie Wolfgang Storz, ehemaliger Chefredaktor der Frankfurter Rundschau, oder Dieter Sauter, ehemaliger Korrespondent des ARD, unentgeltlich für die Plattform schreiben. Solch renommierte Autoren und nicht zuletzt die beiden Gründerväter Holger Reile und Hans-Peter Koch heben die Qualität des in seinen Mitteln arg beschränkten Magazins auf ein Niveau, das in der Region seinesgleichen sucht. So sei gesagt: Nein, liebe «Seemoz», höflich bist du nicht, sondern kritisch und widerborstig. Und das ist gut so!

Autor: Michel Kolb