Aufruf zum Ungehorsam – das Kult-X
Das Architekturforum Konstanz Kreuzlingen veranstaltete eine Podiumsdiskussion im Kult-X im Kreuzlinger Schiesser-Areal. Ueli Wepfer vom Architekturforum wollte den seit knapp einem Jahr laufenden Kulturbetrieb in der Hafenstrasse 8 unter dem Aspekt der Stadtentwicklung unter die Lupe nehmen, wofür er Pascal Biedermann von der Denkstatt aus Basel als Fachmann für umgenutzte Räumlichkeiten eingeladen hatte. Der große Saal in der Hafenstrasse 8 war überdurchschnittlich gut besucht, viele KreuzlingerInnen und KonstanzerInnen interessierten sich für die Zukunft des Kultur-Treffpunkts.
Während das Kreuzlinger Gewerbe leidet, hat die Schweizer Grenzstadt im Gegensatz zu Konstanz den Vorteil, Freiräume bieten zu können; vor allem für Kulturschaffende ein Feld, um sich auszuprobieren. 2008 erwarb die Stadt Kreuzlingen das Schiesser-Areal, laut Dorena Raggenbass, Kreuzlinger Stadträtin für Kultur und Gesellschaft, immer schon mit dem Gedanken, hier irgendwann ein Kulturzentrum entstehen zu lassen.
In der vom TZ-Journalisten Urs Brüschweiler moderierten Diskussionsrunde verteidigte sie diese Intention: „Wir kauften das Areal vor rund neun Jahren mit dem klaren Ziel, dass hier ein Kulturzentrum wachsen kann.“ Kulturvermittler Simon Hungerbühler bekam vor einem Jahr die Aufgabe, das Kult-X als Pilotbetrieb zu starten. Seitdem werden die bisher zwei Säle mit einem bunten Kulturpotpourri bespielt.
In der Diskussion ging es vor allem auch darum, wie dieser Kulturbetrieb weiterlaufen soll und kann: Dem Projektleiter Hungerbühler stehen 20.000 Franken pro Jahr für die Veranstaltungen zur Verfügung, hinzu kommen 20.000 Franken im Jahr als Arbeitsentgelt, und die Miete von 50.000 Franken übernimmt letztlich auch die Stadt. Auf die Frage Brüschweilers, was in diesem Jahr im Kult-X bereits passiert sei, antwortet Hungerbühler: „Sehr viel und sehr wenig. Auf lange Sicht muss noch viel geschehen, aber es ist auch schon vieles passiert in diesem ersten Jahr.“ Damit meint er die anfangs völlig fehlende Infrastruktur, die immer noch sehr provisorisch ist. Bisher wurde die gesamte Ausstattung und Bespielung aus ehrenamtlicher Arbeit gestemmt.
Jenseits der Kinopaläste
Hier hob er die „besonders engagierte Kinotruppe“ um die Kinoinitiative Kreuzlingen hervor, gut zehn Frauen und Männer, je zur Hälfte aus Kreuzlingen und Konstanz, die ihr Programmkino-Programm inzwischen fest etablieren konnten. „Kino war erst gar nicht die Idee für das Kult-X“, meint Hungerbühler, aber die gut besuchten Veranstaltungen hätten gezeigt, dass ein Bedürfnis nach ausgesuchten Filmen da sei. Zudem gab es bereits Theateraufführungen, unter anderem in Kooperation mit dem Stadttheater Konstanz, und darüber hinaus eine Vielzahl an Konzerten. Künftig soll das Konzertlokal Z88 und das Theater an der Grenze im Kult-X als Vereine ein neues festes Dach über dem Kopf bekommen.
Doch stößt das Projekt allmählich finanziell an seine Grenzen, da immer mehr Veranstaltungen auch mehr Professionalität und eine bessere Infrastruktur erfordern. In zwei Jahren kommt das Pilotprojekt Kult-X vors Kreuzlinger Stimmvolk; dann wird über die weitere Finanzierung durch die Stadt abgestimmt. Bis dahin muss sich das Kult-X als Kreuzlinger Kulturzentrum behaupten, und das hauptsächlich mit dem Schweiß ehrenamtlicher Arbeit und noch teils rudimentärer Ausstattung.
Spezialisieren, um Leuchtturm zu werden?
Michael Lünstroth, Redaktionsleiter von Thurgaukultur, meint: „Manchmal glaube ich, fehlt hier der Mut; vielleicht aber auch die finanzielle Ausstattung.“ Er ist überzeugt, dass ein weniger breit gefächertes Kulturangebot künftig zu höherer Qualität und mehr Erfolg führen würde, wenn man einen Leuchtturm über die Region- und Landesgrenzen hinaus erbauen möchte. „Ich habe auch meine Skepsis, ob man so eine Idee über einen so langen Zeithorizont am Leben erhalten kann. Ich wünsche dem Projekt einen langen Atem und mehr Entschlossenheit.“ Darauf entgegnet Hungerbühler, dass er von Anfang an eine möglichst breite Sparte wollte, nicht das beste aus Basel oder Berlin, sondern gerne auch Lokales. „Für einen Leuchtturm müsste man sich zu sehr spezialisieren.“
Der Gast aus Basel, Pascal Biedermann, sagte gleich zu Beginn: „Ich kenne diesen Geruch hier. Diese Orte schmecken immer gleich.Wenn sie dann wieder lebendig sind, schmecken sie wieder besser.“ Mit der Denkstatt Basel und als geschäftsführender Leiter der Kantensprung AG habe er schon zahlreiche stillgelegte, tote Orte wiederbelebt. Als ein Beispiel nennt er die ehemalige Maschinenfabrik Sulzer Burckhardt im Gundeldinger Quartier in Basel, die zu einem selbsttragenden, lebendigen Quartierzentrum umgenutzt wurde. Er zeigt an einigen Beispielen, dass eine Spezialisierung nicht nötig ist, dass Gewerbetreibende, Kulturschaffende, ja selbst Imker oder Boxkämpfe an diesen Orten ihren Platz finden können. Sein Tipp: Eine kulturelle Zwischennutzung sei zu Beginn immer sehr einfach, um Leben reinzubringen und zu sehen, was der Bevölkerung wichtig ist. Dann käme die Gastronomie: „Damit bringt man die Leute zusammen.“
Stadt stoppt Drive
Biedermann sieht es eher kritisch, dass die Stadt das Projekt fördern will. Das Wichtigste seien ohnehin Leute, die anpacken, nicht nur die, die Ideen haben. Wenn man erst mal loslege, träten die finanziellen Aspekte in den Hintergrund. „Ich plädiere für Ungehorsam“, sagt Biedermann in Richtung Raggenbass als Vertreterin der Stadt. So ein Unterfangen wie das Kult-X brauche einen „Drive“. „Wenn ich Behörde höre und Bewilligungen, ist es bei mir fast schon vorbei“, sagt der Basler Projektentwickler. „Den Drive kriegt eine Stadt nicht hin.“ Darauf kontert Raggenbass energisch: „Ich bin nicht nur Politikerin. Ich habe lange in der freien Kunstszene geschafft und war sehr ungehorsam.“ Kulturbegeisterte KreuzlingerInnen hätten jetzt die Chance, hier etwas zu machen. Aber in der Politik brauche es eben Konzepte.
Sarah Müssig, Leiterin des Kulturamt Konstanz, springt ihr da zur Seite. Sie blickt neidvoll auf das Projekt Kukt-X: „Ich bin überrascht von der positiven Naivität. Das Kult-X hat einen unglaublichen Charme“, schwärmt sie. In Konstanz würde so etwas nie funktionieren. „Es fehlt an leerstehenden Räumen. Und wenn es sie gibt, werden sie gleich hochklassig ausgestattet.“ Sie kennt den riesigen „Genehmigungswulst“ der Behörden auch von der anderen Seite der Grenze. „Ich finde schon, dass die Stadt da mithelfen muss.“ Kreuzlingen habe ein Riesenglück, diese „Brache“ zu besitzen. Es sei Aufgabe der Stadtplanung, Freiräume zu schaffen, „und die kosten Geld“, weiß Müssig.
Raggenbass gibt sich abschließend zuversichtlich: „Ich sehe hier eine große, große Chance. Der Funke ist ja bereits übergesprungen“, meint sie mit Blick auf das erste erfolgreiche Jahr. Sie sehe sich als jemanden, der das Kulturzentrum im Hintergrund aufbaue. „Aber ich baue das Nest nicht und der Vogelschwarm kommt allein zum Fliegen.“
Antonia Moretti (Text und Foto)
Das Foto zeigt von links: Pascal Biedermann, Denkstatt, Simon Hungerbühler, Projektleiter Kult-X, Michael Lünsthroth, Thurgaukultur, Urs Brüschweiler, Thurgauer Zeitung, Sarah Müssig, Kulturamt Konstanz, und Dorena Raggenbass, Kreuzlinger Stadträtin im Departement Kultur und Gesellschaft.