Bahnnetz in der Region verstärkt ausbauen

Die Grenz- und Randregionen der Nordost­schweiz, am Bodensee und beidseits des Rheins haben ein großes Potential für mehr Eisen­bahn­verkehr insbesondere im Städtedreieck St. Gallen – Winterthur – Konstanz. Dieses lässt sich mit der bestehenden Infrastruktur mit längeren, einspurigen Strecken nur zu einem kleinen Teil nutzen. Für einen Fahrplan mit mehr Schnellzügen und S-Bahnen fordert die „Initiative Bodensee-S-Bahn“ einen schritt­weisen Ausbau der Nordostschweizer Bahninfrastruktur.

Die Schweizer Bundesbehörden überarbeiten zurzeit den Programmteil und den Teil Schieneninfrastruktur (SIS) des „Sachplanes Verkehr“. Diese wurden zur Anhörung veröffentlicht und für beide hat die „Initiative Bodensee-S-Bahn“ eine ausführliche Stellungnahme erarbeitet (seemoz berichtete).

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Inzwischen hat die Initiative ihre Forderungen für die ganze Nordostschweiz ergänzt. Hier deren Medienmitteilung:

Ungleichgewicht

In die Nordostschweiz mit einem Bevölkerungsanteil von 11 % haben die Bundesbehörden für die Schieneninfrastruktur seit 1990 nur 3% von 40 Milliarden Franken bewilligt und ein so kleiner Anteil ist auch für die nächsten Jahrzehnte vorgesehen. Diese unverständliche Benachteiligung einer so grossen Randregion mit bald einer Million Einwohnern und guten Entwicklungschancen ist in den nächsten Jahrzehnten zu kompensieren.

Mit den neuen Doppelstock-S-Bahn-Zügen lassen sich heute in der Spitzenstunde auf einer Fahrspur 40‘000 Sitzplätze anbieten. Für die gleiche Verkehrsleistung braucht es für den Autoverkehr mit mittlerer Sitzplatzbelegung mindestens zehn Fahrspuren.

Bahn und Bus werden innerhalb und zwischen den Agglomerationen der Nordostschweiz nur dann eine stärker genutzte Alternative, wenn S-Bahnen und Schnellzüge häufiger und schneller verkehren als heute. Die Agglomeration Kreuzlingen/Konstanz ist erheblich schlechter an das Schweizer Eisenbahnnetz angeschlossen als die etwa gleich grossen Agglomerationen St. Gallen und Winterthur. Um diesen Rückstand zu beheben, sind folgende Ausbauten der Schieneninfrastruktur notwendig:

  1. Die „Ostschweizer Spange“ Chur – Sargans – Rorschach – Arbon – Romanshorn – Kreuzlingen/Konstanz – Schaffhausen ist möglichst durchgehend auf Doppelspur auszubauen, damit auf diesen Strecken Schnellzüge verkehren können.
  2. Eine doppelspurige Neubaustrecke von Mettendorf/Felben entlang der A 7 und mit einem Tunnel nach Tägerwilen/Kreuzlingen halbiert die Fahrzeit der Schnellzüge von Frauenfeld nach Kreuzlingen von 31 auf 12 – 15 Minuten. Mit dieser Neubaustrecke kann der Kanton Thurgau in das internationale Bahnnetz eingebunden werden, nämlich für direkte IC-Züge Zürich – Flughafen – Winterthur – Frauenfeld – Kreuzlingen – Romanshorn – Rorschach – St. Margrethen und nach Bregenz – Lindau – München.
  3. Die überlastete Doppelspurstrecke St. Gallen – Winterthur soll grosszügig ausgebaut werden.
  4. Die Strecke St. Gallen – Romanshorn soll mit weiteren Doppelspurabschnitten erweitert werden. Damit kann ein attraktiver S-Bahn-Takt im Dreieck St. Gallen – Romanshorn – Rorschach errichtet werden. Ausserdem lässt sich der Schnellzug-Stundentakt St. Gallen – Konstanz verdichten und Richtung Singen – Schaffhausen – Basel verlängern. Dieser Ausbau und derjenige der „Ostschweizer Spange“ entlasten den Knoten Zürich – den grössten Engpass im Schweizer Eisenbahnnetz.
  5. Die Bahnstrecken Konstanz – Weinfelden – Wil – Wattwil – Uznach – Rapperswil/Glarus sind auszubauen, damit auf dieser Nord-Süd-Achse Eilzüge verkehren können.
  6. Die Bahnlinie Singen – Etzwilen ist wieder in Betrieb zu nehmen für eine zusätzliche Verbindung des deutschen mit dem Schweizer Bahnnetz und für attraktive, neue Angebote des Nah- und Fernverkehrs.
  7. Es sind die obigen und die weiteren Bahnausbauprojekte in der Nordostschweiz mit ausreichendem Potential zu identifizieren. Die Kantone erarbeiten dafür Machbarkeitsstudien und der Bund übernimmt diese zur Weiterplanung in seine Projektliste für die Bahninfrastruktur.

Neiderregende Bahnlandschaften

So weit die Medienmitteilung der (vor allem schweizerischen) Initiative.

Es ist aus deutscher Sicht immer wieder überraschend, auf welch hohem Niveau sich der Bahnverkehr in der Schweiz bewegt. Man/frau vergleiche nur einmal die Bahnhofsanlagen im kleinen Kreuzlingen mit jenen im viel größeren Konstanz, welch letztere jedem leidlich zivilisierten Menschen die Zornesröte ins Gesicht treiben. Man/frau halte sich vor Augen, dass er/sie an Sommerwochenenden die ganze Nacht über im Stundentakt (!) von Zürich nach Kreuzlingen fahren kann (Zürich z.B. am 05. Juni ab um 03:05 Uhr, Kreuzlingen an um 04:30 Uhr), während in Konstanz nachts überhaupt nichts mehr geht, fährt oder rollt. Ganz abgesehen davon, dass die SBB schafft, was der DB schon seit Jahren immer weniger möglich ist – den Fahrplan einzuhalten, so dass Anschlüsse auch tatsächlich erreicht werden und eine Reise quer durch die Republik nicht zu einem nervenaufreibenden Chaostrip wird.

Abgesehen von diesen Neidanfällen eines bundesrepublikanischen Bahnfahrers auf die vergleichsweise paradiesischen Zustände bei der SBB hat die Initiative natürlich recht: Ein noch besseres Angebot schafft erfahrungsgemäß eine noch höhere Nachfrage, und alles, was der Bahn nützt, nützt auch den Menschen in den erschlossenen Regionen, von „der Umwelt“ einmal ganz zu schweigen.

Allerdings haben in Deutschland die meisten Menschen gegenüber der Zuständen bei der DB längst resigniert, auch jene, die bei der Bahn arbeiten, und vor allem in den Fernzügen macht sich bei den Beförderungsfällen (denn um nichts anderes handelt es sich in Deutschland bei Bahnreisenden) zumeist nur bitterster Zynismus breit, wenn es wieder einmal heißt „Wir erreichen Baden-Baden heute um 17:41 Uhr, danke, dass Sie mit der Deutschen Bahn …“. Das heißt nichts anderes, als dass der Zug massiv Verspätung hat und keinerlei Anschlüsse mehr erreicht werden, aber wie es weitergehen könnte, bleibt natürlich ein Betriebsgeheimnis.

Die offene Lüge ist mittlerweile zum Hauptinstrument der deutschen Verkehrspolitik geworden, und statt wenigstens die Basisfunktionen der Bahn auf dem Niveau der 1970er Jahre wiederherzustellen, statt sie mit Volldampf auf Drittweltniveau hinunterzudrücken, beglückt uns ein Verkehrsminister mit dem heutzutage als grandiose Zukunftsvision hochgejubelten Plan, just jene Nachtzüge einzuführen, – die erst vor wenigen Jahren abgeschafft wurden, um Geld zu sparen und die Bahn so für die geplante Übernahme durch Börsenspekulanten attraktiver zu machen.

Der katastrophale und noch dazu planmäßig herbeigeführte Niedergang der deutschen Bahn findet in Deutschland wenig Gegenwehr, daher ist eine Initiative wie die obige immer wieder herzerfrischend, denn sie lehrt, dass es durchaus möglich ist, ein Bahnsystem funktionstüchtig zu erhalten und sogar noch auszubauen. Ein Blick auf die schweizerischen Projekte Bahn 2000 und Bahn 2030 sowie die schon vorliegenden Ausbaupläne bis 2050 zeigt aber auch, dass es dazu des politischen Willens bedarf – und der ist in Deutschland nicht vorhanden, so lange es an massivem öffentlichem Druck auf die Politik fehlt.

Hier gilt in übertragenem Sinne die Maxime meines prügelwütigen Englischlehrers: Schlag‘ lieber nochmal zu, denn der erklärte Wille der Verkehrspolitiker, ihre Hausaufgaben zu machen (und mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen), dürfte geheuchelt sein.

MM/red (Bild: O. Pugliese)

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