Chronist der sozialen Kämpfe

Bruno Margadant (1929-2013) war ein leidenschaftlicher Sammler von politischen Plakaten. Dies machte ihn zu einem bedeutenden Chronisten der Arbeiter- und Protestbewegung nicht nur in der Schweiz; seine Sammlungen sind in Büchern nachzulesen oder in Museen in Zürich und Berlin anzuschauen. Vor allem aber war er Kommunist, der nicht nur am 1. Mai die rote Fahne in St. Gallen hisste

Wann genau er mit dem Sammeln von Plakaten anfing, wusste er selbst nicht mehr genau. Es muss in den frühen 50er-Jahren gewesen sein. Doch fasziniert von «bedrucktem Papier» war Bruno Margadant (s. Foto im Text) seit frühester Jugend. Diese war vom antifaschistischen Milieu der Zwischenkriegszeit geprägt. Sein Vater Mathis Margadant, ein kantiger Bündner Bergler, der nach Zürich gezogen war, diente 1935 selbst als Modell für ein Wahlplakat der Kommunistischen Partei.

Margadants politische Sozialisation erfolgte in der Partei der Arbeit (PdA). Er wurde Kommunist. Beruflich arbeitete er als Schriftsetzer – unter anderem als erster Redaktionsgrafiker beim jungen «Blick». Mehrmals verlor er aus politischen Gründen den Job. Dabei hatte die Bundespolizei die Hand im Spiel, die ihn auf Schritt und Tritt verfolgte. An seiner Akte lässt sich die schweizerische Mc-Carthy-Ära in den 1950er-Jahren bestens rekonstruieren: Kommunistenhysterie par ecellence. Als Margadant 1961 eine neue Stelle in Flawil antrat, informierte der Dorfpolizist «in ganz diskreter Weise» den Arbeitgeber über Margadants politische Gesinnung. So lief damals das Kesseltreiben gegen missliebige Eidgenossen.

«Kopf gut, Beine scheisse»

Die «Schwere» des Falls Margadant für die Bundespolizei lässt sich in Kilogramm ausdrücken: Am Schluss wogen seine von der Bundespolizei erhobenen Spitzelberichte nahezu drei Kilogramm. Dabei war Margadant nichts weiter als anderer Ansicht. Er wollte sich nicht mit der kapitalistischen Schweiz abfinden. Dem kommunistischen Ideal von Gleichheit und Gerechtigkeit blieb er im Herzen bis zuletzt treu, auch wenn er sich schon vor Jahrzehnten – im Vorfeld der Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahr 1968 – von der PdA abgewandt hatte und in die SP eingetreten war. Für ihn war der 1. Mai der höchste Feiertag des Jahres. Er hängte dann jeweils eine rote Fahne aus dem Fenster seiner Wohnung in St.Gallen. Und wenn die Demo unten am Haus vorbeilief, so war dies ein weithin sichtbares Zeichen, dass mit ihm noch zu rechnen war, selbst als er wegen seiner Gebrechen nicht mehr am Umzug teilnehmen konnte. «Kopf gut, Beine scheisse» pflegte er jeweils brummig und in gebotener Kürze auf Fragen nach seinem Gesundheitszustand zu antworten. Nur um dann sofort ins Politisieren zu verfallen, das für ihn einfach zu einem anständigen Leben gehörte.

Ein feines Sensorium für visuelle Belange ließ ihn schon früh auf die hoch entwickelte Schweizer Plakatkunst aufmerksam werden. Bald stapelten sich zu Hause politische Plakate aus aller Welt. «Für das Volk, gegen das Kapital», ein PdA-Slogan, lieh ihm den Titel für seine erste Publikation, die 1973 erschien. Sie zeigte Plakate der schweizerischen Arbeiterbewegung seit dem Ersten Weltkrieg. Theo Pinkus schrieb dazu das Nachwort.

Schweizer Plakatstil

Zehn Jahre später erschien der Band «Das Schweizer Plakat 1900-1983», mit dem er landesweit bekannt wurde. Erstmals bot eine Publikation eine Gesamtschau des schweizerischen Plakatschaffens. Margadant hatte in akribischer Arbeit die Daten von 300 teils unbekannten Künstler- und GestalterInnen zusammengetragen. «Wir fragten sogar viele Einwohnerkontrollen an», erinnert sich Alexa Lindner Margadant. Sie war ihrem Mann bei den langwierigen Recherchen behilflich. Das Buch gilt längst als Standardwerk eines Genres, in dem die Schweiz punktete: Sie ist nach Meinung von Fachleuten das einzige Land, das früh einen für alle Aufgaben praktikablen Plakatstil entwickelt hat.

Pferde sind nicht grün

Margadant zeigt dabei die Entwicklung von Hodler bis Augusto Giacometti und Erni auf und legt die Wurzeln des Plakatschaffens frei, das in der Frühzeit des 20. Jahrhunderts noch als «Reklamekunst» firmierte. Überraschend ist, wie unbekannt die Schöpfer von Plakaten geblieben sind, die seinerzeit jedes Kind kannte. wie etwa Herbert Leupins Werbung für die Bata-Schuhe aus dem Jahr 1954 oder Niklaus Stoecklins Plakatwerbung für Gaba-Hustenbonbons (1927). Margadants politischer Blick offenbarte sich im Kapitel über verbotene Plakate, bei denen meist ein (zu) nackter Frauenkörper oder eine (zu) linke Kritik Missfallen erregte.

Beispielsweise genügte 1938 die Darstellung von vier Bundesräten mit einem Gesslerhut für ein Verbot, das der St.Galler Stadtrat aussprach. Noch 1981 verbot der Zürcher Stadtrat ein Plakat der rebellierenden AJZ-Jugend, die zu einem «Zürcher Tribunal» gegen Polizeiwillkür aufrief. Als Unikum in der Plakatgeschichte vermerkt Margadant den Protest ländlicher Bevölkerungskreise gegen das offizielle Plakat der Landesausstellung 1914, das vom Maler Emil Cardinaux stammte. Darauf war ein grünes Pferd zu sehen. «Darin verbarg sich der noch nicht überwundene Schock durch die moderne Kunst», analysiert Margadant.

Als sein «Hauptwerk» hat Margadant selber sein 1998 erschienenes Buch «Hoffnung und Widerstand» bezeichnet. Es lässt auf dreihundert Seiten das 20. Jahrhundert passieren, ein ikonographisches Fresko der sozialen Kämpfe, kraftvoll, bewegt, gewaltig. Diese «sozialistischen» Plakate, wie er sie nannte, sind heute im Eigentum des Zürcher Museums für Gestaltung. Ein großer Teil des Erlöses floss in die Buchproduktion. Dass es dazu kam, ist wesentlich das Verdienst des damaligen Direktors Martin Heller. «Margadant ist mit Recht stolz darauf, Zeuge und Täter gewesen zu sein», schrieb er in Anspielung auf Margadants politisches Engagement.

Die Sammlung zeigt die großen historischen Umbrüche wie etwa die russische Revolution oder die chinesische Kulturrevolution, aber auch 1. Mai-Aufrufe oder die Plakatwerke der Befreiungsbewegungen aus der Zeit der Dekolonisation. Ein Auge voll vermittelt die Webseite des Museums für Gestaltung (www.emuseum.ch). Weniger bekannt ist, dass Margadant seit 1949 Gebrauchsgrafik von Pablo Picasso erwarb. Auch daraus resultierte eine große Sammlung von 300 Blättern. Picasso war einer jener Künstler, in denen sich in Aufsehen erregender Weise Kunst und Politik trafen. Die Welt horchte auf, als der damals schon berühmte Künstler 1944 der Kommunistischen Partei Frankreichs beitrat.

Berliner Museen zeigten Interesse

Die Picasso-Sammlung befindet sich in Berlin, ebenso wie die Sammlung mit den Schweizer Plakaten. Die Staatlichen Museen interessierten sich dafür und kauften sie ihm ab. Dass der Verkauf ins Ausland erfolgte, war ein Akt mit Symbolgehalt. Ausgerechnet Margadants Einsatz für das eidgenössische Kulturerbe fand keine abschließende Würdigung im eigenen Land. Der Oppositionelle galt dem Establishment weniger als Kulturschaffender denn als missratener Sohn, bei dem eine lebenslange Beschattung durch den Staatsschutz angeraten schien. Margadant hielt die Akte manchmal fast triumphierend in der Hand und meinte, es sei der Bupo trotz aller Anstrengungen nicht gelungen, ihn zu vernichten.

Diesem Gefühl, ein Überlebender eines langen politischen Kampfes zu sein, gab er ganz zuletzt in der eigenen Todesanzeige Ausdruck. Sie war auch in der WOZ zu lesen: «Die politische Polizei hat mich länger als 40 Jahre amtlich bespitzelt und beruflich behindert», lässt er darin die Nachwelt wissen. Den Text hatte er im Angesicht des nahenden Tods selbst verfasst, mit jenem störrischen Eigensinn, der seine Persönlichkeit charakterisierte. Am Lebensende hatte er eine 84jährige Karriere als Nonkonformist und linker «Aufwiegler» durchlaufen. Und so erschien ihm jene Gedichtzeile von Bertolt Brecht äußerst passend, in der es heißt: «Wo er verjagt ist, bleibt die Unruhe doch.»

Die Nachgeborenen können Margadants Vermächtnis, seine Plakate mit den Kämpfen der Arbeiter-, Revolutions- und Protestbewegungen, in den erwähnten Büchern nachschlagen. Oder einen Abstecher ins Zürcher Museum für Gestaltung oder auch nach Berlin machen. Der Verstorbene sähe es aber viel lieber, wenn alle mehr Widerstand leisten würden. Und dabei die Hoffnung auf gerechtere Zustände nicht aufgeben, wie er das getan hat.

Autor: Ralph Hug/woz.ch