Das Gezeter um den Einkaufstourismus

Über den Einkaufstourismus von der Schweiz ins benachbarte Ausland zu schreiben, ist eine Gratwanderung. Gerade und besonders in Konstanz kann man sich damit so richtig in die Nesseln setzen. Aber auch im Thurgau kann man im Parlament und im Einzelhandel damit die Gemüter in Wallung bringen. Wie der Thurgauer Grosse Rat am vergangenen Mittwoch bewiesen hat.

Von politisch links bis rechts haben die KantonsrätInnen (Abgeordnete) ihr Mitgefühl mit den Detaillisten (Einzelhändlern) zum Ausdruck gebracht: Sie fordern mit Hilfe einer Standesinitiative vom Bund, die Freigrenze für Einkäufe jenseits der Staatsgrenze zu streichen. Dazu zwei Erklärungen: Eine Standesinitiative ist ein Antrag eines Kantons ans Bundesparlament. Solche Vorstöße zeichnen sich üblicherweise durch Erfolgslosigkeit aus. Die zweite Erklärung: JedeR SchweizerIn, die im Ausland – von Österreich und Deutschland bis zum Nordkap einkauft, muss das bei der Einreise erst versteuern, wenn der Warenwert 300 Franken übersteigt.

Der Versuch, Berlin zu umschiffen

Das Ziel des Thurgauer Wunsches an Bundesbern ist es, dass jede Ware, die aus dem Ausland in die Schweiz kommt, entweder im Ausland oder in der Schweiz „mehrwertversteuert“ sein muss. Nun erstattet einzig Deutschland Nicht-EU-Bürgern die Mehrwertsteuer auf Antrag zurück. Das Thurgauer Parlament versucht also, diese Rückerstattung auszuhebeln, ohne dazu die deutsche Regierung bemühen zu müssen, die bisher wenig Gehör für ein solches Anliegen hatte – egal, ob es aus der Schweiz oder von Konstanzer Einwohnern geäußert wurde.

Man stelle sich aber vor, was die Umsetzung des Thurgauer Wunsches für die Schweizer Grenzwächter bedeutete: Sie müssten bei jedem Einreisenden prüfen, ob beispielsweise für die im Ausland gekaufte Zeitschrift oder das Kilo Äpfel bereits in Deutschland Mehrwertsteuer bezahlt wurde oder nicht. Wenn nicht, müsste der Schweizer für die Zeitschrift im Warenwert von – sagen wir mal – fünf Franken rund 40 Rappen Mehrwertsteuer bezahlen. Denn die Freigrenze läge ja bei Null. Auch Kleinsteinkäufe müssten also besteuert werden.

Kontrolliert werden müsste zudem überall, nicht nur an der Grenze zu Deutschland – sonst drehen im Raum Basel die Einkaufenden eine Runde übers französische St. Louis oder sie kaufen nicht mehr in Konstanz, sondern in Lindau ein und kommen über Österreich zurück in die Schweiz. Was wäre also an der Grenze los, wenn nicht nur Reisende mit ihrem „grünen Zettel“ und zum Versteuern der großen Einkäufe ins Abfertigungsgebäude zögen, sondern die Grenzer auch noch Kleinstbeträge errechnen und einziehen müssten?

Dass sich im Thurgauer Kantonsparlament solch eine geschlossene Front für diesen „weg mit der Freigrenze“-Wunsch fand, hängt aber nicht nur mit der Liebe zum heimischen Einzelhandel zusammen, sondern auch mit der Liebe zu den öffentlichen Kassen. Denn anders als in Deutschland profitieren Gemeinden und Kantone ganz direkt von mehr Einkäufen beim heimischen Gewerbe.

Den kommunalen Geldbeutel füllen

Während Konstanzer Einzelhändler die Mehreinnahmen durch die Schweizer Kundschaft per Einkommenssteuer oder Versteuerung des Gewinns direkt an den Bund zahlen und Konstanz selbst nur sehr indirekt etwas davon hat, geht das entsprechende Geld in der Schweiz direkt an die Gemeinde und den Kanton. Lediglich die Mehrwertsteuer auf Waren geht an den Bund – und kommt von dort zum Teil wieder zurück zu den Kantonen.

Aber was der Detaillist als Einkommen versteuert, bestimmen Gemeinde und Kanton – nicht der Bund. Das Schweizer Steuerwesen ist so organisiert, dass zuerst die Gemeinden ermitteln, wie viel Geld sie brauchen, um ihre Pflichten und Wünsche – vom Schwimmbad oder der städtischen Verwaltung bis hin zu Gemeindestraßen – finanzieren zu können. Entsprechend erheben sie ihre Steuern.

Wegen dieses anderen Steuersystems macht sich solch ein Kundenansturm auch sehr direkt in den örtlichen Steuerkassen bemerkbar. Genau genommen könnte er sich bemerkbar machen – bisher tut er’s nicht. Die Steuereinnahmen der Kommunen sind, trotz fremd gehender KonsumentInnen, so wenig gesunken wie jene der Kantone oder des Bundes.

Allerdings erklärt dieses gänzlich anders organisierte Steuerwesen, warum viele Schweizer der Meinung sind, KonstanzerInnen – und zwar nicht nur Einzelhändler und Wirte – müssten über die vielen SchweizerInnen im Kaufrausch glücklich sein. Sie gehen davon aus, dass sie mit ihren Einkäufen auch das Konstanzer Stadtsäckel füllen – und das nicht nur durch die Strafzettel für unsinniges Parken.

Lieselotte Schiesser (Foto: woz)