Das kürzeste Jahr und das längste Stadthaus
Also ehrlich – ein Jahr mit 12 Monaten kann ja jeder. Aber eines mit knapp vier Monaten, das kann nur Kreuzlingen. Des Rätsels Lösung: Die einjährige Versuchsphase für eine weitere Verkehrsberuhigung der Boulevard genannten Hauptstrasse wird am 25. Juni schon wieder beendet. Begonnen hatte sie im Februar.
Es kam, wie es kommen musste: Der Versuch, die Kreuzlinger Hauptstrasse noch stärker vom Durchgangsverkehr zu befreien, ging in die Hosen. Der Stadtrat (die Exekutive) hätte ja auch die Quadratur des Kreises hinbekommen müssen. Einerseits besteht seit fast zehn Jahren das Ziel, aus der ehemaligen Durchgangsstraße eine „Flaniermeile“ zu machen. Dazu sollten sich Einkaufende von Laden zu Laden oder Beiz bewegen können, ohne von einem der 12 000 Autos pro Tag platt gefahren zu werden.
Andererseits wollten die Ladeninhaber*innen keinesfalls die Autos aus der Straße verbannt sehen und wehrten sich mit Händen und Füßen gegen eine Fußgängerzone. Sie fürchteten, wenn ihre Kund*innen nicht mehr unmittelbar vor der Ladentür parken dürften, gingen alle in Konstanz einkaufen. Dort gibt es zwar auch eine Fußgängerzone …
Als Kompromiss gab’s erstmal eine Begegnungszone: Tempo 20 für alles, was fährt, und gleiche Rechte für alle. Die Zahl der durchfahrenden Autos sank auf 8000. Wobei niemand überprüfte, ob das nur der Begegnungszone geschuldet war oder nicht auch der Schließung des Hauptzolls.
Protest von allen Seiten
Die 8000 Fahrzeuge waren aber den Freund*innen der Flaniermeile immer noch zu viel. Und so einigten sich Ladenbesitzer*innen, Verwaltung und Freund*innen des Langsamverkehrs auf den Versuch, den „Boulevard“ auf seiner halben Länge – also auf etwa 250 Meter – zur Einbahnstraße zu machen. Ein Jahr lang sollte ausprobiert werden, wie das funktioniert.
Kaum war der Versuch gestartet, hagelte es böse Leserbriefe: Ladenbesitzer*innen sahen ihre Pleite unausweichlich auf sich zukommen. Autofahrer (sorry, es schrieben wirklich nur Männer) beklagten die furchtbar langen Umwege, die sie fahren mussten, weil sie vergessen hatten, ihre Fahrtroute vorher zu planen. Anwohner*innen der Seitenstraßen reklamierten unerhörten Mehrverkehr. Eine Umfrage ergab: Das Gewerbe will nichts von Verkehrsberuhigung wissen und alle anderen sind geteilter Meinung. Woraufhin der Stadtrat beschloss, das Versuchsjahr nach vier Monaten zu beenden.
Stadt braucht Ausnahmebewilligung
Der Stadtrat hat ja auch noch andere Sorgen. Nämlich beispielsweise die, dass das geplante neue Stadthaus – Heim der Verwaltung – viel länger werden soll, als es die eigene Stadtplanung zulässt. Der 40 Millionen Franken teure Neubau soll auf dem Bärenplatz vor dem ehemaligen Kloster samt Kirche entstehen. Da die Kirchen-/Klosteransicht denkmalgeschützt ist, darf der Neubau nicht zu hoch werden. Deshalb wurde er umso länger geplant: Vor der Volksabstimmung sprach man von 100 Metern, jetzt ist sogar von 110 Metern die Rede. Problem: Die Stadtplanung lässt in dieser Zone nur Bauten mit maximal 50 Meter Länge zu. Jetzt muss sich die Stadt für ihr eigenes Bauvorhaben eine Ausnahmebewilligung erteilen. Wer kann denn auch schon an alles denken …
Lieselotte Schiesser