Der „Boulevard“ ist eben doch nur die Hauptstraße
Mit großem Pomp und Trara wurde er Ende Mai eröffnet, der „Boulevard“. Und man sparte nicht mit Superlativen: Nicht nur eine „Einkaufs- und Flaniermeile“ sollte die neue Kreuzlinger Prachtstraße werden, sondern auch noch „die schönste und größte Begegnungszone im Thurgau“ und natürlich ein Gegengewicht zur Konstanzer Konkurrenz. Verwaltungschef Andreas Netzle stellte in einem wahren Höhenrausch sein kleines, harmloses Städtchen gar auf eine Stufe mit Paris, Barcelona und Berlin.
Seither sind einige Monate ins Land gegangen, und dem einstigen Höhenflug folgte die Ernüchterung quasi auf dem Fuß. Denn wie zu Zeiten, als der „Boulevard“ noch Hauptstraße hieß, fließt der Verkehr durch das zentrale Straßenstück, wenn auch jetzt mit Tempo 20. Auch Parkplätze am Straßenrand sind weiterhin vorhanden. Das heißt konkret, vor allem zu den Hauptverkehrszeiten quält sich eine lange Autokolonne im Schritt-Tempo über den „Boulevard“. Fußgänger, die angeblich „immer Vorfahrt“ haben sollen, lassen das Überqueren besser sein, Radfahrer haben ohnehin kaum eine Chance. Und so macht auch das „Flanieren“ nicht wirklich Spaß, zumal es ja in dieser „Prachtstraße“ im Grunde genommen gar nichts zu sehen und zu erleben gibt.
Rund 3,8 Millionen Franken hatte sich Kreuzlingen den Umbau der rund 500 Meter Hauptstraße zwischen Helvetia-Platz und Löwenkreisel kosten lassen. Und man hatte ursprünglich auch hochfliegende Pläne. Eine autofreie Zone mitten im Zentrum wollte man schaffen, eine Begegnungszone, Raum für Veranstaltungen aller Art. Doch die Einzelhändler zogen nicht mit, sie befürchteten Umsatzeinbussen, wenn die Kunden nicht mehr bis vor die Ladentür fahren können. Die Stadtverwaltung gab nach, der tolle „Boulevard“ ist letztlich lediglich nichts weiter als die alte Hauptstraße mit neuem Belag.
Und dass dies auch so bleibt, haben Händler und Gastronomen nun noch einmal deutlich gemacht. Obwohl die Bevölkerung sich weiterhin die autofreie Zone in diesem Bereich wünscht, ergab eine Umfrage der Stadt bei Handel und Gewerbe eine eindeutige Aussage: Der „Boulevard“ soll lediglich für gelegentliche „Anlässe“ gesperrt werden, darüber hinaus wird eine Sperrung abgelehnt. Die Kreuzlinger Stadtverwaltung wird sich diesem Votum keinesfalls widersetzen. Sogar die Hinweisschilder „Durchfahrt erschwert“ wurden inzwischen wieder entfernt.
Irgendwie kommt einem das alles bekannt vor. Man beginnt etwas, ohne die Sache zu Ende zu denken und bleibt dann auf halbem Weg stecken. Konstanz läßt grüßen.
Autorin: Regine Klett