Der Mythos der Interbrigaden und das Echo der Schweiz
Vor 75 Jahren entstand ein linker Mythos: die Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg. Zahlreiche Schweizer kämpften mit. Wer waren die Freiwilligenverbände wirklich? Und wie ging man noch Jahre später mit ihnen in der Schweiz um? Über ungerechte Justiz und reaktionäre Diplomatie. So viel ist sicher: Auch für die Schweiz ist der Spanische Bürgerkrieg noch nicht vorbei.
Am 7. November 1936 standen die Truppen des Generals Franco am Stadtrand von Madrid. Der Fall der Hauptstadt schien besiegelt, und damit auch das Ende der erst fünf Jahre alten spanischen Republik. Doch es kam anders. Die Stadt widerstand überraschend dem Grossangriff Francos, der von Mussolini und Hitler unterstützt wurde und militärisch überlegen war. Schriftsteller sprachen vom «Wunder von Madrid». Das Wunder hatte eine Namen: die Internationalen Brigaden.
Im linken Gedächtnis blieb über Jahrzehnte verankert, dass diese Brigaden Madrid gerettet hätten. «No pasarán» (Sie werden nicht durchkommen) hieß die berühmte Losung der Verteidiger, die als Vokabel des Widerstands zum geflügelten Wort wurde. Noch heute wird dieses entscheidenden Datums in der Geschichte des 20. Jahrhunderts gedacht: Vor wenigen Tagen wurde in Casa de Campo, dem ehemaligen Universitätsgelände und Schauplatz der erbitterten Kämpfe, ein Denkmal zu Ehren der Interbrigaden eingeweiht.
Als Symbol der internationalen Solidarität und des heldenhaften Kampfes gegen einen übermächtigen Faschismus gingen die Brigaden in die Geschichte ein. Hinter dieser Gloriole blieb aber lange Zeit die historische Wirklichkeit verdeckt. Die Überhöhung durch die kommunistische Propaganda trug dazu ebenso bei wie der Franquismus, der die Brigaden als «Söldner Stalins» brandmarkte. Nur langsam gelang es der Geschichtsforschung, den Kern dieses bis dato singulären Phänomens von seinen ideologischen Verzerrungen zu befreien.
Die Idee, Freiwillige zur Unterstützung der bedrohten Republik nach Spanien zu schicken, entstand im linksgewerkschaftlichen Milieu Westeuropas, und zwar schon bald nach Francos Militäraufstand am 17. Juli 1936. Hauptmotor war die Überzeugung, ein weiterer Vormarsch des europäischen Faschismus müsse gestoppt werden. Die ersten Freiwilligen, darunter auch einige Dutzend Schweizer, fochten kurz nach dem Putsch in den republikanischen Milizen. Die Brigaden entstanden jedoch erst im Oktober 1936, als sich Stalin zum Eingreifen in Spanien entschloss. Dank dem logistischen Netz der Kommunistischen Internationale (Komintern) gelangten Hunderte von Freiwilligen über Sammelzentren in Paris und Lyon nach Spanien. In Albacete wurden sie dann für den Fronteinsatz trainiert.
Ein Schriftsetzer aus Schaffhausen zieht in den Krieg
Doch es blieb kaum Zeit. Die eilig zusammengestellte XI. Internationale Brigade, die erste von insgesamt fünf, musste schon bald nach Madrid abkommandiert werden, als Franco vor den Toren stand. Rund 2000 Mann, notdürftig bewaffnet, stellten sich dem anstürmenden Feind entgegen. Die Freiwilligen allein hätten Franco nicht aufhalten können. Dazu waren sie zu schwach. Es brauchte die spanischen Milizen und eine zum Widerstand entschlossene Zivilbevölkerung. Enorm war jedoch die psychologische Bedeutung dieser Intervention: Sie führte der in Europa politisch isolierten Republik eine internationale Solidarität vor Augen, die Begeisterung und neuen Kampfwillen auslöste.
Unter den Brigadisten in Madrid war auch der 23jährige Schriftsetzer Ernst Kellenberger aus Rorschach. Zuhause war er arbeitslos und so schlecht dran gewesen, dass er sich von der Heilsarmee unterstützen lassen musste. Bereits im August 1936 focht er in Spanien bei den Milizen, bevor er sich den Interbrigaden anschloss. Dort kämpfte er als Korporal bei den «Tanks», wie Panzer damals genannt wurden. In einem Brief an die Eltern schrieb er, er könne leider kein Geld schicken, man solle aber der Heilsarmee gedenken. Kellenberger fiel am 7. Januar 1937. Fünf Tage später verurteilte ihn das St.Galler Divisionsgericht wegen «Schwächung der Wehrkraft» durch fremden Militärdienst zu sechs Monaten Gefängnis. Ohne es zu wissen, hatten die Militärrichter einen Toten abgeurteilt.
Mit Kellenberger fielen noch elf weitere Schweizer bei der Verteidigung Madrids. Der erste war der Zürcher Schreiner Willy Krieg, 22 Jahre alt und aktives Mitglied der SP-Jugendgruppe «Rote Falken». Ihn traf die feindliche Kugel am 19. November 1936 in Casa de Campo. Ein paar Tage später kam der 29jährige Tessiner Numa Rossi aus Biasca um. Er war Maler-Gipser, Gemeinderat und mit zwei Kollegen nach Spanien gezogen. Die Sturmtruppe, in der sie kämpften, nannte sich «La Terribile». Der Schrecken des Spanienkriegs – der erste totale Krieg in der Geschichte – fiel auf die Brigadisten selbst zurück.
In den Interbrigaden fochten Leute aus über 50 Nationen. Sogar Argentinier und Chinesen waren dabei, aber fast keine Russen. Insgesamt zählten die Brigaden rund 35 000 Freiwillige.Dies ist ein Indiz für die damalige Organisationsmacht der Komintern, die ansonsten eher erfolglos war. Vor allem aber ist es ein Indiz für die globale antifaschistische Solidarität. Es ist durchaus begründet, wenn die Brigaden als «größte Solidaritätsbewegung der Geschichte» bezeichnet wurden. Dieses Phänomen fasziniert bis auf den heutigen Tag. Seine ausserordentliche Kraft hält den Heldenmythos von den opferbereiten Freiheitskämpfern am Leben.
Das Versagen der Schweizer Diplomatie
Auch rechte Mythen waren dauerhaft, etwa die These, die Interbrigaden seien eine «Komintern-Armee» gewesen. Darin ist unschwer die franquistische Propaganda von den «Söldnern Stalins» zu erkennen, welche die aufständischen Militärs zur Legitimierung ihres Putsches gegen die Republik verbreiteten. Diese Propaganda war sehr wirkmächtig und beeinflusste auch die Schweizer Diplomatie. Für den katholisch-konservativen Außenminister Giuseppe Motta – nach ihm ist noch heute die Promenade in Ascona benannt – war der Krieg in Spanien nichts als eine «bolschewistische Aktion». Dieselbe Lesart pflegten die Diplomaten vor Ort. Der Schweizer Gesandte in Madrid, Karl Egger, sah in Spanien die «Dämonen eines entfesselten Kommunismus» am Werk. In den Brigadisten erblickte er eine «zweifelhafte Auslese von Zuchthäuslern».
Diese Herabwürdigung der Freiwilligen hatte politische Folgen. Als einige Schweizer 1938 den Francotruppen in die Hände fielen und in einem Konzentrationslager bei Burgos übel malträtiert wurden, unternahm Mottas Aussendepartement nichts für ihre Freilassung. Dieselbe reaktionäre Logik setzte sich innenpolitisch durch. Das Parlament lehnte im Januar 1939 eine Amnestierung der Brigadisten ab, und nur wenige Tage später anerkannte der Bundesrat auf Betreiben Mottas als erste Demokratie den Diktator Franco. Dies in der Hoffnung auf wirtschaftliche Profite. Vor der Schreckensherrschaft des Generals, die der britische Historiker Paul Preston als «spanischen Holocaust» bezeichnet, drückte man die Augen zu.
Die Brigaden waren nur wenige Monate lang wirklich international. Wegen ihrer hohen Verluste mussten sie zunehmend mit spanischem Nachwuchs aufgefüllt werden. Nicht alle Brigadisten überlebten die fast drei Jahre währende spanische Kriegshölle. Rund 180 der insgesamt 800 Schweizer Freiwilligen kehrten nicht mehr zurück. Von manchen ist ungewiss, wo sie überhaupt fielen. So galt der Schaffhauser Viktor Stuber als verschollen. Jüngste Recherchen ergaben,
dass er im August 1938 im Militärhospital von Vilafranca bei Barcelona verstarb. Dorthin wurden die Verletzten aus der Schlacht am Ebro verbracht. Stuber wurde im Friedhof in einem Massengrab beigesetzt, das erst kürzlich identifiziert wurde. Auch für die Schweiz ist der Spanische Bürgerkrieg
noch nicht vorbei.
Autor: Ralph Hug