Der Versuch, die Schweiz zur Insel zu machen

Ein Song von Paul Simon gibt Ratschläge, wie man eine Geliebte los werden kann: „Fifty ways to leave your lover“. Wenn es um die vertragliche Bindung der Schweiz an die EU geht, muss dies das Lieblingslied der Schweizerischen Volkspartei (SVP) sein. Ende September versucht sie wieder einmal per Volksabstimmung, die von ihr ungeliebte EU loszuwerden. Der Ausgang ist noch offen.

„Ich möchte dir in deinem Kampf um Freiheit helfen, es muss 50 Wege geben, deine Geliebte zu verlassen“ („I’d like to help you in your struggle to be free / There must be fifty ways to leave your lover“) singt Paul Simon. Die SVP hat als ersten Weg jenen beschritten, die Schweiz aus dem europäischen Wirtschaftsraum (EWR) herauszuhalten. Darin war sie Anfang der 90er Jahre erfolgreich.

Fehlschläge und Siege

Anschließend scheiterte sie aber beim Versuch, auch die Bilateralen Verträge zwischen EU und Schweiz zu verhindern und legte auch eine Bauchlandung hin, als sie sich dem Beitritt zum Schengen/Dublin-Abkommen widersetzte. Als sie dann jedoch mit der Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) 2014 erfolgreich war, wähnte sie sich dem Ziel nahe: Jene MEI wollte nämlich eine Kontingentierung der Zuwanderung von AusländerInnen in die Schweiz.

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Die SVP wusste, dass dies die EU in Bezug auf ihre BürgerInnnen nicht zulassen würde. Denn als über zwei Drittel der SchweizerInnen im Jahr 2000 die Bilateralen I annahmen, stimmten sie auch zu, dass sechs Verträge mit der EU sofort hinfällig würden, wenn der siebte über die Personenfreizügigkeit (PFZ) gekündigt würde. Mit der knappen Annahme (50,3 Prozent) der MEI müsste die PFZ aufgekündigt werden, meinte die Partei – womit man einen Weg gefunden haben glaubte, den lästigen „Lover“ los zu werden. Dummerweise für die SVP fand das Schweizer Parlament allerdings einen Weg, die recht unbestimmt formulierte Initiative umzusetzen, ohne die PFZ zu kündigen.

Der Übervater droht

Schon kurz nach jenem Abstimmungssieg drohte Partei-Übervater Christoph Blocher im Schweizer Fernsehen: „Wenn der Bundesrat die Initiative nicht umsetzt, machen wir eine Initiative zur Kündigung aller Bilateralen Verträge“. Diese ließ denn auch nicht lange auf sich warten – nannte sich aber nicht „Kündigungs-Initiative“ sondern „Begrenzungs-Initiative – Für eine maßvolle Zuwanderung“ (die SVP schreit getroffen auf, wenn andere von „Kündigungs-Initiative“ reden). Über diese Initiative wird nun in rund knapp vier Wochen abgestimmt.

Sie verlangt, die Schweiz habe die Zuwanderung selbständig zu regeln und alle Verträge zu kündigen, die diesem Ziel widersprächen. Die PFZ müsse innerhalb von zwölf Monaten durch Verhandlungen mit der EU außer Kraft gesetzt werden. Willige die EU nicht ein, müsse die PFZ gekündigt werden – damit automatisch alle anderen Bilateralen Verträge ebenfalls. Und da der Anschluss an den Schengen-/Dublin-Vertrag auf der Basis der Bilateralen Verträge ausgehandelt wurde, gäbe es mit großer Wahrscheinlichkeit auch dort Probleme. Die SVP hätte den 50. Weg gefunden, um die „Geliebte“ los zu werden.

Der ausländische Hintern

Weil sie aber weiß, dass die Bilateralen bei den BürgerInnen mehrheitlich gewünscht sind, argumentiert sie im Abstimmungskampf (natürlich) nicht mit diesen, sondern damit, dass es in der Schweiz zu viele AusländerInnen gebe, die Bahnen, Busse, Straßen – überhaupt alles – überfüllten. An diesen Zuständen sei allein die PFZ schuld. Dabei war die Zuwanderung in die Schweiz (brutto und netto) schon Anfang der 90er Jahre – ein Jahrzehnt vor der PFZ – genau so hoch wie heute: netto etwa 50.000 Personen pro Jahr.

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Das Abstimmungsplakat zeigt einen dicken ausländischen Hintern, der sich auf die arme Schweiz setzt und sie platt macht. Alle anderen Parteien sowie Industrie und Gewerbe fürchten vielmehr, dass die SVP die Schweiz platt mache, wenn man die Bilateralen kündigen müsse.

Für ein Land, das so stark auf den Export angewiesen sei und das – mangels Bodenschätzen – vor allem davon abhänge, dass es qualitativ hochwertige Güter verkaufen könne, sei es verheerend, die Schweiz zu einer Art Insel in der EU machen zu wollen: Nach einem Wegfall der Verträge gälten für die Schweiz gegenüber der EU erst einmal die gleichen Regeln wie etwa für Uganda. Sozusagen ein Brexit auf Schweizer Art. Und man sei dringend auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Nur Blocher findet in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung: „Der Wegfall wäre unbedeutend.“

Derzeit führt das ablehnende Lager in den Umfragen noch deutlich. Aber in der Schweiz sind Abstimmungsumfragen prinzipiell schwierig und ungenau: Die Stimmbeteiligung liegt meistens höchstens um 50 Prozent, die Altersgruppen nehmen unterschiedlich stark an Abstimmungen teil und meistens wird erst kurz vor dem Abstimmungstermin der Ton rauer. 2014 sahen die Umfragen ebenfalls eine Ablehnung der MEI voraus – es folgte dann aber eine sehr knappe Zustimmung.

Text: Lieselotte Schiesser
Bild: Kampagnenplakat der SVP