Die Angst vor dem Verlust des „guten Schweizersinns“

In letzter Zeit hat man manchmal den Eindruck, in der Schweiz werde ständig über Volksinitiativen abgestimmt, die vor allem den Zweck haben, Ausländerinnen und Ausländer dem Land fern zu halten oder wieder los zu werden. Der Eindruck ist so falsch nicht: Seit Mitte der 1960er Jahre wurde über 14 solcher Vorlagen abgestimmt, zwei davon waren bisher erfolgreich. 

Das war aber nicht alles: Die älteste solche Initiative wurde den Stimmberechtigten bereits 1922 unterbreitet. Sie scheiterte, wie bis Ende Januar 2014 weitere 13. Aber auch das ist noch nicht alles: sechs weitere Initiativen wurden in den letzten 50 Jahren zwar gestartet, kamen aber nicht zustande. Eine weitere wurde vor der Abstimmung zurückgezogen und eine wurde wegen Verstoßes gegen das Völkerrecht für ungültig erklärt.  Und über zwei weitere ist noch nicht abgestimmt (die eine ist am 9. Februar dran).

21 Volksinitiativen zum immer gleichen Thema in 50 Jahren – durchschnittlich also alle zweieinhalb Jahre eine. Die erste, die im Volk eine Mehrheit fand, war 2009 die international stark kritisierte Volksinitiative „gegen den Bau von Minaretten“, die zweite folgte 2010 mit dem Anliegen „für die Ausschaffung krimineller Ausländer“. Beide waren von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) lanciert worden, die auch hinter dem Begehren gegen die Personenfreizügigkeit steht, über das am 9. Februar abgestimmt wird und das (leider) nicht chancenlos ist.

SVP übernimmt Thema von Rechtsparteien

Seit Anfang der 1990-Jahre sind solche Vorhaben mehrheitlich die Domäne der SVP – vor allem, wenn man nur die zustande gekommenen Initiativen anschaut. Zuvor waren es vor allem rechts-aussen-Parteien wie die Nationale Aktion (gegen die Überfremdung von Volk und Heimat, NA), die Republikaner und die Schweizer Demokraten (SD), die sich dafür in die Bresche warfen.

Die SVP unter ihrem (un)heimlichen „Chefdenker“ und Milliardär Christoph Blocher hatte in den 90er-Jahren die Diskussion um Ausländer und Asylbewerber zu „ihrem“ Thema gemacht. Sie wilderte ganz gezielt bei den Wählern der mittlerweile schwächelnden SD. 1999 postulierten Blocher und sein Adlatus Christoph Mörgeli in Interviews, es dürfe rechts von der SVP keine demokratische Partei mehr geben. Dazu griffen sie das latente Unbehagen vieler Schweizerinnen und Schweizer am steigenden Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung auf.  Das wiederum war nicht neu.

„In keinem Staate, das kleine Luxemburg ausgenommen, haben sich die Landesfremden so breit machen können wie bei uns,“ schrieb Carl Brüschweiler, der kein Weggefährte von Blocher oder James Schwarzenbach war, der nach dem 2. Weltkrieg die erste solche Initiative lanciert hatte, über die abgestimmt wurde. Brüschweiler war 1939 Chef des  Eidg. Statistischen Amtes und er schrieb  zur damaligen „Landesausstellung“. Diese hatte sich die „geistige Landesverteidigung“ gegen den Faschismus auf die Fahnen geschrieben.

Der Ausländeranteil lag damals bei etwa sieben Prozent, vor dem 1. Weltkrieg waren es nicht ganz 15 Prozent gewesen. Mittlerweile haben rund ein Viertel der Bewohner der Schweiz eine andere als die Schweizer Staatsangehörigkeit. Zum Vergleich: Mannheim hat einen gleich hohen Ausländeranteil, Stuttgart liegt knapp darüber – in ganz Baden-Württemberg ist dieser Wert aber nur etwa halb so hoch. Und in Kreuzlingen wiederum sind die Ausländer gegenüber den Schweizern in der Mehrheit.

Bedrohung von außen

Aber wie man am Beispiel des Landi-Textes sieht, ist es nicht unbedingt der tatsächliche Ausländeranteil, der die Menschen beunruhigt. Man empfindet die ausländischen Mitbürger als Bedrohung der eigenen Lebensart und das Ausland als Hort allen Übels. Dazu passt, dass die derzeitigen Kämpfer gegen einen steigenden Ausländeranteil auch gegen EU, EWR, Schengen, UNO und übergeordnetes Völkerrecht sind.

Brüschweiler beklagte 1939 die „Verausländerung“ und bedauerte, dass jeder achte Schweizer eine Ausländerin heiratete. Denn er bezweifelte, dass „diese Frauen, wenn sie Mütter werden oder sind, unsere Jugend in gutem Schweizersinn erziehen“. Die gleiche Frage stellte sich ihm auch hinsichtlich jener, die sich einbürgern ließen.

Da trifft er sich mit den heutigen Kämpfern um einen niedrigeren Ausländeranteil: Sie wollen auch nicht, dass der Anteil jener steigt, die sich einbürgern lassen und bezweifeln, dass die „Papierlischwiizer“ echte Schweizer sind. 2012 schlug die SVP im Kanton Zürich – erfolglos – vor, in den Pässen zu unterscheiden zwischen „echten“ und „eingebürgerten“ Schweizern.

Verschärfte Gesetze

Aber auch wenn 12 der 14 bisherigen Vorlagen abgelehnt wurden, blieben sie nicht wirkungslos. Oft wurden bereits vor der Abstimmung nationale Gesetze verschärft, um den Initiatoren den Wind aus den Segeln zu nehmen. So übernahm der Bund die meisten Ziele der im Jahr 2000 abgelehnten sogenannten „18-Prozent-Initiative“ des Aargauer Nationalrats Philipp Müller, um die Festschreibung des Prozentsatzes zu verhindern.

Dieser lag damals bereits tiefer als der tatsächliche Ausländeranteil – man hätte also Menschen ausweisen müssen. An Müller selbst sieht man, wie sich das politische Klima in der Schweiz verändert hat: Seine Initiative hatte er alleine starten müssen, weil seine Partei, die FDP, nichts davon hielt. Heute ist er Präsident  genau dieser FDP.

Manche Initiativen bekämpfen auch nur scheinbare Probleme: Die Anti-Minarett-Initiative beispielsweise stilisierte den islamischen Kirchturm, der in der ganzen Schweiz nur etwa ein halbes Dutzend Mal vorkommt, zum Zeichen des angeblichen Vormarschs des Islams in der Schweiz. Noch immer sind aber lediglich rund 5 Prozent der Bevölkerung Muslime – die meisten von ihnen (rund 105 000) sind Bosnier oder Kosovaren. Beide Gruppen gehören kaum zu den Islamismus-Verdächtigen.

Die SVP und mit ihr „kämpfende“ Gruppen veröffentlichten aber im Abstimmungskampf (falsche) Zahlen, die suggerierten, die Schweiz werde innerhalb weniger Jahre vom Islam überrannt. Dasselbe passiert gerade wieder im Abstimmungskampf um die „Masseneinwanderungs-Intiative“.  Vorneweg bei dieser „Argumentation“ marschiert jeweils SVP-Mann Ulrich Schlüer mit seinem „Egerkinger Komitee“, mit dem er auch die Anti-Minarett-Initiative unterstützte. Schlüer war vor seinem Beitritt zur SVP jahrelang Sekretär von James Schwarzenbach, der seinerseits vor dem 2. Weltkrieg Mitglied der dem Faschismus nahe stehenden „Neuen Front“ gewesen war, bevor er später die Nationale Aktion und anschließend die Republikanische Bewegung gründete.

Noch abstruser als das Minarett-Verbot war die 2013 erfolgreiche „Burka-Verbots-Initiative“ im Tessin. Nicht einmal der Vater der Initiative, der Polit-Querschläger Giorgio Ghiringhelli, behauptete, es gäbe mehr als eine Handvoll voll verschleierter Frauen im Tessin. Aber auch er kanalisierte die Angst vor dem Fremden zur Angst vor dem Islam. Er selbst sei nicht „xenophob, nur islamophob“, sagte er in einem Interview mit dem rechtsbürgerlichen „mattino.online“.

Autorin: Lieselotte Schiesser